Corona: USA haben bald zu viel Impfstoff
In den USA steht demnächst ein aus deutscher Sicht absurdes Problem vor der Tür: Es könnten deutlich mehr Dosen verabreicht werden als Impflinge vorhanden sind.
- Mia Sato
In den USA wurden bisher mehr als 118 Millionen Dosen an Covid-19-Impfstoffen verabreicht – und jeden Tag werden Millionen weitere injiziert. Bislang hat die Nachfrage von Menschen, die sich unbedingt impfen lassen wollen, das Angebot an Medikamenten überstiegen. Wenn Impftermine freigegeben werden, sind sie schnell vergriffen.
Aber während Deutschland zum Frust vieler Bürger wegen mangelnder Impfdosen im Ländervergleich weit zurückliegt, könnten die USA demnächst mit dem gegenteiligen Problem konfrontiert sein. Dank hochgefahrener Produktion wird es in den USA bald viel mehr Impfdosen geben – aber nicht mehr genug Menschen, die sie haben wollen. Und das schon in naher Zukunft: Rochelle Walensky, Direktorin der Centers for Disease Control and Prevention, schätzt, dass sich Angebot und Nachfrage "in den kommenden Wochen bis Monaten" verschieben werden. Der Supermarktriese Walmart, ein großer Anbieter von Impfstoffen im ganzen Land, meint, dass der Umschwung innerhalb der nächsten 30 bis 45 Tagen geschehen könne.
In einigen Staaten zeigt sich der Wandel von Knappheit zu Überfluss bereits. In Idaho, wo 20 Prozent der Menschen mindestens eine Impfung erhalten haben, blieben viele Termine ungenutzt. Die Behörden haben daraufhin die Zahl der Berechtigten vorzeitig erhöht. Seit dem 22. März können sich dort auch schon Menschen ab einem Alter von 55 Jahren impfen lassen.
Native Americans weit voraus
In einer Pressekonferenz am 16. März sagten Beamte des Bundesstaates Idaho, dass sie jede zweite Woche Termine für 200.000 oder mehr Menschen anbieten. Sie hoffen, dass viele Bürger Idahos, die bisher noch gezögert haben, sich nun, nachdem die Markteinführung schon eine Weile her ist, doch impfen lassen.
Einige Native-American-Gemeinschaften sind beim Impfen inzwischen sogar jedem US-Bundesstaat um Wochen voraus. Die Chickasaw Nation zum Beispiel hat bereits so viele ihrer 38.000 Einwohner erfolgreich geimpft, dass sie die Impfung nun jedem ab 16 Jahren anbietet – und darüber hinaus allen Bürgern Oklahomas.
In Amerika könnten also schon bald so viele Menschen resistent gegen das Virus sein, dass es sich nur noch schwer verbreiten kann. Präsident Biden hat sich zum Ziel gesetzt, dass in allen Bundesstaaten bis zum 1. Mai jeder Erwachsene eine Impfberechtigung erhalten hat. Die Regierung plant sogar, Millionen von überschüssigen Dosen des Impfstoffs von AstraZeneca in ihre direkten Nachbarländer Kanada und Mexiko zu schicken, um die dortigen Versorgungslücken zu schließen. Medizin-Experten schätzen, dass sich die Infektionen in den USA bei einer Impfrate von etwa 80 Prozent deutlich reduzieren werden. Dieses Ziel könnte mit 70 Prozent geimpften US-Amerikanern laut Hochrechnungen Ende Juni in greifbare Nähe rücken.
Verständnis für Impfzögerer
Aber diese Hochrechnungen gehen davon aus, dass jeder, der für eine Impfung in Frage kommt, sich auch impfen lässt. Eine aktuelle Studie des Pew Research Centers schätzt jedoch, dass nur 69 Prozent der US-Amerikaner eine Impfung wünschen. Um den Schwellenwert erreichen zu können, ist es daher wichtig zu verstehen, warum die Zögerer zögern und wie sich ihre Haltung ändern ließe.
Als Grundlage für die Vorgehensweise in den kommenden Monaten könnten Untersuchungen der Delphi Group an der Carnegie Mellon University dienen. In einer Umfrage unter mehr als 1,9 Millionen Amerikanern fanden die Forscher heraus, dass sich zwar ein steigender Anteil der Menschen geimpft hat oder dazu bereit ist, aber etwa ein Viertel der ungeimpften Erwachsenen immer noch zögert. Alex Reinhart, Juniorprofessor für Statistik und Datenwissenschaft an der Carnegie Mellon University, hofft, dass Kenntnisse darüber, wer zögert und warum, den Behörden helfen, ihre Bemühungen zu fokussieren.
Das Delphi-Team fand zum Beispiel heraus, dass sich das Vertrauen in Impfstoffe je nach Region unterscheidet. In sĂĽdlichen Bundesstaaten wie Alabama, Mississippi, Georgia und Louisiana sowie in North Dakota und Wyoming gaben mehr Befragte an, sich wahrscheinlich oder definitiv nicht impfen lassen zu wollen.
Auch bei den Gründen zeigten sich Muster. In Florida und Georgia waren die Nebenwirkungen ein größeres Problem als in anderen Bundesstaaten, in denen die Impfung ebenfalls nur zögerlich angenommen wird. Landesspezifische Aufklärungskampagnen könnten also wahrscheinlich helfen, Vertrauen aufzubauen. Ein weiterer wichtiger Faktor war das Geschlecht: Frauen machten sich deutlich mehr Sorgen über Nebenwirkungen als Männer. All diese Erkenntnisse sollten genutzt werden, wenn Städte, Bundesstaaten und kommunale Gruppen überlegen, wie sie Impfverweigerer überzeugen können.
Richtungsänderungen einleiten
Einige Gruppen entwickeln bereits kreative Ideen, um noch nicht Geimpfte zu erreichen. So will etwa die Lobbygruppe 1Day Sooner in Boston, deren Mitglieder sich freiwillig als Testpersonen für die Entwicklung von Corona-Impfstoffen zur Verfügung gestellt hatten, einen "Vaccine Day" (Impftag) veranstalten: Bereits geimpfte Mitarbeiter werden mit Musik, Partys und anderen Veranstaltungen gefeiert, in der Hoffnung, dass dies die Öffentlichkeit dazu verleitet, sich auch impfen zu lassen. In einigen Städten Alaskas nehmen Impflinge an Gewinnspielen teil, bei denen es Fässer mit Öl, Reisen nach Hawaii oder Bargeld für ein neues Auto zu gewinnen gibt.
Dabei müssen die Strategien gar nicht aufwendig sein. Die Forscher an der Carnegie Mellon University fanden heraus, dass die regulären Gesundheitsdienstleister durchaus effektiv Menschen überzeugen können, sich impfen zu lassen. Und wer hat damit am wenigsten Erfolg? Die Politiker, was nach einem Jahr voller Fehlinformationen kaum verwundert.
Reinhart plädiert für Optimismus. "Wir haben noch viel Arbeit vor uns", sagt er, "aber zumindest bewegen sich die Dinge in die richtige Richtung."
Die Originalversion dieses Artikels ist Teil des von der Rockefeller Foundation unterstĂĽtzten Pandemic Technology Project. (bsc)