zurück zum Artikel

Die X-Akten der Astronomie: Der dunkle Beschleuniger

Alderamin
Die X-Akten der Astronomie: Der dunkle Beschleuniger

(Bild: Frank Vincentz, CC BY-SA 3.0, heise online)

Seit 30 Jahren rätseln Astronomen über eine Quelle immens energiereicher Gammastrahlung. Der jüngste Erklärungsversuch ist ziemlich komplex.

Dank immer besserer Technik, innovativen Ansätzen und internationaler Kooperation erlebt die Astronomie eine Blüte. Doch während viele Beobachtungen dabei helfen, Theorien zu verfeinern oder auszusortieren, gibt es auch immer wieder Entdeckungen, die einfach nicht zu passen scheinen. Mysteriöse Signale, mutmaßliche Verstöße gegen Naturgesetze und – noch – nicht zu erklärende Phänomene. In der Öffentlichkeit wird dann gerne darüber diskutiert, ob es sich um Spuren außerirdischer Intelligenz handelt, Wissenschaftler wissen, dass es am Ende fast immer eine natürliche Erklärung gibt. Aber überall wird die Fantasie angeregt.

In einer Artikelserie auf heise online werden wir in den kommenden Wochen einige solcher astronomischen Anomalien aus einer jüngst vorgestellten Sammlung [1] vorstellen und erklären, warum alle Erklärungsversuche bislang an ihnen scheitern.

Die X-Akten der Astronomie

Cygnus OB2 ist ein Sternhaufen, in dem es zur Sache geht. Er besteht aus zahlreichen, dicht gepackten jungen Sternen der heißesten Spektralklassen O und B, er enthält den Mikroquasar Cygnus X-3 und kürzlich fand man dort den erst zweiten bekannten Fall eines Gammastrahlen-Doppelsternsystems mit einem Pulsar als Quelle. In derselben Gegend fanden Astronomen vor knapp 30 Jahren eine Gammastrahlenquelle ohne Gegenstück bei anderen Wellenlängen. Woher stammt die Strahlung im Teraelektronenvolt-Bereich?

Astronomische Objekte senden elektromagnetische Strahlung nicht nur in Form von Licht mit Wellenlängen zwischen 400 und 800 nm (Nanometern [17]) aus, sondern über ein breites Spektrum von kilometerlangen Radiowellen bis hinauf zur Röntgen- (10 nm bis hinunter zu 0,005 nm) und der noch kurzwelligeren Gammastrahlung. Die Photonen haben bei diesen Wellenlängen so hohe Energien, dass sie Atomkerne zertrümmern können. Da sie eher sporadisch denn als kontinuierlicher Fluss eintreffen, gibt man nicht mehr ihre Wellenlänge an, sondern üblicherweise ihre Energie in Elektronenvolt. Lichtphotonen haben ein paar eV, Röntgenphotonen zwischen 100 und 10.000. Photonen der Gammastrahlung tragen 100.000 eV (100 keV) und mehr. Manchmal milliardenfach mehr.

Gammastrahlung entsteht im All bei folgenden Prozessen [18]:

Gammastrahlen-Astronomie von der Erde aus ist nicht einfach. Die Gammastrahlung erreicht den Erdboden (zum Glück für uns!) nicht. Daher wurden Gammastrahlen-Weltraumteleskope wie Swift [22], Integral [23] und das Fermi-Gammastrahlen-Weltraumteleskop [24] in den Weltraum geschossen. Sie spüren Strahlung im Bereich von 100 keV = 105 eV und 10 GeV = 1010 eV auf.

Wikimedia Commons

Eines der beiden 17 Meter durchmessenden MAGIC-Tscherenkow-Teleskope am Roque de Las Muchachos auf La Palma, Kanarische Inseln. Der riesige Segmentspiegel bündelt das Licht der von hochenergetischen Gamma-Photonen in der Atmosphäre verursachten äußerst lichtschwachen Tscherenkow-Blitze auf eine Matrix von Restlichtverstärkern im weißen Kasten links, der hier anscheinend zur Wartung zum Podest hinab geschwenkt wurde.

(Bild: Frank Vincentz, Wikimedia Commons [25], CC BY-SA 3.0 [26])

Gammaquanten noch höherer Energie von 1 GeV bis 100 TeV (1 TeV = 1012 eV) kann man jedoch wieder von der Erde aus nachweisen – indirekt. Sie lösen Kaskaden von Teilchen in der Atmosphäre oberhalb von 30 Kilometern aus, deren Tscherenkow-Lichtblitze [27] man zurückverfolgen muss, um die Quelle zu orten. Dies geschieht mit Tscherenkow-Teleskopen wie MAGIC (La Palma, kanarische Inseln), H.E.S.S. (Khomas-Region, Namibia) oder VERITAS (südlich von Tucson, Arizona). Bei diesen handelt es sich um sehr große (12 bis 28 Meter Durchmesser), aus Segmenten zusammengesetzte Spiegel, die das blaue, ultraschwache Tscherenkow-Licht auf eine Matrix von Restlichtverstärkern bündeln (z.B. 100×100 Pixel mit ca. 1/10° Blickfeld pro Pixel).

Mehrere (2 bis 5) Teleskope schauen auf die gleiche Stelle des Himmels und können so ein räumliches Bild des Tscherenkow-Lichtkegels aufnehmen, das eine Rückverfolgung der Ursprungsrichtung des eingeschlagenen Gammaquants erlaubt. Ein "Gammabild" (Signifikanzkarte) einer Quelle entsteht über viele Wochen Beobachtungszeit, über welche die Herkunftsorte der registrierten Tscherenkow-Blitze mit Mitteln der Statistik zurückverfolgt werden. Das sich ergebende Bild ist pixelig, aber wesentlich besser aufgelöst, als es die Zahl der Restlichtverstärker-Pixel vermuten lässt.

Sternassoziationen sind eher kleine Sternhaufen mit einigen wenigen bis zu 100 Sternen, die nur locker gebunden und im Begriff sind, auseinander zu driften. Oft sind es junge, heiße Sterne der Spektralklassen O (Oberfläche heißer als ca. 35.000 K) und B (heißer als 10.000 K). Solche Sterne werden wegen ihres hohen Brennstoffverbrauchs nur ein paar Millionen alt und entfernen sich nicht weit von ihrem Geburtsort. Die wohl bekannteste OB-Assoziation, Orion OB1, besteht aus den Gürtelsternen des Orions, den Sternen von Orions Schwert (mit dem Orionnebel) und einigen weiteren Sternen in deren Umgebung.

