Das Unvollendete

Seite 2: Das Unvollendete

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Technology Review: Seit Jahren werben Sie für das, was Sie semantisches Web nennen, aber die Leute scheinen sich nicht dafür zu begeistern. Warum nicht?

Sir Tim Berners Lee: Das ist nicht mein erstes Problem mit einem Paradigmenwechsel. Am Anfang verstanden die Leute nicht wirklich, was das Web interessant macht. Sie sahen es in kleinerem Maßstab, und da ist es nicht interessant. Genauso ist es mit dem semantischen Web.

Technology Review: Wie haben Sie das überwunden?

Derzeit beginnen wir erst, Anwendungen auf das semantische Netz zu setzen und sie zu verknüpfen, wo es nützlich erscheint. Aber spannend dabei ist der Netzwerk-Effekt. Die Vision ist, dass wir eine kritische Masse erreichen, in der alles zu einem unvorstellbar großen Ganzen verknüpft wird. Der Anreiz, mehr hinzuzufügen, steigt dann exponentiell ebenso wie der Wert des bereits Vorhandenen. Weil kaum jemandem gleich dieses große "Aha!" der Verknüpfung riesiger Datenmassen im semantischen Web kommt, muss dies alles mit Leuten geschehen, die überzeugt sind - die verstehen, dass es die Mühe wert ist, das Ding auf die Beine zu stellen.

Technology Review: Dann erklären Sie bitte: Warum ist es all die Mühe wert?

Die übliche Rechtfertigung für das semantische Web ist, dass in den Datenbanken und Websites da draußen jede Menge Informationen liegen - Finanz-, Wetter- und Unternehmensdaten –, die man lesen kann, aber nicht verändern. Der Schlüsselpunkt ist, dass diese Daten existieren, aber Computer sie und ihre Zusammenhänge nicht verstehen.

Aber in einem Netz interessanter globaler Daten kann man die Daten, die man kennt, mit nicht bekannten verbinden. Diese Daten, zu denen wir vorher keinen Zugang hatten, werden unser Leben bereichern. Wir werden Programme schreiben können, die tatsächlich hilfreich sind, weil sie die Daten verstehen können, statt sie nur auf dem Bildschirm zu präsentieren.

Technology Review: Wie versteht das semantische Web Daten?

Angenommen, Sie finden im Web die Ankündigung eines Seminars und entschließen sich teilzunehmen. Nun sind allerlei Informationen auf dieser Seite, die Sie als Mensch verstehen, nicht aber Ihr Computer. Deshalb müssen Sie einen neuen Kalendereintrag anlegen und die Informationen dorthin übertragen. Dann nehmen Sie Ihr Adressbuch und fügen neue Einträge für alle Seminarteilnehmer hinzu. Und wenn Sie gründlich sind, ermitteln Sie die geografischen Koordinaten des Seminarraums und programmieren sie in Ihr Satellitennavigationsgerät.

Es ist sehr mühsam, das alles von Hand zu tun. Wie wäre es, dem Computer einfach zu sagen: "Ich gehe in dieses Seminar". Wenn es eine semantische Version der Webseite gäbe, enthielte sie markierte Informationen, die dem Computer sagen, "das ist ein Ereignis" sowie Uhrzeit und Datum. Sie würde automatisch die Anreise in Ihren Kalender eintragen, die Teilnehmer ins Adressbuch schreiben und Ihr Navigationssystem programmieren. Sie enthielte die Beziehungen zwischen der Veranstaltung und ihren diversen Leitern. Und diese Leiter hätten persönliche semantische Seiten, die ihre Kontaktdaten enthalten. Ihr Adressbuch kann von einer geschlossenen Datensammlung zu einem Fenster auf personenbezogene Daten weltweit wachsen.

Technology Review: Automatisiert das semantische Web also bloß viele Tätigkeiten eines menschlichen Assistenten?