Der Perso fürs Netz

Die Einführung des elektronischen Personalausweises im November ist eines der ambitioniertesten IT-Projekte weltweit. Dabei geht es um weit mehr als nur um ein simples Behördendokument.

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Die Einführung des elektronischen Personalausweises im November ist eines der ambitioniertesten IT-Projekte weltweit. Dabei geht es um weit mehr als nur um ein simples Behördendokument.

Seit es in Europa kaum noch Grenzkontrollen gibt, brauchen Bundesbürger ihren Personalausweis nur mehr selten zu zücken. Doch das könnte sich ändern: Wenn im November der alte "Perso" durch eine Art Scheckkarte mit elektronischem Chip ersetzt wird, ist das weit mehr als nur ein zeitgemäßes Update eines Identitätsnachweises: Der neue Personalausweis ("nPa") soll ein Vielzweckwerkzeug für die digitale Welt werden. Weitreichende Akzeptanz vorausgesetzt, kann damit der Internet-Geschäftsverkehr auf breiter Front rechtssicher gemacht werden – gut für die Vertrauensbildung bei Verbrauchern, schlecht für Datenspione und Anbieter, die im Trüben fischen.

Ähnlich wie der 2007 eingeführte elektronische Reisepass speichert der nPa-Chip biometrische Merkmale seines Besitzers, nämlich Passbild und auf Wunsch auch zwei Fingerabdrücke. Doch das ist nicht alles: Erstmals können sich Bürger nun mit dem Dokument auch im Internet ausweisen. Amtsgänge wie etwa Wohnungsummeldungen sollen so vom heimischen Rechner aus möglich werden. Auch für die Internet-Wirtschaft eröffnen sich neue Möglichkeiten: Rund 200 Unternehmen arbeiten an Online-Dienstleistungen, die auf dem nPa aufsetzen. Bis 2011 sollen 50 neue nPa-Anwendungen im Netz stehen.

Im Zentrum der neuen Identitäts-Infrastruktur stehen zwei Kürzel: eID und QES:

  • Mit der eID-Funktion (elektronischer Identitätsnachweis) können sich Bürger digital gegenüber einer Behörde oder einem Geschäftspartner ausweisen – oder selbst die Identität eines Geschäftspartners prüfen, so wie man sich bisher etwa den Ausweis eines potenziellen Autokäufers zeigen lässt.
  • Die QES (Qualifizierte Elektronische Signatur) ist das digitale Gegenstück zur eigenhändigen Unterschrift, mit der ein Vertrag besiegelt wird.

Solche digitalen Signaturen gibt es bereits seit 2003. Verbreitung fanden sie bisher aber nur in Nischen wie etwa Anwaltskanzleien, die online rechtssichere Verträge abschließen wollten. Für die breite Masse war das Verfahren zu umständlich, und es gab zu wenig Stellen, die eine digitale Signatur akzeptierten – ein klassisches Henne-Ei-Problem.

Dabei gibt es reichlich Bedarf an einer sicheren Online-Authentifizierung: Allein im vergangenen Jahr verzeichnete das Bundeskriminalamt 6800 Fälle des digitalen Identitätsdiebstahls, darunter knapp 3000 "Phishing"-Fälle, bei denen Betrüger ihren Opfern durch gefälschte Webseiten oder E-Mails persönliche Daten wie Passwörter oder Transaktionsnummern entlockten. Jede erfolgreiche Phishing-Attacke verursachte im Schnitt einen Schaden von 4000 Euro.

Der nPa könnte das Henne-Ei-Dilemma nun überwinden und Phishern das Wasser abgraben: Rund 60 Millionen Bürger sollen in den nächsten sechs Jahren den neuen elektronischen Ausweis bekommen und können damit – zumindest theoretisch – die neuen Identifzierungsfunktionen nutzen. In der Praxis stehen dem zwei Hürden entgegen. Erstens: Die QES wird nicht von der Passbehörde ausgegeben, sie muss separat bei einem sogenannten Trustcenter erworben werden. Zweitens: Um eID und QES nutzen zu können, braucht jeder Bürger ein bis zu 125 Euro teures Lesegerät für seinen nPa.

