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Die X-Akten der Astronomie: Radioblitze vom anderen Ende des Universums

Alderamin

(Bild: CISRO/heise online/CC BY 3.0)

Zuletzt haben die Fast Radio Bursts viel Aufmerksamkeit bekommen: kurze Pulse aus extremen Entfernungen. Nun scheint eine Erklärung in greifbarer Nähe.

Dank immer besserer Technik, innovativen Ansätzen und internationaler Kooperation erlebt die Astronomie eine Blüte. Doch während viele Beobachtungen dabei helfen, Theorien zu verfeinern oder auszusortieren, gibt es auch immer wieder Entdeckungen, die einfach nicht zu passen scheinen. Mysteriöse Signale, mutmaßliche Verstöße gegen Naturgesetze und – noch – nicht zu erklärende Phänomene. In der Öffentlichkeit wird dann gerne darüber diskutiert, ob es sich um Spuren außerirdischer Intelligenz handelt, Wissenschaftler wissen, dass es am Ende fast immer eine natürliche Erklärung gibt. Aber überall wird die Fantasie angeregt.

In einer Artikelserie auf heise online werden wir in den kommenden Wochen einige solcher astronomischen Anomalien aus einer jüngst vorgestellten Sammlung [1] vorstellen und erklären, warum alle Erklärungsversuche bislang an ihnen scheitern.

Die X-Akten der Astronomie

FRBs – Fast Radio Bursts – sind rätselhafte, nur Millisekunden andauernde Pulse von Radiowellen, die uns aus Milliarden von Lichtjahren Entfernung erreichen und binnen tausendstel Sekunden mit hunderten Millionen Sonnenleuchtkräften anscheinend so viel Energie freisetzen können, wie unsere Sonne in Monaten. 2007 wurde der erste entdeckt und seitdem über 150 weitere, aber nie fand man eine identifizierbare Quelle. Bis vor kurzem tappten die Astronomen vollkommen im Dunkeln, welcher Effekt sich wohl hinter den FRBs verbergen mag. Nun scheint das Problem aber vor der Auflösung zu stehen.

Transiente Radioereignisse sind schwierig aufzuspüren, könnten aber Einblick in verschiedenste astrophysikalische Prozesse gewähren. Beispielsweise könnten nur wenige Millisekunden andauernde Radiopulse aus kosmologischen Entfernungen von verschmelzenden Neutronensternen oder verdampfenden Schwarzen Löchern im Mini-Format zeugen. Letztere sollen laut mancher Hypothesen beim Urknall entstanden sein (sogenannte primordiale Schwarze Löcher) und könnten für die Dunkle Materie verantwortlich zeichnen. Schwarze Löcher strahlen Hawking-Strahlung ab und verlieren dadurch allmählich Masse. Normalerweise dauert es aber die Ewigkeit von 1065 Jahren (1056 Mal so lange, wie es unser Universum schon gibt), bis ein Schwarzes Loch von mehreren Sonnenmassen komplett verdampft ist.

Der Verdampfungsprozess durch die Hawking-Strahlung beschleunigt sich jedoch mit abnehmender Masse und die letzten paar 100 Tonnen zerfallen explosionsartig, wobei die gesamte Masse in weniger als einer Sekunde in Strahlung umgesetzt wird. Im heutigen Universum entstehen nur bei Kernkollaps-Supernovae oder Neutronenstern-Verschmelzungen Schwarze Löcher, die wenigstens 3-5 Sonnenmassen aufbringen (die Sonnenmasse beträgt etwa 2·1030 kg), aber in der Urgewalt des Urknalls könnten Mini-Black-Holes beliebiger Masse entstanden sein. Solche mit rund einer Milliarde Tonnen anfänglicher Masse sollten der Theorie von Steven Hawking gemäß heute, 13,8 Milliarden Jahre nach dem Urknall, allmählich verdampfen – falls es sie gibt.

Auf der Suche nach den Signalen solcher Ereignisse durchstöberten Duncan Lorimer und sein Student David Narkevic 2007 archivierte Messungen des 64 Meter durchmessenden Parkes Radioteleskops in Australien. Es handelte sich um Beobachtungen, mit denen Millisekunden-Pulsare in den Magellanschen Wolken, zwei Satellitengalaxien der Milchstraße in knapp 200.000 Lichtjahren Entfernung, aufgespürt werden sollten. Mit dem verwendeten Multibeam-Empfänger waren dank 13 benachbarter Empfangskeulen entsprechend viele Zielfelder angepeilt worden. Ihre Signale waren jede Millisekunde in je 96 Frequenzkanälen zu je 3 MHz Bandbreite mit einem Bit Auflösung (Signal oder kein Signal) aufgezeichnet worden. Das macht 3 MHz · 96 = 288 MHz, die im 1,4-Gighertz-Band lagen. Auf der Suche nach Pulsar-Signalen war auf die Periodizität der Pulse gesetzt worden, um mit Hilfe der Fouriertransformation [17] und Computerunterstützung nach schwachen, periodischen Signalen zu suchen. Die Suche war deshalb blind für nichtperiodische Signale. Auf der Suche nach genau solchen nahmen Lorimer und Narkevic die Daten noch einmal unter die Lupe.

Das Parkes-Radioteleskop in Australien. Mit diesem Gerät wurden die ersten Fast Radio Bursts entdeckt.

(Bild: CSIRO, CC BY 3.0 [18])

Und sie wurden fündig. Am 24. Juli 2001 um 21:50h MESZ hatte das Radioteleskop ein Signal von weniger als 5 ms (fünf Tausendstel Sekunden) aufgezeichnet, das aus einer Richtung 3° südlich des Zentrums der Kleinen Magellanschen Wolke kam. Allerdings stammte es augenscheinlich mitnichten aus der Magellanschen Wolke, sondern von weiter weg – viel weiter weg.