Viel größer und massereicher ist die Assoziation Cygnus OB2 im Sternbild Schwan, die einige der leuchtkräftigsten Sterne enthält, die wir kennen, wie etwa Cyg OB2 #12 mit 110 Sonnenmassen und 1,67 Millionen Sonnenleuchtkräften. Leider sind die 5500 Lichtjahre entfernten Sterne hinter sehr viel Staub in der Milchstraßenebene verborgen, sonst erschienen sie uns heller als die Sterne des Oriongürtels. In Cygnus OB2 wurde 1966 die Röntgenquelle Cygnus X-3 entdeckt (das X steht für X-ray = Röntgenstrahlung). Seit 1983 weiß man, dass sie auch Gammastrahlung bis 1016 eV (10 PeV) aussendet. Cygnus X-3 ist ein Mikroquasar [28], der aus einem heißen blauen Stern und wahrscheinlich einem Schwarzen Loch (oder Neutronenstern) mit Akkretionsscheibe besteht, von der seine Gamma- und Röntgenstrahlung ausgeht.

Ein ukrainisches Team um Yu. I. Neshpor, O. R. Kalekin und A. A. Stepanjan beobachteten im September und Oktober 1993 Cygnus X-3 mit ihrem Tscherenkow-Teleskop GT-48 [29] in den Bergen der Krim-Halbinsel und fanden 0,7° nördlich von Cygnus X-3 eine bei Energien von mehr als 1 TeV im Vergleich zu Cygnus X-3 zehnmal hellere Gammaquelle. Sie gaben ihre Himmelskoordinaten mit 20h32m Rektaszension / +41°37’ Deklination an. Die Rektaszension ist der Längengrad des Himmelskoordinatensystems und wird zu 24h für den Vollkreis gezählt; die Deklination sind die Breitengrade von -90° am Himmelssüdpol bis +90° am Himmelsnordpol (nahe des Polarsterns), weiter unterteilt in Bogenminuten und –sekunden.

Die Gammaleuchtkraft der von Neshpor et al. entdeckten neuen Quelle lag etwa in der Größenordnung derjenigen des Krebsnebels, eines bekannten Supernova-Überrestes, der die stärkste Quelle kontinuierlicher Gammastrahlung am Himmel überhaupt ist. Die Position war nicht fürchterlich genau, da die GT-48-Kameras nur über 37 Pixel in Form von Restlichtverstärkerröhren verfügen; der Fehlerbereich hatte einen Radius 0,2° (12 Bogenminuten).

2002 wurde die Quelle von einer halb deutsch, halb internationalen Gruppe um Felix A. Aharonian mit dem HEGRA-Tscherenkow-Teleskop auf La Palma "wiederentdeckt". Sie verorteten die Quelle bei 20h32m / +41°30’, fanden aber nur eine Leuchtkraft von 3% des Krebsnebels. An der entsprechenden Position fanden sie keinerlei Objekt bei anderen Wellenlängen. Weder einer der hellen Sterne noch eine Röntgenquelle fanden sich im Fehlerbereich um die ermittelte Position. Dies war die erste Gammastrahlenquelle, für die sich keinerlei bei anderen Frequenzen sichtbares Gegenstück fand. Aharonian et al. stellten eine Ausdehnung der Quelle über 5,6±1,7 Bogenminuten fest. 5,6 Bogenminuten sind rund 1/5 des Vollmonddurchmessers – auf die 5500 Lichtjahre Distanz von OB2 entspricht dieser Winkel schon einer beachtlichen Strecke von 9 Lichtjahren.

arXiv

HEGRA-Gammabild der neuen Teraelektronenvolt- (TeV) Quelle bei 20h32m Rektaszension (RA) / +41°30’ Deklination. Die Pixelfarbe gibt mit zunehmend dunklerem Grau die Zahl der Tscherenkow-Ereignisse mit Quelle im jeweiligen Pixel an, das heißt die stärkste Strahlung stammt aus der dunkelsten Gegend des Bildes. Der große schwarze Kreis markiert das Zentrum der Assoziation Cygnus OB2. Die Position des schon bekannten Mikroquasars Cygnus X-3 ist mit einem Kreuz markiert. Die Ellipse markiert den mit 95 Prozent Signifikanz begrenzten Ort einer anderen, vom EGRET-Instrument des Weltraumteleskops Compton entdeckten Gammastrahlenquelle 3EG J2033+4118. Die unregelmäßig geformten Linien zeigen die vom Röntgen-Weltraumteleskop ASCA (GIS-Instrument) gemessenen Konturen von Röntgenquellen an. Nichts von alledem fällt mit der neuen Gammaquelle zusammen.

(Bild: Aharonian et al., arXiv [30])

Als mögliche Quelle vermuten Aharonian et al. kollidierende Sternwinde der O- und B-Sterne, in denen schnelle, durch die Magnetfelder der Sterne beschleunigte Protonen (Wasserstoffkerne), Elektronen und Alpha-Teilchen (Heliumkerne) mit den Atomen der umgebenden, dichten Gaswolke kollidieren, aus der in OB2 neue Sterne entstehen. Dabei würden als Sekundärteilchen neutrale π0 Pionen [31] entstehen, das sind ungeladene Mesonen aus entweder einem Up- /Anti-Up- oder einem Down-/Anti-Down-Quarkpaar, die sich nach der unvorstellbar kurzen Zeit von im Mittel 84 Attosekunden (8,4×10−17s) gegenseitig zu Gammaphotonen paarvernichten.