Werden sich die Bürger trotzdem für die neuen Funktionen ihres Persos erwärmen? Das wird davon abhängen, ob Wirtschaft und Behörden Anwendungen präsentieren können, die Nutzern überzeugende Vorteile bieten. Einige solcher Dienste sind bereits in Arbeit:

  • Der Versicherungskonzern Allianz will mithilfe des nPa Online-Formulare wie das zur Schadensmeldung automatisch mit Name und Adresse des Passinhabers ausfüllen lassen. Kunden brauchen zur erstmaligen Anmeldung dann nicht mehr persönlich in einer Postfiliale zu erscheinen, um sich über das sogenannte PostIdent-Verfahren identifizieren zu lassen.
  • Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) möchte den nPa nutzen, um seinen Kunden bei Ausstellung, Änderung oder Verlust des sogenannten eTickets den Gang in das Kundencenter zu ersparen. Künftig sollen sie sich stattdessen mit dem nPa an Selbstbedienungsterminals ausweisen.
  • Fujitsu Technology Solutions will Neukunden mit dem nPa die Registrierung für den Onlineshop erleichtern – diese müssen nun nicht mehr zahlreiche Eingabefelder per Hand ausfüllen, sondern können ihren Namen und ihre Adresse direkt vom nPa hochladen.

Die Motivation für Unternehmen, solche nPa-basierten Dienste anzubieten, liegt auf der Hand: "Für den Allianz-Kunden bedeutet das mehr Komfort. Zusätzlich erhöht der nPa die Sicherheit für unsere Kunden und für die Allianz als Unternehmen", sagt Davor Benda, Referent für E-Business bei der Allianz. Auch Behörden wollen durch den nPa ihre Prozesse optimieren, indem sie beispielsweise Informationen dem Bürger nun auf digitalem Wege zusenden.

Um den nPa in die eigenen Systeme zu integrieren, ist mitunter allerdings ein größerer Umbau der IT-Landschaft nötig, wie beispielsweise der VRR erfahren musste. Man habe die Komplexität des Themas unterschätzt, gibt Nils Zeino-Mahmalat zu, Leiter des Kompetenzcenters für elektronisches Fahrgeldmanagement beim VRR. Da die dezentralen Selbstbedienungsterminals von außen auf die Vertriebssoftware des Verkehrsverbundes zugreifen, muss nun auch das Vertriebssystem selbst sowie das Firewall-Konzept überdacht werden.

Bei einem internationalen Konzern wie Fujitsu sind die Herausforderungen bei der Einführung des nPa noch wesentlich komplexer – hier stößt nämlich eine nationalstaatliche Lösung auf die Anforderungen der weltweiten Warenwirtschaft. Wenn beispielsweise die Software für einen Online-Shop von den US-Kreditinstituten zertifiziert wurde, kann ein Systementwickler dort nicht einfach ein zusätzliches Authentifizierungsverfahren wie den nPa anflanschen, denn das würde die Zertifizierung ungültig machen. Fujitsu hat sich bereits seine nPa-Lösung zertifizieren lassen. Diese lässt sich so nicht nur für den eigenen Shop nutzen, sondern kann als Software-Baustein international vermarktet werden.

Wie der nPa-fähige Online-Shop von Fujitsu in der Praxis funktioniert, kann Matthias Matuschka, der als sogenannter Testbegleiter als Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Behörden fungiert, bereits zeigen: Auf der Anmeldeseite des Shops informiert das nPa-Logo darüber, dass Registrierungen auch per Personalausweis möglich sind. Matuschka legt den Ausweis auf das Lesegerät und klickt die entsprechende Schaltfläche auf der Anmeldeseite an. Daraufhin öffnet sich ein Fenster, das wie die Installationsroutine einer Software aussieht. Es zeigt, welche Daten nun an Fujitsu übertragen werden sollen – in diesem Fall Name und Adresse von Matuschka. Wer bestimmte Einträge nicht senden will, der kann das Häkchen in der jeweiligen Zeile wegklicken. Um die Transaktion abzuschließen, gibt Matuschka nun noch seine sechsstellige PIN ein.

Damit nicht jeder zwielichtige Webshop auf die Bequemlichkeit seiner Kunden spekulieren und die Ausweisdaten abgreifen kann, müssen Online-Anbieter Berechtigungszertifikate beim Bundesverwaltungsamt beantragen. Dabei haben sie nachzuweisen, welche Daten sie wozu erheben möchten. Die Angaben aus diesem Zertifikat – bis hin zur Telefonnummer des Datenschutzbeauftragten im Unternehmen – bekommt der Nutzer bei jeder nPa-Abfrage zu sehen. So erfährt er stets, welche Online-Firma zu welchem Zweck Daten aus seinem Pass auslesen will.

