Diversität in der IT: Coding ist keine reine Männersache

Seite 2: Es braucht sichtbare Vorbilder

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heise Developer: Was haben Sie daraufhin geändert?

Menat: Wir haben entschieden, zusätzlich identische Veranstaltungen anzubieten, dort jedoch nur Frauen zuzulassen. Der "Trick" bestand tatsächlich nur darin, den Events ein anderes Etikett zu geben, ohne an den Inhalten die kleinste Kleinigkeit zu verändern. Die "Women’s Coding Workshops" wurden von Frauen geleitet, unter anderem damit diese von den Teilnehmerinnen als "role model" wahrgenommen werden konnten. Das Ergebnis war beeindruckend: sämtliche dieser Workshops waren so gut wie immer ausgebucht. Das führte zu erheblich mehr Bewerbungen von Frauen und letztlich zu einem deutlich höheren Anteil von Teilnehmerinnen bei den Bootcamps. Vor fünf Jahren lag der Frauenanteil bei Le Wagon bei 20 Prozent, heute beträgt er 35 Prozent! In vielen Ländern liegt er sogar bei über 40 Prozent.

heise Developer: Was denken Sie, was kann man daraus lernen?

Menat: Offenbar ist es das Image des Programmierens an sich, das viele Frauen davon abhält diesen Karriereweg für sich selbst ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Die Gründe dafür sind komplex, aber sicherlich spielt es eine Rolle, dass viele Frauen (mindestens unterbewusst) überkommene Rollenvorstellungen und Klischees zur Tech-Affinität von Männern und Frauen im Hinterkopf haben. Diese verinnerlichen wir nämlich oft schon als Kinder und sie sind in den meisten Gesellschaften ziemlich fest verankert.

In ihrem Buch "Unlocking the Clubhouse" (2001) präsentieren Jane Margolis und Allan Fisher die Ergebnisse einer Befragung von mehr als 100 Informatik-Studierenden. Die Studie zeigt, wodurch der sogenannte Gender Gap im Bereich Coding unter anderem beeinflusst wird: “Von der frühen Kindheit bis zur Hochschule wird der Umgang mit Computern von Jungen und Männern als ‘Jungssache’ beansprucht und von Mädchen und Frauen mehr oder weniger passiv an diese abgetreten.” Das zeigt, wie groß der Einfluss einer Kultur auf die Selbstwahrnehmung der Menschen und ihre Motivation, sich mit einem bestimmten Bereich zu beschäftigen, sein kann.

heise Developer: Aus Sicht des Marketings: Was könnte eine Karriere in der IT für Frauen attraktiver machen?

Menat: Ich bin mir sicher, dass die Kommunikation eine große Rolle spielen muss. Wir brauchen mehr "role models" und müssen diese sichtbar machen. Man kann niemanden zum Vorbild nehmen, der unsichtbar ist. In dem Alter, in dem wir über unsere Ausbildung, über unser Studienfach und unseren späteren Beruf entscheiden, werden wir natürlich von Vorbildern beeinflusst – egal ob im unmittelbaren Umfeld oder durch prominente Persönlichkeiten. Auch wenn diese Forderung (leider) schon alt ist: Wir brauchen definitiv mehr weibliche Vorbilder, die Mädchen inspirieren können, ihren eigenen Weg zu gehen!

Wir müssen Aus- und Weiterbildung im Bereich Coding anders vermarkten. Die University of California at Berkeley hat vor einigen Jahren einen Einführungskurs im Bereich Informatik umbenannt: Aus "Introduction to Symbolic Programming" wurde "The Beauty and Joy of Computing". Mit dieser kleinen Änderung verkaufte die Hochschule das Programmieren als kreativ und anregend und nicht mehr als kühl und abstrakt. Die Folge war, dass im Jahr 2014 zum ersten Mal mehr Frauen als Männer an diesem Kurs teilnahmen. Insofern ist klar: Bei der Vermarktung von Coding im Ausbildungsmarkt können einzelne Formulierungen entscheidend sein!

Wir müssen Frauen und unterrepräsentierte Gruppen in die Kommunikation vollständig einbeziehen. Ein guter Startpunkt ist die Verwendung von genderneutraler Sprache auf allen Kommunikationskanälen, um dies schon bald zum Branchenstandard zu machen.

Wir müssen den Zugang zur Tech-Welt durch "safe spaces" ermöglichen. Natürlich muss es sich dabei nicht zwangsläufig um Events handeln, die ausschließlich Frauen offenstehen.