Bitcoin: Von Punk zu Bank

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Die Ideen betreffen mittlerweile nicht mehr nur den Kapitalverkehr, sondern alle Fälle, in denen Rechte oder Ansprüche dauerhaft dokumentiert oder auf einen neuen Inhaber übertragen werden müssen. Ein Start-up in Kalifornien namens Skuchain konzentriert sich zum Beispiel auf die Dokumentation von Lieferketten. Mögliches Einsatzgebiet ist die Rückverfolgung von Bio-Lebensmitteln vom Verbraucher zum Erzeuger.

Selbst die Arbeit von Behörden könnte sich ändern. "Es gäbe hochspannende Möglichkeiten, wenn der Staat seine Grundbücher auf Blockchain-Basis digitalisieren würde", sagt Oliver Flaskämper, Chef der Tauschbörse bitcoin.de. Ein Hausbesitzer könne dann seine Immobilie unkompliziert in Anteilsscheine splitten und für diese separat bei Banken Hypotheken aufnehmen. Notare würden dann arbeitslos: Schließlich ist eine Blockkette nichts anderes als das maschinenlesbare Gegenstück zu einer Notarrolle oder der Journalrolle einer Registrierkasse. Allerdings kann sie nicht nur Bagatellbeträge abwickeln, sondern auch "smart contracts", also digitale Verträge, die ihre Einhaltung automatisch überwachen – beispielsweise den pünktlichen Eingang von Ratenzahlungen oder Dividenden.

"Wenn man diese Vorgehensweise in andere Bereiche übernimmt, beispielsweise in die Musik oder Fotografie, entstehen digitale Assets, wo es vorher keinerlei Wertschöpfung gab", sagt Fidor-Chef Kröner. So ließe sich beispielsweise beim Erwerb eines urheberrechtlich geschützten Songs der Kauf protokollieren – als Nachweis, dass er keine Raubkopie ist. Welche Ideen es bis zur praktischen Umsetzung schaffen, ist noch nicht abzusehen.

Nur eines scheint ausgemacht: Die Bitcoin-Technologie mag als Kapitalismuskritik begonnen haben – ihr gesellschaftsveränderndes Potenzial entfaltet sie nun Seit an Seit mit dem alten Feindbild. Viele Projekte stehen mit einem Bein noch in der Bitcoin-Welt, mit dem anderen im realen Geschäftsleben. Der Weg zu ihnen ist oft eine veritable Schnitzeljagd. Telefonnummern sind auf den Websites eine Rarität, Anfahrtsskizzen unüblich. Adressen führen oft nur zu Großkanzleien, Treuhändern, Notaren, Holdings oder Büroservices in der Schweiz. In deren Foyers hängen Reihen von Briefkästen. Mancher trägt fünf Firmennamen.

Ethereum, eines der meistbeachteten und ehrgeizigsten Startups, residiert am Stadtrand von Baar, im Steuersparparadies und Briefkastenfirmen-Kanton Zug. Die Büros liegen in einem extravaganten neokubistischen Wohnquader mit Dachterrasse. Entgegen der branchenüblichen Geheimniskrämerei stehen sogar zwölf Klarnamen auf dem Briefkasten. Gavin Wood, einer der Hauptentwickler, kommt sichtlich überarbeitet die Treppe herunter und öffnet die Glastür, bittet den Besucher aber nicht herein. Zeit für ein Gespräch habe leider niemand aus dem Team – die Deadline für ein Software-Release drückt.

Die junge Mannschaft – zur Zahl der Mitarbeiter äußert sich Etherum nicht – hat sich vorgenommen, ein komplettes Ökosystem aufzusetzen. Es reicht von einer Blockkette mit eigener Münze, dem "Ether", über eine Entwicklungsplattform bis zum Browser "Mist", einer Art Firefox für ein zukünftiges Internet des Geldes. Das Konzept sieht vor, dass jedermann auf Basis dieser Infrastruktur seine eigenen Anwendungen erstellen kann, die sogenannten ÐApps (Decentralized Applications).

