Gehirnschnittstellen: Elon Musk und die Bandbreite

Die Beschleunigung der Kommunikation zwischen Mensch und Maschine ist erstaunlich schwierig. Doch genau das will Elon Musk nun erreichen.

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Von
  • Antonio Regalado

Die Ansage von Elon Musk kam auf X. Der Unternehmer behauptete in einem Posting, dass das direkte Anbringen von Elektroden in den Köpfen der Menschen zu einem enormen Anstieg der Datenübertragungsrate aus und in die menschlichen Gehirne führen wird. Anlass für die Aussage war die Ankündigung von Neuralink, Musks Firma für Gehirn-Computer-Schnittstellen (Brain Computer Interface, BCI), dass es offiziell den ersten Freiwilligen sucht, der das "N1" erhält. Das Implantat enthält 1024 Elektroden, die die Arbeit der Neuronen im Gehirn erfassen sollen.

Beim gesuchten Freiwilligen muss es sich nach Angaben des Unternehmens um eine Person handeln, die an ALS leidet oder aufgrund einer Rückenmarksverletzung gelähmt ist. "Das Ziel des Experiments ist es, sie externe Geräte mit ihren Gedanken steuern zu lassen." Das heißt etwa, einen Computercursor zu bewegen oder eine Telefon-App zu steuern. Es gibt kaum Zweifel, dass das realistisch ist. Solche Experimente werden schon seit Jahrzehnten durchgeführt. Der Unterschied besteht darin, dass das N1-Gerät mehr als doppelt so viele Elektroden hat als bei früheren Implantatversuchen. Mehr Elektroden bedeuten, dass Neuralink mehr Daten von mehr Hirnzellen sammeln kann.

Das bringt uns zu Musks Beitrag, in dem er von einem langfristigen Ziel sprach, die "Bandbreite" zwischen Menschen und Maschinen um den Faktor 1000 oder mehr zu erhöhen – sowie sogar zwischen Menschen untereinander. Was meinte er damit konkret? Und ist das wirklich möglich? Werden wir eine Art schnelle Telepathie erleben, bei der ein Mensch einem anderen in Nanosekunden von seinem Tag erzählen könnte? Forscher, die sich damit auskennen, sind allerdings skeptisch, dass ein Gehirnimplantat die Kommunikation zwischen uns beschleunigen könnte. Was jedoch stimmt: Eine beschleunigte Kommunikation zwischen Hirn und Computer wäre äußerst sinnvoll. Denn sie ist der Schlüssel zu einigen hochmodernen Anwendungen, die etwa hochgradig gelähmten Menschen ermöglichen, über einen Computer zu "sprechen".

"Bandbreite" bezieht sich in diesem Fall einfach auf die Geschwindigkeit der Datenübertragung. Nach Schätzungen von Wissenschaftlern tauschen Menschen Informationen mit einer Geschwindigkeit von etwa 40 Bit pro Sekunde aus – unabhängig davon, welche Sprache sie verwenden. Das ist ziemlich langsam – ein Computer-Download ist vielleicht eine Million Mal schneller. Und es gibt Gründe, warum es vielleicht nie schneller gehen wird. Man kennt das, wenn Menschen versuchen, gleichzeitig mit einem zu reden. Unsere Ohren lassen die Informationen durch, aber das Gehirn kann sie nicht verarbeiten. Die Geschwindigkeit des Denkens selbst setzt eine Grenze für die Bandbreite.

"Die Vorstellung, dass wir zwei Menschen mit Kabeln verbinden können, die besser wären als das, was wir heute können, ist töricht", sagt Lee Miller, Neurowissenschaftler an der Northwestern University, der sich mit Gehirnschnittstellen beschäftigt. "Wenn das der Plan ist, investiere ich darin nicht." Dennoch räumen Wissenschaftler ein, dass es Situationen gibt, in denen eine schnellere Datenübertragung eine grundlegende Änderung unserer Ausdrucksweise ermöglichen könnte. Nehmen wir an, Sie wurden überfallen und möchten einem Zeichner das Gesicht Ihres Angreifers beschreiben. Auch wenn Sie sich das Gesicht deutlich vorstellen können, wird es eine Weile dauern, bis Sie diese Details mit Ihrer Sprechgeschwindigkeit von 40 Bit pro Sekunde übermitteln können.

