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Die X-Akten der Astronomie: Das Wow!-Signal, oder: Ist da jemand?

Alderamin
Die X-Akten der Astronomie:

Geht es um ungeklärte Beobachtungen der Astronomie, steht das Wow!-Signal ganz vorne. Was es damit auf sich hat und welche Erklärungsversuche gescheitert sind.

Dank immer besserer Technik, innovativen Ansätzen und internationaler Kooperation erlebt die Astronomie eine Blüte. Doch während viele Beobachtungen dabei helfen, Theorien zu verfeinern oder auszusortieren, gibt es auch immer wieder Entdeckungen, die einfach nicht zu passen scheinen. Mysteriöse Signale, mutmaßliche Verstöße gegen Naturgesetze und – noch – nicht zu erklärende Phänomene. In der Öffentlichkeit wird dann gerne darüber diskutiert, ob es sich um Spuren außerirdischer Intelligenz handelt, Wissenschaftler wissen, dass es am Ende fast immer eine natürliche Erklärung gibt. Aber überall wird die Fantasie angeregt.

In einer Artikelserie auf heise online werden wir in den kommenden Wochen einige solcher astronomischen Anomalien aus einer jüngst vorgestellten Sammlung [1] vorstellen und erklären, warum alle Erklärungsversuche bislang an ihnen scheitern.

Die X-Akten der Astronomie

Sind wir alleine im Universum? Oder gibt es andere Zivilisationen, mit denen wir über Radiowellen kommunizieren könnten? Vielleicht haben wir sie schon gehört – am 15. August 1977 wurde das berühmte "Wow!"-Signal empfangen. Bis heute ist umstritten, ob es sich tatsächlich ein künstliches Signal handelte oder ob es dafür eine natürliche Erklärung gibt.

bigear.org

Das ehemalige Big-Ear-Radioteleskop

(Bild: bigear.org [17])

Vermutlich hätte ein Laie das monströs anmutende Big-Ear-Radioteleskop in Delaware im US-Bundesstaat Ohio, eher für einen militärisches Experiment oder ein Radargerät gehalten als für ein Radioteleskop. Big Ear, das "große Ohr", bestand aus einem 103 m × 33 m messenden, mit Drahtgitter bespanntem ebenen Reflektor, der in Nord-Süd-Richtung geschwenkt werden konnte. Ihm gegenüber stand 150 Meter südlich ein starrer, parabolisch gekrümmter und gleichsam bespannter Reflektor von 103 Metern Breite und 21 Metern Höhe. Der schwenkbare Reflektor konnte jeden Punkt eines 100° messenden Teilbogens des Meridians anpeilen und Signale von dort zum parabolischen Reflektor umlenken, der diese auf trichterförmige Hornantennen am Fuße des Schwenkreflektors fokussierte.

Zur Isolation gegen Radiowellen aus dem Boden war die Fläche zwischen den Reflektoren mit Aluminiumplatten abgedeckt. Durch die Drehung der Erde zogen Radioquellen am Himmel beim Meridiandurchgang durch das schmale Empfangsfeld des Radioteleskops. So kam über die Dauer eines Tages jeder Punkt des Himmels zwischen 36° südlicher und 64° nördlicher Himmels-Breite (Deklination) in Reichweite.

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Schema des Big-Ear-Radioteleskops. Rechts der schwenkbare plane Radioreflektor, der durch Änderung des Neigungswinkels auf Quellen verschiedener Höhe über dem Horizont auf der Nord-Süd Linie (Meridian) gerichtet werden konnte und ihre Radiostrahlung auf den großen, starren parabolischen Reflektor links reflektierte. Dieser fokussierte das Radiosignal auf Hornantennen am Fuße des schwenkbaren Reflektors. Darunter das System zur Aufzeichnung und Auswertung der Signale. Das Teleskop blickte starr nach Süden. Das Schwenken des Teleskops in Ost-West-Richtung erledigte die Erdrotation.

(Bild: bigear.org [18])

Ursprünglich war das Gerät 1963 zur Erkundung von astronomischen Radioquellen im Mikrowellenbereich gebaut worden, einer Aufgabe, der es bis 1971 im Rahmen des Ohio Sky Survey auch mit großem Erfolge nachging: Es spürte rund 20.000 Radioquellen auf, die Hälfte davon Neuentdeckungen. Leider wurde die Förderung des Nachfolgeprojekts 1972 durch den US-Kongress gekippt und die Wissenschaftler verloren alle ihre Jobs – bis auf den Direktor, der aus anderer Quelle finanziert wurde.

