Corona: Warum uns die Virenvariante "Delta Plus" nicht verwirren sollte

Wissenschaftliche Namen sind wichtig für Forscher, die die Evolution von SARS-CoV-2 verfolgen. Bei "Delta Plus" herrscht jedoch viel Konfusion – auch in Medien.

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Arbeit im Krankenhaus.

(Bild: RusAKphoto / Shutterstock.com)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Cat Ferguson
Inhaltsverzeichnis

Wenn Sie die jüngsten Nachrichtenberichte über einen COVID-19-Stamm namens "Delta Plus" beunruhigt haben, wird es Sie vielleicht erschrecken zu hören, dass Wissenschaftler die Delta-Familie gerade von vier auf 13 Varianten erweitert haben.

Bitte atmen Sie tief durch. Die Wissenschaftler möchten Sie verstehen lassen, dass es keine Beweise dafür gibt, Delta habe neue Tricks gelernt. Diese neuen Namen dienen nur dazu, die Entwicklung des SARS-CoV-2-Virus zu verfolgen. Neun neue Gründe zur Panik gibt es hingegen nicht. Und viele Forscher hoffen auch sehr, dass die Medien aufhören, überhaupt "Delta Plus" zu sagen.

"Der Name 'Delta Plus' ist völlig falsch, weil er den Eindruck erweckt, dass dieses Virus mehr Schaden anrichten kann", sagt etwa Anderson Brito, Mitglied des Pango Lineage Designation Committee, das neuen Zweigen des Virus wissenschaftliche Namen wie B.1.1.7 zuweist. "Bisher haben wir keine Hinweise darauf, dass eine der Mutationen das Verhalten im Vergleich zur ursprünglichen Delta-Variante beeinflusst."

Was gegen Panik hilft: Es könnte hilfreich sein, sich SARS-CoV-2 als einen Baum vorzustellen. Delta ist wie ein dicker Ast an diesem Baum – eine große Familie von Viren, die einen gemeinsamen Vorfahren und einige der gleichen Mutationen haben, wodurch sie sich schneller zwischen Menschen verbreiten könnten. Wenn dem großen Ast neue Zweige wachsen, was ständig geschieht, behalten Wissenschaftler den Überblick, indem sie technische Namen verwenden, die Zahlen und Buchstaben enthalten. Aber ein neuer wissenschaftlicher Name bedeutet nicht, dass sich diese Viren anders verhalten als der Zweig, aus dem sie hervorgegangen sind – und wenn einer dieser neuen Zweige beginnt, sein Verhalten zu ändern, bekommt er einen neuen griechischen Buchstaben, kein "Plus".

(Jetzt wäre wohl ein guter Zeitpunkt, um darauf hinzuweisen, dass einige Mutationen des Delta-Virus es zwar leichter übertragbar machen, die aktuellen Impfstoffe aber immer noch sehr gut vor schweren Erkrankungen durch alle bekannten Coronaviren-Stämme schützen.)

Die Verwirrung bei der Namensgebung rührt vor allem daher, dass Journalisten (und ihre wissenschaftlichen Quellen) zwei gängige Systeme zur Verfolgung der COVID-19-Evolution miteinander vermischt haben – trotz der Tatsache, dass die Ansätze sehr unterschiedliche Strategien und Ziele haben.

Das alphanumerische System, das der ersten Delta-Variante ihren wissenschaftlichen Namen B.1.617.2 gab, heißt Pango. Es ist für Forscher gedacht, die kleine genetische Veränderungen des Virus verfolgen. Damit lässt sich aber nicht feststellen, ob sich neue Linien im Menschen anders verhalten, sondern nur, ob sie auf molekularer Ebene anders sind. Derzeit gibt es über 1300 Pango-Linien, von denen 13 als Teil der Delta-Familie gelten.