Theoretisch könnten mentale Bilder jedoch direkt zwischen den Köpfen ausgetauscht werden. So gibt es den Fall von Krista und Tatiana Hogan, siamesischen Zwillingen, die am Kopf zusammengewachsen sind und sich einen Teil ihres Gehirns teilen. Es wurde bereits die Behauptung aufgestellt, dass sie durch die Augen des anderen sehen können, indem sie Informationen, die von der Netzhaut in den Sehnerv gelangen, mit rund 10 Millionen Bits pro Sekunde austauschen.

Tatsächlich hat Neuralink damit begonnen, zu untersuchen, ob die implantierten Elektroden den visuellen Kortex von Affen stimulieren können. Das auf diese Weise erzeugte Sehvermögen ist aber extrem grob – im Grunde nur ein paar Lichtpunkte. Doch es könnte mit mehr und mehr Elektroden besser werden. Eines Tages könnte es so möglich sein, ein Bild zwischen zwei Gehirnen über ein Kabel zu übertragen. "Elon denkt viel über solche mentalen Bilder nach, und ich glaube, er stellt sich eine Zukunft vor, in der das Bild, an das ich denke, anderen präsentiert wird oder direkt im Kortex stimuliert werden könnte", sagt Vikash Gilja, Professor an der University of California, San Diego.

Hier könnte mehr Bandbreite also einen Unterschied machen – nicht bei der Beschleunigung der Sprache, sondern bei unerwarteten Formen der Gedankenübertragung. Es ist zum Beispiel auch möglich, emotionale Zustände zu erkennen, z. B. ob eine Person deprimiert ist, indem man das Gehirn misst. Diese Gefühle sind nicht nur schwer zu beschreiben, sondern man ist sich ihrer vielleicht nicht einmal bewusst. "Ich glaube, dass es sehr interessante Dinge geben wird, die ein BCI auslesen kann, die die Menschen jetzt noch nicht so einfach freiwillig mitteilen können", sagt Matt Angle, CEO von Paradromics, einem texanischen Unternehmen, das ein eigenes Implantatsystem mit rund 1600 Elektroden entwickelt hat. "Elektroden, die verschiedene Hirnregionen auslesen, könnten Zugang zu Informationen geben, die (...) nicht bewusst zugänglich sind."

Doch kehren wir zurück zu den auf schnellere Sicht vorhandenen Anwendungen von Gehirn-Computer-Schnittstellen. Brauchen sie mehr Bandbreite? Die Hauptanwendung dieser Geräte besteht darin, dass eine gelähmte Person einen Computer bedienen soll, indem sie einen Cursor mit ihren Gedanken bewegt. Dafür ist nicht wirklich größere Bandbreite erforderlich. Forscher müssen dafür nur einige wenige Neuronen mitschneiden – und wenn man mehr davon hinzufügt, hilft das eher wenig.

Die Sammlung von mehr Informationen – und die Verwendung von Implantaten mit mehr Elektroden – ist aber hilfreich, um eine natürlichere Kommunikation zu ermöglichen. In diesem Jahr haben wir einige Beispiele dafür gesehen, darunter zwei gelähmte Menschen, die durch einen Computer sprechen konnten, indem sie ihre Gedanken benutzten. Das funktioniert, weil die Elektroden, wenn die Probanden sich vorstellen, Worte zu sagen, ihre motorischen Neuronen messen, deren Feuerungsrate Informationen darüber enthält, wie sie versuchen, ihre Zunge und ihren Kehlkopf zu bewegen. Anhand dieser Daten ist es nun möglich, mit überraschender Genauigkeit zu bestimmen, welche Wörter die Menschen zu sagen gedenken. Die Forscher glauben, dass sie mit mehr Elektroden, die mehr Neuronen abhören – und einer größeren Bandbreite – noch besser werden können.

"Für die Steuerung des Cursors brauchen wir nicht mehr Elektroden, aber für die Sprache sind wir in einem Bereich, in dem die Datenrate eine große Rolle spielt", sagt Angle. "Es ist ganz klar, dass wir die Anzahl der verfügbaren Kanäle erhöhen müssen, um diese Systeme funktional zu machen." Mit tausend Elektroden sei es so gut wie ein Handy, das Ihre Sprache aufzeichnet. "In dieser Situation erhöht sich die Informationsrate also um das Zehn- oder Hundertfache."

Die Geschwindigkeitsrekorde fallen weiter. Im August haben Forscher gezeigt, dass zwei Menschen, die die Fähigkeit zu sprechen verloren hatten, in der Lage waren, über einen Computer, der mit Implantaten in ihren Gehirnen verbunden war, in Rekordgeschwindigkeit in Worten zu kommunizieren.

(bsc)