Die neue Klassengesellschaft des Mobilfunks

Netzbetreiber drosseln nicht nur bei Flatrate-Kunden mit intensiver Datennutzung die Übertragung. Dank neuer Analyseverfahren können sie nun auch Kunden mit hochwertigen Tarifen bevorzugt behandeln.

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Von
  • David Talbot

Netzbetreiber drosseln nicht nur bei Flatrate-Kunden mit intensiver Datennutzung die Übertragung. Dank neuer Analyseverfahren können sie nun auch Kunden mit hochwertigen Tarifen bevorzugt behandeln.

Viele Mobilfunkbetreiber sind in letzter Zeit zum umstrittenen „Datendrosseln“ übergegangen: Ab einer bestimmten Menge übertragener Daten verlangsamen sie für „Heavy User“ mit einer Flatrate die Datenrate. Aus ihrer Sicht nachvollziehbar: Wer ständig Videos auf sein Smartphone zieht, aber nicht mehr zahlt als Durchschnittsnutzer, belastet das Geschäftsmodell.

Doch das ist noch nicht die ganze Geschichte, wie Industrieinsider jetzt offenlegen. Die Netzbetreiber setzen auch ausgeklügelte Datenanalysen ein, um Kunden, die hohe Tarife zahlen, einen besseren Dienst als dem Rest zu bieten. Hierfür durchforsten sie gezielt die Daten, die sie ihre Kunden übermitteln – und liegen damit in einem Trend, der die gesamte Netzindustrie erfasst hat.

Mit dieser „Big Data“ genannten Praxis wollen sie vermeiden, dass die gutzahlenden Kunden sich beschweren. Zeigen die Analysen, dass diese Kunden Probleme haben, behandele man sie besonders zuvorkommend, sagt Chris Lynch, CEO von Vertica. Die Firma aus Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts bietet die entsprechenden Datenanalysen als Dienstleistung an und wurde kürzlich von Hewlett-Packard übernommen.

In den Analysen werden Informationen über Netzprobleme – beispielsweise unterbrochene Anrufe – mit unstrukturierten Daten aus den Transkripten telefonischer Beschwerden zusammengeführt. Spracherkennungssoftware untersuche diese Telefonate unter anderem auf Wörter, die einen verärgerten Kunden verraten, sagt Lynch. Handelt es sich dabei um jemanden mit einem hochwertigen – und teuren – Tarif, bieten Netzbetreiber ihnen zum Beispiel Preisnachlässe an. Flatrate-Kunden würden hingegen nicht in den Genuss dieser Vorzugsbehandlung kommen, so Lynch.

Der Vertica-Chef will keine Namen nennen. Die selektive Behandlung von Mobilfunkkunden sei jedoch längst gängige Praxis in den USA, versichert er. Der Industrieverband Communications and Telecommunications Industry Association lehnte auf Nachfrage einen Kommentar zu dieser Geschäftspraxis ab, ebenso der Netzbetreiber AT&T.

Erst letzten Monat hatte der Telekommunikationsriese entschieden, Flatrate-Kunden den Datenhahn ein wenig zuzudrehen, sobald diese mehr als drei Gigabyte über das Mobilfunknetz übertragen haben. Zuvor hatte AT&T nur geäußert, man behalte sich vor, den fünf Prozent der Kunden mit der datenintensivsten Nutzung die Übertragungsrate zu drosseln.

In Europa sei nach Lynchs Worten die Ungleichbehandlung der Mobilfunkkunden noch größer, sagt Lynch. Sobald Engpässe in einem Netz entstünden und der Betreiber seine Kunde in ein anderes Netz einbuchen müsse, würden Heavy User mit Flatrate als erste rausgeschmissen. „Ich kann für diese Netzbetreiber in Echtzeit diejenigen identifizieren, die im Netz sein oder draußen bleiben sollen“, sagt Lynch. Ebenso müssten Nutzer, die einem zweiten Netz übergeben würden, in diesem Netz die Hauptlast eines eventuellen Datenstaus tragen.

Die Telekommunikationsindustrie arbeite daran, mit immer genaueren Analysemethoden ihre Datenraten zu optimieren und so die Netzqualität in Gegenden mit hohem Datenaufkommen zu verbessern, bestätigt Chetan Sharma, ein Mobilfunk-Analyst aus Seattle. Die Firmen versuchten alles, was ihnen ‚Big Data’ verrate, für ihren finanziellen Vorteil auszunutzen. Dazu gehöre eben auch, bei Datenstaus Kunden unterschiedlich zu behandeln.

Damit verstoßen die Netzbetreiber nicht einmal gegen die Netzneutralität, wie sie US-Regulierungsbehörde FCC vorschreibt. Denn die gilt nicht für drahtlose Netze. Kunden wiederum können eine Benachteiligung durch ihren Netzbetreiber kaum nachweisen, weil theoretisch eine Verschlechterung der Verbindungsqualität mehrere Ursachen haben kann.

Auf der anderen Seite dienen die neuen Netzanalyse-Techniken, wie sie etwa Nokia Siemens Networks kürzlich auf dem Mobile World Congress in Barcelona vorgestellt hat, auch der Verbesserung des Netze. Überträgt ein Kunde weniger Daten, können die Analysesysteme auch herausfinden, ob dies daran liegt, dass das Netz an einem bestimmten Ort nicht leistungsfähig genug ist. In diesem Fall könnte der Netzbetreiber dort einen zusätzlichen Sendemast installieren.

„Wir stehen am Anfang einer neuer Phase in der Big-Data-Analytik“, sagt Antonio Rodriguez vom Wagniskapitalgeber Matrix Partners in Cambridge. „Angesichts der randvollen Schatztruhen mit Netzdaten stellt sich da die Frage, wo die Netzbetreiber im Sinne des Datenschutzes eine Trennlinie ziehen zwischen dem, was sie wissen, und dem, was sie damit machen.“ (nbo)