Über das Berechtigungszertifikat kann der Staat vorab ge-nau definieren, wer welche Informationen auslesen darf. Das ermöglicht unter anderem eine anonyme Altersverifikation. Wenn etwa ein Porno-Anbieter per nPa-Abfrage wissen will, ob ein Nutzer volljährig ist, kann die Pass-Anwendung ein schlichtes "ja" oder "nein" zurückschicken. Anders als bei herkömmlichen Methoden bleiben alle übrigen Daten dem Anbieter verborgen. Datenschützer, die frühzeitig vom Bundesinnenministerium (BMI) in die Entwicklung des nPa einbezogen wurden, urteilen dementsprechend wohlwollend. Sogar eine Anmeldung per Pseudonym ist mit dem nPa möglich. Dazu wird der Ausweis über einen internen Schlüssel eindeutig gegenüber dem Anbieter identifiziert, ohne die Identität des Passinhabers preiszugeben. Solche pseudonymen Web-Identitäten gelten als gangbarer Kompromiss zwischen völliger Anonymität und der Preisgabe persönlicher Daten im Netz.

Die Bundesdruckerei arbeitet bereits an Konzepten, den nPa auch in die mobile Welt zu integrieren. Handys, die den Funkstandard "Near Field Communication" beherrschen, könnten eigene Lesegeräte überflüssig machen. Eine erste Konzeptstudie zeigte die Bundesdruckerei auf der diesjährigen Computermesse CeBIT. Doch bis dahin müssen erst einmal im Hier und Jetzt gewaltige Herausforderungen bewältigt werden: Von der Größenordnung und dem Auftragswert her sei der nPa das ehrgeizigste Ausweisprojekt der Welt, sagt Andreas Reisen, Leiter des Referats für Pass- und Ausweiswesen im BMI. Er muss 15 Teilprojekte koordinieren, bei denen Behörden wie das Bundeskriminalamt (BKA), das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und das Bundesverwaltungsamt (BVA) zuarbeiten.

Zehn Unternehmen haben als sogenannte "Verfahrensentwickler" an der Verwaltungssoftware für die Behörden mitgewirkt. Nun müssen rund 5300 Meldeämter bis zum ersten November mit der notwendigen Infrastruktur versehen werden – von den Fingerabdruckscannern über die Schulung der Mitarbeiter bis zu den Informationsbroschüren. Was das kosten wird, darüber machen die Beteiligten keine Angaben. Aber schon eine einfache Überschlagsrechnung verdeutlicht die Dimensionen des Projekts: 60 Millionen Ausweise in den nächsten sechs Jahren, die den Bürger je 28,80 Euro kosten, entsprechen einem Umsatz von mehr als 1,7 Milliarden Euro.

Die herkulische Aufgabe, den nPa flächendeckend einzuführen – "Rollout" im Informatiker-Jargon –, haben die Verantwortlichen in zwei Wellen organisiert: Zunächst testen die Verfahrensentwickler ihre Software in einem Feldversuch bei ausgewählten Behörden. Erst wenn dort alles glatt läuft, beginnen sie mit der Installation der Programme bei den übrigen Ämtern in ganz Deutschland.

Eine solche Testbehörde ist das Rathaus Potsdam. Kristina Trilk ist hier als Leiterin des Bereichs Bürgerservice für die Einführung des nPa verantwortlich. Die Technik des nPa macht ihr keine Sorgen – wohl aber der menschliche Faktor. "Ich hoffe, dass sich die Bürger das Informationsmaterial sehr gut durchlesen und beim Abholen eines Ausweises entscheiden können, ob sie nun die eID-Funktion brauchen oder nicht", erklärt die 53 Jahre alte Dienststellenleiterin. Umso wichtiger also, dass ihre 33 Mitarbeiter das 59 Seiten umfassende nPa-Handbuch nicht nur gelesen haben, sondern den Inhalt auch im Gespräch erläutern können. Seit Anfang September geht Trilk bei wöchentlichen Schulungen den Stoff in Kleingruppen durch.

Das Rathaus Potsdam wird vom Verfahrensentwickler HSH in Ahrensfelde bei Berlin betreut. Das Unternehmen versorgt rund 2100 Meldebehörden in ganz Deutschland mit Software, um den neuen Pass beantragen oder ändern zu können und die Daten anschließend an die Bundesdruckerei in Berlin zu schicken, wo der Ausweis hergestellt wird. HSH-Geschäftsführer Stephan Hauber hat für die zweite Oktoberhälfte Urlaubsverbot erteilt und mitten in der ersten Etage des Firmensitzes eine Art gläsernen Kommandostand einrichten lassen. Ein Entwickler und drei Angestellte sitzen hier und beantworten Anfragen von Behörden. Dietmar Graff ist Systemberater und wird hier in der heißen Phase das Kommando führen. "Die Einführung wird nicht so problemlos ablaufen", fürchtet der 45 Jahre alte Informatiker – schon seit Anfang des Jahres werden er und seine Kollegen mit Fragen zum nPa bombardiert.

