Besuch bei der Rocket Factory Augsburg: Von Schwaben ins All

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Besuch bei der Rocket Factory Augsburg

Beim Thema Raumfahrt denken die meisten vermutlich an NASA, ESA, SpaceX. Wie ist es mit "RFA"? Vielen sagt dieses Kürzel vielleicht erst mal nichts, aber das könnte sich in den kommenden Jahren ändern. Im Süden Deutschlands gibt es nämlich die "Rocket Factory Augsburg" – kurz RFA. Wie der Name schon sagt, entwickeln sie Raketen und haben dafür einen neuartigen Ansatz.

Wie dieser Ansatz aussieht und was ein Raketenhersteller in Schwaben macht, möchten wir herausfinden. Dafür haben wir sie besucht und durften hinter die Kulissen des Raumfahrtunternehmens blicken.

Die RFA gibt es seit 2018. In den vergangenen 6 Jahren haben sie viel Forschung und Entwicklung betrieben, um eigene Raketen für die Raumfahrt herzustellen. Um mehr über ihre Arbeit zu erfahren, haben wir mit Jörn Spurmann gesprochen.

Jörn Spurmann:

"Mein Name ist Jörn Spurmann. Ich bin Chief Commercial Officer und einer der Mitgründer der Rocket Factory Augsburg. 42 Jahre alt, Familie, Kinder. Meine zweite Familie sind die 300 Leute hier bei der Rocket Factory."

Wenn man mit den Mitarbeitern vor Ort spricht, merkt man, dass die Rocket Factory als Start-up begonnen hat. Neue Ideen sollen gefördert und schnell getestet werden. Manche Tests – zum Beispiel von neuen Bauteilen – können auch mal schiefgehen. Dennoch kommt auch mit missglückten Versuchen ein Erkenntnisgewinn. Von ihrer Größe und Mitarbeiterzahl ist die RFA mittlerweile weit von Startup-Dimensionen entfernt und hat auch Standorte in mehreren europäischen Ländern.

Jörn Spurmann:

"In Augsburg ist unser Headquarter, mit knapp 270 von den [insgesamt] 300 Leuten. Daneben haben wir einen Zweig in Portugal, wo zehn Mitarbeiter daran arbeiten, Kompositstrukturen zu produzieren, die wir vorher dort entwickelt haben. In Schweden haben wir einen Teststand fürs Triebwerk und die Zweitstufe – auch circa zehn Mitarbeiter. Und in Großbritannien auf den Shetland-Inseln haben wir unsere Launch-Site. Das Team wächst – momentan sind es zehn – und wird immer größer. Natürlich auch mit vielen Leuten aus Augsburg während den Kampagnen. Das sind die vier Standorte, die wir – Stand heute – haben."

Finanziert wird die RFA aktuell noch durch Fördergelder der ESA und Beteiligungen durch Investmentfirmen.

Die Rocket Factory produziert Trägerraketen. Darunter versteht man Raketen, die Menschen oder Materialien in den Weltraum oder die Erdumlaufbahn transportieren. In vielen Fällen sind das Satelliten. Das erste Raketenmodell, das die RFA entwickelt, trägt den Namen "RFA One" und ist eine dreistufige Trägerrakete.

Darunter versteht man eine Rakete aus drei Hauptsegmenten, den sogenannten "Stufen", die übereinander angeordnet sind. Jede Stufe hat ihren eigenen Antrieb und Treibstofftank und wird nacheinander gezündet, um die Nutzlast in die gewünschte Umlaufbahn zu befördern.

Jörn Spurmann:

Die Rakete besteht aus drei wesentlichen Elementen. Das ist ein Antriebssystem, eine strukturelle Hülle und die Elektronik. Ein Avioniksystem, wie man in der Raumfahrt sagt, das für die Kontrolle, die Steuerung und die Software zuständig ist. Letztlich die gleichen Elemente wie bei einem Auto. Und dann baut man die verschiedenen Stufen, die wir haben. wir haben drei auf der Rakete – genau um diese Elemente zusammen

An diese Struktur hängt man die Triebwerke dran, installiert die Elektronik dazu und den Kabelbaum, baut das alles zusammen und dann geht's los, nachdem man die [Lieferteile des] Kunden obendrauf geschraubt hat."

