Die X-Akten der Astronomie: Das Wow!-Signal, oder: Ist da jemand?

Seite 2: 6EQUJ5 - Wow!

Inhaltsverzeichnis

Jerry Ehman, ein Freizeit-Mitglied des Big-Ear-Teams, hatte mit Bob Dixon ein Computerprogramm für die Auswertung der empfangenen Signale geschrieben. Es druckte den Signalpegel relativ zum unvermeidlichen Rauschen in 50 nebeneinander liegenden Spalten, eine je Kanal, auf Endlos-Druckerpapier aus. Jede Zeile markierte alle 12 Sekunden einen Messwert als Ziffer 1-9 oder Buchstabe A-Z; die Buchstaben standen in alphabetischer Reihenfolge für die Werte 10-35. Der Wert 1 bezeichnete den mittleren Pegel des Rauschens (eine Standardabweichung des zufällig schwankenden Rauschpegels) und die 35 stand entsprechend für den 35-fachen Rauschpegel. Als letztes folgten im Ausdruck die gerade beobachteten Himmelskoordinaten.

Computerausdruck der Seite mit der berühmten Zeichenfolge 6EQUJ5, die Jerry Ehman mit einem Stift markiert und mit „Wow!“ kommentiert hatte. Jede Spalte stand für einen 10-kHz-Kanal des Empfängers und die Ziffern und Buchstaben gaben den Signal-Rausch-Abstand an. Jede Zeile entsprach einem Intervall von 12 Sekunden. Ganz oben die Nummerierung der Kanäle von 01 bis 50. Rechts die angepeilten äquatorialen Himmelskoordinaten, eine zur Abstimmung verwendete Frequenz, galaktische Koordinaten und die Uhrzeit.

(Bild: bigear.org)

Zu Ehmans Aufgaben gehörte die regelmäßige Prüfung der Ausdrucke. Um den 19. August 1977, 4 Jahre nach Beginn der Beobachtungen, sichtete er den Ausdruck vom 15. August und war elektrisiert, als er nach ein paar Seiten die Folge 6EQUJ5 in Spalte 2 las. Ehman umkringelte die Stelle gleich mit einem roten Stift und schrieb "Wow!" daneben, denn es entsprach genau dem, was für eine starke schmalbandige Punktquelle zu erwarten war. Ein Signal das bis zum Buchstaben U anstieg, einer Leistung von 30 Standardabweichungen über dem Hintergrundrauschen, kurz vor der Sättigung, und das nur auf einem einzigen Kanal. 6 Zeichen bedeuten 72 Sekunden – genau so lange brauchte eine Quelle am Himmel, um aufgrund der Erdrotation durch das Sichtfeld einer der beiden Antennen zu driften. Kanal 2 entsprach einer Frequenz von 1420,4556 MHz oder 50 kHz über der Wasserstofflinie – ein Dopplereffekt durch ein Relativbewegung von 10 km/s auf die Erde zu reichte aus, um die kleine Abweichung zu erklären.

Allerdings entsprach die Zeichenfolge nur einer einzigen Glockenkurve. Da das Programm die negativen Werte der ersten Antenne positiv ausgab und beide Ausgaben im Ausdruck kombinierte, war nicht zu erkennen, ob es die westliche oder östliche Antenne war, die das Signal geliefert hatte. Jedenfalls war es für eine der Antennen unsichtbar geblieben, das heißt entweder plötzlich nach dem Empfang in der ersten verschwunden oder unmittelbar vor dem Empfang in der zweiten aufgetaucht.

Die Ziffern und Buchstaben in Ehmans Ausdruck stehen als einstelliger Code für die Werte 1 bis 36 in Einheiten des Signal-Rausch-Abstands. Die Folge 6EQUJ5 codiert die Werte 6, 14, 26, 30, 19 und 5, die eine Glockenkurve über der Zeitachse bilden. Das Signal dauerte 72 Sekunden an. Die folgenden Einsen sind statistisches Rauschen.

(Bild: Maxrossomachin, CC BY-SA 3.0)

Das Signal kam aus dem Sternbild des Schützen, etwa 12° südlich der Scheibenebene der Milchstraße und 19° östlich des galaktischen Zentrums, mit zwei möglichen Positionen im Abstand von 2,5 Vollmonddurchmessern, je nachdem von welcher Antenne das Signal kam. Es befindet sich kein auffälliger Stern an diesen Stellen, nur schwache, sehr weit entfernte Sterne.