Der Lorimer-Burst FRB 010724, im Einschub oben rechts als Amplitudendiagramm und im Hintergrund als Radiospektrum über die Zeit aufgetragen („dynamisches Spektrum“). Auf der x-Achse die Zeit in Millisekunden ab 19:50:01,63 Weltzeit (2h zurück hinter MESZ), auf der y-Achse die Frequenz in Gigahertz. Jedem Pixel entspricht ein Frequenzkanal von 3 MHz Breite in y-Richtung (insgesamt 96 Kanäle) über eine Dauer von einer Millisekunde in x-Richtung. Schwarze Punkte sind Detektionen (meist Rauschen). Der Lorimer-Burst beginnt bei der höchsten Frequenz, dauert ca. 5 Pixel, und fällt dann parabelförmig zu geringeren Frequenzen hin ab (die Parabel ergibt sich, wenn man das Diagramm um 90° nach links dreht und dann an einer Senkrechten spiegelt, sodass die Frequenzachse von links nach rechts wächst). Aus der Form der Parabel kann man, wie im Text beschrieben, die Entfernung über das „Dispersionsmaß“ abschätzen. Die Höhe der schwarzen Linie gibt Auskunft über die Energie, die Breite über die Dauer, und die Kombination aus beiden ergibt die Leistung

(Bild: D.R. Lorimer et al., arXiv [19])

Das konnten Lorimer und Narkevic daran erkennen, wie sich das Signal, das später FRB 010724 genannt werden würde (für "Fast Radio Burst vom 24.07.01"), über die Zeit entwickelte. In einem Plasma, also einem Gas, in dem einige der Elektronen frei beweglich sind, laufen Radiowellen verschiedener Frequenzen unterschiedlich schnell. Der Effekt ist ganz analog zu dem von Licht, das Medien wie Glas oder Wasser frequenzabhängig verschieden schnell durchläuft; dies führt insbesondere dazu, dass Licht verschiedener Farben unterschiedlich stark gebrochen wird, wenn es schräg auf eine Grenzfläche wie etwa die Oberfläche eines Regentropfens trifft, was uns den Regenbogen beschert.

Der Fachbegriff für die unterschiedliche Ausbreitungsgeschwindigkeit von Wellen verschiedener Frequenzen in einem Medium ist "Dispersion". Das Vakuum des Weltalls ist nicht komplett leer, sondern angefüllt mit einem extrem dünnen Gemisch aus Wasserstoff- und Heliumgas. Dieses wird durch ultraviolette Strahlung der Sterne teilweise ionisiert: die UV-Photonen haben so viel Energie, dass sie einige Elektronen aus den Wasserstoff- und Heliumatomen herausschlagen, die wegen der geringen Teilchendichte im Gas nicht sofort wieder von einem anderen Kern eingefangen werden können, wie das etwa in der Erdatmosphäre unterhalb von 85 Kilometern Höhe der Fall ist (darüber beginnt die Ionosphäre – genau deswegen).

Der Leerraum zwischen den Sternen und Galaxien ist also von einem Plasma erfüllt. In einem Plasma hängt die Laufzeitverzögerung von Radiowellen aufgrund der Dispersion im Plasma quadratisch von ihrer Frequenz ab und linear von der durchlaufenen Menge freier Elektronen. Deren Dichte geben die Radioastronomen im sogenannten "Dispersionsmaß" DM an. DM wird gemessen als die Dichte der freien Elektronen pro Kubikzentimeter mal der Entfernung in Parsec (1 Parsec oder pc ist die Entfernung, aus welcher die Astronomische Einheit, der Abstand Erde-Sonne, unter einem Sehwinkel von einer Bogensekunde, 1/3600 Winkelgrad, erscheint; das sind etwa 3,26 Lichtjahre). Eine Strecke von einer Million Parsec mit im Mittel einem freien Elektron pro Kubikmeter (1 cbm hat eine Million cm³) hätte ein Dispersionsmaß von 1/cm³ pc. Eine übliche Schreibweise dieser Einheit unter Astronomen ist 1 pc/cc (parsec pro Kubikzentimeter).

Kennt man nun den Laufzeitunterschied von zwei Radiofrequenzen, so folgt daraus der DM-Wert, in dem die Entfernung drinsteckt, wenn man die Elektronendichte kennt. In der Kleinen Magellanschen Wolken haben die 5 bekannten Pulsare DM-Werte von 70, 76, 105, 125 und 205 pc/cc, wobei der letzte in einer HII-Region liegt, also einem Sternentstehungsgebiet, in dem junge Sterne das Wasserstoffgas ionisiert haben – da ist die Elektronendichte naturgemäß lokal sehr hoch.

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Für "ihren" Radiopuls maßen Lorimer und Narkevic ein DM von 375 pc/cc. In der Kleinen Magellanschen Wolke befindet sich jedoch in der entsprechenden Richtung keine HII-Region, und dahinter liegt bloß noch sehr viel leerer Raum mit sehr wenig Gas, geschweige denn freien Elektronen. Die in der betreffenden Richtung nächstgelegene Galaxie LEDA 246336 (Rotverschiebung/Entfernung: unbekannt) liegt 5 Bogenminuten südlich des Orts der Quelle in einer der Detektions-Empfangskeule benachbarten Empfangskeule, in welcher jedoch kein Signal gemessen wurde. Sie kommt damit nicht als Quellgalaxie in Frage. Lorimer schätzt aufgrund der in anderen Arbeiten zitierten Teilchendichten und der Grundannahme, dass alle Atome ionisiert seien (was zur kleinstmöglichen Entfernungsschätzung führt) die Entfernung auf 1 Gigaparsec (Gpc) – ein Milliarde pc oder 3,26 Milliarden Lichtjahre!

Allerdings könnte in der betreffenden Galaxie wie auch in der Milchstraße ein höherer lokaler DM-Wert vorliegen, was die Entfernung dann wieder verkleinern würde. Bei einer Galaxie ähnlich der Milchstraße würde der lokale DM-Anteil die geschätzte Entfernung auf 500 Mpc (1,63 Milliarden Lichtjahre) verkleinern. Wie so oft ist der Astronom hier zufrieden, wenn er wenigstens die richtige Größenordnung angeben kann.

