Auslaufmodell Ausbildung?

Die duale Ausbildung in Deutschland gilt in den USA als Vorbild. Aber die Zweifel wachsen, ob das Modell mit dem technologischen Wandel Schritt halten kann.

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Auslaufmodell Ausbildung?

(Bild: Foto: Laetitia Vancon)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Russ Juskalian

Bei Siemens in München programmiert eine Gruppe von Auszubildenden ein kleines Arbeitsmodell einer automatisierten Produktionslinie. Die künftigen Kfz-Mechatroniker können ihre Arbeit in überraschend gutem Englisch diskutieren, obwohl keiner von ihnen eine Universität besucht. Die meisten Auszubildenden kommen im Alter von 16 Jahren zu Siemens. Sie erhalten sogar ein kleines Gehalt und müssen keine Studiengebühren zahlen. Ihre amerikanischen Kollegen dagegen kostet ein Maschinenbaustudium mit Mechatronik-Schwerpunkt zwischen 25000 und 44000 Dollar im Jahr.

Weltweit gilt diese duale Ausbildung, in deren Genuss jährlich etwa 500000 Menschen kommen, als zentral für den deutschen Wirtschaftserfolg. Im vorigen Jahr erzielte das Land einen Exportrekord von 1,279 Billionen Euro. Und zwar trotz hoher Lohnkosten, denn mit 309 Industrierobotern pro 10000 Arbeiter ist es das am stärksten automatisierte Land Europas. Amerikanische Politiker haben die deutsche Berufsausbildung daher als nachahmenswertes System bezeichnet. Die Präsidenten Barack Obama und Donald Trump haben beide in den Ausbau der Lehrlingsausbildung in den USA investiert.

Experten warnen jedoch davor, dass sich das deutsche System nur schwer an die technologische Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) und Robotik anpassen kann. Die Art der Berufsausbildung könnte einen Großteil der Belegschaft an Fähigkeiten binden, die schon bald veraltet sein würden.

„Deutschland hat gezeigt, dass es die Menschen für den heutigen Bedarf und den der nächsten zehn Jahre auf eine Reihe von Jobs vorbereiten kann“, sagt Eric Hanushek, Wirtschaftswissenschaftler an der Stanford University. „Die Frage aber ist, ob die Menschen darauf vorbereitet sind, sich anzupassen, wenn sich die Wirtschaft verändert.“

Ludger Wößmann, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität München, stimmt zu: „Ich denke, das deutsche Berufssystem ist wahrscheinlich nicht besonders gut für die kommenden Veränderungen gerüstet. Vor allem auf dem Feld von KI und Robotik können Menschen nicht für den Rest ihres Lebens auf sehr berufsspezifischen Fähigkeiten aufbauen. Das ist ein grundlegendes Problem jedes Berufssystems.“

Auszubildende kosten den Arbeitgeber in Deutschland rund 18000 Euro im Jahr. „Die meisten Auszubildenden sind bereits produktiv, während sie lernen, und anschließend sofort einsatzbereit“, sagt Friedrich Beißer, bei Siemens zuständig für die internationale Ausbildung. Die frischen Absolventen sind damit seltener arbeitslos. „Fast alle werden später von den Unternehmen eingestellt, in denen sie ihre Ausbildung absolviert haben“, bestätigt Thomas Leubner, Leiter der Ausbildungsabteilung bei Siemens. Die Ausbildung gewährleistet einen stetigen Nachschub von Fachkräften mit genau den richtigen Fähigkeiten. Und die Absolventen sind auch loyal. In Asien, wo in der Regel viel gewechselt wird, liegt die Fluktuationsrate unter den von Siemens selbst ausgebildeten Mitarbeitern bei nur drei Prozent pro Jahr, schätzt Beißer. Sonst ist die Fluktuationsrate mehr als dreimal so hoch.

Doch wie lange gilt das noch? Eine Studie des Wirtschaftswissenschaftlers Hanushek bestätigt zunächst zwar das Urteil der Siemens-Ausbilder. Die Aussicht betrieblich Ausgebildeter, sofort einen Job zu finden, lag um 12,9 Prozent höher als bei frischen Hochschulabsolventen. Doch in der Lebensmitte wandelt sich das Bild: Ihre Arbeitslosigkeit steige, während das Einkommen sinke. In ihren Vierzigern könnten die Fähigkeiten der ausgebildeten Fachkräfte bereits überholt sein und den Verbleib im Erwerbsleben erschweren.

Das Potenzial von Hochschulabsolventen, die sich mehr allgemeines Wissen sowie Fertigkeiten in analytischem Denken, Problemlösung und Organisation angeeignet haben, werde dagegen in einer KI-getriebenen Wirtschaft immer wertvoller.

(inwu)