Corona-Pandemie: "Durch die vorhandenen Daten kratzen wir nur an der Oberfläche"

Prof. Dr. med. Matthias Schrappe, ehemaliger Berater der Bundesregierung, fordert im Interview mit Telepolis eine neue Corona-Teststrategie und besseren Schutz.

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Kritik an Corona-Maßnahmen
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Von
  • Florian Rötzer

Prof. Dr. med. Matthias Schrappe hat die Teststrategie des Robert-Koch-Instituts in der Corona-Pandemie kritisiert und Untersuchungen ganzer Bevölkerungsgruppen gefordert.

Im Interview mit dem Onlinemagazin Telepolis verwies der Internist auf eine entsprechende Großstudie in Island: "Dort hat man das Richtige getan, nämlich eine Populationskohorte aufgebaut und dadurch ein gutes Bild über die Ausbreitungsdynamik gewonnen: recht hohe Durchseuchung, geringe Rolle der Kinder hinsichtlich Manifestation und Übertragung, mäßige Infektiosität etwa in den Haushalten." Obwohl inzwischen mehrere Untersuchungen die Ergebnisse aus Island bestätigen konnten, habe man in Deutschland einen solchen Ansatz bislang nicht verwirklichen wollen.

Prof. Dr. med. Matthias Schrappe

(Bild: privat)

Angesichts einer möglichen erneuten Ausdehnung der Pandemie in Deutschland sprach sich Schrappe für eine Trennung der gleichmäßig-homogenen Ausbreitung in der Bevölkerung und sogenannten Herdausbrüchen aus. Zudem müsse zur Beherrschung der sporadischen Ausbreitung und deren Auswirkung eine Strategie zum zielgruppenorientierten Schutz ausgearbeitet werden.

"Es gibt, wie bei allen Infektionen, Gruppen in der Bevölkerung, die besonders gefährdet sind", so Schrappe: "Da wir die Epidemie nicht stoppen können, bleibt uns eigentlich ja gar nichts anderes übrig, als sie zu schützen: "Leider wird dann immer vom Wegsperren gesprochen. Ein wohlwollender Schutz, der Persönlichkeit, Würde und Humanität in den Mittelpunkt stellt, kann man sich in unserer Gesellschaft anscheinend nur schwer vorstellen. Warum für ältere Menschen kein Taxi zum Preis eines ÖPNV-Tickets? Warum keine Hilfsprogramme für ambulant zu pflegende Personen? Dies wäre viel sinnvoller, als die immerwährende Drohung mit einem zweiten Lockdown."

Schließlich sei es "wirklich wichtig, sinnvolle Zahlen zur Steuerung zu verwenden". Der Wert von 50 neuen Infektionen pro 100.000 Einwohnern und Woche sei "vollständig inhaltsleer", betonte Schrappe gegenüber Telepolis: "Wir würden keine Bachelor-Arbeit mit einem solchen Ansatz akzeptieren."

Prof. Dr. med. Matthias Schrappe ist emeritierter Professor für Innere Medizin. Von 2007 bis 2011 war er stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung im Gesundheitswesen, der die Bundesregierung zur Gesundheitspolitik berät.

Das gesamte Interview von Telepolis mit Prof. Dr. med. Matthias Schrappe:

(fr)