Das Recht auf Daten

Intel hat sein Herz für den Online-Bürger entdeckt und fördert Versuche, den Menschen die Kontrolle über ihre eigenen Daten zu geben. Damit positioniert sich der Chip-Hersteller in der Debatte über Big Data gegen die Online-Dienste.

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Von
  • Antonio Regalado
  • Jessica Leber

Intel hat sein Herz für den Online-Bürger entdeckt und fördert Versuche, den Menschen die Kontrolle über ihre eigenen Daten zu geben. Damit positioniert sich der Chip-Hersteller in der Debatte über Big Data gegen die Online-Dienste.

„Power to the people“ lautete einer der Schlachtrufe der sechziger Jahre. Ausgerechnet der 1968 gegründete Chip-Gigant Intel, dessen Gründer mit dem politischen Aufruhr jener Zeit wenig am Hut hatten, macht sich den Slogan inzwischen zu eigen. Mit der Initiative „We the data“ will Intel Verbrauchern mehr Macht über ihre Daten geben. Hierfür finanzieren die Intel Labs, die Forschungsabteilung des Konzerns, Entwickler-Wettbewerbe, die neuartige Anwendungen für persönliche Daten hervorbringen sollen.

Als Teil der Initiative hat Intel auch eine mehrjährige Studie gestartet, die „Data Economy Initiative“. Sie soll herausfinden, wie Nutzer konkret von ihren Daten profitieren könnten, sagt Ken Anderson, Anthropologe in Diensten des Chip-Herstellers, der das Projekt leitet.

Anderson hatte bei Apple früher das Menü-Balken-Konzept mitentwickelt, das auf Beobachtungen beruhte, wie Menschen Dinge auf ihren Schreibtischen anordnen und in Häufchen sortieren. Intel sei überzeugt davon, dass auf Personendaten basierende Technologien am Ende von den Individuen kontrolliert werden könnten, so wie industrielle Rechner den PCs gewichen seien und Computertechnik für jeden ermöglicht hätten. „Im Prinzip gibt es immer diese Bewegung hin zur Individualisierung“, sagt Anderson.

Intel hat bereits verschiedene Entwickler-Wettbewerbe unterstützt, darunter einen "Hackathon" in New York, bei dem es um Apps für Senioren und alleinerziehende Mütter ging. Es sponsert zudem den National Day of Civic Hacking Anfang Juni. US-Behörden werden Datensätze zur Verfügung stellen, an denen sich Hacker austoben dürfen. Ziel sind neue Nutzungsideen für Behördendaten, die den Bürgern dienen.

Intel beteiligt sich mit diesen Aktivitäten an der Debatte um Big Data, wem all die Daten eigentlich gehören, die täglich in sozialen Netzwerken und Online-Diensten entstehen. Pikant: Auf der Webseite von „We the data“ findet sich sogar eine Geschichte, die Facebook mit dem umstrittenen Ölkonzern Exxon Mobil vergleicht. Auf jeden Fall beweist der Chip-Hersteller ein gutes Gespür für die derzeitige Stimmungslage.

„Als Verbraucher haben wir nicht das Recht zu erfahren, was Unternehmen über uns wissen. Als Unternehmen haben wir nur wenige Beschränkungen, was wir mit den Daten machen können“, sagt Hilary Mason, Chief Data Scientist der New Yorker Firma Bit.ly, die durch ihren Generator von Kurz-URLs bekannt geworden ist. Zwar würden sowohl Verbraucher als auch Unternehmen einen Nutzen aus den Daten ziehen. Doch laufe dies völlig chaotisch ab. „Das verursacht bei den Menschen Unbehagen“, so Mason.

Als erster US-Bundesstaat verabschiedete Kalifornien im Februar ein Gesetz, das seinen Bürgern einen umfassenden Einblick in die über sie gesammelten Online-Daten garantiert. Dank des „Right to know“-Gesetzes können sie nun von Firmen wie LinkedIn oder Google vollständige Datendossiers anfordern. Die Firmen müssen auch mitteilen, mit wem sie diese Daten geteilt haben.

Es dauerte nicht lange, bis industrielle Lobbygruppen das Gesetz als wirtschaftlich untragbar hinstellten. Die Gesetzgeber würden nicht verstehen, „wie das Internet funktioniert“.

Das Dilemma ist, dass die Personendaten inzwischen unentwirrbar in die Datenmassen eingebunden sind, auf denen Betrieb und Geschäftsmodell vieler Online-Dienste aufbauen. Ohne Ortsdaten kann beispielsweise keine Navigationsapp Nutzern helfen, ihren Weg zu finden. Längst hat die Auswertung von persönlichen Online-Daten sich in unterschiedlichste Branchen ausgebreitet – und zu einem Wirtschaftsfaktor entwickelt: Nach einer Studie der Boston Consulting Group belief sich die auf diesen Daten basierende Wertschöpfung im Jahr 2011 allein in Europa auf 72 Milliarden Dollar. „Persönliche Daten sind eine neue Form der Währung geworden“, schrieb die Unternehmensberatung.

Einige Start-ups versuchen nun Nutzern dabei zu helfen, aus ihren Daten selbst Geld zu machen. Wirtschaftlich interessant werden Personendaten für Unternehmen aber erst in großen statistischen Ensembles. Der Wert eines einzelnen Nutzers etwa für Facebook liegt bei nur fünf Dollar. Einzelne Nutzer-Datensätzen zu bewerten, sei in etwa so sinnvoll wie den Wert eines einzelnen Schuhs zu berechnen, sagt Hilary Mason. „Die Datenökonomie unterscheidet sich von allen anderen Gütern, mit denen wir uns auskennen.“

Man könne jetzt noch nicht absehen, was für Produkte bei diesen Bemühungen um die Datenökonomie herauskommen könnten, sagt Intel-Forscher Anderson. „Noch existiert die nicht. Wenn Leute im Moment Ihre Daten kontrollieren, ist das noch keine Ökonomie – sondern einfach ein gutes Geschäft für das Unternehmen.“

(nbo)