Backnang schlägt Boeing

Satelliten sollen Erdbeobachtungsdaten nahezu in Echtzeit liefern – so unmittelbar wie heute Fernsehbilder. Daran haben sich schon Weltkonzerne wie Boeing die Zähne ausgebissen. Nun verwirklicht ein schwäbischer Mittelständler die entscheidenden Elemente der nötigen Technologie.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Keno Verseck

Satelliten sollen Erdbeobachtungsdaten nahezu in Echtzeit liefern – so unmittelbar wie heute Fernsehbilder. Daran haben sich schon Weltkonzerne wie Boeing die Zähne ausgebissen. Nun verwirklicht ein schwäbischer Mittelständler die entscheidenden Elemente der nötigen Technologie.

Der Kontrollraum der Erdbeobachtungssatelliten TerraSAR-X und TanDEM-X in Oberpfaffenhofen ist in leichtes Halbdunkel getaucht. Langsam flimmern kryptische Buchstaben- und Zahlenkolonnen über die Monitore, ein riesiger Bildschirm an der Stirnseite zeigt die Flugbahnen der beiden Satelliten. Gerade sind nur zwei Ingenieure im Raum, sie starren reglos auf ihre Monitore. Im Dämmerlicht wirkt die Szene, als hätte der Kommandant eines Raumschiffs alle Regler auf Autopilot geschaltet.

Der Kommandant ist in diesem Fall eine Kommandantin und heißt Edith Maurer. Sie steht auf der Besuchertribüne über dem Kontrollraum und erklärt die Arbeit ihres Teams. „Das sieht da unten zwar aus, als liefe alles von selbst“, gibt sie zu und lacht. „Aber das ist natürlich nicht so. Da wir immer nur kurz Kontakt zum Satelliten haben, sind die meisten Leute in ihren Büros.“

Die 35-jährige Physikerin arbeitet seit 2006 am German Space Operations Center (GSOC) in Oberpfaffenhofen. Damals begann sie im TerraSAR-X-Team als Programmiererin, wurde dann Leiterin der Missionsplanung und später Flight Operations Manager, bevor sie im Oktober letzten Jahres zur Chefin des gesamten Operationsteams von TerraSAR-X/TanDEM-X aufstieg.

Damit hat sie nun einen der anspruchsvollsten Posten am GSOC. Dort wird an der Revolutionierung der Satellitenkommunikation gearbei-tet: Ab 2014 will die europäische Raumfahrtagentur ESA zusammen mit dem Raumfahrtkonzern Astrium das „Europäische Datenrelaissatellitensystem“ (EDRS) in Betrieb nehmen. Und TerraSAR-X ist ein Demonstrationsprojekt für die neue Technologie. Sie kreisen in einem eng verschlungenen Formationsflug mit nur wenigen Hundert Metern Abstand voneinander um die Erde. Aus ihren Orbits in 520 Kilometern Höhe erstellen sie per Radar ein präzises 3D-Höhenmodell der Erde.

Auf die Daten solcher relativ niedrig fliegenden Erdbeobachtungssatelliten sind immer mehr Wirtschaftszweige angewiesen – von der Forschung über Umwelt- und Katastrophenschutz, Landwirtschaft, Schifffahrt und Fischerei bis hin zum Berg-bau. Und der potenzielle Nutzen wächst ständig. Die Instrumente der Satelliten werden immer besser, die anfallenden Datenmengen immer größer. So kann bei einer einzigen Erdumrundung, also in 90 Minuten, oft schon das Datenvolumen einiger Dutzend DVDs zusammenkommen.

Das Problem aber ist: Ein Gutteil dieser Informationen gelangt überhaupt nicht zu den Nutzern – und ein weiterer bedeutender Teil nur mit einer Verspätung von mehreren Wochen oder sogar Monaten. Denn mit der Übertragung solcher Datenmengen halten die herkömmlichen Kommunikationskanäle kaum noch Schritt: Ein niedrig fliegender Satellit hat mit einer Bodenstation in mitteleuropäischen Breiten im Schnitt viermal täglich für jeweils maximal zehn Minuten Kontakt. In dieser Zeit müssen alle Telemetrie- und Nutzlastdaten empfangen, alle Anweisungen an den Satelliten gesandt werden.

Während der Umfang von Steuerungsdaten eher im Megabyte-Bereich liegt und damit unkritisch ist, stellt die Datenübertragung der Nutzlast-Instrumente an Bord einen echten Flaschenhals dar: Bei derart kurzen Kontaktzeiten können sie weit weniger Informationen übertragen, als sie aufzuzeichnen in der Lage sind. Hinzu kommt, dass beispielsweise Erdbeobachtungssatelliten sich meist in einem polaren Orbit bewegen – und damit am häufigsten Kontakt zu entlegenen Bodenstationen im Polarbereich wie O’Higgins auf der antarktischen Halbinsel haben. Von dort führt allerdings kein Kabel in die Wirtschaftszentren. Die Daten müssen also per Schiff und Flugzeug nach Europa geliefert werden. (grh)