Raketen werden schon seit Jahrzehnten gebaut. Was ist also neu an der Idee des Unternehmens? Was ist die Vision, die Spurmann und die RFA mit dem Bau von Raketen verfolgen?

Jörn Spurmann:

"Die Vision bei der RFA ist, den Zugang zum All deutlich kostengünstiger zu machen, um Businessmodelle aus dem Weltall zu beflügeln. Von ein paar hundert Kunden, die wir heute haben, genau dahin zu kommen, dass es eine Größenordnung mehr wird. Das wollen wir dadurch erreichen, dass wir den Zugang deutlich günstiger machen, als das bisher der Fall ist."

Entstanden ist die RFA aus dem Ergebnis einer Studie heraus, die die Gründer damals für einen namhaften Kunden erarbeitet haben.

Jörn Spurmann:

"Bevor die RFA entstanden ist, haben wir in einer Studie für die Europäische Raumfahrtagentur, die ESA, angeschaut: Wie kann man mit kleineren Trägern diesen boomenden Kleinsatellitenmarkt bedienen und ein sinnvolles Produkt bauen, das das auch beliefert?

Daraus ist dann diese ganze Idee entstanden, dass wir damals dem Eigentümer der Firma, wo wir vorher gearbeitet haben, ans Herz gelegt haben: 'Lass uns ausgründen. Wenn ihr als Investor dabei seid, würden wir das machen. Und das hat dann geklappt."

Das Ziel lautet also, Raumfahrt leichter zugänglich machen. Wenn die Rocket Factory das schafft, bietet das neue Möglichkeiten für Unternehmen und Kunden aus verschiedenen Branchen.

Jörn Spurmann:

"Die Kunden, die wir bedienen können, kommen aus vielen verschiedenen Anwendungsbereichen. Einmal Erdbeobachtungsdaten oder Kommunikationsdienstleistungen oder auch so was wie GPS; also Positionierung und Zeitmessung. Hier ein Beispiel in der Erdbeobachtung: ist Infrastrukturmonitoring für die Bahn oder die Simulation von Füllraten von Parkplätzen vor einem Walmart, woraus man dann tatsächlich den Aktienkurs von Walmart vorhersagen kann. Und da gibt es wahnsinnig viele spannende Ideen.

Kommunikation ist ein großes Beispiel. Da gibt es viele andere Kunden, die Ähnliches machen in anderen Ländern oder mit anderem Anwendungsgebiet."

Auf ihrer Website schreibt die RFA davon, dass ihr ultimatives Ziel ein "Henry-Ford-Moment der Raumfahrt" ist. Also Raketen in Serienproduktion.

"Raumfahrt" und "kostengünstig" – diese beiden Begriffe bringt man schwierig zusammen. Wie schafft es die Rocket Factory, beim Raketenbau Geld zu sparen, ohne dabei Qualität einzubüßen? Ein Grund ist die Größe der Trägerraketen, die sie entwickeln.

Jörn Spurmann:

"Man kann mittlerweile mit viel kleineren Satelliten sinnvolle Dinge tun. Und das machen wahnsinnig viele Firmen, um damit Bilddaten, Kommunikationsdienstleistungen oder ähnlich durch Raumfahrt Infrastruktur aufzubauen. Und da ist das große "Bottleneck" der Zugang zum All, die Startmöglichkeiten. Da wollen wir Abhilfe schaffen, indem wir kleinere Satelliten mit kleineren Raketen befördern, was aber kommerziell auch Sinn machen muss. Viele Firmen können schon heute nur auf sehr großen Trägerraketen mitfliegen und werden dann da rausgeworfen, wo die Rakete hinfliegt und auf einem kleineren Träger – sofern wir den Preis punktgenau gleich halten – würden sie natürlich einen viel besseren Service bekommen."

Ein weiterer Faktor ist die Wahl der Bauteile. Während in der Raumfahrt traditionell viele teure Sonderanfertigungen genutzt werden, können die Augsburger hier durch einen anderen Ansatz Kosten reduzieren.