Der Name Delta stammt aus dem WHO-System, das die Coronaviren-Genomik für die Allgemeinheit vereinfachen soll. Statt Orte ("britische Variante", "indische Variante" oder – sehr umstritten – "Wuhan-Virus") nimmt sie die Buchstaben des griechischen Alphabets. Die Weltgesundheitsorganisation gibt Virusvarianten Namen, wenn sie der Meinung ist, dass sie von besonderem Interesse sein könnten. Derzeit gibt es acht Familien mit griechischen Buchstaben – doch solange es keine Beweise dafür gibt, dass sich eine neue Unterlinie des ersten Delta-Stammes anders verhält als seine Eltern, betrachtet die WHO sie allesamt als Delta.

"Delta plus" nimmt nun die WHO-Bezeichnung und vermischt sie mit den Abstammungsinformationen von Pango. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Virus gefährlicher oder besorgniserregender ist. "Die Menschen sind ziemlich beunruhigt, wenn sie einen neuen Pango-Namen sehen. Aber wir sollten uns durch die Entdeckung neuer Varianten nicht beunruhigen lassen. Es tauchen immer wieder neue Varianten auf, die sich in ihrem Verhalten nicht unterscheiden", sagt Brito vom Pango-Team. "Wenn wir Beweise dafür haben, dass eine neue Abstammungslinie bedrohlicher ist, wird die WHO ihr einen neuen Namen geben."

"Für einen Genomforscher wie mich ist es wichtig zu wissen, welche Varianten wir sehen", sagt Kelsey Florek, leitende Genomforscherin und Datenwissenschaftlerin im staatlichen Gesundheitslabor von Wisconsin. "Für die breite Öffentlichkeit ergibt das keinen Unterschied. Für die Kommunikation mit politischen Entscheidungsträgern, dem Gesundheitssystem und der Öffentlichkeit reicht es aus, sie alle als Delta zu klassifizieren."

Im Grunde funktioniert die virale Evolution wie jede andere Art von Evolution. Während sich das Virus im Körper ausbreitet, erstellt es Kopien von sich selbst, die oft kleine Fehler und Veränderungen aufweisen. Die meisten dieser Kopien sind Sackgassen, aber gelegentlich repliziert eine Kopie mit einem Fehler so stark in einem Menschen, dass sie sich auf eine andere Person überträgt.

Wenn sich das Virus von Mensch zu Mensch ausbreitet, akkumuliert es diese kleinen Veränderungen. Mittlerweile können Wissenschaftler diese Übertragungsmuster sehr genau verfolgen – genauso wie wir uns die menschlichen Genome ansehen und feststellen können, welche Menschen miteinander verwandt sind. Doch bei einem Virus haben die meisten dieser genetischen Veränderungen keinen Einfluss auf die Art und Weise, wie es sich als Krankheitserreger tatsächlich auf Einzelpersonen und Gemeinschaften auswirkt.

Genomforscher benötigen jedoch eine Möglichkeit, die virale Evolution zu verfolgen – sowohl für die Grundlagenforschung als auch um Verhaltensänderungen so früh wie möglich zu erkennen. Deshalb behalten sie die Muster in Delta genau im Auge, vor allem, weil sich das Virus so schnell ausbreitet. Das Pango-Team unterteilt die Nachkommen der ersten Delta-Linie, B.1.617.2, weiterhin in Unterkategorien auf. Bis vor Kurzem hatte die Datenbank 617.2 selbst sowie drei "Kinder" mit den Namen AY.1, AY.2 und AY.3 registriert. Diese Woche beschloss das Team, diese Kinder in 12 Familien aufzuteilen, um kleinere lokale Veränderungen besser verfolgen zu können – daher die insgesamt 13 Delta-Varianten. All dies bedeutet nicht, dass sich das Virus selbst plötzlich verändert hat.

"Besonders an den Rändern, bei diesen neu auftretenden Varianten, gibt es eine Form von Haarspalterei", sagt Duncan MacCannell, wissenschaftlicher Leiter des Office of Advanced Molecular Detection der US-Seuchenschutzbehörde CDC. "Je nachdem, wie diese Definitionen formuliert und verfeinert werden, können sich die Haare (also die Virenvarianten) wortwörtlich auf unterschiedliche Weise spalten."