TeV-Energien können nur entstehen, wenn die Sternwindteilchen extrem hohe kinetische Energien mitbringen, denn der Pionenzerfall selbst erzeugt nur Gammaquanten von 70 MeV. Dafür eher infrage kommen könnte ein Jet, in dessen Magnetfeldern geladene Teilchen auf relativistische Geschwindigkeiten beschleunigt werden. Jets gibt es um neu entstehende Sterne, auf die noch Staub und Gas einfällt (T-Tauri-Phase [32] der Sternentwicklung) oder um einen Mikroquasar [33]. Neben Cygnus X-3, der einen bipolaren Jet zu haben scheine, welcher in Richtung auf die neue Quelle ausgerichtet sei, sei auch die nahe gelegene Gammaquelle 3EG J2033+4118 möglicherweise ein Mikroquasar, schreiben Aharonian et al. in ihrer Arbeit.

Die neue Quelle bekam nach der Energie ihrer Strahlung und ihren Koordinaten bald die Bezeichnung TeV J2032+4130. Etwas seltsam war der Befund, dass die Quelle laut Neshpor Anfang der 1990er Krebsnebel-Leuchtkraft gehabt haben soll, (etwa 3·10-11 Gammaphotonen pro Sekunde und Quadratzentimeter oberhalb von 1 TeV; das entspricht etwa einem Photon pro Quadratkilometer alle 3 Sekunden), bei Aharonian jedoch nur 3 Prozent davon. Auch Neshpors Team selbst konnte bei späteren Beobachtungen mit GT-48 den ursprünglichen hohen Pegel nicht bestätigen.

Um die hohe Leuchtkraft Anfang der 1990er unabhängig zu verifizieren, suchten Mark J. Lang, David A. Carter-Lewis und andere in archivierten Daten des IACT-Tscherenkow-Teleskops am Fred-Lawrence-Whipple-Observatoriums südlich von Tucson, Arizona, von dem sie wussten, dass es von 1988 bis 1990 Cygnus X-3 beobachtet hatte, nach der Signatur von TeV J2032+4130. Das Teleskop hatte eine 109-Pixel-Restlichtverstärker-Matrix mit 3,5° Blickfeld, also müsste auch die neue Quelle, die 0,5° von Cygnus X-3 entfernt ist, im Blickfeld gewesen sein, als dieses auf Cyg X-3 gerichtet war. Die gesamten Beobachtungsdaten des Teleskops waren Anfang der 1990er auf DAT-Band (für die jüngeren Leser: Digital Audio Tape) kopiert worden. Im folgenden Jahrzehnt war ein neues Auswertungsverfahren namens "Supercuts" für Tscherenkow-Aufnahmen entwickelt worden, welches die Empfindlichkeit für nachgewiesene Strahlung wesentlich erhöhte und das heute noch das Standardverfahren in der Tscherenkow-Astronomie ist.

Mit diesem Verfahren analysierten Lang et al. die archivierten IACT-Daten und fanden einen Überschuss von 242 Ereignissen 0,6° nördlich von Cygnus X-3, und damit an der Position von TeV J2032+4130. Dies entsprach 12 Prozent der Gamma-Helligkeit des Krebsnebels. Die schlechte Auflösung des Sensors erlaubte keine Bestimmung der Ausdehnung der Quelle.

Offenbar war die Helligkeit der Quelle variabel, obwohl keine der bis dahin vorliegenden Messungen eine Veränderung innerhalb der jeweiligen oft mehrwöchigen Dauer der Messung festgestellt hatte. Zu den in Aharonian aufgezählten Hypothesen über die Natur der Quelle hatten sich inzwischen weitere in der Fachliteratur geäußerte gesellt:

Keine der Hypothesen ließ sich abschließend bestätigen und so bekam TeV J2032+4130 in Ermangelung einer sichtbaren Quelle bald den Spitznamen "Dunkler Beschleuniger". Was muss man tun, wenn man aufgrund der vorliegenden Daten nicht entscheiden kann, womit man es zu tun hat? Richtig, noch mehr Daten sammeln, in möglichst vielen Bändern. Quellen harter Gammastrahlung sind oft auch im Radio- und Röntgenfrequenzbereich aktiv, und so nahmen Yousaf M. Butt, Jorge A Combi und sechs weitere Autoren 2006 den Dunklen Beschleuniger von beiden Enden des elektromagnetischen Spektrums in die Zange, wobei sie einerseits auf frühere Messungen des Westerbork Synthesis Radio Telescope WSRT, Niederlande, zurückgriffen, sowie eigene Aufnahmen mit dem Very Large Array VLA, New Mexico, USA, durchführten. Auf der anderen Seite des Spektrums analysierten sie Aufnahmen von Cygnus OB2 mit den Weltraumteleskopen Chandra (Röntgenstrahlung) und INTEGRAL (Gammastrahlung), sowie Infrarotdaten aus dem 2 Mikron All Sky Survey 2MASS. Infrarotlicht durchdringt bekanntlich den interstellaren Staub.

arXiv

Radioaufnahmen des Westerbork Synthesis Radio Telescope WSRT bei 1,4 GHz von der Umgebung um den Dunklen Beschleuniger TeV J2032+4130.
Links: Der rote gestrichelte Kreis markiert den 1σ-Fehlerbereich (Wahrscheinlichkeit, dass die Quelle in diesem Bereich enthalten ist: 67 Prozent) der HEGRA-Messung für die ausgedehnte Quelle von Aharonian et al., die blaue strichpunktierte Ellipse zeigt den 1σ-Bereich für die von Lang et al. in den Daten des IACT-Whipple-Tscherenkow-Teleskops aufgespürte Gammastrahlenquelle, die aufgrund der geringen Auflösung von IACT auch punktförmig sein könnte. Beide überlappen sich und in der Nähe der Überlappung zeigt WSRT eine bipolare Radioquelle. Die grün-blaue X-förmige Emission im oberen Teil der Ellipse ist thermischer Natur (warmes Gas) und kann keine harte Gammastrahlung erzeugen.
Rechts: Der im linken Bild markierte Ausschnitt um die bipolare Quelle ist hier vergrößert. Dem Radiobild überlagert sind Infrarotquellen aus 2MASS (Dreiecke), Röntgenquellen des Chandra-Weltraumteleskops (Quadrate) und einige beschriftete Sterne (Sternsymbole). Nahe dem Zentrum der bipolaren Quelle liegen zwei mit A und B bezeichnete Chandra-Röntgenquellen sowie eine 2MASS-Infrarotquelle.