Wie groß wäre in diesem Falle die Leuchtkraft der Quelle? Der 1-Bit-Digitalisierer erlaubte nur eine grobe Schätzung, indem die Zahl derjenigen benachbarten Empfangskeulen, die ebenfalls ausschlugen, berücksichtigt wurde. Das Signal lag demnach bei 30±10 Jansky (1 Jy = 10-26 W pro Quadratmeter Empfangsfläche und Hertz Bandbreite). Bei einer ungefähren Dauer von 5 ms und einer Entfernung von 500 Mpc ergäbe sich eine Energie von 1033 Joules, freigesetzt in 5 ms, entsprechend einer Leistung von 2·1035 Watt – dies gilt unter der Annahme einer isotropen, das heißt in alle Richtungen mit gleicher Intensität erfolgten Freisetzung. Das wären dann über 500 Millionen Sonnenleuchtkräfte oder soviel Energie, wie die Sonne in 30 Tagen über alle Frequenzen abstrahlt!

Bei einer Dauer von 5 ms kann die Quelle nicht größer gewesen sein als die Strecke, die das Licht in dieser Zeit zurücklegt, sonst fände ein zeitliches Verschmieren des Pulses durch den Laufzeitunterschied zwischen dem nächsten und fernsten Punkt der Quelle statt. Und 5 ms entsprechen einem Lichtweg von gerade einmal 1500 km.

Als Quellen infrage kämen laut Lorimer folgende kompakte Quellen: zum einen die 2006 entdeckten Rotierenden Radio-Transienten [21] (RRATs), bei denen es sich anscheinend um Pulsare mit stark schwankender Puls-Intensität handelt, so dass trotz einer Rotationsdauer von 0,1 bis 7 Sekunden nur alle 10 bis 10.000 Sekunden ein Puls beobachtet wird. Oder zum anderen extrem starke einzelne Riesenpulse eines Millisekunden-Pulsars oder eines sehr jungen Pulsars, bei denen eine größere Menge von einfallenden Teilchen in das Magnetfeld geraten ist und um die Magnetfeldlinien wirbelt – solche Pulse dauern manchmal nur Nanosekunden.

Aber selbst die hellsten Pulse dieser beiden Objektklassen sind nur ~6000 pc (~20.000 LJ) bzw. ~100.000 pc (~300.000 LJ) weit zu empfangen, also im günstigsten Fall ein wenig weiter als die Kleine Magellansche Wolke. Keine Chance, dass so ein Objekt 1,5 Milliarden Lichtjahre weit zu registrieren ist. Das Signal war mit der 100fachen Leistung der Detektierungsschwelle außerdem so stark, dass weitaus mehr Ereignisse mit geringerer Energie zu erwarten gewesen wären, denn es war bekannt, dass die Häufigkeit extremer Pulsar-Pulse mit deren Stärke exponentiell abnimmt. Aber es fand sich nur dieses eine Ereignis in den Daten.

Da Lorimer nur ein Ereignis in Daten über 20 Tage Aufzeichnungsdauer bei 1/4500 Teil an beobachteter Fläche des Himmels gefunden hatte, schätzte er die Rate solcher Ereignisse sehr grob auf etwa 4500/20=225 pro Tag. Umgerechnet auf die Entfernung (50 Ereignisse pro Tag und Kubik-Gigaparsec) sei das etwas höher als die damals angenommene Rate von Neutronensternverschmelzungen (3 pro Tag und Gpc³) oder Gammastrahlenausbrüchen (4 pro Tag und Gpc³); letztere werden mittlerweile auf ebenjene Neutronensternverschmelzungen (kurze Ausbrüche) sowie Hypernovae (lange Ausbrüche; massiver Stern kollabiert zum Schwarzen Loch und die Hülle explodiert als besonders starke Supernova) zurückgeführt. Gammastrahlenausbrüche würden allerdings von niederfrequenteren Radiosignalen begleitet und hätten eine geringere der Leuchtkraft entsprechende Temperatur.

Es handelte sich also anscheinend um ein völlig neues Phänomen.

Es dauerte Jahre, bevor der zweite FRB gefunden wurde. Eine Reihe von ähnlichen Ereignissen wurde im Jahr 2011 beim weiteren Durchforsten von Daten des Parkes-Radioteleskops bis zurück zum Jahr 1998 identifiziert, die gleichfalls eine Dispersion über alle Frequenzen zeigten, die aber in der Empfänger-Matrix nicht eindeutig einer bestimmten Herkunftsrichtung zugeordnet werden konnten. Man nannte diese Signalklasse "Perytons", nach einem 1957 von Jorge Luis Borges beschriebenen Fabelwesen, halb Hirsch, halb Vogel [22]. Man schloss bald, dass es sich um ein irdisches Phänomen handeln müsse, etwa Interferenz von Flugzeugen, Meteoren, Blitzen, Gammablitzen in der Atmosphäre aufgrund kosmischer Strahlung oder dergleichen und einige Wissenschaftler führten auch den Lorimer-Burst und später entdeckte FRBs auf die Perytons zurück. Erst 2015 fand man die Ursache: ein Mikrowellenherd am Parkes-Observatorium verursachte die Perytons, wenn er noch im laufenden Betrieb geöffnet wurde und dann automatisch abschaltete.

Der zweite entdeckte echte FRB wurde 2011 von Evan Keane entdeckt, wieder in den Parkes-Daten. Er war am 21. Juni 2001 aufgezeichnet worden und erhielt folglich die Bezeichnung FRB 010621. Sein Dispersionsmaß wurde zu 745±10 pc/cc bestimmt. Eine Messung der Helligkeit der Wasserstofflinien in der betreffenden Richtung ergab, dass die Elektronendichte innerhalb unserer Milchstraße auf der Sichtlinie aufgrund von HII-Regionen stark erhöht war. Diese trugen einen Anteil von 523 pc/cc bei, womit die Quelle mit 90% Konfidenz noch in der Milchstraße liegen und in die Klasse der RRATs fallen könnte.

