Die Welt verbessern: Responsible Engineering – Ethik in der Softwareentwicklung

Seite 2: Dieselgate

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Im September 2015 erreichte die Welt die Nachricht, dass die Diesel-Fahrzeuge, die VW baut, nicht so sauber sind, wie das Unternehmen behauptet hat. Eine spezielle Software in der Motorsteuerung, die für die Abgaskontrollanlage zuständig ist, ist in der Lage die Prüfungssituation am Prüfstand zu erkennen, da sie “eine sonst untypische Situation“ darstellt. Die Abgasaufbereitung wird eingestellt und die Stickoxid-Werte nach unten korrigiert. Im Normalbetrieb wurden dagegen Teile der Abgaskontrollanlage wieder heruntergefahren. Der Spiegel berichtete zudem 2015, es sei der Automobilzulieferer Bosch gewesen, der für die Software bereits 2007 eine Warnung ausgeschrieben und den Einsatz als gesetzeswidrig eingestuft habe. Das wirft einige Fragen auf: Wieso hat Bosch den Auftrag überhaupt angenommen und die Software entwickelt? Wann ist Bosch aufgefallen, dass der Einsatz der Software gesetzeswidrig ist?

Ebenfalls das Jahr 2015: Die Spiele-Schmiede Moon Active bringt mit Coin Master ein neues Spiel auf den Markt. Das Spielprinzip ist simpel: Der Spieler baut ein eigenes virtuelles Dorf auf, in das weiter investiert werden muss. Das Ingame-Geld erhält der Spieler als "Coins", die er an einem simulierten einarmigen Banditen gewinnen kann. Pro Stunde darf man fünfmal sein Glück versuchen, danach muss man warten, bis der quälend langsame Timer runtergezählt hat. Alternativ ist es auch möglich, Echtgeld in neue Versuche zu investieren. Die gesamte Optik des Spiels ist offenkundig an Kinder und Jugendliche gerichtet. Diese Zielgruppe wurde sogar gezielt auf Social Media durch entsprechende Influencer angesprochen.

Das Problem dabei ist, dass das Spiel- und Erfolgsprinzip auf reines Glücksspiel setzt und bis zum Juni 2019 von der USK dennoch ohne Altersbeschränkung freigegeben wurde. Mehr Sichtbarkeit erlangte das Thema am 10. Oktober 2019, als Jan Böhmermann im Neo Magazin Royale das Thema aufgriff. Erneut stehen einige Fragen im Raum: Wie lässt sich ein Glücksspiel mit der angesprochenen Zielgruppe vereinbaren? Wie kann es passieren, dass ein Entwicklerteam ein Spiel entwirft und entwickelt, das Glücksspielelemente verwendet, absichtlich die Nähe zu einem in Casinos weit verbreiteten Automaten schafft und gezielt mit Design, Sprache und Ikonographie Kinder und Jugendliche anvisiert?

Ein Kernproblem der Technologie ist, dass dem Menschen beinahe keine Grenzen gesetzt sind. Alles, was sich digitalisieren und in Soft- und Hardware gießen lässt, können Softwareentwickler bauen. Eine elementare Frage dabei ist jedoch, ob wir als Entwickler das auch wollen oder sollten. Wir formen die Gesellschaft mit Produkten und Innovationen maßgeblich und beeinflussen die täglichen Routinen vieler Milliarden Menschen. Angefangen beim sauberen und automatisch geprüften Trinkwasser, schaffen wir digitale Bezahlmittel, präzise medizinische Geräte, Lehrmittel für Fernunterricht, Produktionsanlagen für Impfstoff-Massenproduktionen, Kommunikationsanlagen, die die ganze Welt umspannen und viele teure Reisen überflüssig machen.

Aber wir erschaffen auch Technologien, wie den Bitcoin, der nichts anderes macht, als Millionen von Computern sinnfrei mit Rechenaufgaben zu beschäftigen und Strom zu verbrauchen, um “Spielgeld“ auf Börsen handeln zu können.

Die Frage ist nun, an welchen ethischen Leitlinien gemessen werden kann. Es existieren einige sehr gut ausgearbeitete Kodizes, die sowohl für Entwicklungsteams als auch für Unternehmen eine solide Basis bilden können. So hat das Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) einen eigenen Code of Ethics, an den sie sich binden. Die Gesellschaft für Informatik (GI) hat im Juni 2018 ethische Leitlinien formuliert. Des Weiteren gibt es den Code of Ethics der Association for Computing Machinery (ACM). Zudem wurden Grundsatzerklärungen formuliert, die unterschiedliche Schwerpunkte setzen, wie etwa das Manifesto for Software Craftmanship und das Manifesto for Responsible Software. Diese Werke geben zwar grundsätzlich eine gute Orientierung, wie bestimmte Situationen zu bewerten sein könnten, zeigen jedoch keinen Weg zur konkreten Anwendung auf.