Die begeisterten Forscher wollten das einzigartige Gerät jedoch weiterhin nutzen und bauten es in ihrer Freizeit um, so dass es weitgehend automatisch mit wesentlich weniger Personal und somit Fördermitteln auskam. Ihnen erschien der Umbau in einen Schmalbandempfänger am sinnvollsten, da es bis dato noch keine großflächige Beobachtung des Himmels auf einzelnen Radiofrequenzen gegeben hatte. Vor allem bestand die Hoffnung, man könne möglicherweise Signale außerirdischer Zivilisationen empfangen. Signale von künstlichen Quellen wie etwa Radiosendern sind schmalbandig – man muss den Empfänger auf eine bestimmte Empfangsfrequenz abstimmen – während natürliche Quellen normalerweise breitbandige Signale auf vielen Frequenzen abstrahlen. Die Sonne leuchtet beispielsweise ein riesiges Spektrum aus, das vom Radiobereich bis zur Röntgenstrahlung reicht.

Besonders attraktiv als Zielfrequenz ist die 21-cm-Linie des Wasserstoffs. Sowohl das Proton im Kern eines Wasserstoffatoms als auch das Elektron haben ein quantenmechanisches magnetisches Moment, den "Spin", der sie gewissermaßen zu winzigen Magneten macht. Der Spin kann im Atom nur zwei Werte annehmen, und somit können die Spins von Kern und Elektron entweder parallel oder antiparallel sein. Nun ist die Energie des Elektrons bei paralleler Ausrichtung ein klein wenig größer als bei antiparalleler. Kippt der Spin des Elektrons spontan in die antiparallele Richtung, dann wird die Energiedifferenz als Radio-Photon einer charakteristischen Frequenz von 1420,4056 MHz abgestrahlt; dies entspricht einer Wellenlänge von 21,106 Zentimeter.

Diese Frequenz, auch "Hyperfeinstrukturübergang des Wasserstoffs" oder HI-Linie genannt, ist charakteristisch für kaltes, neutrales Wasserstoffgas, von dem die Milchstraße durchzogen ist. Da die Frequenz kaum absorbiert wird, kann man im 21-cm-"Licht" auch die hinter dem galaktischen Zentrum liegenden Spiralarme "sehen", während interstellarer Staub den optischen Blick auf 90 Prozent unserer Welteninsel versperrt.

Wasserstoffatom im Grundzustand mit paralleler (F1) und antiparalleler (F0) Ausrichtung der magnetischen Momente (Spins) von Kern (rot, Mitte) und Elektron (grau, rechts). Der Spin des Elektrons kann spontan von F1 nach F0 kippen. Da das Energieniveau bei F1 geringfügig höher als bei F0 ist, strahlt das Elektron die Energiedifferenz als Radiostrahlung von 1420 MHz / 21 cm Wellenlänge ab.

Wasserstoffatom im Grundzustand mit paralleler (F1) und antiparalleler (F0) Ausrichtung der magnetischen Momente (Spins) von Kern (rot, Mitte) und Elektron (grau, rechts). Der Spin des Elektrons kann spontan von F1 nach F0 kippen. Da das Energieniveau bei F1 geringfügig höher als bei F0 ist, strahlt das Elektron die Energiedifferenz als Radiostrahlung von 1420 MHz / 21 cm Wellenlänge ab.

Auch für die Suche nach Signalen außerirdischer Zivilisationen ist diese Frequenz interessant, denn ein schwaches, schmalbandiges Signal unter den zahllosen kosmischen und irdischen Störquellen aufzuspüren, gleicht der Suche nach der sprichwörtlichen Stecknadel im Heuhaufen. Wenn eine außerirdische Intelligenz von uns aufgespürt werden wollte, würde sie wohl eine Frequenz wählen, die eine große Reichweite hat, nicht von einer Planetenatmosphäre absorbiert würde und die irgendwie elementar und naheliegend ist. Das alles erfüllt die HI-Linie, die Linie des kleinsten Elektronen-Quantensprungs im einfachsten und häufigsten aller Atome. Deswegen stimmte das Big-Ear-Team den Empfänger auf ein Band mittig um 1420,4056 MHz ab. Und so konnte das Team Fördergelder für das Ohio State SETI ("Suche nach außerirdischer Intelligenz") Programm gewinnen, das 22 Jahre lang von 1973 bis 1995 laufen sollte und es bis ins Guinness-Buch der Rekorde schaffte.