Viele Materialien erwerben sie nämlich aus anderen Industrien; beispielsweise der Automobilindustrie. Zahlreiche Bauteile, die eine Rakete benötigt, findet man in Fahrzeugen. Die sind im Massenmarkt bereits tausendfach getestet und bewährt. Somit benötigt die RFA hier weniger "Sonderanfertigungen", die mehr kosten würden.

Ein weiteres Beispiel ist der Edelstahl für die Außenwände der Rakete.

Jörn Spurmann:

"Die Stufen, die wir produzieren bei der Rocket Factory Augsburg, sind aus Edelstahl und der wird tatsächlich hergestellt von einer Firma, die sonst Tanks für die Nahrungsmittelindustrie baut. Bierbrauereien zum Beispiel. Das ist immer ganz plakativ. Aber auch Molkereien und sämtliche Transportlastwagen, die man auf der Straße sieht. Das ist auch ungefähr das gleiche Bauprinzip. Der einzige Unterschied ist, dass unsere Wand deutlich dünner ist als das, was da auf der Autobahn fährt, damit es leicht genug ist, damit es auch im Weltall fliegen kann."

Durch die Verwendung von standardisierten Bauteilen aus anderen Industrien kann die Rocket Factory die Kosten des Raketenbaus um den Faktor 10 senken. Konkrete Zahlen zu den Kosten kann uns die RFA leider nicht mitteilen. Vergleichbare Trägerraketen aus den USA, Japan oder China liegen in einem mittleren zweistelligen bis unteren dreistelligen Millionenbereich. Eine Ersparnis um den Faktor 10 macht also einen massiven Unterschied aus.

Ein weiterer Aspekt bei der günstigen Fertigung ist der 3D-Druck. Einige Teile können die Augsburger maßgeschneidert mit 3D-Druckern selbst produzieren. Als Material verwenden sie hier natürlich keinen Kunststoff, wie wir ihn vom 3D-Druck zu Hause kennen. Die RFA verwendet eine Kupferlegierung und ein anderes Material, das aber Betriebsgeheimnis bleibt.

Stellt ein Unternehmen Produkte für die Raumfahrt her, muss viel und sorgfältig getestet werden. Und das bringt große Herausforderungen mit sich. Schließlich kann man Antriebstests oder Raketenstarts nicht einfach im eigenen Hinterhof durchführen. Es braucht geeignete Testorte und das Einholen von Genehmigungen. Hierfür muss die RFA mit verschiedenen Behörden und staatlichen Institutionen zusammenarbeiten.

Jörn Spurmann:

"Besondere Herausforderungen für uns in der Raumfahrt sind letztlich zwei Aspekte. Das eine ist der Staat, von dem man aus startet, gibt dir eine Launch-Lizenz. Und da gibt es ein bestimmtes Verfahren, das man durchlaufen muss, um zu dieser Lizenz zu kommen. Das ist ein Prozess, der ungefähr anderthalb Jahre gedauert hat. Das ist schon sehr aufwendig.

Und der zweite Punkt ist Versicherung. Man muss sich einmal gegenüber Schäden an Dritten versichern. Und wenn Kunden mitfliegen, lassen die sich auch über den Launch versichern. Das heißt, da findet eine große Diskussion mit dem Versicherungsmarkt statt. "Wie sieht unser System aus? Wie stellen wir sicher, dass das zuverlässig funktioniert und auch alles sicher und sinnvoll qualifiziert ist?" Das sind so die beiden Hauptbaustellen.

Man muss sich in der Raumfahrt bewusst sein, dass es ein sehr politisch getriebenes Business ist. Das heißt, Staaten spielen da eine große Rolle. Das ist historisch so, das wird auch in Zukunft sein. Nur weil wir jetzt den Träger mit privaten Mitteln entwickeln, ist der Staat – also Europa – mit all seinen Satellitenprojekten immer noch ein sehr großer Kunde. Und damit halt auch wichtig für uns, dass sie verstehen, was wir hier machen. Dass es alles sinnvoll ist und sie auch zuverlässig und sicher ihre Nutzlasten künftig mit uns starten können. Von daher findet ein reger Austausch statt. Wir haben zu verschiedensten Themen Projekte. Wir kriegen auch Unterstützung von ESA und vom DLR, um gewisse Dinge Richtung Missionen schon anzuschauen. Aber auch in der Entwicklung, um die Rakete voranzubringen, ist das teilunterstützt.

