"Blackberry": Kino-Satire über die Geschichte des ersten Smartphone​s

Vor dem iPhone gibt es das Blackberry. Den Aufstieg und Abstieg der kanadischen Erfindung erzählt ein halb-dokumentarischer, halb-satirischer Kinofilm.​

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 48 Kommentare lesen

(Bild: Paramount Pictures)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • René Meyer
Inhaltsverzeichnis

Das Zeitalter des Smartphones beginnt nicht 2007 mit dem iPhone, sondern fünf Jahre zuvor. Und nicht im Silicon Valley, sondern in Kanada. Sicher lassen sich frühere Geräte aufzählen, wie den glücklosen IBM Simon; aber erst das Blackberry 5810 leitet die Ära des schlauen Telefons ein, das zugleich E-Mails und Termine über das Mobilfunk-Netz abgleicht. Später kommt ein Chat dazu, der Blackberry Messenger, ähnlich wie WhatsApp. Das Gerät wird schnell zum unentbehrlichen (und süchtig machenden) Hilfsmittel, vor allem in den Chef-Etagen. Das typische Klicken auf der QWERTY-Tastatur wird ein Markenzeichen für Dynamik und Erfolg.

Den Aufstieg und Abstieg von Blackberry erzählt der gleichnamige kanadische Spielfilm. Das Unternehmen RIM – Research In Motion, 1984 gegründet von den zwei Studenten Mike Lazaridis und Douglas Fregin, wurstelt sich mit einer Handvoll Angestellten gerade so durch. Bis Jim Balsillie dazustößt. Er investiert 125.000 Dollar und fügt den fähigen, aber linkischen und verspielten Nerds Expertise in Marketing, Verhandlungsgeschick und Finanzen dazu.

Mit ihm wird der Traum eines Mobiltelefons (für das zunächst Namen wie PocketLink MegaMail im Raum stehen), mit dem man E-Mails senden und empfangen kann, Realität. Und unter seiner Führung wächst das Unternehmen (das erst 2013 in Blackberry umbenannt wird) auf 20.000 Mitarbeiter.

Die Vorstellung des iPhone 2007 leitet den Niedergang ein. Aber nicht sofort: Zunächst wächst Blackberry weiter. Noch 2010 hat man in den USA unter den Smartphones einen Marktanteil von 43 Prozent. Der Höhepunkt ist 2011 mit 85 Millionen Verträgen erreicht. Man profitiert von treuen Kunden, vom großen Vertriebsnetz. Und man schaut sich von Apple manches ab: Die Touch-Oberfläche eines iPhone ist das Gegenteil von der Hardware-Tastatur eines Blackberry. Die erste Antwort ist ein Kompromiss: das Blackberry Storm hat einen Touchscreen mit Drucktasten. Doch das unter Zeitdruck in China gefertigte Gerät leidet unter technischen Mängeln. Fast alle der in den ersten Wochen verkauften Exemplare, eine Million Stück, müssen umgetauscht werden. Und auch wenn weitere Modelle folgen, bleibt ein großes Problem: Blackberry ist eher etwas für das Business, Privatkunden lassen sich nur selten locken. iOS und Android übernehmen, innerhalb von drei Jahren fällt der Marktanteil 2013 auf 6 Prozent.

Die Geschichte des Blackberry wird flott im Stil einer Mockumentary erzählt, mit einem Budget von nur 5 Millionen Dollar (einem Zehntel von "The Social Network") und mit einer Handkamera, als ob man live mit dabei wäre.

Der Film springt von Episode zu Episode. Wie man lieber "Doom" spielt und Filmabenden frönt, anstatt zu arbeiten. Wie man taktiert, laviert, Zeit schindet. Wie man mit absurd hohen Summen Experten von Google & Co abwirbt. Mit rückdatierten Aktien-Optionen, was die Börsenaufsicht auf den Plan bringt. Alles eine Spur überzogen, aber nicht flapsig. Im Mittelpunkt: die beiden Chefs Mike und Jim. Sie symbolisieren eine Konstellation, die man so oft bei Start-ups findet. Es gibt die Tech Guys, und es gibt die Marketing Guys, und beide verstehen einander nicht. Man lernt nicht allzu viel über Blackberry, aber man lernt viel, wie sich in den 90er-Jahren ein IT-Startup anfühlt. Man lernt, dass eine Idee allein nichts wert ist, wenn man sie nicht gut verkaufen kann. Und dass es nicht immer ein Vorteil ist, in einem Markt der Pionier zu sein.

Die Köpfe hinter dem Film sind die Freunde Matt Johnson und Matthew Miller, die bereits eine Fake-Doku namens "Operation Avalanche" über die Mondlandung gedreht haben. Beide schreiben das Drehbuch, Johnson ist Regisseur und spielt einen der Hauptdarsteller, Doug Miller ist Produzent.

Grundlage ist das Buch "Losing the Signal" (2015) der kanadischen Journalisten Jacquie McNish und Sean Silcoff. Allen Beteiligten ist wichtig, dass eine Erfolgsgeschichte aus Kanada auch in Kanada umgesetzt wird.

Dabei geht es den Machern weniger um Fakten und mehr um das Gefühl, wie es ist, vor zwanzig, dreißig Jahren die digitale Revolution zu erleben – und mitzugestalten. Und all das vor authentisch gemeinter Kulisse. Da es kaum Aufnahmen der damaligen RIM-Büros gibt, pflegt man eigene Erinnerungen ein. Johnson, Jahrgang 1985: "Diese Zeit, zwischen 1995 und 2005, hat mich geprägt und ist meine liebste Epoche in der Geschichte der nordamerikanischen Popkultur."

Miller: "Mein Vater hatte ein Heimbüro, und ich weiß noch, wie ich das 28k-Einwahlmodem bekam. Ich weiß noch, wie aufregend das war, und dass Freunde zu uns kamen, um im Internet zu surfen. Und das war 1995, was noch gar nicht so lange her ist."

Die beiden gründen selbst Mitte der 2000er Jahre ein Start-up, eine Produktionsfirma für Filme. Und so bauen sie als Drehkulisse in einer ehemaligen Turbinenfabrik den Sitz von RIM so, wie sie ihn sich vorstellen, mit einem Großraum-Büro mit Club-Charakter. Und füllen ihn mit all der Technik, die damals im Einsatz ist, erworben von privaten Sammlern und aus Online-Börsen – und weitestgehend funktionstüchtig.

"Blackberry" erfuhr seine Weltpremiere im Februar 2023 bei den Filmfestspielen in Berlin, kam im Mai in Kanada und den USA ins Kino und wird dort bereits als Stream angeboten – wahlweise als etwas längere dreiteilige Serie. Nun ist der Film in Deutschland auf der großen Leinwand zu sehen.

(dahe)