Das Big-Ear-Team konnte einen Empfänger mit 10 kHz Kanalbreite vom Green Bank Radioteleskop in West Virginia ergattern, der 50 Kanäle gleichzeitig erfassen und ihre Leistung messen konnte. Um Signale und Hintergrund besser zu trennen, hatte das Big Ear zwei räumlich leicht versetzte Empfangsantennen, die somit in zwei leicht gegeneinander Ost-West-versetzte Richtungen blickten. Der Empfänger wurde 79-mal pro Sekunde zwischen beiden Antennen hin- und hergeschaltet. Um Punktquellen von der Hintergrundstrahlung trennen zu können, wurde das Signal der westlicher gelegenen Antenne invertiert und zum Signal der östlichen Antenne addiert, also insgesamt subtrahiert.

Hintergrundstrahlung, die von beiden Antennen gleichzeitig empfangen wurde, konnte auf diese Weise weitgehend eliminiert werden. Eine Punktquelle am Himmel zog hingegen zuerst durch die Empfangskeule der westlichen Antenne und sorgte für einen glockenförmigen Pegelverlauf nach unten, bevor sie im östlichen Empfänger einen entsprechenden Pegelausschlag nach oben verursachte.

Jerry Ehman, ein Freizeit-Mitglied des Big-Ear-Teams, hatte mit Bob Dixon ein Computerprogramm für die Auswertung der empfangenen Signale geschrieben. Es druckte den Signalpegel relativ zum unvermeidlichen Rauschen in 50 nebeneinander liegenden Spalten, eine je Kanal, auf Endlos-Druckerpapier aus. Jede Zeile markierte alle 12 Sekunden einen Messwert als Ziffer 1-9 oder Buchstabe A-Z; die Buchstaben standen in alphabetischer Reihenfolge für die Werte 10-35. Der Wert 1 bezeichnete den mittleren Pegel des Rauschens (eine Standardabweichung des zufällig schwankenden Rauschpegels) und die 35 stand entsprechend für den 35-fachen Rauschpegel. Als letztes folgten im Ausdruck die gerade beobachteten Himmelskoordinaten.

Computerausdruck der Seite mit der berühmten Zeichenfolge 6EQUJ5, die Jerry Ehman mit einem Stift markiert und mit „Wow!“ kommentiert hatte. Jede Spalte stand für einen 10-kHz-Kanal des Empfängers und die Ziffern und Buchstaben gaben den Signal-Rausch-Abstand an. Jede Zeile entsprach einem Intervall von 12 Sekunden. Ganz oben die Nummerierung der Kanäle von 01 bis 50. Rechts die angepeilten äquatorialen Himmelskoordinaten, eine zur Abstimmung verwendete Frequenz, galaktische Koordinaten und die Uhrzeit.

Computerausdruck der Seite mit der berühmten Zeichenfolge 6EQUJ5, die Jerry Ehman mit einem Stift markiert und mit „Wow!“ kommentiert hatte. Jede Spalte stand für einen 10-kHz-Kanal des Empfängers und die Ziffern und Buchstaben gaben den Signal-Rausch-Abstand an. Jede Zeile entsprach einem Intervall von 12 Sekunden. Ganz oben die Nummerierung der Kanäle von 01 bis 50. Rechts die angepeilten äquatorialen Himmelskoordinaten, eine zur Abstimmung verwendete Frequenz, galaktische Koordinaten und die Uhrzeit.