Treibende Kraft des Projekts ist das Mathegenie Vitalik Buterin, ein 21-jähriger Kanadier russischer Abstammung und Schützling des brachiallibertären deutsch-amerikanischen Unternehmers Peter Thiel. Schon als Teenager gab Buterin, ein milchbubig-altkluger Nerd vom Schlag des jungen Bill Gates, das "Bitcoin Magazine" heraus. Dann wechselte er von der Beobachter- auf die Macherseite.

Die nötigen Ressourcen beschafften sich Buterin und seine lebenserfahreneren Mitstreiter über einen sogenannten Bitcoin-Crowdsale, eine Mischung aus Mikro-Risikokapital und Crowdfunding. Die Förderer überwiesen im Sommer 2014 Bitcoins im Wert von mehr als 15 Millionen Dollar und erhielten dafür Einheiten der Hauswährung Ether, die bei einem Misserfolg verloren wären. Träger des Projekts ist eine Stiftung in der Schweiz. Nähere Fragen zur Konstruktion aus Stiftung und Firma, zum Spagat zwischen Kommerz und Gemeinnützigkeit, beantwortet die Firma nach einigem Hin und Her nicht.

In Baar residiert auch die Bitcoin Suisse AG. Im Obergeschoss eines unprätentiösen Gewerbebaus arbeitet CEO Niels Niklas Nikolajsen. Der dunkelhaarige Däne sieht mit Knebelbart und Pferdeschwanz aus wie ein Musketier-Darsteller. Er kam in die Schweiz, weil es dort weniger Regularien für Unternehmer gibt als in der EU. Er hat neben seiner Firma ein zweites Standbein als IT-Dienstleister. Zudem ist er Schweizer Repräsentant der Freien Republik von Liberland. Das ist ein unbewohntes Stück Niemandsland an der Donau, das weder Serbien noch Kroatien haben wollte. Bei Nikolajsen kann man Bitcoins sogar in Papierform kaufen; wenn man das Geld braucht, rubbelt man den privaten Schlüssel frei und gibt ihn in die Bitcoin-Wallet ein. Damit will er ein analog-digitales Äquivalent zu anonymen Nummernkonten schaffen. Außerdem betreibt er noch eine Handelsplattform und verkauft Bitcoin-Geldautomaten. Obwohl 150-prozentiger Enthusiast, ist er Realist genug, um über das Mining zu lästern: "Wenn ich eine Maschine baue, mit der ich Geld verdienen kann, verkaufe ich sie doch nicht."

Nicolajsen ist gut vernetzt und hat die Telefonnummer von Johann Gevers im Handy, dem Gründer und Chef der Monetas AG. Der charmante, hagere Hüne mit rotblonder Kurzhaarfrisur nimmt sich spontan Zeit für ein Treffen in seinem schicken neuen Büro in der Baarer Stadtmitte. Seine Monetas AG spart auf ihrer Website nicht mit großen Versprechungen. Sie betreibe die "fortschrittlichste Transaktionsplattform der Welt", löse "eine der größten Herausforderungen der Menschheit" und biete allen Beteiligten "unglaublichen Nutzen". Gemeint ist damit ein Blockchain-basiertes Zahlungssystem, mit dem beispielsweise Arbeitsmigranten aus armen Ländern zu geringstmöglichen Kosten Geld an ihre Familien überweisen können.

Im persönlichen Gespräch wird klar: Das angeberische Marketingbohei auf monetas.net passt gar nicht zum Naturell von Johann Gevers. Der 50-Jährige ist Spross einer norddeutschen Missionarsfamilie, die im 19. Jahrhundert nach Südafrika ausgewandert war. Er ist ein sanfter, offener Typ, der glaubt, was er sagt. Von Haus aus Kaufmann, hatte er schon als Wirtschaftsprüfer, Vermögensverwalter und Unternehmensberater gearbeitet, bevor er mit Patri Friedman zusammenkam. Der Enkel des berühmten Ökonomen Milton Friedman ist Gründer der libertären "Seasteading"-Bewegung, die auf schwimmenden künstlichen Inseln herrschaftsfreie Kommunen gründen wollte. 2011 engagierte er den Wahlkanadier Gevers als Projektmanager für eine "Freie Stadt" in Honduras, ein privat finanziertes soziales Experiment auf dem Festland, das sich aus politischen Gründen dann doch nicht realisieren ließ.