Corona: Rechtzeitige Impfung von Kindern gefordert

Die Kleinsten gehören offiziell nicht zur Risikogruppe. Trotzdem könnte eine zu späte Vakzination negative Auswirkungen haben, warnen Forscher.

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Kind bei der Impfung.

(Bild: CDC / PD)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Bianca Nogrady
Inhaltsverzeichnis

Während die Spritze gegen das Coronavirus weltweit hochbegehrt ist, gibt es eine Bevölkerungsgruppe, die sich in nahezu keine Warteschlange vor den Impfzentren einreiht: Kinder. Die beiden führenden mRNA-Vakzine fallen aus. Der Pfizer-BioNTech-Impfstoff ist noch immer erst für Personen ab 16 Jahren zugelassen und die Moderna-Variante ist ausschließlich für Erwachsene gedacht.

Beide Vakzine werden nun in jüngeren Altersgruppen getestet, die Ergebnisse sollten bis zum Sommer vorliegen. Auch vom Oxford-AstraZeneca- und Johnson & Johnson-Impfstoff werden Studien an Kindern erst in Kürze erwartet. Trotzdem: In einer Welt, in der Kinder die meisten regulären Impfungen noch vor ihrem zweiten Geburtstag erhalten, werden sie in einer globalen Pandemie beim Impfschutz erst mal nicht bedacht. Wie kommt das? Und welche Bedeutung hat das für das Pandemiegeschehen bei Erwachsenen?

Ein Grund, warum Kinder in der Impfstrategie nicht priorisiert werden, ist, dass ihnen eine Corona-Infektion allgemein einfach sehr viel weniger gefährlich wird als Erwachsenen. In den USA sind etwa 13 Prozent aller bestätigten Fälle Kinder, doch unter allen gemeldeten Klinikaufnahmen machen sie weniger als 3 Prozent aus und ihr Anteil an den an COVID-19 Verstorbenen beträgt weniger als 0,21 Prozent. Entwickeln Kinder Symptome, ähneln die zwar denen von Erwachsenen – Husten, Fieber, Halskratzen und eventuell eine laufende Nase –, nur fallen sie weniger gravierend aus.

Selbst nach einem Jahr Pandemie ist noch nicht ganz klar, woran das liegt. Die Forschung legt nahe, dass Kinder eine andere Immunreaktion auf das Virus zeigen. Das könnte bedeuten, dass deren Immunsysteme das Virus sehr viel schneller neutralisieren können und es daran hindern, sich zu vermehren. Kinder könnten zudem von einem Schutz profitieren, der von anderen zirkulierenden Coronaviren, denen sie regulär ausgesetzt sind, übergreift.

Außerdem besteht die Möglichkeit, dass sie weniger ACE2-Rezeptoren in ihren Zellen haben – diese säumen die Nasengänge und sind damit Einfallstore für Coronaviren, die sich hier Wirtszellen suchen und diese infizieren. Dem Virus würde das erschweren, in den Körper zu gelangen. Dennoch gibt es eine ernsthaftere Komplikation, die bei Kindern mit SARS-CoV-2 auftreten kann. Das sogenannte Multisystem Inflammatory Syndrome in Children (kurz MIS-C, auf Deutsch etwa: multisystemisches Entzündungssyndrom bei Kindern). Allerdings kommt es selten vor. In den USA wurden z.B. weniger als 1700 Fälle gemeldet, darunter 26 tödliche.

Dass Kinder sich gegenüber COVID-19 so widerstandsfähig zeigen, macht sie in Sachen Impfung zu einer geringeren Priorität, insbesondere, da die aktuelle Nachfrage nach Vakzinen die Produktion deutlich übersteigt. Darüber hinaus stellen Kinder auch in der Impfstoffentwicklung eine Herausforderung dar – wie auch in jeder anderen Medikamentenentwicklung –, denn sie werden dabei natürlich als eine besonders vulnerable Bevölkerungsgruppe betrachtet, wie Beth Thielen, Spezialistin für Infektionskrankheiten bei Kindern an der University of Minnesota, sagt. "Wir wollen zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen treffen, um sie vor Schäden zu schützen", sagt sie. "Wir neigen dazu, einfach sehr viel vorsichtiger zu sein, Kinder an Studien teilnehmen zu lassen und wollen sie keinem übermäßigen Risiko aussetzen."

Die Aussicht, dass der potentielle Schaden von Studien zu einem neuen Impfstoff oder zu COVID-19-Medikamenten bei Kindern größer als der eigentliche Nutzen sein könnte, ist besonders mit Blick auf MIS-C besorgniserregend, meint auch Anna Sick-Samuels, Kinderärztin am Institut für Infektionskrankheiten der Johns Hopkins School of Medicine. MIS-C wird nach aktueller Einschätzung durch eine starke Entzündungsreaktion auf das SARS-CoV-2-Virus ausgelöst. "Es ist von großer Bedeutung, einschätzen zu können, ob die aktuellen mRNA-Impfstoffe zu einer Antikörper-Reaktion führen könnten, die ebenso MIS-C auslöst – oder ob es sich dabei ausschließlich um eine Komplikation der tatsächlichen viralen Infektion handelt", sagt sie.

Es scheint dementsprechend wahrscheinlich, dass es noch einige Zeit dauern wird, bevor Kinder in großer Zahl gegen COVID-19 geimpft werden. Das heißt, dass es eine demographische Verlagerung der Corona-Infektionen geben wird, sobald ältere Bevölkerungsschichten Immunität erlangen und die meisten Infektionen von nicht geimpften, jüngeren Gruppen geschultert werden müssen. Das heißt zwar nicht, dass mehr Kinder sich anstecken, doch wenn weniger Erwachsene dem Risiko ausgesetzt sind, dann werden Kinder in Relation zu Erwachsenen in den Infektionszahlen überrepräsentiert sein – was das Gegenteil von dem ist, was bislang in der Welt beobachtet werden konnte, wo die Alten die Hauptlast schultern.