2013 legten dann Thornton et al. in ihrer Arbeit gleich 4 FRBs vor, mit DMs zwischen 553,3 und 1103,6 pc/cc, entsprechend geschätzten Entfernungen von bis zu 9,7 Milliarden Lichtjahren. Die binnen Millisekunden abgestrahlte Radioleistung betrug bis zu 1035 Watt oder 260 Millionen Sonnenleuchtkräfte, die gesamte freigesetzte Energie 1032 Joule oder so viel, wie die Sonne an 3 Tagen abstrahlt. Ab dieser Veröffentlichung etablierte sich die Bezeichnung "Fast Radio Bursts" und die Nomenklatur FRB <Datum> wurde fortan verwendet, auch nachträglich für die ersten beiden FRBs von Lorimer und Keane. Als FRB galt demnach eine Radioquelle mit einer Kombination von mehreren, nicht besonders streng geforderten Eigenschaften wie einer Millisekunden-Pulsdauer, einer großen Bandbreite und Leuchtkraft, sowie einem Dispersionsmaß, das die Quelle eindeutig als extragalaktisch, also außerhalb der Milchstraße befindlich, qualifiziert, um sie von galaktischen Pulsaren oder RRATs zu unterscheiden.

Von nun an wurde auch in den Daten anderer Radioteleskope nach FRBs gesucht. Man wurde fündig beim Arecibo-Radioteleskop, beim Green Bank Teleskop, beim Upgraded for Transits Molonglo Synthesis Telescope (UTMOST), beim Australian Square Kilometer Array Pathfinder (ASKAP) und beim Canadian Hydrogen Intensity Mapping Experiment (CHIME). Mittlerweile sind bereits mehr als 150 Quellen bekannt und man geht davon aus, dass mit großen Radioteleskopen pro Tag über 1000 FRB aufspürbar wären, wenn man den gesamten Himmel permanent überwachen könnte. Ihre Häufigkeit beträgt dabei nur 1% derjenigen von Kernkollaps-Supernovae.

Dynamische Spektren mehrerer Fast Radio Bursts. Oben die Originalspektren mit dem charakteristischen quadratischen "Frequenz-Sweep" aufgrund der Dispersion im intergalaktischen Plasma. Unten wurde dieser Effekt herausgerechnet und es man sieht einen zeitlich sehr scharf einsetzenden, sich über alle Frequenzen erstreckenden Puls.

(Bild: James Cordes, Shami Chatterjee, arXiv [23])

2016 wurde die erste Quelle entdeckt, die für mehrere FRBs verantwortlich war, FRB 121102. Die erste Detektion am 2. November 2012 war zugleich die erste mit einem anderen Radioteleskop geglückte als dem Parkes-Teleskop in Australien, und zwar war es diesmal die 305-Meter-Schüssel von Arecibo in Puerto Rico. Das Signal fand sich in archivierten Daten einer mit dem Arecibo-Teleskop durchgeführten Pulsarsuche, und das betreffende Blickfeld war nur 180 Sekunden lang beobachtet worden. In einem zufälligerweise zwei Tage später wiederholten Scan derselben Position fand sich erwartungsgemäß kein zweites Signal. Im Mai 2015 spürte Arecibo jedoch erneut Signale aus der Richtung von FRB 121102 auf – nicht einen, sondern gleich 10 Pulse, 6 davon in einem 10-Minuten-Intervall und deutlich heller als der Burst im November 2012. Jeder der Pulse hatte ein anderes Spektrum.

Eine gleichzeitig mit dem Very-Large-Array-Radioteleskop in New Mexico und dem Europäischen VLBI-Netzwerk (an dem auch das Radioteleskop Effelsberg und mehr als 20 weitere Teleskope in Europa, Asien, Südafrika und das Arecibo-Teleskop beteiligt sind) durchgeführte interferometrische Messung erlaubte es, die Position der Quelle auf 0,1 Bogensekunden genau zu bestimmen. Ein weiterer Burst 2017 erlaubte sogar eine Lokalisierung auf 12 tausendstel Bogensekunden genau. An der entsprechenden Stelle fand sich eine Galaxie [24] bei einer Rotverschiebung von z=0,193 entsprechend einer Entfernung von 2,6 Milliarden Lichtjahren. Damit war die extragalaktische Herkunft der FRBs und somit auch ihre riesige Leuchtkraft eindeutig nachgewiesen.

Aufgrund der wiederholten Pulse von FRB 121102 (und später einiger weiterer Quellen) war nun klar, dass FRBs nicht auf kataklysmische Einmal-Ereignisse wie Supernovae oder Neutronensternverschmelzungen zurückgehen können. Aber welche Art von Ereignissen könnte es sein, die soviel Energie freisetzt? Da es nie gelang, von Ursprungsort eines FRBs ein Signal in anderen Wellenlängen zu erhaschen, erging sich die Fachwelt in Spekulationen, unfähig diese durch Beobachtungen mit der Realität abgleichen zu können.

Unter anderem wurden die folgenden Phänomene diskutiert:

Einzelne Neutronensterne könnten extrem starke Radiopulse auf dreierlei Weise generieren: durch gerichtete Abstrahlung ihrer Magnetosphäre, beim Kollaps eines überschweren, bis dahin durch schnelle Rotation stabilisierten Neutronensterns zu einem Schwarzen Loch oder durch von auf relativistische Geschwindigkeiten beschleunigte Partikeln, die im umgebenden Gas wie etwa dem Supernovarest, der den Neutronenstern umgibt, Schockwellen auslösen.

Im ersten Fall könnten Pulsare gelegentlich Super-Pulse als seltenen Teil ihres normalen Puls-Repertoires produzieren. Vom Krebsnebel-Pulsar ist bekannt, dass er gelegentlich Riesenpulse erzeugt. Bisher ist der Prozess, der die Radiopulse von Pulsaren erzeugt, noch unvollständig verstanden. Sicher ist nur, dass Pulsare Neutronensterne sind, bei denen das extrem starke Magnetfeld gegen die Rotationsachse verkippt ist, sodass es wie das Feld eines an einem Faden hängenden, gegen die Senkrechte geneigten Stabmagneten kreist. Dies bedeutet, dass sich an einem ortsfesten Punkt in der Umgebung des Pulsars das Magnetfeld ständig ändert. Variierende Magnetfelder erzeugen ein elektrisches Feld, das Teilchen aus der Oberfläche des Pulsars reißen kann, die dann in den Magnetfeldern um die Feldlinien kreisen müssen, wobei Radiostrahlung (Synchrotronstrahlung) entsteht, die den Pulsar als relativ breite Radiokeule verlässt. Wenn die Keule die Erde überstreicht, beobachten wir einen Puls.

