Die Twitter-kalypse – erste Schritte in Musks Everything-App X

Elon Musk hat Twitter gekauft, haut gleich mal Chefs raus und vergrault treue Schreiber. Kommt nun X – oder doch eher der Aufstieg Mastodons?

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Wird es dunkel um den Vogel?

(Bild: Ascannio/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Eva-Maria Weiß

Manch treuem Schreiber mag es wie die Twitter-kalypse erscheinen. Elon Musk hat also wirklich zugeschlagen und Twitter übernommen. Der Mann, der einst nach einer Klage der Börsenaufsicht SEC wegen Kapitalbetrugs nur noch unter Auflagen twittern durfte. Musk hatte Informationen geteilt, die nicht an die Öffentlichkeit gehörten – darunter seine Idee, Tesla von der Börse zu nehmen. Es folgte eine Bergfahrt der Aktien. Nun folgt eine Talfahrt der Nutzerinnen und Nutzer von Twitter, die mit seinen Vorstellungen eines sozialen Netzwerks und von Meinungsfreiheit nicht überein kommen.

Eine Analyse von Eva-Maria Weiß

Eva-Maria Weiß hat an der Universität Wien Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Medienpsychologie studiert und arbeitet seither als Journalistin.

Twitter ist in Elon Musks Vorstellung nämlich nur der Anfang: Ein bereits bestehendes Netzwerk, auf dem er seine Everything-App X aufbauen kann. X, wie ungefähr alles bei Musk heißt, selbst seine Kinder, soll eine Mischung aus den Dystopien von Dave Eggers "The Circle" und Marc-Uwe Klings "Qualityland" werden. Von kompletter Überwachung bis – halleluja – Shoppingerlebnis samt Bezahlfunktion. Seit Jahren schwärmt Musk immer wieder von einer Super-App. Als Vorbild nennt er das chinesische WeChat. Ein ursprünglicher Chatdienst, der um viele Funktionen erweitert wurde – Massenüberwachung und Zensur gibt es gratis dazu.

Nun bedarf es für eine erfolgreiche Alles-App Menschen, die sie benutzen. Soziale Netzwerke funktionieren nur durch den Netzwerkeffekt, also wenn man auf einer Plattform auch seine Freunde, Familie, Kollegen und anderweitig interessante Menschen trifft, statt alleine dort abzuhängen. Das sollte die Twitter-Basis für X sein.

Nicht nur Jan Böhmermann ruft aber aktuell dazu auf, Twitter zu verlassen und zu Mastodon zu wechseln. In der Geschichte der sozialen Medien hat es solche Wanderungen schon gegeben. Vom StudiVZ etwa zu Facebook. Auch die Unklarheiten über die Datenschutzrichtlinien bei WhatsApp sorgten für einen Ansturm auf Signal. Doch Mastodon, der nerdige kleine Bruder vom auch schon Zielgruppen-spitzen Twitter?

Die Flucht treibt nicht etwa an, dass Musk bald rosafarbene Delfinvibratoren verschicken könnte, wie es in Qualityland unerwünschterweise geschieht. Diese Zukunft scheint noch zu weit weg zu sein. Eher sind es die befürchteten Zugeständnisse an eine Meinungsfreiheit, wie Musk sie sich vorstellt. In dieser freien sozialen Welt dürfen, so die Vermutung, auch wieder Ex-Präsidenten indirekt zu direkter Gewalt aufrufen. "Der Grund, warum ich Twitter gekauft habe, ist, dass es für die Zukunft der Zivilisation wichtig ist, eine gemeinsame digitale Plaza zu haben, auf der eine große Breite an Ansichten in gesunder Manier diskutiert werden kann, ohne auf Gewalt zurückzugreifen", twittert der neue Chef.

Just feuert Musk eine ganze Riege Twitter-Chefs: Darunter die für den Kampf gegen Hassrede zuständige Vijaya Gadde. Gerüchte um die Entlassung zahlreicher Mitarbeiter gibt es schon seit Tagen. Das bedeutet jedoch nicht, wie manche Politiker zu befürchten scheinen, dass alle Gesetze automatisch ausgehebelt sind – Beleidigung bleibt Beleidigung, Bedrohung Bedrohung und Recht auch Recht. Dennoch fehlen eventuell Moderatoren und Menschen, die sich um Spam und mehr als unschöne Inhalte kümmern.

Und da haben wir leider zugleich das Problem bei Mastodon. Auch hier gibt es wenig Kontrolle. Da die Plattform dezentral über tausende Server läuft, sind die Moderationsprozesse ebenso verteilt und bei einem Ansturm auch schnell überfordert. Das macht einen Wechsel aus eben jenen Gründen eigentlich obsolet. Uneigentlich bleibt also vor allem der Groll auf den reichsten Menschen der Welt, der zum Wechsel treiben könnte. Ob das reicht, wird sich in den kommenden Tagen zeigen. Möglich ist es. Möglich ist aber auch ein neues X – Musk hat uns schon mehrfach trotz seiner Unberechenbarkeit eines Besseren belehrt.

Update

Die Analyse wurde um den Satz ergänzt, dass Twitter kein rechtsfreier Raum wird.

(emw)