ChatGPT im Hörsaal: Wie Hochschulen auf generative KI-Werkzeuge reagieren
KI-Werkzeuge wie ChatGPT fordern Bildungsinstitutionen heraus. Aktuelle Veröffentlichungen stellen klar: Universitäten sollten den Einsatz nicht verbieten.
- Dorothee Wiegand
Generative KI-Anwendungen sind nicht gänzlich neu, aber seit der Veröffentlichung von ChatGPT Ende November 2022 kann niemand mehr leugnen, wie groß ihr Einfluss auf den Alltag an Hochschulen ist. Doris Weßels, Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Kiel, betont das große Potenzial, das generative KI für die Ausbildung von Studierenden hat. Ihrer Ansicht nach wird die Technik Schreibprozesse beim Lehren und Lernen umkrempeln. Hochschullehrern empfiehlt sie: aufklären, ausprobieren, akzeptieren, aktiv werden. 2022 gründete sie das virtuelle Kompetenzzentrum "Schreiben lehren und lernen mit KI". Die Online-Gründungskonferenz am 23. März 2023 markierte den offiziellen Start des neuen Zentrums.
Leitlinien fĂĽr Dozenten und Studenten
An der Universität Hohenheim in Stuttgart erschien Mitte März ein Whitepaper mit dem Titel "Unlocking the Power of Generative AI Models and Systems like GPT-4 and ChatGPT for Higher Education – A Guide for Students and Lecturers". Die Autoren verstehen es als Leitfaden sowohl für Dozenten als auch für Studenten.
Die Ratschläge für Studierende zeigen vielfältige Möglichkeiten auf, das eigene Lernen und schriftliche Arbeiten mithilfe von ChatGPT zu verbessern. Die Autoren empfehlen den Bot als Schreibpartner, Lernpartner, als Helfer beim Überarbeiten eigener Texte, zum Zusammenfassen von umfangreichem Lernmaterial und als Unterstützung beim Programmieren. Zu jedem Vorschlag nennt der Leitfaden konkrete erste Schritte und listet in Tabellenform Vorschläge für Prompts, um den Dialog mit dem System zu starten.
Die Empfehlungen für Hochschullehrer gliedern sich in Ratschläge für die Lehre und solche für Prüfungen. Weil die enormen technischen Möglichkeiten der generativen KI diesen Teil des Studiums besonders stark betreffen, raten die Autoren dazu, rasch neue Prüfungsformate zu entwickeln. Dozenten sollten etwa zu Hausarbeiten eine zusätzliche mündliche Präsentation planen, bei ihren Studenten die Reflexion über den eigenen Lern- und Arbeitsprozess fördern und abfragen sowie Prüfungsleistungen in Form von Websites, Videos oder Animationen vorsehen.
Das zwölfköpfige Autorenteam des Whitepapers vereint Expertise in Wirtschaftsinformatik, Informatik, Management und Soziologie. Teamleiter Professor Henner Gimpel, verantwortlich für das Fachgebiet Digitales Management an der Universität Hohenheim, sieht in den neuen KI-Werkzeugen vor allem Chancen für die Hochschulen. Er betont aber auch, dass verbindliche Regeln nötig sind: "Eine Voraussetzung dafür sind klare Guidelines an jeder Universität. Wenn die Studierenden und die Dozentinnen und Dozenten die neuen Werkzeuge dann durchdacht, effizient und verantwortungsvoll einsetzen, könnte das ganze tertiäre Bildungssystem in hohem Maße davon profitieren. Das Potenzial dafür ist zumindest gegeben", so Gimpel.
In ihrer Veröffentlichung gehen die Autoren auch auf die Frage ein, wie sich die Nutzung von KI-Tools an der Hochschule gestalten wird, wenn diese nicht mehr – wie aktuell ChatGPT – gratis zur Verfügung stehen. Dann gilt es eine Situation zu verhindern, in der sich einige Studenten einen Zugang leisten können, andere dagegen nicht. In diesem Fall müssten Hochschulen Zugänge bereitstellen, damit die Schere zwischen armen und reichen Studenten nicht weiter aufgeht.
Hausarbeit auf Knopfdruck?
In ihrem Ausblick formulieren die Autoren auch eine Warnung: "Wenn wir ChatGPT und ähnliche Tools nicht bewusst und gezielt einbinden, besteht die Gefahr, dass Studierende die neuen Möglichkeiten nur zur passiven Informationsaufnahme nutzen, statt sich zu kritischen Geistern zu entwickeln".