(Bild: bigear.org [19])

Zu Ehmans Aufgaben gehörte die regelmäßige Prüfung der Ausdrucke. Um den 19. August 1977, 4 Jahre nach Beginn der Beobachtungen, sichtete er den Ausdruck vom 15. August und war elektrisiert, als er nach ein paar Seiten die Folge 6EQUJ5 in Spalte 2 las. Ehman umkringelte die Stelle gleich mit einem roten Stift und schrieb "Wow!" daneben, denn es entsprach genau dem, was für eine starke schmalbandige Punktquelle zu erwarten war. Ein Signal das bis zum Buchstaben U anstieg, einer Leistung von 30 Standardabweichungen über dem Hintergrundrauschen, kurz vor der Sättigung, und das nur auf einem einzigen Kanal. 6 Zeichen bedeuten 72 Sekunden – genau so lange brauchte eine Quelle am Himmel, um aufgrund der Erdrotation durch das Sichtfeld einer der beiden Antennen zu driften. Kanal 2 entsprach einer Frequenz von 1420,4556 MHz oder 50 kHz über der Wasserstofflinie – ein Dopplereffekt durch ein Relativbewegung von 10 km/s auf die Erde zu reichte aus, um die kleine Abweichung zu erklären.

Allerdings entsprach die Zeichenfolge nur einer einzigen Glockenkurve. Da das Programm die negativen Werte der ersten Antenne positiv ausgab und beide Ausgaben im Ausdruck kombinierte, war nicht zu erkennen, ob es die westliche oder östliche Antenne war, die das Signal geliefert hatte. Jedenfalls war es für eine der Antennen unsichtbar geblieben, das heißt entweder plötzlich nach dem Empfang in der ersten verschwunden oder unmittelbar vor dem Empfang in der zweiten aufgetaucht.

Die Ziffern und Buchstaben in Ehmans Ausdruck stehen als einstelliger Code für die Werte 1 bis 36 in Einheiten des Signal-Rausch-Abstands. Die Folge 6EQUJ5 codiert die Werte 6, 14, 26, 30, 19 und 5, die eine Glockenkurve über der Zeitachse bilden. Das Signal dauerte 72 Sekunden an. Die folgenden Einsen sind statistisches Rauschen.

Die Ziffern und Buchstaben in Ehmans Ausdruck stehen als einstelliger Code für die Werte 1 bis 36 in Einheiten des Signal-Rausch-Abstands. Die Folge 6EQUJ5 codiert die Werte 6, 14, 26, 30, 19 und 5, die eine Glockenkurve über der Zeitachse bilden. Das Signal dauerte 72 Sekunden an. Die folgenden Einsen sind statistisches Rauschen.

(Bild: Maxrossomachin [20], CC BY-SA 3.0 [21])

Das Signal kam aus dem Sternbild des Schützen, etwa 12° südlich der Scheibenebene der Milchstraße und 19° östlich des galaktischen Zentrums, mit zwei möglichen Positionen im Abstand von 2,5 Vollmonddurchmessern, je nachdem von welcher Antenne das Signal kam. Es befindet sich kein auffälliger Stern an diesen Stellen, nur schwache, sehr weit entfernte Sterne.

Am nächsten Tag kehrte es nicht wieder; ob es am Tag zuvor oder noch länger schon da gewesen war, kann niemand sagen, da die Antenne die Koordinate am 15. August zum ersten Mal angepeilt hatte. 30 Tage lang suchte das Team täglich an gleicher Stelle nach dem Signal, aber es wiederholte sich nicht. Zahlreiche andere, teils wesentlich empfindlichere Radioteleskope haben sich im Laufe der Jahrzehnte auf die Suche nach einer Wiederholung des Signals gemacht, aber nie etwas vergleichbares gefunden, nicht dort und an keiner anderen Stelle des Himmels.

Nun ist das Signal einer außerirdischen Zivilisation diejenige Erklärung, die man als letztes in Betracht ziehen sollte, wenn gar nichts anderes mehr in Frage kommt. Zuerst gilt es eine Reihe von anderen Möglichkeiten auszuschließen. Zuerst stellt sich die Frage, ob das Signal überhaupt aus dem Weltraum kam. Das jedenfalls ist sehr wahrscheinlich, denn die Dauer des Empfangs entsprach mit 72 Sekunden genau der Zeit, die eine Radioquelle am Himmel aufgrund der Erdrotation brauchte, um durch die Empfangskeule der Antenne zu ziehen und der Signalpegel zeigte die zu erwartende Glockenkurvenform, die sich ergibt, weil die Antenne zum Rand der Empfangskeule hin zunehmend weniger Empfindlichkeit hat. Irdische Quellen sollten sich entweder gar nicht bewegen und ein konstantes Signal erzeugen, oder sich im Fall von Flugzeugen viel kürzer statt mehr als eine Minute lang im Empfangsbereich aufhalten.