Bei einem schnell rotierenden Millisekunden-Pulsar wird ein besonders starkes elektrisches Feld erzeugt, daher ist hier die Chance am größten, dass Teilchen aus der Pulsaroberfläche gerissen werden. An den magnetischen Polen treten die Feldlinien senkrecht aus und werden mit der Entfernung rasch (mit der dritten Potenz des Abstands) schwächer, das heißt die Teilchen können entlang der magnetischen Pole abgefeuert werden und ein stark gerichtetes Radiosignal erzeugen. Wenn ein Pulsar eine rasch taumelnde, präzedierende Achse hat, könnte das gerichtete Signal kurzzeitig und einmalig die Erde direkt treffen und so zu besonders starken Pulsen führen. In diesem Fall wäre auch die immense Leuchtkraft von hunderten Millionen Sonnenleuchtkräften verständlich, denn diese geht von einer isotropen, das heißt in alle Richtungen mit gleicher Intensität ausgesendeten Strahlung aus und extrapoliert die Leistung, die die Erde trifft, auf die gesamte Umgebung des Pulsars. Wird hingegen nur ein schmaler Strahl ausgesendet, ist die Gesamtleistung auf den Bruchteil verkleinert, den der Raumwinkel des Strahls im Verhältnis zur Vollkugel hat.

Ein überschwerer Pulsar, der eigentlich zum Schwarzen Loch kollabieren müsste, könnte durch die Fliehkraft schneller Rotation eine Weile lang nach seiner Entstehung stabilisiert werden und aufgrund der Verlangsamung seiner Rotation durch Radioabstrahlung schließlich doch zum Schwarzen Loch kollabieren, wobei ein Radiopuls durch die in das Schwarze Loch stürzende Materie ausgelöst würde (eine hypothetische Quelle, die auch als "Blitzar" bezeichnet wird). Ähnliches könnte einem Neutronenstern widerfahren, der in seinem Inneren Dunkle Materie aufsammelt, bis er zu schwer wird und zum Schwarzen Loch kollabiert.

Künstlerische Darstellung eines Magnetars, eines Pulsars mit einem immensen magnetischen Feld. Erzeugen Magnetare die Fast Radio Bursts?

(Bild: CSIRO, CC BY 3.0 [25])

Andere Theorien gehen von Pulsaren mit besonders starken Magnetfeldern, den "Magnetaren" als Quellen der FRBs aus. Magnetare entstehen aus Sternen mit bereits ursprünglich starken Magnetfeldern, bei deren Kollaps Wirbel im Plasma entstehen, die einen Dynamo-Effekt auslösen, der ein im Vergleich zu einem normalen Neutronenstern bis zu tausendfach verstärktes Magnetfeld induziert. Dieses wird im entstehenden Neutronenstern eingefroren. Das Feld eines Magnetars ist mit bis zu 1011 Tesla hundert Millionen Mal stärker als die stärksten menschengemachten Elektromagnete, eine Milliarde Mal stärker als die stärksten Neodym-Permanentmagnete und eine Billion Mal stärker als das Magnetfeld der Erde. Ein so starkes Feld wäre auf 1000 km Entfernung tödlich. Man kann dem Feld über Einsteins berühmte E=mc²-Gleichung ein Masseäquivalent zuordnen: Die Energiedichte im Feld ist so hoch, dass ein Kubikzentimeter vom Feld durchzogenen Vakuums mehrere Dutzend Tonnen Masseäquivalent hätte. Atome würden im Feld zu langen Stäbchen, 200-Mal schmäler als lang, auseinander gezogen und das Vakuum würde doppelbrechend [26] und einen Lichtstrahl in zwei verschiedene Richtungen ablenken.

Beben auf einem Magnetar könnten dafür sorgen, dass sich mehr Materie in Form geladener Teilchen von der Oberfläche löst und von den induzierten elektrischen Feldern fortgeschleudert wird, was zu Hyperflares führt, die die FRBs verursachen könnten. Der Kollaps zum Magnetar selbst und die Bildung des hyperstarken Magnetfelds könnten ebenfalls für die FRBs verantwortlich sein. Das den Magnetar umgebende ionisierte Gas könnte wie bei einem Laser in einen angeregten Zustand gepumpt sein und durch einen Flare des Magnetars zur Aussendung eines Mikrowellen-Impulses (MASER) veranlasst werden.

In den meisten Fällen sollte bei den zuvor beschriebenen Prozessen auch Strahlung in Form von Licht, Röntgen oder Gammastrahlung freiwerden, die sich nachweisen lassen sollte.

Einige Modelle erklären die FRBs durch Interaktionen eines Neutronensterns mit seiner Umgebung oder einem Begleitstern. Beispielsweise könnten die Magnetfeldlinien eines Neutronensterns durch eine massive Störung wie etwa die Schockwelle einer benachbarten Supernova aufreißen und sich im Anschluss neu miteinander verbinden. Solche als "magnetische Rekonnexionen" bezeichneten Ereignisse finden im Kleinen auch auf der Sonne statt und sind für Sonneneruptionen und koronale Massenauswürfe verantwortlich. Bei den Magnetfeldstärken eines Neutronensterns wären sie um Größenordnungen heftiger.

Mehrere Hypothesen gehen davon aus, dass FRBs eine Folge von Materieakkretion eines Neutronensterns sind, wobei es gleichfalls zur magnetischen Rekonnexion kommen könnte. Sei es normales Plasma, das von einem Nachbarstern ausgestoßen wurde, Asteroiden, die das Magnetfeld durchfliegen oder auf dem Neutronenstern aufschlagen, oder gar aufgesammelte Dunkle Materie. Schließlich könnten sich etwa im dichten Gedränge von Kugelsternhaufen Neutronensterne begegnen und ihre Magnetfelder könnten sich berühren und miteinander oder mit dem Pulsarwind des anderen Sterns interagieren. Bei verschmelzenden Neutronen-Doppelsternen berühren sich Magnetfelder ebenfalls. Der magnetische Bremseffekt der sich durchdringenden Felder könnte Energie freisetzen. Oder bei einer Verschmelzung der Neutronensterne könnte Materie um die Sterne wirbeln und Synchrotronstrahlung aussenden.

