Der Klimawandel in der Nordsee – Erwärmung, Versauerung, neue Tierarten

In der Nordsee und an der deutschen Küste lässt sich bereits beobachten, wie die Tierwelt auf steigende Meerestemperaturen reagiert. Neue Arten wandern ein.

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Ein Krebs am Nordseestrand in der Nähe von Wellenbrechern

(Bild: Kristina Beer)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Irene Gronegger
Inhaltsverzeichnis

In Deutschland und Europa geht angesichts fortwährender Diskussionen um Energie-Engpässe infolge des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine die Sorge vor einem Blackout um. Die Energiewende in Deutschland gilt, je nach Betrachtungsweise, als verzögert oder auch gescheitert. Vielerorts werden Schreckensszenarien skizziert.

Wir haben beschlossen, nach vorne zu blicken und uns genauer anzusehen, was als einer der großen Faktoren für das Gelingen der Energiewende gilt: die Offshore-Windkraft. Um einen genaueren Einblick zu erhalten, was tatsächlich Offshore passiert, installiert und gepflegt wird, haben wir die WindMW GmbH besucht, die sowohl auf Helgoland, als auch in Bremerhaven und Zossen tätig ist.

Diese Artikelserie umfasst mehrere Teile, die wir von Dienstag bis Freitag dieser Woche veröffentlichen.

Bisher erschienen:


Ozeane nehmen rund 90 Prozent der überschüssigen Wärme auf, die der Klimawandel mit sich bringt. Wärmeres Wasser dehnt sich aus und lässt so den Meeresspiegel steigen, auch das Wetter verändert sich. Die höheren Temperaturen wirken sich aber auch direkt auf die Lebensbedingungen im Meer aus.

Die US-Behörde National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) veröffentlicht Zeitreihen zur globalen Meerestemperatur. Diagramm und Tabelle zeigen die Abweichung der Jahresmitteltemperaturen vom Mittelwert des 20. Jahrhunderts: Die Oberflächentemperaturen der Ozeane lagen seit 1977 durchgehend über dem Mittel, in den letzten Jahren um etwa 0,7 Grad (siehe linke Skala in Grad Celsius).

Anomalien der Oberflächentemperaturen der Ozeane

(Bild: Screenshot von ncei.noaa.gov und ZingChart)

In der Nordsee erhebt das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) Daten mit seinem Messnetz "Marnet": Stationen an den Küsten und auf offener See sammeln rund um die Uhr aktuelle Daten aus der Deutschen Bucht, zusätzlich messen Forschungsschiffe die Temperatur auf ihrem Weg durch die Nordsee.

Der Begriff der Oberflächentemperatur ist nicht ganz wörtlich zu verstehen, gemessen wird sie in einer Wassertiefe von 0,5 bis 3 Metern. Ist der Himmel weitgehend wolkenlos, steuern auch Satelliten ein- bis zweimal täglich ihre Aufnahmen bei. Auf der BSH-Website finden sich Monats- und Wochenkarten der Oberflächentemperaturen von Nord- und Ostsee seit 1968 bzw. seit 1995. Noch länger ist die Biologische Anstalt Helgoland aktiv (heute als Teil des Alfred-Wegener-Instituts): Hier maß man die Oberflächentemperatur schon ab 1873 immerhin an jedem Werktag.

Solche Daten aus der Nordsee zeigen, dass die Oberflächentemperatur seit Ende der 1980er Jahre abrupt angestiegen ist. Die Erwärmung in der Nordsee war stärker ausgeprägt als in den Weltmeeren. Außerdem haben in den letzten Jahrzehnten starke Eiswinter in der Deutschen Bucht abgenommen. Insgesamt haben sich die Temperaturen der Nordsee vorerst auf hohem Niveau stabilisiert.

Deutliche Veränderungen von Jahr zu Jahr gehören sowohl im Jahresmittel als auch bei den Jahreszeiten zum Bild dazu und fallen auch regional nicht einheitlich aus. In größeren Meerestiefen sind die Temperaturschwankungen zwar geringer, aber auch dort ist die Erwärmung der Nordsee messbar.

Jahresmittel der Oberflächentemperatur der Nordsee, 1969–2021

(Bild: BSH)

Außergewöhnlich warm war die Nordsee im Jahr 2014, auch wenn es keinen Rekordsommer gab – ein solcher folgte im Jahr 2018, auch der Sommer 2021 (meteorologisch immer von Juni bis August) war recht warm. Der Sommer 2022 ist noch nicht vollständig ausgewertet, aber Dr. Tim Kruschke, Sachgebietsleiter Marine Klimafragen beim BSH, findet es "bemerkenswert", dass im laufenden Jahr 2022 jedes Monatsmittel bis einschließlich September über dem langfristigen Mittelwert des jeweiligen Monats lag. Der August war ein Grad wärmer als ein durchschnittlicher August, im September sieht es trotz des Wetterumschwungs ähnlich aus (1,15°C über dem September-Langzeitmittel 1991-2020).

Steigt man tiefer in das Thema ein, erweitern komplexe Einflüsse das Bild: Wichtige Rollen spielen dabei langfristige Verlagerungen der atmosphärischen Zirkulation über dem Nordatlantik sowie Variabilitäten der Strömungsmuster im Ozean. Sie können zusätzlich zum Klimawandel jahrelang anhaltende Trends prägen, die auch früher schon dafür sorgten, dass sich etwas wärmere und kältere Phasen abwechselten. Das erklärt wohl auch den sprunghaften Anstieg vor über 30 Jahren: "Der Nordatlantik hatte sich zwischen den späten 1980er und den frühen 2000er Jahren schneller erwärmt als die globale Mitteltemperatur. In den letzten 10-15 Jahren hingegen hat sich dieser Temperaturanstieg wieder etwas verlangsamt", erläutert Kruschke. "Aktuell und in den letzten Jahren sehen wir keinerlei Indizien für einen weiteren 'sprunghaften' Anstieg der Temperaturen in der Nordsee"

Die Tierwelt hat längst auf die höheren Temperaturen der Nordsee reagiert: Wärmeliebende Fischarten aus südlicheren Breiten verlagern ihr Verbreitungsgebiet tendenziell nach Norden, darunter sind die Streifenbarbe (Mullus surmuletus) und der Rote Knurrhahn (Chelidonichthys lucernus). Im Wattenmeer tritt die Europäische Sardelle (Engraulis encrasicolus) seit den Neunziger Jahren wieder öfter auf, nachdem sie zuvor rund vierzig Jahre lang fast aus dem Gebiet verschwunden war.

Streifenbarbe

(Bild: Rainer Borcherding, Schutzstation Wattenmeer)

Die Bestände des Kabeljaus – ein Raubfisch, der sich im kalten Wasser wohl fühlt – sind in der Nordsee deutlich zurückgegangen. Er hat seinen Lebensraum nach Norden verschoben und ist dabei in die Bereiche des eng verwandten Polardorsches vorgedrungen. Da der Kabeljau anpassungsfähiger ist, was Temperaturen betrifft, kommt der Polardorsch unter Druck, wie eine 2018 veröffentlichte Studie zeigt (Northern cod species face spawning habitat losses if global warming exceeds 1.5°C): Der Lebensraum des Polardorschs verkleinert sich.