Die X-Akten der Astronomie: Der unmögliche Dreifachstern KIC 2856960
In den Daten des Weltraumteleskops Kepler haben Astronomen ein System gefunden, das sich nur erklären lässt, wenn ein Keplersches Gesetz ausgesetzt wird.
Dank immer besserer Technik, innovativen Ansätzen und internationaler Kooperation erlebt die Astronomie eine Blüte. Doch während viele Beobachtungen dabei helfen, Theorien zu verfeinern oder auszusortieren, gibt es auch immer wieder Entdeckungen, die einfach nicht zu passen scheinen. Mysteriöse Signale, mutmaßliche Verstöße gegen Naturgesetze und – noch – nicht zu erklärende Phänomene. In der Öffentlichkeit wird dann gerne darüber diskutiert, ob es sich um Spuren außerirdischer Intelligenz handelt, Wissenschaftler wissen, dass es am Ende fast immer eine natürliche Erklärung gibt. Aber überall wird die Fantasie angeregt.
In einer Artikelserie auf heise online stellen wir einige solcher astronomischen Anomalien aus einer jüngst vorgestellten Sammlung [1] vor und erklären, warum alle Erklärungsversuche bislang an ihnen scheitern.
2018 veröffentlichten die britischen Astronomen Thomas R. Marsh, David J. Armstrong und Philip J. Carter eine Arbeit über einen vom Weltraumteleskop Kepler beobachteten Stern – KIC 2856960. Kepler hatte von 2009 bis 2012 ein Sternenfeld im Schwan ununterbrochen fixiert, um anhand kleiner Helligkeitsschwankungen der Sterne Exoplaneten aufzuspüren, die vor ihrem Stern durchziehen und ihn dabei geringfügig abschatten. Dabei gingen auch einige sich gegenseitig bedeckende Doppel- und Mehrfachsterne ins Netz.
In solchen Systemen lassen sich präzise Daten über die Temperatur und Größe in Abhängigkeit von der Masse eines Sterns ableiten, Daten, die bei Einzelsternen zum Teil nur schwer zu bestimmen sind. Deswegen ist die Analyse solcher Systeme so wichtig. Das System von KIC 2856960 war von anderen Autoren zuvor als aus drei Sternen bestehend identifiziert worden. Zu sehen ist jedoch nur ein einzelner heller Punkt am Himmel; die Natur des Systems lässt sich allein aus seiner Lichtkurve – und gegebenenfalls aus seiner Farbe und seinem Spektrum – erschließen.
Bei dem Versuch, aus der seltsamen Lichtkurve die Parameter des Systems zu ermitteln, scheiterten Marsh, Armstrong und Carter jedoch kläglich. Erst als sie eines der Keplerschen Gesetze der Planetenbewegung über den Haufen warfen, konnten sie die Lichtkurve annähernd reproduzieren – allerdings mit völlig unsinnigen physischen Parametern, die einen Stern größer als die Sonne mit einer Masse von nur drei Erden ergeben. Was geht vor in diesem System?
Ein Fixstern kommt selten allein
Mehrfachsterne sind nichts Ungewöhnliches. Etwa zwei Drittel aller Sterne befinden sich in Doppel- oder Mehrfachsystemen. Genauso wie Planeten sind sie eine unverzichtbare Möglichkeit für eine zu Sternen kollabierende, rotierende Gas- und Staubwolke, Drehimpuls zu deponieren, denn Drehimpuls ist eine Erhaltungsgröße. Die Materie kann nicht einfach auf ihren Schwerpunkt zustürzen, wenn sie eine kleine zufällige Rotation vollführt, und solche Wolken sind durch Einflüsse von außen wie Supernova-Schockwellen und galaktische Magnetfelder stets ein wenig turbulent. Wie ein Pirouetten drehender Eiskunstläufer, der Arme und Beine zur Drehachse hin zieht, dreht sich ein kollabierendes Fragment der Wolke immer schneller und die resultierende Fliehkraft verhindert, dass ein Teil der Materie ins Zentrum stürzt. Diese formt dann große Planeten oder Sternenpartner.