Am nächsten Tag kehrte es nicht wieder; ob es am Tag zuvor oder noch länger schon da gewesen war, kann niemand sagen, da die Antenne die Koordinate am 15. August zum ersten Mal angepeilt hatte. 30 Tage lang suchte das Team täglich an gleicher Stelle nach dem Signal, aber es wiederholte sich nicht. Zahlreiche andere, teils wesentlich empfindlichere Radioteleskope haben sich im Laufe der Jahrzehnte auf die Suche nach einer Wiederholung des Signals gemacht, aber nie etwas vergleichbares gefunden, nicht dort und an keiner anderen Stelle des Himmels.

Nun ist das Signal einer außerirdischen Zivilisation diejenige Erklärung, die man als letztes in Betracht ziehen sollte, wenn gar nichts anderes mehr in Frage kommt. Zuerst gilt es eine Reihe von anderen Möglichkeiten auszuschließen. Zuerst stellt sich die Frage, ob das Signal überhaupt aus dem Weltraum kam. Das jedenfalls ist sehr wahrscheinlich, denn die Dauer des Empfangs entsprach mit 72 Sekunden genau der Zeit, die eine Radioquelle am Himmel aufgrund der Erdrotation brauchte, um durch die Empfangskeule der Antenne zu ziehen und der Signalpegel zeigte die zu erwartende Glockenkurvenform, die sich ergibt, weil die Antenne zum Rand der Empfangskeule hin zunehmend weniger Empfindlichkeit hat. Irdische Quellen sollten sich entweder gar nicht bewegen und ein konstantes Signal erzeugen, oder sich im Fall von Flugzeugen viel kürzer statt mehr als eine Minute lang im Empfangsbereich aufhalten.

Davon abgesehen ist der Frequenzbereich um die HI-Linie für die Radioastronomie geschützt. Kein zugelassener Sender verwendet ihn. Frequenzen wie 710 MHz oder 473,33 MHz, die ganzzahlige Bruchteile von 1420 MHz sind und somit harmonische Oberwellen bei 1420 MHz erzeugen, scheiden auch aus, weil dort breitbandige TV- und Radiosender strahlen, die entsprechend breitbandige Harmonische erzeugen. Eine Störung im Empfänger durch kosmische Partikel kommt aufgrund der langen Dauer nicht in Frage und hätte auch nicht das charakteristische Glockenkurvenprofil. Also kam das Signal höchstwahrscheinlich wirklich aus dem Weltraum.

Wasserstoffgas in der Milchstraße strahlt wie erwähnt natürlich die HI-Linie aus, jedoch flächig und nicht auf einen Punkt konzentriert – und natürlich fortlaufend. Mithin kommt es nicht in Frage.

Planeten und sogar Asteroiden können Radiostrahlung aussenden, weil alles mit einer Temperatur strahlt (nicht nur Wärmestrahlung, auch ein wenig Radiostrahlung). Solche Strahlung ist aber niemals schmalbandig, sie wäre in allen Kanälen erschienen. Einzig Jupiter strahlt mäßig schmalbandige Signale aus, wenn geladene Teilchen in seinem Magnetfeld kreisförmige Bahnen ziehen (Synchrotronstrahlung). Allerdings war weder Jupiter noch ein anderer Planet oder bekannter Asteroid in der Nähe der Quelle des Signals.

Ein Satellit hätte durchaus ein schmalbandiges Signal senden können, das abrupt beginnt oder endet, aber das 21-cm-Band war, wie gesagt, für die Radioastronomie reserviert. Die Möglichkeit von Harmonischen tieferer Frequenzen war gegeben, jedoch hätte ein solcher Satellit sich sehr, sehr weit von der Erde entfernt befunden haben müssen, um den Signalverlauf einer am Himmel ruhenden Quelle vorzutäuschen (geostationäre Satelliten stehen über einem Punkt der Erde und driften nicht durch die Empfangskeule). Das Team untersuchte die Orbits aller bekannten Satelliten, aber es fand sich keiner zur passenden Zeit am Ort der Quelle.

Auch keine Raumsonde kam in Frage, die ohnehin diese Frequenz nicht verwendeten. Theoretisch könnte ein Stück Weltraumschrott im Orbit das Echo eines irdischen Radiosignals reflektiert haben, aber hier gilt ähnliches wie für die Satelliten – zu schnell oder ansonsten zu weit weg, und keine erlaubte Frequenz.