(Bild: Y.M. Butt et al., arXiv [35])

Wie im Bild oben links zu sehen, fanden Butt et al. bei 1,4 GHz im Fehlerbereich der IACT-Whipple-Quelle und nicht weit vom Bereich der HEGRA-Quelle eine bipolare Radioquelle, wie sie etwa ein in zwei Richtungen ausgestoßener Jet verursacht. Die Quelle ist nicht-thermisch, das heißt sie wird nicht von heißem Gas verursacht.

Dem Zentrum der bipolaren Quelle am nächsten fanden Butt et al. ein infrarot leuchtendes 2MASS-Objekt, etwas weiter entfernt zwei Chandra-Quellen A und B. Kein Objekt fand sich im exakten Zentrum. Über die 2MASS-Quelle war nichts Genaues bekannt, nicht einmal die Entfernung, da es kein Spektrum von ihr gab – sie könnte ein Hintergrund-Objekt sein, ein aktiver Galaxienkern, der für die Radiojets verantwortlich ist. Es könnte aber auch ein Mikroquasar oder ein Neutronenstern sein, aber Butt et al. neigten eher zu einer Radiogalaxie, die mit der Gammastrahlung nichts zu tun hat.

Noch eine Aufnahme des WSRT, diesmal bei 350 MHz. Rot kurzgestrichelt der Bereich der HEGRA-Quelle, gelb langgestrichelt die IACT-Quelle. Die bipolare Quelle aus dem Bild zuvor ist die helle Ellipse mit rotem Zentrum mittig am oberen Bildrand; sie kann wegen der größeren Wellenlänge bei 350 MHz nicht in ihre zwei Keulen aufgelöst werden. Nahe der Bildmitte auf dem Rand der gelben Ellipse liegt eine diffuse Radioquelle nichtthermaler Strahlung, in der sich auch die beiden Chandra-Röntgenquellen X1 und X2 befinden. Die übrigen kleinen roten Kreuze sind ebenfalls Chandra-Röntgenquellen. Chandras Beobachtungen decken nicht das gesamte hier gezeigte Blickfeld ab.

Noch eine Aufnahme des WSRT, diesmal bei 350 MHz. Rot kurzgestrichelt der Bereich der HEGRA-Quelle, gelb langgestrichelt die IACT-Quelle. Die bipolare Quelle aus dem Bild zuvor ist die helle Ellipse mit rotem Zentrum mittig am oberen Bildrand; sie kann wegen der größeren Wellenlänge bei 350 MHz nicht in ihre zwei Keulen aufgelöst werden. Nahe der Bildmitte auf dem Rand der gelben Ellipse liegt eine diffuse Radioquelle nichtthermaler Strahlung, in der sich auch die beiden Chandra-Röntgenquellen X1 und X2 befinden. Die übrigen kleinen roten Kreuze sind ebenfalls Chandra-Röntgenquellen. Chandras Beobachtungen decken nicht das gesamte hier gezeigte Blickfeld ab.

(Bild: Y.M. Butt et al., arXiv [36])

Bei 350 MHz zeigte sich in den WSRT-Daten noch eine schwache, ausgedehnte Quelle 5 Bogenminuten südwestlich der bipolaren Quelle. Auch diese Quelle ist nichtthermal und sie liegt in der Verlängerung des mutmaßlichen Jets der bipolaren Quelle aus dem Bild vorher. Sie enthält zwei stärkere Röntgenquellen X1 und X2, allerdings gibt es zahlreiche Chandra-Quellen im Bild (rote ×e), so dass dies auch ein Zufall sein könnte. Die diffuse Quelle passt besser zu den HEGRA-Koordinaten und sie ist ausgedehnt, wie die HEGRA-Quelle es gewesen sein soll, wenn auch nur halb so groß wie die bei HEGRA angegeben 6 Bogenminuten. Die Natur der Quelle ist unklar.

Mit dem empfindlicheren VLA fanden Butt et al. noch eine bei 4,8 GHz leuchtende, unterbrochene, annähernd ringförmige Struktur, deren Rand in etwa mit dem HEGRA-Fehlerbereich zusammenfällt. Es könnte sich dabei um einen expandierenden Supernovarest in OB2 handeln, der bei einem Durchmesser von etwa 10 Lichtjahren etwa 500 Jahre alt sein dürfte. Die nur schwach zusammenhängende, eher angedeutete Struktur könnte auch auf kollidierende Schockwellen der Sternwinde der kraftvollen O- und B-Sterne in OB2 zurück zu führen sein. Beide Phänomene könnten Gammastrahlung hervorbringen. Der vermeintliche Ring könnte aber auch nur ein Artefakt der Messung sein. Das Blickfeld des VLA ist sehr klein und das Bild wurde aus mehreren Einzelaufnahmen kombiniert. Es könnte sein, dass ganz OB2 ähnliche Strukturen aufweist.

Möglicherweise, so mutmaßen Butt et al. weiter, könnten die Quellen von IACT-Whipple und HEGRA auch verschieden gewesen sein: die bipolare Quelle für IACT einerseits und die diffuse 350-MHz-Quelle für HEGRA andererseits. Obwohl Butt et al. ihren Aufsatz 2006 mit "TeV J2032+4130: Ein doch nicht so dunkler Beschleuniger?" betitelt hatten, kamen sie der Natur der Quelle nicht näher. Sie verwiesen auf die Notwendigkeit weiterer Beobachtungen mit der jüngsten Generation von Tscherenkow-Teleskopen, die eine genauere Lokalisierung der Quelle ermöglichen sollten: VERITAS (als Nachfolger von IACT) am Fred-Whipple-Observatorium und MAGIC (als Nachfolger von HEGRA) auf der Kanarenisel La Palma.

MAGIC [37] besteht aus zwei Tscherenkow-Teleskopen mit 17 Metern Durchmesser mit je 396 Restlichtverstärker-Pixeln. Das erste Teleskop wurde 2004, das zweite 2009 in Betrieb genommen. Das erste MAGIC-Ergebnis zum Dunklen Beschleuniger kam schon 2008: MAGIC bestätigte die HEGRA-Messungen bezüglich Leuchtkraft und Ausdehnung der Quelle. Die Position der Quelle verortete MAGIC bei 20h32m20s und damit 0,1° weiter östlich als HEGRA (in den Bildern oben: weiter links), also etwas weiter weg von der bipolaren Quelle, aber auch von der diffusen Quelle von Butt et al.