Wie eingangs bereits erwähnt könnten durch Hawking-Strahlung verdampfende Mini-Black-Holes die FRBs verursachen, wobei allerdings nicht wirklich viel Materieäquivalent in der letzten Millisekunde eines solchen Zerfalls in Energie umgewandelt würde. Nicht genug, um quer durch das beobachtbare Universum messbar zu sein.

Einige Modelle schlagen vor, dass ein supermassereiches Schwarzes Loch, das klumpenweise Materie akkretiert, Partikelstöße im Jet verursachen könnte, die wiederum in das umgebende Gas rammen und dabei Radiostrahlung aussenden. Oder dass im Jet eines stellaren Schwarzen Lochs Klumpen miteinander kollidieren. Verschmelzende Schwarze Löcher sollten eigentlich kaum Strahlung abgeben, aber wenn eines davon oder beide geladen wären (Schwarze Löcher können Masse, Drehimpuls und Ladung haben – sonst nichts), könnte das anders aussehen. Primordiale, also beim Urknall entstandene Schwarze Löcher könnten mit Neutronensternen kollidieren und magnetische Rekonnexionen in deren Magnetfeldern verursachen. Wieder andere Autoren schlagen das Verschmelzen von Neutronensternen oder Weißen Zwergen mit Schwarzen Löchern als Mechanismen der FRBs vor. Der Fantasie scheinen keinerlei Grenzen gesetzt zu sein.

Weiße Zwerge können kaum genug Energie aufbringen, um einen FRB verursachen zu können, aber es gibt dennoch zwei vorgeschlagene Modelle. Zum einen könnte ein Weißer Zwerg einen Pulsar extrem eng umkreisen und dabei Materie zum Pulsar überfließen und dabei FRBs durch Synchrotronstrahlung in dessen Magnetfeld produzieren. Oder zwei Weiße Zwerge, die zu leicht sind, um als Typ-Ia-Supernova zu explodieren, könnten zu einem massiven Weißen Zwerg verschmelzen und einen FRB durch ausgestoßene Materie produzieren, die in umgebendes Gas rammt oder von Magnetfeldern zur Synchrotronstrahlung angeregt wird.

Schließlich wurde noch ein ganzes Sammelsurium an weiteren Effekten vorgeschlagen, die nicht in die obengenannten Kategorien fallen. Zum Beispiel könnten die FRBs in Wahrheit von Flare-Sternen aus der Milchstraße stammen, wie etwa Rote Zwerge, die teils sehr starke Strahlungsausbrüche produzieren. Das hohe Dispersionsmaß würde durch die große Elektronendichte in der Korona des Sterns erklärt werden, also der äußersten, Millionen Grad heißen Atmosphäre. Ein Autor schlug primordiale Schwarze Löcher vor, die zu Weißen Löchern explodieren – hypothetische im Rahmen der Relativitätstheorie denkbare Gegenstücke der Schwarzen Löcher mit abstoßender Schwerkraft, denen sich nicht einmal Licht näher als bis zu ihrem Ereignishorizont nähern kann.

Quarksterne und "Strange Stars" wurden vorgeschlagen, das sind hypothetische Objekte, die noch kompakter als Neutronensterne sein und in ihrem Kern oder auch komplett aus Quarks bestehen sollen. Mit den massereichen Strange-Quarks ließe sich die Materie noch dichter packen als in Form der Up- und Downquarks, aus denen die Neutronen und Protonen der normalen Materie bestehen, und so könnten die im Deutschen manchmal als "seltsame Sterne" bezeichneten Strange Stars die kompakteste mögliche Materieform bilden, wobei niemand weiß, ob Quarksterne jeglicher Art überhaupt existieren können. Ein Neutronenstern, der zum Quarkstern/seltsamen Stern kollabiert oder ein solcher, der zum Schwarzen Loch wird, wurden als mögliche FRB-Quellen vorgeschlagen.

Wem das noch nicht exotisch genug erscheint, der kann sich an Arbeiten über supraleitende kosmische Strings oder den Zerfall von Schlingen in kosmischen Strings erfreuen. Kosmische Strings sind hypothetische, im Rahmen der Stringtheorie vorgeschlagene extrem lange und gleichzeitig extrem dünne Fäden (dünner als ein Protonendurchmesser) mit enormer Masse (10 Billiarden Tonnen pro Zentimeter), die vom Urknall übrig geblieben sein könnten. Ja, zwei Autoren schlugen sogar vor, bei den FRBs handele es sich um Strahlen gerichteter Mikrowellen, mit denen, ähnlich wie für das Breakthrough-Starshot-Projekt vorgeschlagen [27], Lichtsegel von Raumfahrzeugen angetrieben würden. Ein Zoo von Absurditäten in Ermangelung einer in irgendeiner Form verifizierbaren Erklärung.

Dies war der Stand bis zum 27. April 2020, 20:26:20 MESZ. Als erstes registrierte das Swift-Gammastrahlen-Weltraumteleskop einen Gammastrahlen-Ausbruch vom Soft Gamma Repeater SGR 1935+2154; wie der Name verrät eine Quelle relativ niederenergetischer Gammastrahlung, die dafür bekannt war, dass sie wiederholte Ausbrüche zeigt. 5 Minuten nach dem ersten Ausbruch erfolgte eine Kaskade weiterer Gammabursts mit 350.000 registrierten Gammaphotonen pro Sekunde über mehrere Sekunden Dauer. In den ersten 24 Minuten feuerte SGR 1935+2154 35 Gammabursts ab und er gab noch 7 Stunden später keine Ruhe, als die Astronomen des Swift-Teams ihre Beobachtung als astronomisches Telegramm um die Welt kabelten. Auch das Gammastrahlen-Weltraumteleskop Fermi registrierte die Aktivität.