HSH will die Komplexität des Rollouts mit fünf aufeinander aufbauenden Schritten meistern. Im ersten Schritt wurde sichergestellt, dass jeder Behördenrechner über die nötigen Hilfsprogramme verfügt. Danach wurde überprüft, ob die Behörden Zugriff auf ein bestimmtes Protokoll für die Datenübermittlung zur Bundesdruckerei haben. Anschließend sollte eine Testversion der eigentlichen nPa-Software aufgespielt werden. Im vierten Schritt probierten die Behörden aus, ob Software und Transportprotokoll korrekt zusammenarbeiten und ob das Senden der Ausweisdaten an die Bundesdruckerei tatsächlich funktionierte. Derzeit wird die finale Version installiert, um schließlich etwaige noch aufgetretene Probleme mit einem weiteren Update zu beheben.

Das Protokoll für die Kommunikation zwischen Ausweis und Lesegerät, das "Password Authenticated Connection Establishment" (PACE), hat das BSI eigens für den nPa entwickelt. PACE nutzt sogenannte elliptische Kurven zur Verschlüsselung – eine Methode, die als genauso sicher gilt wie das etablierte RSA-Verfahren, mit dem heute beispielsweise E-Mails verschlüsselt werden. Im Gegensatz zu RSA benötigen elliptische Kurven aber weniger Rechenleistung und sind damit für die begrenzte Kapazität eines kleinen Chips prädestiniert. Um ganz sicherzugehen, dass man bei PACE keine Lücke übersehen hat, wurde das Protokoll zusätzlich von Forschern der TU Darmstadt mathematisch verifiziert. "Sie werden weltweit keine andere Karte finden, die einen höheren Sicherheitsstandard bietet", sagt Dennis Kügler, Fachreferent beim BSI. "Auch in den kommenden Jahren nicht."

Starke Worte, an denen der promovierte Kryptologe aber auch noch festhielt, als der nPa seinen Marketing-Gau erlebte: Ende August meldet das ARD-Magazin "Plusminus", dass der Chaos Computer Club (CCC) an den Lesegeräten die PIN auslesen konnte. In den Medien galt der neue Ausweis damit schon als gehackt, bevor er überhaupt eingeführt war. Kügler ficht das nicht an: "Wenn sie nicht mehr können, als die Eingabe der PIN an einer unsicheren Tastatur zu beobachten, dann ist das der Nachweis, dass unsere Protokolle gut sind." Andere Kommunikationskanäle – etwa zwischen Anwender und Online-Dienstleister – sind laut BSI also sicher. Und die PIN allein nutzt einem Identitätsdieb wenig, denn er braucht zusätzlich noch den Ausweis selbst. Und sollte ein nPa gestohlen werden oder verloren gehen, kann er wie eine Kreditkarte gesperrt werden.

Dennoch wirft der erfolgreiche Angriff des CCC ein schlechtes Licht auf die Sicherheitspolitik der Bundesregierung. Das Aushorchen der PIN ist nämlich nur bei den Billig-Lesegeräten ohne eigene Tastatur und Display möglich – und eben solche Geräte verteilt die Regierung ab November kostenlos an 1,5 Millionen Bürger. Dabei wusste das BSI schon vorher, dass nur hochwertige Lesegeräte die PIN ausreichend schützen können. Und Peter Schaar, der oberste Datenschützer des Landes, sagte bereits im Juni: "Wenn die PIN-Eingabe auf diese Art und Weise abgefangen werden kann, ist das ein Politikum und nicht nur ein Sicherheitsproblem." In der Tat ist die Entscheidung für die unsicheren Lesegeräte offenbar politisch motiviert. Je preiswerter die Geräte, desto größer die Verbreitung, so das simple Kalkül des Bundesinnenministeriums. Doch der Schuss könnte nach hinten losgehen: Wenn verunsicherte Bürger die Finger von den elektronischen Funktionen lassen, deren Ruf durch den CCC-Hack angekratzt ist, freuen sich vor allem die Phisher. ()