Davon abgesehen ist der Frequenzbereich um die HI-Linie für die Radioastronomie geschützt. Kein zugelassener Sender verwendet ihn. Frequenzen wie 710 MHz oder 473,33 MHz, die ganzzahlige Bruchteile von 1420 MHz sind und somit harmonische Oberwellen bei 1420 MHz erzeugen, scheiden auch aus, weil dort breitbandige TV- und Radiosender strahlen, die entsprechend breitbandige Harmonische erzeugen. Eine Störung im Empfänger durch kosmische Partikel kommt aufgrund der langen Dauer nicht in Frage und hätte auch nicht das charakteristische Glockenkurvenprofil. Also kam das Signal höchstwahrscheinlich wirklich aus dem Weltraum.

Wasserstoffgas in der Milchstraße strahlt wie erwähnt natürlich die HI-Linie aus, jedoch flächig und nicht auf einen Punkt konzentriert – und natürlich fortlaufend. Mithin kommt es nicht in Frage.

Planeten und sogar Asteroiden können Radiostrahlung aussenden, weil alles mit einer Temperatur strahlt (nicht nur Wärmestrahlung, auch ein wenig Radiostrahlung). Solche Strahlung ist aber niemals schmalbandig, sie wäre in allen Kanälen erschienen. Einzig Jupiter strahlt mäßig schmalbandige Signale aus, wenn geladene Teilchen in seinem Magnetfeld kreisförmige Bahnen ziehen (Synchrotronstrahlung). Allerdings war weder Jupiter noch ein anderer Planet oder bekannter Asteroid in der Nähe der Quelle des Signals.

Ein Satellit hätte durchaus ein schmalbandiges Signal senden können, das abrupt beginnt oder endet, aber das 21-cm-Band war, wie gesagt, für die Radioastronomie reserviert. Die Möglichkeit von Harmonischen tieferer Frequenzen war gegeben, jedoch hätte ein solcher Satellit sich sehr, sehr weit von der Erde entfernt befunden haben müssen, um den Signalverlauf einer am Himmel ruhenden Quelle vorzutäuschen (geostationäre Satelliten stehen über einem Punkt der Erde und driften nicht durch die Empfangskeule). Das Team untersuchte die Orbits aller bekannten Satelliten, aber es fand sich keiner zur passenden Zeit am Ort der Quelle.

Auch keine Raumsonde kam in Frage, die ohnehin diese Frequenz nicht verwendeten. Theoretisch könnte ein Stück Weltraumschrott im Orbit das Echo eines irdischen Radiosignals reflektiert haben, aber hier gilt ähnliches wie für die Satelliten – zu schnell oder ansonsten zu weit weg, und keine erlaubte Frequenz.

Eine weitere Möglichkeit wäre ein Gravitations-Mikrolinsenereignis. Wenn das Licht (oder die Radiowellen) einer sehr weit entfernten Quelle auf dem Weg zu uns unterwegs eine große Masse passiert, wird es von dieser wie von einer Linse fokussiert, und die Quelle erscheint für die Dauer der Konstellation heller. Wenn es sich dabei um kompakte Objekte wie Sterne oder Neutronensterne handelt, spricht man Gravitations-Mikrolinsen. Theoretisch könnte ein solches Ereignis eine sonst unsichtbare Radioquelle für das Big Ear sichtbar gemacht haben. Aber solche Ereignisse, bei denen sich Quelle, linsendes Objekt und Erde aufgrund ihrer Bewegungen nur kurzfristig in der passenden Anordnung befinden, dauern dennoch Stunden oder Tage und beginnen oder enden nicht abrupt.

ESA

Bei einem Gravitations-Mikrolinsenereignis zieht eine der Erde nähere Masse durch die Sichtlinie zu einem ferneren Stern oder einer anderen Strahlungsquelle. Die Masse lenkt das Licht um sich herum ab und bündelt es in Richtung Erde, sodass die Helligkeit zu- und wieder abnimmt (im Bild rechts macht sich noch ein kleiner Planet bemerkbar). Dies gilt auch für Radiowellen. Da Mikrolinsenereignis einmalig für bestimmte Objekte sind, wurden sie als Erklärung für das einmalige Auftreten des Wow!-Signals herangezogen. Allerdings dauern sie normalerweise Stunden oder Tage, viel länger als der Zeitrahmen für das Wow!-Signal. Und die Natur der fernen schmalbandigen Quelle wird nicht erklärt.