Unser Nachbarsystem Alpha Centauri ist beispielsweise dreifach. Der "obere" (nördliche) Zwilling Castor [17] sogar sechsfach, der mittlere Deichselstern des Großen Wagens, Mizar, mutmaßlich ebenso. Solche Systeme sind aber nur dann stabil, wenn sie hierarchisch organisiert sind, das heißt, wenn sich jeweils Sternpaare eng umkreisen und ihr Abstand zu anderen Komponenten oder Paaren sehr groß ist.
Alpha Centauri A und B [18] umkreisen sich eng und Proxima Centauri umkreist sie in großem Abstand. Mizar A und B [19] sind im Amateurteleskop leicht zu trennen und haben im "Reiterlein" Alkor (wahrscheinlich [20]) einen fernen Begleiter. Alle drei sind spektroskopisch doppelt, das heißt die Partner stehen so eng zusammen, dass sie sich nur durch im Spektrum verdoppelte Spektrallinien verraten, die im Laufe der Umkreisung wegen des Dopplereffekts hin- und herwandern. Das Castor-System ist genauso organisiert [21].
Kosmisches Schattentheater
KIC 2856960 verrät sich indessen durch seine Lichtkurve, also durch seine schwankende Helligkeit im Zeitverlauf. Er gehört zu den Bedeckungsveränderlichen: Wir schauen zufällig auf die Kante der Umlaufbahn der Sterne, sodass sie sich periodisch gegenseitig bedecken, und da während der Bedeckung weniger Sternenoberfläche zu sehen ist, erscheinen sie im Summenlicht dunkler. Der bekannteste Vertreter der Klasse ist Algol im Perseus, dessen Lichtwechsel sich auch aus der Stadt ohne optische Hilfsmittel sehr schön mit bloßem Auge verfolgen lässt [22].
Bei KIC 2856960 fand sich nun eine kurze Periode von 0,258 Tagen, mit einer Amplitude von 1 Prozent der Gesamthelligkeit – da wirbeln also zwei Sterne in nur 6 ¼ Stunden umeinander. Wahrscheinlich handelt es sich um zwei eng benachbarte Rote Zwerge.
Dass es sich um ein Dreifachsystem handelt, offenbart sich alle 204 Tage: in diesem Zeitintervall kommt es zu einer Reihe von bis zu 9 Abschattungen, die bis zu 8 Prozent Helligkeitsverlust des Gesamtsystems verursachen. Im selben Zeitintervall verschiebt sich der exakte Zeitpunkt (Epoche) der Bedeckungen der mutmaßlichen Roten Zwerge – nennen wir sie fortan "Binärsystem" oder "Binärpaar" – periodisch, was auf eine zyklisch variierende Lichtlaufzeit zum Beobachter schließen lässt.
Mal befindet sich das Binärpaar hinter dem umkreisten dritten Stern, mal davor, sodass das Licht mal länger, mal weniger lange zum Beobachter braucht. Da wir aufgrund der Bedeckungen wissen, dass wir das System fast genau von der Kante her betrachten, entspricht diese Laufzeitdifferenz annähernd dem tatsächlichen Durchmesser der Bahnellipse ohne perspektivische Verzerrung; würden wir hingegen senkrecht von oben auf die Bahnebene schauen, so wäre die Entfernung zum Binärsystem während des gesamten Umlaufs unverändert und es könnte kein Laufzeitunterschied gemessen werden.
Aus der Laufzeitdifferenz lässt sich also sehr genau auf den Bahndurchmesser entlang der Sichtlinie schließen – 99,38 Sonnenradien oder 0,46 Astronomische Einheiten (AE, der Abstand zwischen Erde und Sonne).