Der Pulsar PSR J2032+4127, aufgenommen mit dem Large Area Telescope des Fermi-Gammastrahlen-Weltraumteleskops. Der Pulsar befindet sich in beiden Bildern zentriert in der Bildmitte. Links ist er bei einem Puls zu sehen, rechts außerhalb eines Pulses.

Der Pulsar PSR J2032+4127, aufgenommen mit dem Large Area Telescope des Fermi-Gammastrahlen-Weltraumteleskops. Der Pulsar befindet sich in beiden Bildern zentriert in der Bildmitte. Links ist er bei einem Puls zu sehen, rechts außerhalb eines Pulses.

(Bild: Camilo et al., arXiv [38])

2009 entdeckte eine Gruppe von Radioastronomen mit dem 100m-Green-Bank-Radioteleskop bei einer Radiofrequenz von 2 GHz einen bis dahin unbekannten Pulsar, PSR J2032+4127, nur 0,07° (4 Bogenminuten) vom Zentrum der HEGRA-Detektion entfernt (siehe nächstes Bild). Auf die Entfernung von OB2 wären das etwa 7 Lichtjahre an auf die Himmelskugel projizierter Distanz. Die Pulsrate bestimmten sie zu 143 Millisekunden (7 Pulse pro Sekunde) und mutmaßten, dass das Objekt mit der eingangs genannten Gammaquelle 3EG J2033+4118 identisch sein dürfte. In der ursprünglichen Arbeit auf die doppelte Entfernung von OB2 geschätzt, wurde diese nach einer Messung seiner Gamma-Leuchtkraft in einer späteren Arbeit auf 5500 Lichtjahre korrigiert – und damit mitten in OB2 hineinversetzt. Fortwährende Messungen der Pulsrate des Pulsars erlaubten die Bestimmung, um welchen Betrag sich die Rotation des Pulsars verringert, dessen rotierendes Magnetfeld seine Rotation verlangsamt. Dies ist der Motor der Pulsarstrahlung: Aus der Verlangsamungsrate folgt die Leistung der magnetischen Bremse, die der Pulsar in Form von Strahlung abgeben muss: 2,7·1027 W. Gemäß seiner aktuellen Pulsfrequenz und Verlangsamungsrate sollte der Pulsar auf eine Supernova vor etwa 110.000 Jahren zurückgehen.

Mehrere Wissenschaftler sahen sofort einen Zusammenhang des Pulsars mit dem Dunklen Beschleuniger. Wissenschaftler der am VERITAS-Tscherenkow-Teleskop [39] beteiligten Institute (VERITAS-Kollaboration) richteten das 2007 in Dienst gestellte Gerät auf OB2, um eine mögliche Verbindung zwischen PSR J2032+4127 und TeV J2032+4130 zu verifizieren. VERITAS besteht aus vier 12-Meter-Spiegelteleskopen mit 499-Pixel-Restlichtverstärker-Matrizen. Es kann eine Punktquelle mit einem Prozent der Leuchtkraft des Krebsnebels binnen 30 Stunden Beobachtungszeit mit 5σ Signifikanz detektieren (99.999943 Prozent Wahrscheinlichkeit, dass eine vorhandene Quelle aufgespürt wird) und auf 0,08° (4,8 Bogenminuten) genau lokalisieren. Die Daten wurden zwischen 2009 und 2012 gesammelt und 2014 veröffentlicht.

VERITAS-Gammastrahlen-Signifikanzkarte der Region um den Dunklen Beschleuniger. Die räumliche Auflösung für die Lokalisierung einzelner Gammaphotonen ist geringer als die Auflösung der Messung. Durch die Kombination zahlreicher Messungen wird die Lokalisierungsgenauigkeit erhöht. Die Signifikanz gemessen in σ (Sigma = Standardabweichung) zeigt an, wo die Wahrscheinlichkeit der Herkunft für die zufällig streuenden Einzelmessungen am größten ist.Die rote Zone entspricht der Gammastrahlung des Dunklen Beschleunigers TeV J2032+4130. Der blaue Stern markiert die Position des neu entdeckten Pulsar PSR J2032+4127, das schwarze Dreieck die Position von Cygnus X-3. Die beiden roten Punkte zeigen die Orte, auf die die Teleskope abwechselnd gerichtet wurden, um genauere Ergebnisse zu erzielen ("Wobble-Modus").

VERITAS-Gammastrahlen-Signifikanzkarte der Region um den Dunklen Beschleuniger. Die räumliche Auflösung für die Lokalisierung einzelner Gammaphotonen ist geringer als die Auflösung der Messung. Durch die Kombination zahlreicher Messungen wird die Lokalisierungsgenauigkeit erhöht. Die Signifikanz gemessen in σ (Sigma = Standardabweichung) zeigt an, wo die Wahrscheinlichkeit der Herkunft für die zufällig streuenden Einzelmessungen am größten ist.
Die rote Zone entspricht der Gammastrahlung des Dunklen Beschleunigers TeV J2032+4130. Der blaue Stern markiert die Position des neu entdeckten Pulsar PSR J2032+4127, das schwarze Dreieck die Position von Cygnus X-3. Die beiden roten Punkte zeigen die Orte, auf die die Teleskope abwechselnd gerichtet wurden, um genauere Ergebnisse zu erzielen ("Wobble-Modus").

(Bild: VERITAS Collaboration, arXiv [40])

Die Autoren der VERITAS-Kollaboration fanden den Dunklen Beschleuniger zentriert bei 20h31m40s und +41°33’53“ mit einer Ausdehnung von 9,5×4.0 Bogenminuten. Seine ellipsenförmige Ausdehnung ist mit der Längsachse auf die Position des Pulsars PSR J2032+4127 ausgerichtet. Die Leuchtkraft oberhalb 1 TeV wurde mit 4,3 Prozent des Krebsnebels bestimmt. Dies entspricht 0,3 Prozent der oben genannten Leistung, die der Pulsar durch die magnetische Abbremsung verliert und abstrahlt. Die Abstrahlung des Pulsars käme als Quelle für die Gammastrahlung ohne Weiteres infrage.

