Britisches Gesundheitswesen: Willkommen bei Dr. iPhone

Der National Health Service hat ein Pilotprogramm gestartet, bei dem man mit seinem Hausarzt vor allem per Smartphone kommuniziert.

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Der National Health Service, kurz NHS, ist Großbritanniens nationales Gesundheitssystem – und funktioniert ungefähr so wie die gesetzlichen Kassen in Deutschland. Und das heißt auch: Wer seinen Besuch beim Mediziner nicht privat bezahlen möchte, muss sich auf Wartezeiten von teilweise Wochen oder gar Monaten einrichten – selbst beim General Practitioner (GP), vulgo Hausarzt, der jedem Bürger zugeteilt wird.

In der Region Greater London soll nun eine neue Smartphone-App dabei helfen, Konsultationen zu beschleunigen, die keine Notfälle sind. Das Pilotprogramm namens "GP at Hand" wird anfangs bis zu 3,5 Millionen Patienten abdecken, berichten britische Medien – und soll standardmäßig auf Videochat basieren. Nur wenn Labortests oder persönliche Untersuchungen wirklich notwendig sind, werden diese zum Ende des Gesprächs gebucht.

Hat sich der Nutzer angemeldet und die Anwendung auf seinem iPhone oder Android-Handy installiert, soll er 24 Stunden am Tag an sieben Tage in der Woche Termine vereinbaren können, die im besten Fall innerhalb von zwei Stunden auf dem Smartphone stattfinden können. Daneben gibt es eine Hotline zur Verabredung von "Face to Face"-Terminen, etwa der Gabe von Impfungen.

Das mittels "GP at Hand" abgedeckte Portfolio an Krankheiten, für die man sich per App "Hilfe oder Beratung" holen kann, ist erstaunlich groß: Von der Ohrenentzündung über Hauterkrankungen, Rückenschmerzen und Grippe bis hin zu Allergien, Depressionen, Stress, Migräne, Angstattacken, Gallenblaseninfektionen oder Tennisellenbogen. Selbst Lungenentzündungen, Gastritis, Augenkrankheiten und postnatale Depressionen sollen sich per "GP at Hand" zumindest vorbehandeln lassen.

Die App stammt vom Gesundheitsunternehmen Babylon Health, das seine Dienste auch kostenpflichtig auf Privatbasis offeriert. Hier zahlt man für den ersten Termin 25 britische Pfund und kann alternativ für 5 Pfund im Monat Abonnent werden. Die App bietet eine kostenlose Chat-Funktion, die es erlauben soll, medizinische Fragen zu stellen. Auch hier geht es um Erstversorgung durch einen Hausarzt.

Unkritisch wird "GP at Hand" in Großbritannien nicht gesehen. So müssen Patienten sich bewusst für den Dienst entscheiden und ihren regulären Hausarzt verlassen. Im Rahmen des Pilotprogramms wird ihre Versorgung dann durch fünf Praxis in Zentrallondon übernommen, die die Mitarbeiter von "GP at Hand" stellen.

Am Royal College of GPs (RCGP), einer Ausbildungsstätte für Hausärzte in London, fürchtet man, dass "GP at Hand" sich vor allem für junge, gesunde Patienten eignet, die keine komplexen Gesundheitsprobleme haben – aber nicht für Personen mit größerem Versorgungsbedarf. Der NHS könne sich dadurch aufsplitten, so die RCGP-Vorsitzende gegenüber der britischen "BBC" im November. Es müsse unbedingt eine Rückkehrmöglichkeit für Teilnehmer geben. Ein solches System darf zudem nicht zu einer weiteren Qualitätsverschlechterung bei der regulären Hausarztversorgung führen, hofft man am RCGP.

Problematisch scheint auch ein in das System der "GP at Hand"-Herstellerfirma integrierter Chatbot auf KI-Basis zu sein, der ursprünglich ebenfalls ausprobiert werden sollte: Hier zeigte sich, dass Patienten dazu neigten, selbigen mit schwerwiegenderen Symptomen anzuflunkern, um schneller einen Termin zu erhalten.

(bsc)