SGR 1935+2154 war ein alter Bekannter, der im Juli 2014 mit einer Spitzenrate von 4500 Gammaquanten pro Sekunde von Swift mitten in der Milchstraßenebene im Sternbild Fuchs (nicht weit entfernt von Albireo, dem Kopf des Schwans) entdeckt worden war. Bis heute hat er an die 100 gemessene Gammastrahlenausbrüche verzeichnet. Im August 2014 hatten Astronomen mit dem Chandra-Röntgen-Weltraumteleskop entdeckt, dass der Soft Gamma Repeater im Röntgenbereich alle 3.24498 Sekunden einen Impuls aussendete, es handelte sich also um einen Pulsar. Mehrere Radioteleskope nahmen ihn danach unter die Lupe, fanden aber keine entsprechenden periodischen Pulse im Radiofrequenzbereich. Im März 2015 maßen Astronomen mit dem NuSTAR-Röntgenteleskop noch einmal die Röntgen-Pulsfrequenz nach und kamen auf 3,2479 Sekunden Pulsationsdauer. Das war 2,3 Tausendstelsekunden langsamer und daraus konnten die Astronomen ableiten, wie stark der Neutronenstern magnetisch gebremst wurde und seine magnetische Feldstärke ableiten: 7·1010 Tesla, knapp 1011 T. SGR 1935+2154 war ein Magnetar!

Nun war der Gammastrahlenausbruch von SGR 1935+2154 zwar beeindruckend in seiner Intensität, aber die eigentliche Überraschung folgte am 28. April 2020 um 16:34:33 MESZ, 20 Stunden nach dem ersten Gammapuls: das kanadische CHIME-Radioteleskop registrierte einen extrem hellen Radiopuls, bestehend aus zwei je 5 Millisekunden langen, im Abstand von 30 Millisekunden empfangenen Einzelpulsen zwischen 400 und 800 MHz aus der ungefähren Richtung des Magnetars. Am zerfaserten Spektrum erkannten die Astronomen, dass CHIME das Signal nur in einer Nebenkeule empfangen hatte, es war gar nicht im eigentlichen Sichtbereich der Antenne, so dass sie Korrekturen durchführen mussten, um auf die Herkunftsrichtung rückschließen zu können. Sie lag nur 0,3°±1° von SGR 1935+2154 entfernt.

Dynamische Spektren des vom CHIME Radioteleskop (a) und vom Algonquin Radio Observatorium (ARO) (b) detektierten Radiopulses des Magnetars SGR 1935+2154; darüber die Amplitudenverläufe. Beide Radioteleskope empfingen das Signal über Nebenkeulen, das ARO sogar über eine rückwärtig zur 10-m-Schüssel ausgerichteten Keule, was die zerfaserte Struktur der Spektren erklärt. Die Dispersion äußert sich als Verbreiterung der Pulsdauer zu niedrigeren Frequenzen hin.

(Bild: CHIME/FRB Collaboration, arXiv [28])

Im von Paul Scholz von der Universität Toronto verfassten Astronomischen Telegramm wird ein Dispersionsmaß von 332,8 pc/cc angegeben. In dieser Richtung, quer durch die gasreiche Milchstraßenscheibe und innerhalb des Supernovarests G57,2+0.8, der auf den Magnetar zurückgeführt wird, beträgt die Elektronendichte der Milchstraße rund 540 pc/cc, die Quelle sollte also trotz des hohen DM noch innerhalb der Milchstraße liegen. Frühere Arbeiten hatten eine Entfernung des Magnetars von 6,6 bzw. 12,5 Kiloparsec (21.500 – 40.750 LJ) ergeben. Bei einer angenommenen Entfernung von 10 kpc (32.600 LJ) läge die freigesetzte (isotrope) Energie bei 3·1027 Joule und die Spitzenleistung bei 7·1029 Watt.

Zeitserien des Radiopulses von 28.04.2020 aufgenommen mit dem STARE2-Empfänger am Owens Valley Radio Observatorium im 1,4-GHz-Bereich. Ganz oben der Amplitudenverlauf über die Zeit nach Kompensation der Dispersion. Darunter ein vergrößerter Ausschnitt des Amplitudenverlaufs um das Maximum. Die gestrichelte Linie XP2 markiert den Zeitpunkt, zu dem das Röntgen-Weltraumteleskop INTEGRAL und zwei weitere Satelliten den zweiten Röntgenpuls innerhalb einer einsekündigen Folge mehrerer Röntgenpulse feststellten. Unten das dynamische Spektrum des Radiopulses, ebenfalls nach Herausrechnen der Dispersion. Die Farbskala gibt den Signal-Rausch-Abstand an (Signal to Noise Ratio, S/N).

(Bild: C.D. Bochenek et al., arXiv [29])

Als das Team des STARE2 Radio Arrays (Survey for Transient Astronomical Radio Emission 2) das Telegramm las, prüften sie sofort ihre Aufzeichnungen vom selben Tag. Das STARE2-System besteht aus drei kleinen 1,4-GHz-Empfängern verteilt über den Südwesten der USA, die senkrecht nach oben schauen. Da es nicht mit richtenden Schüsselantennen arbeitet, hat es ein riesiges Blickfeld, das ca. 50% des Himmels überblickt. Das Gerät wurde speziell zum Aufspüren von Radiotransienten wie FRBs gebaut und ging im Frühjahr 2019 in Betrieb. Mangels bündelnder Schüsseln kann es jedoch nur sehr starke FRBs innerhalb der Milchstraße orten. Und landete am 28.04.2020 seinen ersten Volltreffer.

Das STARE2-Team kam mit seiner im direkten Empfangsbereich des Radioteleskops durchgeführten Messung auf eine noch höhere Pulsenergie von 2,2·1028 Joule isotrop, was rund 4000 Mal stärker wäre als der stärkste bisher von einem Objekt in der Milchstraße registrierte Radiopuls. Das wäre zwar nur ein Vierzigstel der Leistung des bisher schwächsten georteten FRBs, aber 70.000 Mal näher als der nächste FRB, der zuvor registriert worden war.

Die Lokalisierungsgenauigkeit von STARE2 betrug nur etwa 10°, so dass nur die zeitliche Koinzidenz mit der CHIME-Messung einen starken Bezug zum Magnetar SGR 1925+2154 herstellte. Dass es sich wirklich um diesen als Quelle handeln muss, ergaben die Beobachtungen weiterer Instrumente.

