Das Wunder von Düsseldorf

Zur Fußball-WM soll es losgehen. Wer scharfe Augen hat, kann dann auch auf seinem Handy-Display die Spiele mitverfolgen. Doch noch sind viele Fragen beim Handy-TV nicht wirklich geklärt.

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Lesezeit: 16 Min.
Von
  • Udo Flohr
Inhaltsverzeichnis

Vom Ein-Mann-Betrieb zum Medienmogul: Diese Entwicklung hofft Henrik Rinnert in den nächsten Monaten durchzumachen. Der bislang weder in der Mobilfunk- noch in der Fernsehbranche besonders bekannte Jurist will dafür sorgen, dass in Deutschland die Bilder bald auch auf dem kleinsten aller verbreiteten Bildschirme laufen lernen: Mit seiner Düsseldorfer Mini-Firma MFD ist er der einzige Anbieter, der ab Mai bundesweit Fernsehprogramme speziell für Handys ausstrahlen darf. Selbstverständlich setzt er alles daran, auch Übertragungen der Fußball-WM anbieten zu können.

Doch ob das klappt, ist noch offen – und das ist symptomatisch für die Lage bei Handy-TV im Großen und Ganzen: Das Interesse – zumindest bei seinen Anbietern – ist riesig, aber weder die rechtliche noch die technische Seite scheinen sie bislang wirklich im Griff zu haben. Streit gibt es um den Standard, um die Abgrenzung zu Video-on-demand im Mobilfunk, um die Lizenzen und um die Inhalte. So könnte es durchaus passieren, dass nicht nur die Übertragung von WM-Spielen auf Mobiltelefone ausfällt, sondern sich auch andere bundesweite Programmpläne bis dahin nicht realisieren lassen. Schon das Vergabeverfahren für die Mobilfernseh-Lizenzen muss auf Außenstehende wie ein riesiges Durcheinander wirken. Beworben hatten sich insgesamt rund 30 Unternehmen, darunter auch TV-Platzhirsche wie RTL, Mobilfunker wie Vodafone und Start-ups, die früh den entstehenden Markt besetzen wollten.

Dabei hatten sie es keineswegs mit einer zentralen Stelle zu tun: Fernsehen ist in Deutschland Ländersache, und so starteten vierzehn Landesmedienanstalten – Niedersachsen kooperierte mit Bremen, Berlin und Brandenburg teilen sich eine Anstalt – ab Oktober 2005 eigene Wettbewerbe. Wider die Kleinstaaterei hatten sie immerhin gemeinsame "Eckpunkte" vereinbart: So hieß es in einer am 26. Januar verbreiteten Erklärung der NRW-Landesanstalt, nach Abschluss aller Ausschreibungen wolle man "in einem koordinierten Verfahren" den geeignetsten Bewerber küren. Als "Projektziele" wurden Erkenntnisse über nötige Innovationen, deren technische und wirtschaftliche Realisierbarkeit sowie die Akzeptanz im Hinblick auf Inhalte, Endgeräte und Kosten genannt. Und "im Falle eines Sendestarts zur Fußballweltmeisterschaft" möge der Kandidat bitte schön die Sportinhalte "so gestalten, dass sie diesem Ereignis in spezieller Weise Rechnung tragen".