Hier entsteht nun aber die Gefahr, dass Kinder durch den Aufschub ihrer Immunisierung zu einem Reservoir für das Virus innerhalb der Bevölkerung werden könnten und ihm somit den Boden für weitere Ausbrüche liefern. Das könnte auch für geimpfte Erwachsene zu einem Problem werden, sagt Mobeen Rathore, Experte für Infektionskrankheiten und Epidemiologe am University of Florida College of Medicine. Die gegenwärtig zugelassenen Impfstoffe bieten einen hohen Infektionsschutz, doch bei 100 Prozent liegt auch der nicht. In klinischen Studien hat sich eine kleine Zahl von geimpften Menschen trotzdem infiziert, auch wenn es für sie sehr viel unwahrscheinlicher war, ernsthaft zu erkranken. Es gibt auch noch keine abschließenden Daten dazu, ob Impfstoffe die Übertragung von einer infizierten Person auf eine andere verhindern – auch wenn die Forschung sich aktuell damit intensiv auseinandersetzt und frühe Anzeichen vielversprechend sind. "Die Frage ist also, ob die Leute, die immun geworden sind, sich infizieren – sie würden dann nicht krank werden, aber so wird die Infektionskette nicht gestoppt", sagt Rathore. Und solange der Virus in der Bevölkerung zirkuliert, bleibt das Risiko der Erkrankung, des Sterbens und weiterer Mutationen.

Zu einem früheren Zeitpunkt in der Pandemie wurde angenommen, dass Kinder eine geringere Wahrscheinlichkeit haben, SARS-CoV-2 an andere Kinder oder an Erwachsene zu übertragen. Eine Studie in englischen Schulen, die im Juni und Juli 2020 nach einem ersten Lockdown wieder geöffnet hatten, stellte relativ wenige Infektionen oder Ausbrüche fest. Doch weitere Untersuchungen, insbesondere nachdem Schulen, Universitäten, Fachhochschulen wieder den Präsenz-Betrieb aufnahmen, legen nahe, dass die Infektionsraten insbesondere in jungen Menschen erstaunlich hoch sind.

Diese Hinweise auf Übertragungswege innerhalb und ausgehend von jüngeren Altersgruppen ist zwiespältig, sagt Stefan Flasche, Impfstoff-Epidemiologe an der London School of Hygiene and Tropical Medicine. Verkompliziert wird eine klare Beurteilung durch die Tatsache, dass infizierte Kinder eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit haben, Symptome zu zeigen als infizierte Erwachsene, weshalb Kinder ohnehin schon weniger getestet werden. "Wir scheinen in einer Situation zu sein, in der Kinder zwar übertragen, aber nicht als Hauptüberträger in Erscheinung treten", sagt er.

Das könnte sich einmal mehr ändern, sobald Erwachsene geimpft werden und damit weniger wahrscheinlich erkranken. Eine ähnliche Entwicklung ließ sich schon im Vereinigten Königreich beobachten, nicht als Ergebnis einer Impfkampagne, sondern von bestimmten Lockdown-Maßnahmen. Die schränkten die Bewegungsfreiheit von Erwachsenen ein, während die Schulen offen blieben. "In dieser Situation sieht es danach aus, dass Kinder tatsächlich die verbleibende Ursache für Ansteckungen sind oder substanziell an den verbleibenden Übertragungen beteiligt sind", sagt Flasche.

Eine weitere Sorge ist, dass die mutierten Varianten eine größere Bedrohung für Kinder darstellen könnten: Frühe Hinweise deuten darauf hin, dass sie für die englische Mutation empfänglicher sind; auch wenn noch nicht geklärt ist, ob das erhöhte Aufkommen von B.1.1.7 in Kindern – im Vergleich zum ursprünglichen SARS-CoV-2-Stamm – nicht vielmehr Ergebnis der Lockdowns ist, in denen Erwachsene insgesamt mehr vor einer Coronainfektion geschützt waren.

Es besteht kein Zweifel daran, dass Kinder künftig gegen COVID-19 geimpft werden sollten (und wahrscheinlich auch werden). Auch sie tragen das Risiko, zu erkranken und – in sehr seltenen Fällen – daran zu sterben. Für ein Virus, das in allen Altersgruppen übertragen wird, wird ein großer nicht geimpfter Bevölkerungsanteil immer die Bemühungen um das Erlangen einer Herdenimmunität unterlaufen – vorausgesetzt, dass Impfungen überhaupt in der Lage dazu sein werden, eine solche gegen COVID-19 zu erwirken.

Flasche hält das für recht unwahrscheinlich. "Es handelt sich hierbei um einen hochinfektiösen Krankheitserreger, bei dem so ziemlich jeder in der Bevölkerung zu seiner Verbreitung beiträgt", sagt er. "Selbst mit den besten Impfstoffen bedeutet das, dass es sehr, sehr herausfordernd wird, die Übertragung bestenfalls zu reduzieren."

Epidemiologe Rathore würde eine sofortige Corona-Impfung für Kinder begrüßen, doch sagt auch, dass Hochrisiko-Gruppen größere Priorität haben. "Ich setze mich für Kinder ein und will, dass sie geschützt sind. Impfstoffe sind das Beste, was wir haben, um alle Menschen und damit auch Kinder zu schützen", sagt er. "Machen wir jetzt das Beste aus dem, was wir haben." Noch sei es nicht soweit.

(bsc)