(Bild: ESA)

Ähnliches gilt für interstellare Szintillation. Der Begriff "Szintillation" bezeichnet das Flackern der Sterne. Aufsteigende Blasen warmer Luft oder Turbulenzen sorgen für Dichteunterschiede in der Atmosphäre, die wie Linsen wirken und das Sternenlicht im Verlauf von Sekundenbruchteilen unterschiedlich bündeln, zerstreuen und ablenken. Die Atmosphäre stört langwellige Radiostrahlung nicht, aber heißes interstellares Gas, wie es zum Beispiel von Sternwinden oder Supernovae ausgestoßen wird und das aus geladenen Teilchen (Plasma) besteht, hat einen ähnlichen, aber nur über Stunden wirksamen Effekt auf Radiowellen. Die interstellare Szintillation könnte ein Signal kurzfristig über die Rauschschwelle anheben. Allerdings fragt es sich dann, warum die Quelle nur einmal in 20 Jahren Beobachtungszeit zu sehen gewesen war und mit heutigen, viel empfindlicheren Radioteleskopen nicht zu aufzufinden ist.

Interstellare Szintillation am Beispiel des Signals des Quasars J1819+3845. Quasare sind aktive Galaxienkerne, in denen ein supermassereiches Schwarzes Loch Materie verschlingt, wobei auch Radiostrahlung entsteht. Durch Plasma in der Milchstraße schwankt die Signalstärke im Laufe von Stunden. Hier werden die von zwei verschiedenen Radioteleskopen empfangenen Signale (blau und rot) an zwei Tagen (Grafik oben und unten) einander gegenüber gestellt.

Interstellare Szintillation am Beispiel des Signals des Quasars J1819+3845. Quasare sind aktive Galaxienkerne, in denen ein supermassereiches Schwarzes Loch Materie verschlingt, wobei auch Radiostrahlung entsteht. Durch Plasma in der Milchstraße schwankt die Signalstärke im Laufe von Stunden. Hier werden die von zwei verschiedenen Radioteleskopen empfangenen Signale (blau und rot) an zwei Tagen (Grafik oben und unten) einander gegenüber gestellt.

(Bild: Dennett-Thorpe und de Bruyn, 2001 [22])

2017 veröffentlichte Antonio Paris von der Washington Academy of Sciences eine Arbeit, in der er seine Hypothese zu belegen versuchte, dass einer der Kometen 266P/Christensen oder 335P/Gibbs die Quelle des Wow!-Signals gewesen sein soll [23]. Diese Kometen hatten sich zur betreffenden Zeit in der richtigen Gegend des Himmels aufgehalten. Kometen sind kilometergroße Körper aus gefrorenem Wasser und Gasen, darunter auch Wasserstoff, die aus dem äußersten Sonnensystem stammen und in Sonnennähe diese Stoffe frei zu setzen beginnen. Paris konnte mit einem Radioteleskop nachweisen, dass eine Reihe von Kometen bei 1420 MHz Radiostrahlung aussenden, was einige "Fall erledigt"-Meldungen in der Presse auslöste. Aber ist das Rätsel damit wirklich gelöst?

Andere Astronomen und ehemalige Mitglieder des Big-Ear-Teams widersprachen - denn weder war einer der betreffenden Kometen den Empfangskeulen zur Zeit des Wow!-Signals nahe genug, noch sind Kometen dafür bekannt, Quellen schmalbandiger Strahlung im HI-Band zu sein – die Diagramme in Paris' Arbeit erlaubten nicht, die Bandbreite einzuschätzen. Und vor allem geht Paris in seiner Arbeit an keiner Stelle darauf ein, warum das Signal nur von einem Empfangshorn registriert wurde. Kometen bewegen sich zwar am Himmel, aber nicht binnen nur einer Minute aus dem Feld der zwei Vollmonde durchmessenden Empfangskeule der Big-Bear-Antenne.