Skeptiker befürchten gar, dass Studenten das Verfassen von Hausarbeiten künftig dem Chatbot überlassen könnten. Die Experten stellen klar: Aktuell ist ChatGPT noch nicht in der Lage, nach Eingabe eines Prompts vollständige wissenschaftliche Abhandlungen zu verfassen. Zudem besteht bei allen Ausgaben die Gefahr, dass sie falsch sind oder andere Arbeiten plagiieren. Studierende müssen die Ausgaben daher genau prüfen, bevor sie Teile daraus in ihre Arbeit übernehmen. Zudem fehlen in den Ausgaben oft Details, die die Studierende selbst erarbeiten müssen – im Dialog mit dem Chatbot oder in Gruppenarbeit mit Kommilitonen. Diese neuen Arbeitsweisen müssen Hochschulen künftig vermitteln. Studierende sollten wissen, dass man sich nicht von schönen Formulierungen der Sprach-KI blenden lassen darf und müssen deren Ausgaben kritisch hinterfragen.
Juristische Rahmenbedingungen
Eine Bewertung juristischer Fragen rund um das KI-gestützte Schreiben an der Hochschule hat das Projektteam von KI:edu.nrw der Ruhr-Universität Bochum um Peter Salden vorgelegt. Professor Thomas Hoeren von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, der unter anderem die Rechtsinformationsstelle der Digitalen Hochschule NRW leitet, diskutiert darin, wer im juristischen Sinn Urheber eines KI-generierten Textes ist und ob eine Kennzeichnungspflicht bei der Nutzung in prüfungsrelevanten Arbeiten besteht.
Dass eine generative KI Urheber eines Textes sein kann, wird in dem Bericht deutlich verneint, denn ChatGPT ist nur eine Maschine und kein Autor. Vielmehr sind Studierende für ihre Arbeiten – samt eventuell übernommener Fehler – voll verantwortlich. Voraussetzung dafür, die Urheberschaft an einem mithilfe von KI verfassten Text zu beanspruchen, ist nach Ansicht von Hoeren ein ausreichendes Maß an geistiger Eigenleistung.
Ob eine Pflicht zur Kennzeichnung besteht, hängt demnach von den jeweils geltenden rechtlichen Vorschriften ab. Bei schriftlichen Leistungsnachweisen mussten Studenten auch in der Vergangenheit eine Eigenständigkeitserklärung abgeben, in der sie darlegten, ob und welche Hilfsmittel sie verwendet haben. Dazu gehören nach gängiger Auffassung künftig auch Tools wie ChatGPT. Angesichts der Unsicherheit in den Hochschulen, wie mit den neuen Tools umzugehen ist, seien entsprechende Klarstellungen in den Regelwerken zu empfehlen, rät Gutachter Hoeren.
"Mit dem Gutachten ist der rechtliche Rahmen für den Einsatz von KI-Schreibtools sehr viel klarer geworden", sagt Peter Salden, Projektleiter von KI:edu.nrw und Leiter des Zentrums für Wissenschaftsdidaktik der Ruhr-Universität. "Allerdings zeigt sich auch, dass die rechtliche Klärung nicht ausreicht, um die in den Hochschulen akuten Fragen zu lösen. Weiterhin müssen wir darüber nachdenken, was unsere Studierenden in Bezug auf die Tools lernen sollen und wie wir die neuen Möglichkeiten auch in unsere Prüfungsformate gut integrieren." An diesen Fragen will das Projekt KI:edu.nrw in den kommenden Monaten intensiv weiterarbeiten.
Anlass zur Selbstreflexion
Manche Wissenschaftler sehen generative KI als enorme Chance für Universitäten, andere betonen stärker die Herausforderungen, vor die Systeme wie ChatGPT den Wissenschaftsbetrieb stellen. Einig sind sich beide Seiten darin, dass sich Hochschulen angesichts des enormen Potenzials ganz grundsätzlichen Fragen stellen müssen. Es geht um die Frage, welche Bedeutung das Schreiben in Wissenschaft und Lehre hat und welche Kompetenzen die Hochschulen den Studierenden vermitteln wollen, um sie fit zu machen für eine Welt, in der generative KI eine immer größere Rolle spielen wird.
- „Unlocking the Power of Generative AI Models and Systems such as GPT-4 and ChatGPT for Higher Education“„Unlocking the Power of Generative AI Models and Systems such as GPT-4 and ChatGPT for Higher Education“
- „Didaktische und rechtliche Perspektiven auf KI-gestütztes Schreiben in der Hochschulbildung“
(dwi)