Zur gleichen Zeit wie CHIME und STARE2 beobachteten drei Weltraum-Röntgenteleskope den Magnetar: INTEGRAL [30], das Konus-Experiment auf dem WIND-Satelliten [31] und Insight-HXMT [32]. Sie alle stellten zur exakt gleichen Zeit eine verstärkte Röntgenaktivität des Magnetars fest, womit die Verbindung zum Radiopuls gefestigt wurde. INTEGRAL hat eine örtliche Auflösung von 12 Bogenminuten, rund 1/3 Vollmonddurchmesser. Den endgültigen Bezug stellte dann das chinesische Five-hundred-metre Aperture Spherical radio Telescope [33] (FAST) her, das am 29. und 30. April weitere Radiopulse bei 1,25 GHz aufzeichnen konnte und eine Lokalisierungsgenauigkeit von wenigen Bogensekunden bei diesen Frequenzen hat.

Der Radiopuls von SGR 1935+2154 am 28.04.2020, in der STARE2-Nomenklatur als ST 200428A bezeichnet, ist gemäß seiner Leuchtkraft (y-Achse in Leistung je Bandbreiteneinheit) und Dauer (x-Achse, Logarithmus der Dauer in Sekunden: -6 = Mikrosekunden, -3 = Millisekunden, 0 = Sekunden, 3 = 1000 s, 6 = 1.000.000 s) eindeutig den Fast Radio Bursts zuzuordnen. Riesenradiopulse (Giant Radio Pulses, GRPs) und die Impulse von Pulsaren und Rotierenden Radiotransienten (RRATs) sind um mehrere Größenordnungen leistungsschwächer, Aktive Galaxienkerne (Active Galaxy Nuclei, AGN), Supernovae (SNe), Gammastrahlenausbrüche (Gamma Ray Bursts, GRB) sowie akkretierende Objekte wie Schwarze Löcher (Accretors) und Sterne (Stars) senden deutlich länger andauernde Radiosignale aus. ST 200428A fällt nur um einen Faktor von ca. 1,5 Größenordnungen schwächer aus als typische FRBs.

(Bild: C.D. Bochenek et al., arXiv [34])

Somit war dies der erste entdeckte echte FRB innerhalb der Milchstraße und zugleich der erste, der einem konkreten Objekt zugeordnet werden konnte. Er erhielt die offizielle Bezeichnung FRB 200428.

Offenbar sind also Magnetare zumindest eine mögliche Quelle von FRBs. Nun stellt sich natürlich die Frage nach dem genauen Mechanismus. Bochenek et al. aus dem STARE2-Team stellen klar, dass weder die Gamma-Bursts noch die zeitgleich mit dem FRB ausgestrahlten Röntgenpulse in irgendeiner Weise untypisch für einen Magnetar gewesen seien, deren 30 Stück in der Milchstraße bekannt sind und tausende weitere existieren müssen. Ungewöhnlich sei nur die zeitliche Koinzidenz, da Röntgenpulse üblicherweise Radiosignale für mehrere 10 Sekunden blockierten. Eine Möglichkeit zur parallelen Erzeugung von Radio- und Röntgenpulsen böten jedoch Riesenflares, bei denen eine magnetische Blase von Teilchen in der Magnetosphäre ("Plasmoid") auf relativistische Geschwindigkeit beschleunigt werde.

Die Teilchen könnten beide Arten von Strahlung erzeugen, wenn sie in umgebendes Gas rammten, und die Energie von Riesenflares wäre mit mehr als 1037 Joule groß genug, diesen Prozess anzutreiben. Alternativ könnte der Plasmoid beim Austritt aus der Magnetosphäre einen elektromagnetischen Puls verursachen. Da die Plasmoide in eine bestimmte Richtung geschleudert würden, wäre auch die generierte Strahlung gerichtet, was ihre Seltenheit (insbesondere in Anbetracht zahlreicher Magnetare in der Milchstraße) erklären könne.

Ob das Plasmoid-Modell das Phänomen der Fast Radio Burst erklären kann und ob es möglicherweise noch andere Prozesse gibt, die FRBs produzieren können, werden weitere Forschungen zeigen müssen. Seit der FRB 200428 dem Magnetar SGR 1935+1254 zugeordnet werden konnte, reißt die Zahl Astronomischer Telegramme und Veröffentlichungen nicht ab, mehr als 2/3 aller Arbeiten zu dem Magnetar wurden in diesem Jahr veröffentlicht. Vielleicht spendiert dieser Magnetar oder ein anderer in der Milchstraße uns noch ein paar FRBs, die sichließlich helfen werden, das Rätsel um die ultrastarken Radiopulse aufzulösen.

Quellen:

(mho [46])


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[18] https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.en
[19] https://arxiv.org/abs/0709.4301
[20] https://www.heise.de/Datenschutzerklaerung-der-Heise-Medien-GmbH-Co-KG-4860.html
[21] https://de.wikipedia.org/wiki/Rotating_radio_transient
[22] https://de.wikipedia.org/wiki/Peryton
[23] https://arxiv.org/abs/1906.05878
[24] https://www.heise.de/news/Zwerggalaxie-ist-Ursprung-mysterioeser-Radioblitze-3588351.html
[25] https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.en
[26] https://de.wikipedia.org/wiki/Doppelbrechung
[27] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Starshot-Nano-Raumschiffe-sollen-in-20-Jahren-zu-Alpha-Centauri-rasen-3171729.html
[28] https://arxiv.org/abs/2005.10324
[29] https://arxiv.org/abs/2005.10828
[30] https://de.wikipedia.org/wiki/Integral_(Satellit)
[31] https://en.wikipedia.org/wiki/Wind_(spacecraft)#Wind/KONUS_and_TGRS
[32] https://de.wikipedia.org/wiki/Hard_X-ray_Modulation_Telescope
[33] https://de.wikipedia.org/wiki/FAST_(Radioteleskop)
[34] https://arxiv.org/abs/2005.10828
[35] https://arxiv.org/abs/0709.4301
[36] https://arxiv.org/abs/1906.05878
[37] https://link.springer.com/article/10.1007/s00159-019-0116-6
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[40] http://www.astronomerstelegram.org/?read=6294
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