Wenn sich das Binärpaar vor dem 3. Stern befindet, verfinstert es diesen für einen Zeitraum von ungefähr 26,5 Stunden, was zu den tieferen Abschattungen führt – der dritte Stern ist offenbar der hellste im System und seine Bedeckung verursacht folglich den größten Lichtverlust. Da das Binärpaar während eines solchen Transits vor der Scheibe des dritten Sterns fast fünfmal einander umkreist und seine Komponenten somit mehrfach die Richtung ändern, befinden sie sich nicht etwa ständig vor der Sternenscheibe, sondern wandern abwechselnd vor die Scheibe und wieder an ihre Seite. Dies führt zu einem komplexen Verfinsterungsmuster:
Wie im Bildtext erklärt wiederholt sich ein bestimmtes Muster der Abschattungen. Kepler konnte das Muster siebenmal aufzeichnen; das letzte endete vorzeitig, als die Beobachtungen wegen eines Defekts an der Lagesteuerung des Teleskops zunächst eingestellt werden mussten. Marsh, Armstrong und Carter fanden, dass ein im nächsten Kasten beschriebenes Modell das Muster erklären kann, wobei der zweite Stern im Binärsystem für die tiefen Dellen seltsamerweise keinerlei Rolle zu spielen scheint, so als ob nur einer der Binärkomponenten den anderen Stern verfinstert.
Ein unmöglicher Fit
Nachdem das Grundmodell gefunden war, ging es an das Ziel der ganzen Übung, die Bestimmung der exakten physischen Parameter des Systems. Insgesamt gibt es 26 Größen im System, von denen einige beliebig gewählt werden können (man kann das Bild oben auch auf den Kopf stellen, in der Bildebene rotieren oder spiegelbildlich darstellen, die Lichtkurve wäre stets dieselbe). Einige folgen direkt aus der Beobachtung wie die Umlaufzeiten und der Durchmesser der Bahnellipse des Binärpaars um Stern 3 (aufgrund der variierenden Lichtlaufzeit) oder indirekt aus der Lichtkurve: die symmetrischen Bedeckungen der beiden Binärkomponenten weisen auf eine kreisförmige Umlaufbahn und (eigentlich) ähnliche Größen und Flächenhelligkeiten hin. Wieder andere hängen voneinander ab. Es gelten insbesondere die Keplerschen Gesetze [26], deren es drei Stück gibt, die in folgender verallgemeinerter Form auch für Doppelsterne gelten:
- Doppelsterne umkreisen auf zwei ähnlichen Ellipsenbahnen ihren gemeinsamen Schwerpunkt (Baryzentrum), der im Brennpunkt beider Ellipsen liegt.
("Ähnlich" ist hier mathematisch zu verstehen, das heißt die Formen sind gleich, die Größen im Allgemeinen nicht; diese verhalten sich umgekehrt wie die Massen) - Die durch den Schwerpunkt von einem Stern zum anderen verlaufende Linie überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen in der jeweiligen Ellipse.
(Die Längsachsen der Ellipsen liegen folglich auf einer Linie und die Sterne bewegen sich am schnellsten, wenn sie sich am nächsten sind). - Die dritte Potenz der Summe der großen Halbachsen dividiert durch das Quadrat der Umlaufzeit ist proportional zur Summe der Massen.
Bei mehr als zwei Sternen gilt Kepler nur, wenn die Komponenten wie eingangs beschrieben hierarchisch angeordnet mit sehr großem Abstandsunterschied sind. Das ist hier der Fall, die Halbachse im Binärsystem ist 800 Mal kleiner als dessen Halbachse in Bezug auf Stern 3 – die beiden Sterne umkreisen Stern 3 auf der gleichen Bahn wie es ein einzelner Stern mit der Summe ihrer Massen tun würde.
Besonders Kepler 3 ist wichtig, da hier die Massensumme in Beziehung zur Umlaufzeit und den Bahnhalbmessern (große Halbachsen) gesetzt wird – kennt man die Umlaufzeit und die Bahnhalbachse, folgt die Masse. Die Leuchtkräfte und die Scheibendurchmesser hängen direkt mit den Sternmassen zusammen (sofern es sich nicht um fortentwickelte Sterne wie Riesen oder Weiße Zwerge handelt). Die relativen Scheibendurchmesser und Leuchtkräfte bestimmen zusammen mit dem Grad der Überlappung, der von der Verkippung der Bahnen abhängt, die Tiefe einer jeden Verdunklung und so ergibt sich die Lichtkurve.