Eine weitere Möglichkeit wäre ein Gravitations-Mikrolinsenereignis. Wenn das Licht (oder die Radiowellen) einer sehr weit entfernten Quelle auf dem Weg zu uns unterwegs eine große Masse passiert, wird es von dieser wie von einer Linse fokussiert, und die Quelle erscheint für die Dauer der Konstellation heller. Wenn es sich dabei um kompakte Objekte wie Sterne oder Neutronensterne handelt, spricht man Gravitations-Mikrolinsen. Theoretisch könnte ein solches Ereignis eine sonst unsichtbare Radioquelle für das Big Ear sichtbar gemacht haben. Aber solche Ereignisse, bei denen sich Quelle, linsendes Objekt und Erde aufgrund ihrer Bewegungen nur kurzfristig in der passenden Anordnung befinden, dauern dennoch Stunden oder Tage und beginnen oder enden nicht abrupt.

Bei einem Gravitations-Mikrolinsenereignis zieht eine der Erde nähere Masse durch die Sichtlinie zu einem ferneren Stern oder einer anderen Strahlungsquelle. Die Masse lenkt das Licht um sich herum ab und bündelt es in Richtung Erde, sodass die Helligkeit zu- und wieder abnimmt (im Bild rechts macht sich noch ein kleiner Planet bemerkbar). Dies gilt auch für Radiowellen. Da Mikrolinsenereignis einmalig für bestimmte Objekte sind, wurden sie als Erklärung für das einmalige Auftreten des Wow!-Signals herangezogen. Allerdings dauern sie normalerweise Stunden oder Tage, viel länger als der Zeitrahmen für das Wow!-Signal. Und die Natur der fernen schmalbandigen Quelle wird nicht erklärt.

(Bild: ESA)

Ähnliches gilt für interstellare Szintillation. Der Begriff "Szintillation" bezeichnet das Flackern der Sterne. Aufsteigende Blasen warmer Luft oder Turbulenzen sorgen für Dichteunterschiede in der Atmosphäre, die wie Linsen wirken und das Sternenlicht im Verlauf von Sekundenbruchteilen unterschiedlich bündeln, zerstreuen und ablenken. Die Atmosphäre stört langwellige Radiostrahlung nicht, aber heißes interstellares Gas, wie es zum Beispiel von Sternwinden oder Supernovae ausgestoßen wird und das aus geladenen Teilchen (Plasma) besteht, hat einen ähnlichen, aber nur über Stunden wirksamen Effekt auf Radiowellen. Die interstellare Szintillation könnte ein Signal kurzfristig über die Rauschschwelle anheben. Allerdings fragt es sich dann, warum die Quelle nur einmal in 20 Jahren Beobachtungszeit zu sehen gewesen war und mit heutigen, viel empfindlicheren Radioteleskopen nicht zu aufzufinden ist.

Interstellare Szintillation am Beispiel des Signals des Quasars J1819+3845. Quasare sind aktive Galaxienkerne, in denen ein supermassereiches Schwarzes Loch Materie verschlingt, wobei auch Radiostrahlung entsteht. Durch Plasma in der Milchstraße schwankt die Signalstärke im Laufe von Stunden. Hier werden die von zwei verschiedenen Radioteleskopen empfangenen Signale (blau und rot) an zwei Tagen (Grafik oben und unten) einander gegenüber gestellt.

(Bild: Dennett-Thorpe und de Bruyn, 2001)

2017 veröffentlichte Antonio Paris von der Washington Academy of Sciences eine Arbeit, in der er seine Hypothese zu belegen versuchte, dass einer der Kometen 266P/Christensen oder 335P/Gibbs die Quelle des Wow!-Signals gewesen sein soll. Diese Kometen hatten sich zur betreffenden Zeit in der richtigen Gegend des Himmels aufgehalten. Kometen sind kilometergroße Körper aus gefrorenem Wasser und Gasen, darunter auch Wasserstoff, die aus dem äußersten Sonnensystem stammen und in Sonnennähe diese Stoffe frei zu setzen beginnen. Paris konnte mit einem Radioteleskop nachweisen, dass eine Reihe von Kometen bei 1420 MHz Radiostrahlung aussenden, was einige "Fall erledigt"-Meldungen in der Presse auslöste. Aber ist das Rätsel damit wirklich gelöst?

Andere Astronomen und ehemalige Mitglieder des Big-Ear-Teams widersprachen - denn weder war einer der betreffenden Kometen den Empfangskeulen zur Zeit des Wow!-Signals nahe genug, noch sind Kometen dafür bekannt, Quellen schmalbandiger Strahlung im HI-Band zu sein – die Diagramme in Paris' Arbeit erlaubten nicht, die Bandbreite einzuschätzen. Und vor allem geht Paris in seiner Arbeit an keiner Stelle darauf ein, warum das Signal nur von einem Empfangshorn registriert wurde. Kometen bewegen sich zwar am Himmel, aber nicht binnen nur einer Minute aus dem Feld der zwei Vollmonde durchmessenden Empfangskeule der Big-Bear-Antenne.