Ein Vergleich mit Aufnahmen bei anderen Wellenlängen (Infrarotstrahlung bei 8 und 24 µm und Radiostrahlung bei 1,4 GHz) zeigt an der entsprechenden Stelle nichts als Dunkelheit – in allen Aufnahmen ist gerade dieser Bereich als dunkler Fleck ausgespart, was sicherlich kein Artefakt ist. Derart große dunkle Zonen sind in OB2 eher selten. Als Ursache könne eine dichte, kühle Staubwolke herhalten, die den Hintergrund verdecke, aber dagegen spreche ihre Größe und das Fehlen einer bei solchen Wolken typischerweise beobachteten charakteristischen fleckigen Struktur, schreiben die VERITAS-Autoren.

Vergleich der VERITAS-Signifikanzkarte (a) mit 1,4-GHz-Radioaufnahmen des Canadian Galactic Plane Surveys CGPS (b) und Infrarotaufnahmen des Spitzer-Weltraumteleskops bei 24 µm und 8 µm. Die Konturen verschiedener Signifikanzwerte (4σ - 8σ) der VERITAS-Messung sind in den Bildern b, c und d als helle Linien überlagert. Interessanterweise erscheint die VERITAS-Quelle auf den anderen Aufnahmen dunkel und leer zu sein. Grüne Kreise zeigen die Positionen von O- und B-Sternen an, türkisfarbene Kreise markieren Orte der Sternentstehung. Es findet sich keine Häufung solcher Objekte im Bereich der VERITAS-Quelle.

Vergleich der VERITAS-Signifikanzkarte (a) mit 1,4-GHz-Radioaufnahmen des Canadian Galactic Plane Surveys CGPS (b) und Infrarotaufnahmen des Spitzer-Weltraumteleskops bei 24 µm (c) und 8 µm (d). Die Konturen verschiedener Signifikanzwerte (4σ - 8σ) der VERITAS-Messung sind in den Bildern b, c und d als helle Linien überlagert. Interessanterweise erscheint die VERITAS-Quelle auf den anderen Aufnahmen dunkel und leer zu sein. Grüne Kreise zeigen die Positionen von O- und B-Sternen an, türkisfarbene Kreise markieren Orte der Sternentstehung. Es findet sich keine Häufung solcher Objekte im Bereich der VERITAS-Quelle.

(Bild: VERITAS Collaboration, arXiv [41])

Eine weitere Möglichkeit wäre, dass die Sternwinde massiver O- und B-Sterne die Zone leer geweht haben könnten, welche auch die Gammastrahlung als Folge von Partikelkollisionen hervorbringen könnten. Die Karte oben zeigt jedoch, dass solche Sterne im Bereich der VERITAS-Quelle nicht gehäuft auftreten, wie man es in diesem Falle erwartet hätte.

Schließlich wäre eine Supernova eine mögliche Ursache, deren Stoßwelle den Bereich frei geräumt hat. Butt et al. hatten ja bereits spekuliert, die Ringstruktur der Stoßwelle einer Supernova vor 500 Jahren auf ihrer VLA-Aufnahme entdeckt zu haben, aber die Struktur ihrer mutmaßlichen VLA-Stoßfront ist viel kleiner als der Leerraum der VERITAS-Quelle. Eine viel ältere Supernova vor mehr als 30.000 Jahren könnte hingegen einen entsprechend großen Leerraum geschaffen haben. In diesem Fall wäre die Gammastrahlung allerdings nicht auf den Supernovarest zurück zu führen, denn dieser wäre längst abgekühlt und seine Teilchengeschwindigkeit zu gering geworden. Jedoch könnte ein "Pulsarwind-Nebel" des verbliebenen Pulsars die Gammastrahlung aussenden.

Ein Pulsarwind-Nebel [42], wie er etwa den Pulsar im Krebsnebel umgibt, wird von im hunderte Millionen Tesla starken Magnetfeld des Pulsars beschleunigten Teilchen erzeugt, die in umgebendes Gas rammen. Aufgrund von Bremsstrahlung oder durch bei Teilchenkollisionen produzierte und dann zerfallende Sekundärteilchen entsteht Gammastrahlung. Das könnte auch beim Dunklen Beschleuniger der Fall sein, denn der Leerraum ist nicht vollkommen frei von Teilchen, hier ist nur deren Dichte geringer; der Pulsarwind hat hier eine große Reichweite, trifft aber noch genug Teilchen, um Gammastrahlung zu erzeugen.

Als logische Pulsarquelle läge PSR J2032+4127 buchstäblich am nächsten. Er hätte sich demgemäß ursprünglich im Zentrum des Leerraums befunden, wo eine Supernova ihn und den umgebenden Leerraum hervorgebracht hätte, und er hätte sich danach binnen seines geschätzten Alters von 110.000 Jahren mit 51 km/s knapp 19 Lichtjahre weit nach Südosten vom Explosionsort entfernt. Die Gamma-Leuchtkraft von TeV J2032+4130 ist im Vergleich zu jüngeren Pulsarwind-Nebeln wie denjenigen im Zentrum des Krebsnebels oder um den Pulsar Geminga eher gering. Vergleicht man TeV J2032+4130 mit der anderen von Pulsarwind-Nebeln umgebenen Pulsaren verschiedenen Alters in Bezug auf Abbremsrate, Leuchtkraft des Nebels und dem Verhältnis von Röntgen- zu Gammaleuchtkraft, dann passt PSR J2032+4127 mit TeV J2032+4130 als zugehörigem Pulsarwind-Nebel genau ins Schema für einen rund 100.000 Jahre alten Pulsar.

Zwar schreiben die Autoren der VERITAS-Kollaboration, dass ein Ursprung der Gammastrahlung durch Sternwinde noch nicht ausgeschlossen werden könne, aber ein Pulsarwind-Nebel als Ursache erscheint deutlich plausibler. Case closed?