Insgesamt gibt es am Ende 12 freie Stellknöpfe, an denen man drehen kann, um die Lichtkurve zu reproduzieren. Dies lässt man Computer erledigen, die mittels etablierter Näherungsverfahren den mittleren quadratischen Fehler zwischen der synthetisierten und der beobachteten Lichtkurve zu minimieren versuchen. Die Autoren verwendeten sogar mehrere verschiedene Verfahren, die alle zu den gleichen Parametern konvergierten. Das Ergebnis für die „am besten“ reproduzierte Lichtkurve sah dann allerdings folgendermaßen aus:
Abgesehen davon, dass die Approximation miserabel war, ergab sie vollkommen unsinnige Parameter für das System. Obwohl die Sterne des Binärsystems gemäß dem Lichtwechsel ihrer Umkreisung etwa gleiche Größe und Masse haben sollten, spuckte das Programm aus, dass Stern 1 zwar 1,29 Sonnendurchmesser haben sollte, aber nur drei Erdmassen (die Sonne hat circa 333.000 Erdmassen), während Stern 2 nur 0,16 Sonnendurchmesser haben sollte, aber 1,28 Sonnenmassen. Stern 1 wäre in diesem Fall groß genug, sein Roche-Volumen [28] zu füllen, sodass Materie auf Stern 2 überfließen müsste, und dann hätten wir es mit einem vollkommen anderen Sternsystem zu tun (einem kataklysmischen Veränderlichen).
Überraschenderweise ergab sich eine sehr viel bessere Näherung, als die Autoren das 3. Keplersche Gesetz über den Haufen warfen und es zuließen, dass die Umlaufzeit des Binärsystems um den dritten Stern im Verhältnis zur großen Bahnhalbachse größer war als für die Massen eigentlich zulässig.
Aus der Geometrie des Modells und dem zeitlichen Verlauf folgte nämlich, dass das Verhältnis der großen Bahnhalbachse von Stern 1 zur Summe der großen Halbachsen der beiden Ellipsen, die das Binärsystem und Stern 3 um ihren gemeinsamen Schwerpunkt vollführen, größer als 0,0148 sein muss. Aus dem dritten Keplerschen Gesetz folgte jedoch, dass es kleiner als 0,0117 sein musste. Beides zusammen war unerfüllbar.
Die Quadratur des Umlaufs
Gilt also in dem System das dritte Keplersche Gesetz nicht? Nein, natürlich muss es gelten! Offenbar ist das angenommene Modell falsch oder unvollständig. Trotzdem lehrte es die Autoren, was zu tun war. Wie kann man erreichen, dass das Gesetz in Kraft bleibt, aber die Zeit, die Stern 1 vor Stern 3 verweilt, größer wird?
Durch ein Vierfachsystem! Die Autoren benennen zwei mögliche Varianten: Entweder umkreist Stern 3 einen 4. Stern. Es gäbe also neben dem Binärpaar 1+2 ein zweites Paar 3+4, deren Partner jeweils eng zusammen stünden, während die Paare sich in weitem Abstand umkreisten (Modus 1). Genau im Moment des Transits des Binärpaares vor Stern 3 müsste dieser beim Umlauf um Stern 4 rückläufig sein und sich somit in die gleiche Richtung wie das Binärpaar bewegen. So würde sich die Zeit des Transits für Beobachter auf der Erde verlängern (siehe Grafik, Mitte). Stern 4 wäre an den Bedeckungen nicht beteiligt.
Oder das Binärpaar umkreist einen vierten Stern, der mit Stern 3 um einen gemeinsamen Schwerpunkt kreist (Modus 2). In diesem Fall müsste das Binärpaar sich beim Transit vor Stern 3 gerade rückläufig um Stern 4 bewegen, während Stern 3 seiner 204-tägigen Bahn um das Baryzentrum in der gleichen Richtung folgt. Auch diese rückläufige Bewegung würde die Transitzeit verlängern (siehe Grafik, rechts). Stern 4 würde an den Bedeckungen nicht teilnehmen.
