Der Futurist: Die Auferstehung
Was wäre, wenn wir Neandertaler klonen könnten?
- Veronika Szentpetery-Kessler
- Robert Thielicke
Was wäre, wenn wir Neandertaler klonen könnten?
Und wir dachten, die Kreationisten sind ein Problem", stöhnte Randall, nachdem er aufgelegt hatte. "War das die Polizei?", fragte Schütterle.
"Nein, Allan Hughs von der University of Oxford. Bei ihnen ist vor drei Monaten auch DNA verschwunden. Jetzt hat sich wieder die New-Neandertal-Sekte auf YouTube bekannt und die nächste schwangere Leihmutter präsentiert."
Der Direktor des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie vergrub das Gesicht in seinen Händen. Das waren bereits fünf Leihmütter, zwei würden noch vor Monatsende gebären.
"Ich verstehe diese Verrückten nicht!", schimpfte Schütterle. "Die moderne Welt ist schlecht, also machen ein paar Neandertaler sie besser?"
"Bei denen darfst du keine Logik erwarten. Haben sich von den Raelianern abgespalten, so um 2020 herum."
"Ach ja. Die Spinner verkünden ständig, sie hätten Menschen geklont." "Genau, um unsterblich zu werden."
"Und wie kommen die jetzt auf Neandertaler?"
"Es gab wohl einen Richtungsstreit", seufzte Randall. "Die Rebellen wollen zurück zu einem reineren Menschen."
"Scheint, als haben sie inzwischen genügend technische Fortschritte gemacht", sagte Schütterle.
"Ich würde eher sagen, geklaut. Warum haben wir bloß nicht gesehen, dass mit Groth etwas nicht stimmt?"
Er sah die "Bild"-Schlagzeile wieder vor sich: "Doktorand stiehlt Neandertaler-DNA". "Groth war leider nicht der einzige Schläfer", seufzte Randall.
"Warte. Woher wissen wir, dass das Ganze kein Publicity-Stunt ist?"
War es nicht, wie sich Jahre später zeigte. Die ersten Klone bemerkte niemand außerhalb der Sekte. Aber die Organisation setzte ihr Werk fort. Jedem weiblichen Mitglied wurde nahegelegt, mindestens einen Neandertaler auszutragen. Bei geschätzten 50000 Frauen entstand so nach und nach die Bevölkerung einer Kleinstadt. Dass Seltsames vor sich ging, merkten zuerst ein paar Gen-Labore, die Vaterschaftstests anboten. Immer häufiger tauchte Neandertaler-DNA in den Proben auf. Im Januar 2030 ging der erste Experte an die Öffentlichkeit: Die Neandertaler sind unter uns, behauptete er.
Die Nachricht schlug riesige Wellen. Die Bevölkerung wurde nervös. Schließlich galten die Neandertaler als grobschlächtig und wenig intelligent. Frauen fürchteten sich davor, mit ihnen Kinder zu zeugen. Nur konnte niemand genau sagen, woran man einen Neandertaler einwandfrei erkennt. Verdächtig waren plötzlich alle Männer mit kräftigen Wangenknochen und Stirnwulsten. Dann hatte ein auf Vaterschaftstests spezialisiertes Labor eine Idee: Als Sapiens Tech bot es fortan Tests für Neandertal-Gene an. Das Geschäft lief prächtig – bis fünf Jahre später ein Aufsehen erregendes Buch erschien.
"Hast du schon gehört? Sapiens Tech ist pleite", sagte Schütterle grinsend.
"Die Firma, die den Neandertaler-Test rausgebracht hat?", fragte Randall.
"Genau. Sogar meine Tochter hatte schon mal den Cursor auf dem Kaufen-Button."
Schütterle verdrehte die Augen. "Es war ihr dann selbst etwas unheimlich, dass sie plötzlich alle Kerle mit prominenter Augenpartie verdächtigte. Ihre Freundinnen hatten ihr sogar geraten, bei der Partnersuchbörse erst mal nach Kälte- und Schmerztoleranz und IQ-Wert zu fragen."
"Warum sind die jetzt pleite?"
"Nach diesem Buch von Lazarus Blanc hat sich der Wind gedreht. Darin widerlegt er Einsteins Relativitätstheorie und gilt seither als das neue Genie. Lange wusste niemand, wer der Autor ist. Dann outete er sich als Neandertaler."
"Und nun müssen wir uns fragen, ob wir nicht die Dummen sind", sagte Randall lachend. (vsz)