Es verblieb jedenfalls noch die Variabilität der Quelle zu deuten, denn fast jede Messung hatte eine andere Gamma-Leuchtkraft ergeben. Eine Auswertung langfristiger Beobachtungen der Röntgen-Weltraumteleskope Chandra, Swift-XRT, NuSTAR und XMM-Newton ergab, dass die Röntgenlichtkurve zusätzlich zu einem langfristig zunehmenden Trend Schwankungen um den Faktor 20 binnen Zeiträumen von Wochen zeigte.

Wiederholte Beobachtungen der Pulsrate von PSR J2032+4127 zeigten überraschenderweise, dass seine Bremsrate enorm zu schwanken schien. 2015 entdeckte man die Ursache dafür: der Pulsar umkreist einen B0Ve-Stern von 15 Sonnenmassen mit einer Umlaufzeit von 45 bis 50 Jahren auf einer stark elliptischen Bahn, was eine aufgrund der Richtungsänderung in Bezug auf die Erde entlang seiner gekrümmten Bahn variierende Dopplerverschiebung seiner Pulse verursacht. Der Stern trägt die Bezeichnung MT91 213. Spektralklasse B0Ve bezeichnet einen Stern der Spektralklasse B0 (30.000 K heiß, an der Grenze zum O-Stern), V ist die Leuchtkraftklasse und bedeutet "Zwergstern", also ein Hauptreihenstern mit Wasserstofffusion im Kern, und das "e" steht für Emission, das Spektrum enthält neben den dunklen Absorptionslinien helle Emissionslinien eines selbstleuchtenden Gases.

Absorption entsteht, wenn ein neutrales Gas durchleuchtet wird und die Elektronen in den Gasatomen Photonen bestimmter Energien absorbieren, die dann in der Durchsicht durch das Gas fehlen, wie das in der äußeren Sternatmosphäre (Chromosphäre) oberhalb des Plasmas (Photosphäre) passiert. Das Licht geht natürlich nicht verloren, sondern wird in zufälliger Richtung wieder abgestrahlt. Ist der Stern von sehr viel Gas umgeben, dann kann zur Seite abgestrahltes Licht zu hellen Emissionslinien führen, wenn diese durch den Dopplereffekt etwa bei einer rotierenden Gasscheibe gegen die dunklen Absorptionslinien verschoben oder aufgeweitet werden. Be-Sterne rotieren so schnell, dass sie am Äquator Gas verlieren, welches eine Scheibe um sie bildet, die sich durch ihre Emission verrät.

Genau so ein Stern ist MT91 212, den der Pulsar PSR J2032+4127 umkreist. Die beiden bilden das erst zweite bekannte Doppelsternsystem mit einer Röntgen- und Gammastrahlenquelle, die mit Sicherheit auf einen Pulsar zurückgeht. Die Bestimmung der Bahn ergab, dass das Periastron [43], also der Zeitpunkt, an dem sich die Sterne mit nur 1 AE Abstand am nächsten kommen würden, am 13. November 2017 bevorstand. Für diesen Zeitraum sowie einen Vergleichszeitraum im Jahr 2016 vereinbarten die VERITAS- und MAGIC-Kollaborationen, den Pulsar gemeinsam mit ihren Tscherenkow-Teleskopen zu beobachten. Außerdem wurde das Swift-XRT-Röntgenteleskop eingesetzt, um parallel die Röntgenlichtkurve aufzuzeichnen.

VERITAS sammelte 99,6 Stunden und MAGIC 87,9 Stunden an Daten in beiden Zeiträumen. Die Beobachtung der Periastron-Passage begann im September 2017, und zu dieser Zeit waren PSR J2032+4127 / MT91 213 im Gammastrahlenlicht bereits heller als TeV J2032+4130. Zum Periastron hin steigerte sich die Gammahelligkeit auf das Zehnfache von TeV J2032+4130.

Signifikanzkarten von VERITAS (links) und MAGIC (rechts) für die Gegend um PSR J2032+4127 summiert über die Beobachtungen im Herbst 2017. Die Position des Pulsars ist mit einem + markiert, das Zentrum der Gammastrahlung mit einem schwarzen Kreis. Die gestrichelten Ovale zeigen die von den jeweiligen Teleskopen gemessenen Bereiche der Quelle TeV J2032+4130, deren Zentrum durch ein schwarzes x markiert ist. Cygnus X-3 ist am unteren Bildrand als weiße Raute eingezeichnet. Die weißen xe zeigen die Positionen, auf welche die Teleskope jeweils abwechselnd gerichtet wurden (Wobble-Modus). Der weiße Kreis zeigt die räumliche Auflösung von 0,1° Radius für einzelne gemessene Gammaphotonen.

Signifikanzkarten von VERITAS (links) und MAGIC (rechts) für die Gegend um PSR J2032+4127 summiert über die Beobachtungen im Herbst 2017. Die Position des Pulsars ist mit einem + markiert, das Zentrum der Gammastrahlung mit einem schwarzen Kreis. Die gestrichelten Ovale zeigen die von den jeweiligen Teleskopen gemessenen Bereiche der Quelle TeV J2032+4130, deren Zentrum durch ein schwarzes x markiert ist. Cygnus X-3 ist am unteren Bildrand als weiße Raute eingezeichnet. Die weißen xe zeigen die Positionen, auf welche die Teleskope jeweils abwechselnd gerichtet wurden (Wobble-Modus). Der weiße Kreis zeigt die räumliche Auflösung von 0,1° Radius für einzelne gemessene Gammaphotonen.

(Bild: VERITAS & MAGIC Collaborations, arXiv [44])

Die Zunahme der Gammastrahlung führen die Autoren darauf zurück, dass der Pulsarwind in den Sternwind des näher kommenden B-Sterns rammt. Synchrotronstrahlung im Radio- und Röntgenbereich sowie Gammastrahlung durch inverse Comptonstreuung sind die Folge. Auch Zerfallkaskaden von Teilchen, die bei der Kollision kurzwelliger Photonen entstehen, tragen zur Strahlung bei. Schließlich könnte auch das Gas in der den Be-Stern umgebenden Scheibe, das für seine Emissionslinien verantwortlich ist, durch den Pulsarwind zur Abstrahlung von Röntgen- und Gammastrahlung angeregt werden. Diese Effekte nehmen stark zu, wenn sich beide Sterne nahe kommen.