Einziger Haken: diese spezielle Geometrie müsste über mindestens 7 aufeinanderfolgende 204-Tage-Perioden immer wieder dieselbe gewesen sein, d.h. die 204 Tage zwischen den Transits müssten exakt ein ganzzahliges Vielfaches der Umlaufzeit von Stern 3+4 in Modus 1 beziehungsweise derjenigen des Binärsystems mit Stern 4 in Modus 2 sein. Es gibt zwar sogenannte Bahnresonanzen – zum Beispiel vollführt Neptun drei Umläufe um die Sonne, während Pluto zwei vollführt und die inneren großen Jupitermonde haben Umlaufzeiten im Verhältnis 1:2:4, aber diese Verhältnisse gelten nur angenähert: 2:3,009 bei Neptun und Pluto, 1:2,02:4,07 bei Io, Europa und Ganymed. Im KIC-2856960-System müsste die 204-tägige Umlaufzeit auf ein Promille genau an ein exaktes ganzzahliges Vielfaches der Umlaufzeit um Stern 4 herankommen. Wenn dies nicht gegeben wäre, müssten sich die Transits schon bald erheblich verändern oder gar völlig verschwinden.
Nach Aussage der Autoren sind die von den beiden Quadrupel-Modellen reproduzierten Lichtkurven von derjenigen im Dreifachsystem ohne Kepler 3 nicht zu unterscheiden, aber Kepler bleibt im Vierfachsystem gültig. Eine noch etwas bessere Übereinstimmung ergab sich, als sie es zuließen, dass die Umlaufzeit und damit die Nullphase des Binärsystems während des Transits variieren durfte.
Vor allem im Fall von Modus 1 kamen etwas realistischere, wenn auch immer noch nicht völlig überzeugende Parameter für die einzelnen Sterne heraus:
- Stern 1: 0,5 Sonnenmassen (M⊙) / 0,6 Sonnenradien (R⊙),
- Stern 2: 0,78 M⊙ / 0,16 R⊙,
- Stern 3: 0,36 M⊙ / 0,51 R⊙,
- Stern 4: 0,91 M⊙ / Radius unbekannt.
Die Radien könnten allerdings quadratisch und die Massen kubisch mit einem Faktor s skalieren, der größer als 0,5 sein muss – hier wurde er zu 1 angenommen.
Zudem spricht für Modus 1, dass das Binärsystem keine zusätzlichen Lichtlaufzeitvariationen zeigte. Im Modus 2 wären solche im Rhythmus des Umlaufs mit Stern 4 zu erwarten. Die Autoren hatten erwartet, bei einer plausiblen Umlaufzeit von circa 5-20 Tagen einen Lichtlaufzeitunterschied von mindestens 20 Sekunden zu finden, fanden jedoch trotz einer Messgenauigkeit von 10 Sekunden nichts.
Wenn Stern 4 laut der oben zitierten Lösung eine knappe Sonnenmasse hat, müsste er die Helligkeit des Systems dominieren. Im Vergleich zu den erwarteten Helligkeiten der übrigen Sterne gemäß der obigen Parameter wäre in der Tat ein Beitrag von 70 Prozent "Fremdlicht" nötig, um die Gesamthelligkeit des Systems zu erklären. Die Autoren nahmen ein Spektrum des Systems auf und fanden, dass es einem K3- oder K4-Zwergstern entsprach, der etwa 0,65 Sonnenmassen haben sollte [32], ein nicht unplausibler Wert angesichts des unbekannten Skalierungsfaktors.
Ein System trotzt der Erklärung
Das Quadrupel-Modell nach Modus 1 ist das bisher beste Modell, mit dem das System von KIC 2856960 beschrieben werden kann, aber es ist immer noch nicht völlig plausibel.
Warum ist Stern 2 trotz seiner recht hohen Masse viel kleiner als Stern 1 mit geringerer Masse? Die Autoren gehen davon aus, dass es sich um gewöhnliche Hauptreihensterne, nicht um alte, fortentwickelte Sterne handelt – ein weißer Zwerg wäre ohnehin viel kleiner und sein Roter-Riese-Progenitor hätte im Binärsystem den Partnerstern verschluckt; ein Planet oder Brauner Zwerg wären wiederum sehr viel leichter und die Lichtkurve wäre bei so ungleichen Komponenten sehr unsymmetrisch. Die symmetrischen Bedeckungen des Binärsystems lassen eigentlich auf zwei ähnlich große Sterne gleicher Flächenhelligkeit schließen, nicht auf diesen Größenunterschied um einen Faktor 4.