Waren es also doch künstliche Signale einer Exo-Zivilisation? Möglich wäre das, aber aus einem einzigen kurzen Impuls kann man einen derart weit reichenden Schluss nicht ziehen. Obwohl wir keine natürliche Quelle kennen, die als Erklärung in Frage kommt, heißt das nicht, dass es sie nicht gibt. Sicher sein können wir nur, dass die Quelle des Wow!-Signals kompakt gewesen sein muss, denn ein plötzliches Verstummen ist nur einer kleinen Quelle möglich, bei der die Lichtlaufzeit von einem Ende zum anderen keine Rolle spielt. Eine fehlende Aufweitung durch den Dopplereffekt spricht gegen ein schnell rotierendes Objekt, bei dem sich uns eine Seite nähert und die andere entfernt. Dass es gerade das 21-cm-Band war, in dem der Effekt beobachtet wurde, liegt natürlich auch daran, dass man genau dieses Band 22 Jahre lang beobachtet hat.

Immer wieder stießen die Astronomen auf völlig unerwartete Signale. Wiederkehrend hell aufleuchtende Sterne erwiesen sich als Weiße Zwerge, auf die Materie eines Begleitsterns fällt, bis sie thermonuklear detoniert. Regelmäßige Radiopulse im Sekundentakt entpuppten sich als schnell rotierende Neutronensterne. Gammastrahlenausbrüche in kosmologischen Entfernungen ließen sich auf kollidierende Neutronensterne oder zu Schwarzen Löchern kollabierende Riesensterne zurückführen. Und derzeit versucht man zu ergründen, was die Ursache für wenige Millisekunden dauernde Ausbrüche von Radiostrahlung ist, die Fast Radio Bursts [24]. Die Erkenntnis kam in allen Fällen durch die Beobachtung wiederholter Ereignisse, die eine Ortung und Zuordnung zu einer sichtbaren Quelle erlaubten. Leider wurde jedoch nur ein einziges Wow!-Signal beobachtet und aus einem Einzelfall kann man wenig lernen. So bleibt die Quelle des Wow!-Signals weiterhin ungeklärt.

Das Ohio State SETI Programm lief noch bis 1995. 1998 wurde das Big-Ear-Radioteleskop schließlich demontiert, um Platz für die Vergrößerung eines benachbarten Golfplatzes zu schaffen. Die Prioritäten hatten sich geändert.

Quelle: Jerry R. Ehman, "The Big Ear Wow! Signal (30th Anniversary Report) [25]", The Big Ear Radio Observatory, 28. Mai 2010 (mho [26])


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[3] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Das-Wow-Signal-oder-Ist-da-jemand-4856930.html
[4] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Moduliert-da-etwa-jemand-Galaxienkerne-4863668.html
[5] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Die-Geister-Planeten-um-einen-Untoten-4868767.html
[6] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Koennen-Sterne-einfach-verschwinden-4874139.html
[7] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Der-unmoegliche-Dreifachstern-KIC-2856960-4879760.html
[8] https://www.heise.de/news/Die-X-Akten-der-Astronomie-Das-Raetsel-der-Braunen-Riesen-4883765.html
[9] https://www.heise.de/news/Die-X-Akten-der-Astronomie-Die-Geheimnisse-des-Walnuss-Monds-4889489.html
[10] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Der-hyperschnelle-Kugelsternhaufen-HVGC-1-4903025.html
[11] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Auf-der-Suche-nach-Dyson-Sphaeren-4909802.html
[12] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Die-spukhafte-Leoncino-Zwerggalaxie-4915903.html
[13] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Die-raetselhaften-Radiosignale-aus-dem-Untergrund-4922569.html
[14] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Der-dunkle-Beschleuniger-4928084.html
[15] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Radioblitze-vom-anderen-Ende-des-Universums-4934391.html
[16] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-KIC-8462852-von-grossen-und-kleinen-Abtauchern-4941203.html
[17] http://bigear.org/
[18] http://bigear.org/
[19] http://bigear.org/
[20] https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wow_signal_profile.svg
[21] https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en
[22] https://arxiv.org/abs/astro-ph/0201061
[23] https://www.heise.de/news/Neue-Theorie-zum-Wow-Signal-3740413.html
[24] https://www.heise.de/news/Astronomie-Hinweis-auf-Zusammenhang-zwischen-Fast-Radio-Bursts-und-Magnetaren-4857791.html
[25] http://bigear.org/Wow30th/wow30th.htm
[26] mailto:mho@heise.de