Wie "koordiniert" allerdings diese Pläne vier Wochen später interpretiert wurden, lässt sich wohl nur mit Fußball- Fieber erklären. Bis zum WM-Start blieben nur noch gut drei Monate, die Ausschreibungsfrist lief jedoch in fünf Anstalten noch und hatte in Schleswig-Holstein nicht einmal begonnen. Da die letzte Entscheidung, in Rheinland-Pfalz, am 24. April fallen sollte, wäre dem Gewinner nur gut ein Monat Zeit zur Vorbereitung eines WM-Programms geblieben. "Vorbehaltlich einer neuen Sachlage aufgrund der noch laufenden Ausschreibungen" sprach daher die "Gemeinsame Stelle Programm, Werbung und Medienkompetenz" der Landesmedienanstalten am 20. Februar die "Empfehlung" aus, "dem Bewerber 'Mobiles Fernsehen Deutschland GmbH (MFD)' die jeweils ausgeschriebenen Übertragungskapazitäten [...] für mindestens drei Jahre [...] zuzuweisen." Die Entscheidung sei natürlich noch nicht gefallen, beeilte sich die Kommission zu versichern. Doch, so ihr Sprecher Peter Widlock selbstbewusst, "wenn die GSPWM eine Empfehlung gibt, wird diese in der Regel auch befolgt". Und so kam es. Bis Mitte April hatten praktisch alle Anstalten dem Bewerber MFD Sendelizenzen erteilt. Deren Zeiträume gehen allerdings – so viel Föderalismus muss sein – munter durcheinander: drei Jahre im Saarland, in Hessen, Sachsen, Hamburg und Niedersachsen, acht in Baden-Württemberg, sieben Jahre (an zwei Bewerber) in Berlin-Brandenburg, fünf in Mecklenburg- Vorpommern und Bayern, vier in Nordrhein- Westfalen.

VOM ANWALT ZUM ENTREPRENEUR

Die Hamburger Anstalt erteilte der MFD außerdem Lizenzen für zwei neue Fernsehprogramme, nämlich einen zusammen mit ProSiebenSat.1 geplanten Comedy-Kanal und ein Musikprogramm in Kooperation mit MTV. Und hier gilt: von Hamburg in die ganze Republik, denn Antragsteller für Programmlizenzen können sich wie beim herkömmlichen Fernsehen eine Medienanstalt aussuchen, deren Zulassung dann bundesweit Wirkung hat. Hinzu kommen die bestehenden und damit bereits lizenzierten Programme von ZDF und N24 sowie der Radiosender bigFM2see mit Musik, Service und Nachrichten, ergänzt durch visuelle Elemente; als wortorientiertes Audioangebot ist außerdem "Regiocast Digital" geplant. MFDs Vertriebs- und Technikpartner debitel AG wird Kunden aller vier Mobilfunknetze ansprechen, die eine Aktivierungsgebühr sowie eine monatliche Zehn-Euro-Zugangsgebühr zahlen sollen; nur das ZDF bleibt voraussichtlich kostenfrei.

Was zeichnete MFD gegenüber anderen Bewerbern aus? Grundlage der Empfehlung war das fast 40-seitige "Vorabvotum" eines Ausschusses der Stuttgarter Landesanstalt für Kommunikation (LfK). Auch auf engagiertes Nachfragen möchten die Medienanstalten diese "Arbeitshilfe" (LfK-Direktor Thomas Langheinrich) allerdings lieber geheimhalten. So eine Ausschreibung sei letztendlich ein "Beauty Contest", erklärt Tilman Lang, Planungsreferent der Hamburgischen Anstalt für neue Medien (HAM). MFD habe "das beste Geschäftsmodell vorgelegt" und in programmlicher, technischer wie personeller Hinsicht am meisten überzeugt. MFD in menschlicher Hinsicht, das ist Henrik Rinnert. Bis Mitte April schien MFD tatsächlich fast nur aus ihm zu bestehen.

Am Firmensitz nahe der Düsseldorfer Rheinpromenade beantwortete eine freundliche Dame telefonische Anfragen meist mit "Das macht Herr Rinnert selbst". Erst nach Ostern 2006 nahm eine Kölner Filiale mit zehn Mitarbeitern den Betrieb auf Rinnert, 34, bestand sein Abitur an der Nato-Schule Shape und studierte zeitweise in Johannesburg. Als Jung-Jurist wurde er Assistent der Geschäftsführung bei der Allianz. Den großen Konzern habe er sich zunächst spannend vorgestellt, aber nach wenigen Monaten merkte er, dass wohl doch eher ein Entrepreneur in ihm steckt. Er trat in eine Kanzlei ein und war, einige Jahre und Fusionen später, "Senior Associate" eines europaweiten Zusammenschlusses von 500 Anwälten, Schwerpunkte: Informationstechnologie und Telekommunikation. Dergestalt medientechnisch sensibilisiert und mit latenten Unternehmerträumen saß er Ende 2004 mit einem Freund zusammen, der ihm ein Video auf einem UMTS-Telefon zeigte. Von der Qualität nicht begeistert, begannen die beiden nach besseren Lösungen zu recherchieren und stießen auf ein gerade anlaufendes Mobil-TV-Projekt in Korea. Es folgten Monate des Antichambrierens bei diversen deutschen Medienanstalten, lange vor den ersten Ausschreibungen, und die Suche nach potenten Investoren. Einer von ihnen ist der Tchibo-Vorstandschef Dieter Ammer mit seiner Beteiligungsgesellschaft Ammax GmbH.