Warum verfehlt Stern 2 aber dann bei den Transits zuverlässig die Scheibe von Stern 3 und verursacht keine signifikante Abschattung, obwohl Stern 1 und 2 sich gegenseitig bedecken? Und warum variiert offenbar die Umlaufzeit des Paars im Transit gegenüber der Umlaufzeit außerhalb desselben? Die Differenz zur erwarteten Epoche summiert sich über die Dauer eines Transits auf bis zu 1250 Sekunden und passt nicht zu den Bedeckungen innerhalb des Binärsystems.
Diese Probleme zeigen, dass KIC 2856960 noch nicht wirklich verstanden ist. Zwar hatten die Autoren die Randverdunklung [33] der Sterne berücksichtigt, aber Effekte wie Sternflecken, gegenseitige Störungen innerhalb des N-Körper-Systems, Verformung der Binärkomponenten durch Gezeitenkräfte und die aufgrund dessen beim Umlauf variierende Querschnittsfläche sowie die über den Breitengrad variierende Helligkeit der Sternoberfläche (Gravity Darkening [34]) hatten die Autoren aus Gründen der Komplexität ausgeklammert. Weitere Beobachtungen des Sterns von der Erde aus und genauere Analysen lösen vielleicht eines Tages die Frage, was in diesem merkwürdigen Sternsystem wirklich vor sich geht.
- T.R. Marsh, D.J. Armstrong, P.J. Carter, "KIC 2856960: the impossible triple star [35]", Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, Volume 445, Issue 1, 21. November 2014.
(mho [36])
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[8] https://www.heise.de/news/Die-X-Akten-der-Astronomie-Das-Raetsel-der-Braunen-Riesen-4883765.html
[9] https://www.heise.de/news/Die-X-Akten-der-Astronomie-Die-Geheimnisse-des-Walnuss-Monds-4889489.html
[10] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Der-hyperschnelle-Kugelsternhaufen-HVGC-1-4903025.html
[11] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Auf-der-Suche-nach-Dyson-Sphaeren-4909802.html
[12] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Die-spukhafte-Leoncino-Zwerggalaxie-4915903.html
[13] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Die-raetselhaften-Radiosignale-aus-dem-Untergrund-4922569.html
[14] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Der-dunkle-Beschleuniger-4928084.html
[15] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-Radioblitze-vom-anderen-Ende-des-Universums-4934391.html
[16] https://www.heise.de/hintergrund/Die-X-Akten-der-Astronomie-KIC-8462852-von-grossen-und-kleinen-Abtauchern-4941203.html
[17] https://de.wikipedia.org/wiki/Castor_(Stern)
[18] https://de.wikipedia.org/wiki/Alpha_Centauri
[19] https://de.wikipedia.org/wiki/Mizar
[20] https://en.wikipedia.org/wiki/Mizar_and_Alcor
[21] https://en.wikipedia.org/wiki/Castor_(star)
[22] https://skyandtelescope.org/observing/the-minima-of-algol/
[23] https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/
[24] https://arxiv.org/abs/1409.0722
[25] https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/
[26] https://de.wikipedia.org/wiki/Keplersche_Gesetze
[27] https://arxiv.org/abs/1409.0722
[28] https://www.abenteuer-universum.de/diverses/roche.html
[29] https://arxiv.org/abs/1409.0722
[30] https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/
[31] https://arxiv.org/abs/1409.0722
[32] https://sites.uni.edu/morgans/astro/course/Notes/section2/spectralmasses.html
[33] https://de.wikipedia.org/wiki/Randverdunkelung
[34] https://en.wikipedia.org/wiki/Gravity_darkening
[35] https://academic.oup.com/mnras/article/445/1/309/988488
[36] mailto:mho@heise.de
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