Also da ist eine sehr enge Symbiose, das muss auch so sein. Das ist auch gut so, weil der Staat in vielen Ländern der größte Kunde ist. Ob das in Europa tatsächlich dann auch so ist, wird die Zukunft für uns zeigen."

Die Entwicklung der "RFA One" – also der ersten Rakete der RFA – dauerte bisher sechs Jahre. Wie ist der Stand im Juli 2024 und wann wird die RFA One erstmals starten können?

Jörn Spurmann:

"Wir haben drei Stufen in der Rakete. Die muss man einzeln bauen und qualifizieren, also auch getestet haben. Der Test in Schottland, den wir kürzlich gemacht haben, ist die erste Stufe des Trägers. Auf der ersten Stufe sind ja nominell neun Triebwerke im Vergleich zu [nur] einem Triebwerk auf der Oberstufe. Letztes Jahr im Mai haben wir mit der Zweitstufe eine Stufe mit einem Triebwerk über die komplette Laufzeit [eines Raketenstartes] demonstriert.

Und jetzt haben wir noch die etwas größere Stufe mit mehr Triebwerken demonstriert, die aber relativ baugleich ist – nur eben mit mehr Triebwerken. [Die Stufe] das erste Mal ans Laufen zu kriegen, haben wir jetzt mit vier Triebwerken hingekriegt. Das Gleiche passiert jetzt relativ zeitnah mit der dritten Stufe und sobald das komplett durch ist, werden die Stufen dann alle zur Launch-Site nach Schottland verfrachtet und dort zusammengebaut und das ganze Vehikel steht auf dem Pad und wir werden versuchen, es zu starten."

Das ist jetzt im Sommer [2024] geplant. Momentan sieht das sehr gut aus. Wollen wir hoffen, dass es so bleibt."

Gelingen auch die letzten Tests und der Raketenstart, kann die Produktion beginnen. Das Ziel für die kommenden Jahre ist die Serienfertigung ihrer Raketen.

Jörn Spurmann:

"Die Durchlaufzeit von der Rakete ist dann getrieben von der Kadenz, in der wir fliegen wollen. Wir wollen auf vier, dann acht, dann zwölf Starts pro Jahr kommen. Das heißt: monatliche Starts realisieren. Also muss man auch jeden Monat einen Träger aus der Firma schieben, damit das irgendwo mit der Kapazität, die wir hier haben, funktioniert."

Raumfahrt liegt nicht nur in der Hand von großen Raumfahrtbehörden oder US-amerikanischen Milliardären. Auch internationale Start-ups wie die RFA in Deutschland können in Zukunft wichtig für die Raumfahrt sein. Läuft alles nach Plan, werden demnächst in Augsburg Raketen in Serie produziert, die dann für internationale Kunden Satelliten ins All befördern. So können Wissenschaft und Unternehmen noch mehr wichtige Daten und Informationen sammeln.

Möchtet ihr noch mehr über die Arbeit der RFA erfahren, schaut gerne auf ihrer Website vorbei.

Jörn Spurmann:

"Jeder, der das Interview sieht und sich berufen fühlt und auch an einer Rakete bauen möchte, soll doch bitte bei uns auf die Webseite schauen und gucken, ob er nicht was findet. Wir suchen grundsätzlich immer in allen Bereichen, sowohl im Ingenieursbereich, Triebwerk, Strukturen. Aber auch gerade im Bereich Software. Programmierer, die den Flug-Computer programmieren oder Tools für die Firma. Aber auch in der IT, wo wir ein Team hier haben, das sich um die Infrastruktur kümmert. An den verschiedenen Standorten. Auch gerade in der Launch-Zeit ist das spannend in Kombination mit dem Launch-Vehikel, das ja auch ein IT-System an Bord hat. Also wirklich über alle Funktionen hinweg."

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