Die Autoren stimmen mit der früheren Analyse der VERITAS-Kollaboration überein, dass der Pulsarwind von PSR J2032+4127 eine plausible Quelle für die Gammastrahlung des Dunklen Beschleunigers TeV J2032+4130 sei.

Das System ähnele dem Binärsystem PSR B1259-63 / LS 2883 aus einem Pulsar und einem O9Ve-Stern, dem anderen bekannten Gamma-Binärsystem, bei dem der kompakte Begleiter als Pulsar identifiziert ist. Auch hier nähern sich die Komponenten auf 1 AE, aber die Umlaufzeit ist mit 3,4 Jahren viel kürzer. Noch Monate nach dem Periastron produziert dieses System helle Gamma-Flares und stößt sich mit hoher Geschwindigkeit bewegende Plasmaklumpen aus, die durch die Interaktion zwischen dem Pulsar und der auch hier vorhandenen Gasscheibe um den Stern entstehen. Dies könnte auch bei PSR J2032+4127 / MT91 213 der Fall sein.

Die gröbere Auflösung der früheren Tscherenkow-Teleskope erlaubte nur das Summenlicht von PSR J2032+4127 und TeV J2032+4130 zu messen. Ob die mögliche Variabilität des Binärsystems für die schwankenden Helligkeitsmessungen der Tscherenkow-Teleskope verantwortlich war, bleibt aber weiterhin unklar und Gegenstand zukünftiger Beobachtungen. Auf jeden Fall hat sich die Quelle, die als möglicher Pulsarwind-Beschleuniger im Breakthrough-Listen Anomalien-Katalog verzeichnet ist, als weitaus komplexer herausgestellt, als man es sich ursprünglich hätte ausmalen können.

Quellen:

(mho [53])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4928084

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/news/SETI-Katalog-von-astrophysikalischen-Anomalien-fuer-Suche-nach-Ausserirdischen-4792267.html
[2] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Der-unmoegliche-Weisse-Zwerg-4848978.html
[3] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Das-Wow-Signal-oder-Ist-da-jemand-4856930.html
[4] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Moduliert-da-etwa-jemand-Galaxienkerne-4863668.html
[5] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Die-Geister-Planeten-um-einen-Untoten-4868767.html
[6] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Koennen-Sterne-einfach-verschwinden-4874139.html
[7] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Der-unmoegliche-Dreifachstern-KIC-2856960-4879760.html
[8] https://www.heise.de/news/Die-X-Akten-der-Astronomie-Das-Raetsel-der-Braunen-Riesen-4883765.html
[9] https://www.heise.de/news/Die-X-Akten-der-Astronomie-Die-Geheimnisse-des-Walnuss-Monds-4889489.html
[10] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Der-hyperschnelle-Kugelsternhaufen-HVGC-1-4903025.html
[11] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Auf-der-Suche-nach-Dyson-Sphaeren-4909802.html
[12] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Die-spukhafte-Leoncino-Zwerggalaxie-4915903.html
[13] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Die-raetselhaften-Radiosignale-aus-dem-Untergrund-4922569.html
[14] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Der-dunkle-Beschleuniger-4928084.html
[15] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Radioblitze-vom-anderen-Ende-des-Universums-4934391.html
[16] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-KIC-8462852-von-grossen-und-kleinen-Abtauchern-4941203.html
[17] https://de.wikipedia.org/wiki/Meter#nm
[18] https://imagine.gsfc.nasa.gov/science/toolbox/gamma_generation.html
[19] https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/licht/synchrotronstrahlung/physik-der-synchrotronstrahlung/
[20] https://www.leifiphysik.de/atomphysik/roentgen-strahlung/grundwissen/bremsstrahlung
[21] https://www.leifiphysik.de/quantenphysik/quantenobjekt-photon/grundwissen/compton-effekt
[22] https://de.wikipedia.org/wiki/Swift_(Satellit)
[23] https://de.wikipedia.org/wiki/Integral_(Satellit)
[24] https://de.wikipedia.org/wiki/Fermi_Gamma-ray_Space_Telescope
[25] https://commons.wikimedia.org/wiki/File:La_Palma_-_Garaf%C3%ADa_-_Roque_de_los_Muchachos_Observatory_-_MAGIC_16_ies.jpg
[26] https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en
[27] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Die-raetselhaften-Radiosignale-aus-dem-Untergrund-4922569.html?seite=all
[28] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Die-spukhafte-Leoncino-Zwerggalaxie-4915903.html?seite=2
[29] http://lerga.craocrimea.ru/Instr/gt48_en.html
[30] https://arxiv.org/abs/astro-ph/0207528
[31] https://de.wikipedia.org/wiki/Pion
[32] https://de.wikipedia.org/wiki/T-Tauri-Stern
[33] https://de.wikipedia.org/wiki/Mikroquasar
[34] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Moduliert-da-etwa-jemand-Galaxienkerne-4863668.html?seite=all
[35] https://arxiv.org/abs/astro-ph/0611731
[36] https://arxiv.org/abs/astro-ph/0611731
[37] https://de.wikipedia.org/wiki/MAGIC-Teleskope
[38] https://arxiv.org/abs/0908.2626
[39] https://en.wikipedia.org/wiki/VERITAS
[40] https://arxiv.org/abs/1401.2828
[41] https://arxiv.org/abs/1401.2828
[42] https://de.wikipedia.org/wiki/Pulsarwind-Nebel
[43] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Der-unmoegliche-Dreifachstern-KIC-2856960-4879760.html?seite=all
[44] https://arxiv.org/abs/1810.05271
[45] https://ui.adsabs.harvard.edu/abs/1995ICRC....2..385N/abstract
[46] https://www.aanda.org/articles/aa/abs/2002/38/aaeg242/aaeg242.html
[47] https://iopscience.iop.org/article/10.1086/374641
[48] https://www.aanda.org/articles/aa/abs/2004/32/aa1021/aa1021.html
[49] https://academic.oup.com/mnras/article/385/4/1764/1032141
[50] https://iopscience.iop.org/article/10.1088/0004-637X/705/1/1
[51] https://iopscience.iop.org/article/10.1088/0004-637X/783/1/16
[52] https://iopscience.iop.org/article/10.3847/2041-8213/aae70e
[53] mailto:mho@heise.de