So kam das nötige Geld ins Haus. Dass Rinnert dazu auch die Lizenz bekam, hat er nach eigener Einschätzung maßgeblich einem Mann namens Helmut G. Bauer zu verdanken. Er habe fast sein ganzes Berufsleben an der Kante zwischen Wirtschaft und Politik verbracht, sagt Bauer von sich selbst. Selbst mal Direktor einer Landesmedienanstalt (Rheinland-Pfalz, 1987), zieren seinen Lebenslauf außerdem zahlreiche Geschäftsführer- Engagements bei Radiostationen und Business- Inkubatoren. Schlagzeilen machte er als Geschäftsführer der landeseigenen NRW Medien GmbH, als lanciert wurde, sein Gehalt von 225.000 Euro im Jahr übersteige das des Ministerpräsidenten. Als Rechtsanwalt vertritt Bauer die MFD in Verhandlungen. Dank des wohlverdrahteten Mentors durfte sich Rinnert in Nordrhein-Westfalen – und nicht nur dort – zu Gast bei Freunden fühlen. Gemeinsam haben Bauer und Rinnert "ausgezeichnete politische Vorarbeit" geleistet, erklärt Max von Moy, Sprecher der bei der Lizenzvergabe unterlegenen Walk'n Watch GmbH aus Grünwald bei München.

Auch Walk'n Watch hätte gern bundesweit Mobil-TV angeboten, kam aber nur in Berlin-Brandenburg zum Zuge, wo beide Bewerber eine Lizenz erhielten. Jetzt klagt das Unternehmen in Baden-Württemberg gegen die Entscheidung: "Acht Jahre sind kein Pilotprojekt", sagt von Moy. "Damit schafft man unumkehrbare Fakten, zumal der Regelbetrieb ebenfalls auf acht Jahre lizenziert wird." Anders als MFD plante Walk'n Watch ein werbefinanziertes Angebot mit ZDF, EuroNews, RTL oder ProSiebenSat.1 sowie ebenfalls bigFM2see. Gesellschafter sind der TV-Unternehmer Ralph Piller ("Bayern Journal", "Berlin Journal" und das via NBC ausgestrahlte "Europa Journal"), der ehemalige Triumph- Adler-Chef Raimund König sowie die Düsseldorfer net mobile AG, die sich bisher als Spezialist für mobile Mehrwertdienste wie Gewinnspiele und Klingeltöne hervorgetan hat. Wie stehen die Aussichten von Walk'n Watch im Rechtsstreit? "Leider gut", sagt Sprecher von Moy, denn eigentlich wolle man den Sendestart zur WM ja "gar nicht abschießen". Trotzdem: Die Entscheidung des Stuttgarter Verwaltungsgerichts werde noch vor dem WM-Start fallen, und auch Widersprüche in anderen Bundesländern schließt von Moy nicht aus.

LIZENZ, ABER KEINE RECHTE

Der Rechtsstreit ist allerdings nicht einmal das größte Fragezeichen über dem eiligen Start des Mini-TVs. Da wäre das Problem der WMSenderechte: Über die gebietet der Schweizer Sportrechte-Vermarkter Infront mit seinem Geschäftsführer Günter Netzer. Anfangs glaubten die Mobilfernseh-Aspiranten, dass diese von den Lizenzen des ZDF mit abgedeckt seien. "Ein TV-Handy ist schließlich nichts weiter als ein tragbares Fernsehgerät", gibt sich Walk'n Watch-Sprecher von Moy heute noch überzeugt.