Dolby Cinema: HDR-Bild und Multikanal-Sound sollen ins Kino locken

Mit der niederländischen Erstaufführung des Films "Inside Out" feierte in Hilversum auch das erste europäische Kino mit "Dolby Vision"-Laserprojektion, "Dolby Atmos"-Ton und Premium-Ausstattung seine Premiere. c't verschaffte sich vor Ort einen Eindruck.

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Dolby Cinema: HDR-Bild und Multikanal-Sound sollen ins Kino locken
Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Nico Jurran
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Wer sich für Kinotechnik interessiert, der weiß wahrscheinlich, dass bereits im vergangenen Dezember im niederländischen Eindhoven das erste "Dolby Cinema"-Kino öffnete. Insofern erscheint die Premiere des zweiten europäischen Filmtheaters mit diesem Gütesiegel im rund 30 Kilometer von Amsterdam liegenden Hilversum zunächst kaum berichtenswert.

Doch so einfach ist es nicht: Dolby Cinema besteht bezüglich der Bild- und Tonwiedergabe aus zwei Komponenten – dem Tonsystem "Dolby Atmos" und der Projektionstechnik "Dolby Vision". Letztere war zum Start in Eindhoven aber noch nicht fertig, sodass man dort zunächst eine gewöhnliche (Laser-)Projektion benutzte.

Das "JT Hilversum" ist hingegen das erste von Beginn an komplett ausgestattete Dolby Cinema in Europa. Dolby lud zum Start einige Journalisten zu einer Demonstration ein, bei der neben verschiedenen 2D- und 3D-Democlips und Dolby-Vision-Trailern die US-Fassung des Disney-Pixar-Films "Inside Out" (deutscher Titel "Alles steht Kopf") zu sehen war, der in Hilversum auch seine niederländische Premiere feierte. Das Dolby Cinema in Eindhoven ist mittlerweile übrigens auch umgerüstet; wie in Hilversum begann der Dolby-Vision-Betrieb auch dort mit "Inside Out".

"Dolby Cinema" bezieht sich in den Kinos auf jeweils einen dedizierten Saal. In beiden gibt es daneben auch reguläre Säle. Neben den Theatern der niederländischen JT-Kette gibt es weltweit fünf weitere Dolby-Cinema-Kinos, die sich allesamt in den USA befinden und zur AMC-Kette gehören.

Auch wenn der Schwerpunkt auf Vision und Atmos liegt, ist Dolby Cinema ein Gesamtpaket, das die Kinobesucher in eine andere Welt entführen soll – und zwar schon vor Filmbeginn: Man betritt daher den Kinosaal nicht direkt, sondern wird erst einmal durch eine kleine Passage geleitet, in der wandfüllend ein extra zum Film produzierter Clip inklusive passendem Sound projiziert wird.

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Der Saal und seine Einrichtung selbst sind (bis auf die Leinwand) in anthrazit/schwarz gehalten; lediglich ein blauer Lichtstreifen an den Wänden und blaue Lampen an den Stufen sorgen vor der Vorstellung (neben dem Projektor) für Beleuchtung. Nichts soll den Zuschauer wieder aus dem Erlebnis herausreißen, zudem wird so Streulicht vermieden. Laut Dolby wurde sogar darauf geachtet, dass die vorgeschriebenen Lichtstreifen am Boden, die den Weg zu den Ausgängen weisen, nicht ungünstig strahlen.

Erst auf den zweiten Blick dürften viele Besucher bemerken, dass die Lautsprecher nicht sichtbar, sondern hinter Akustikpaneelen installiert sind. Die für Atmos typischen Deckenlautsprecher lassen sich nur erahnen, die Surround-Lautsprecher bleiben komplett verborgen. Auch dies ist Teil der Philosophie: Der Besucher soll nicht überlegen, ob die Anlage wohl genug Wumms liefert.

Die Leinwand reicht in Hilversum von Wand zu Wand, der Besucher nimmt davor in bequemen, breiten Sitzen mit Getränkehalter Platz. Die Sitzreihen sind zu den Rändern hin also nach innen gebogen, damit man von jedem Platz einen optimalen Blick auf die (nach innen gebogene) Leinwand hat.

Gedeckte Farben, dezente Beleuchtung, diskrete Lautsprecherinstallation - bei Dolby Cinema soll nichts vom Filmerlebnis ablenken.

(Bild: Nico Jurran / c't)

Natürlich sind aber auch im Dolby Cinema in erster Linie Bild und Ton wichtig. Für Ersteres sorgen zwei Laserprojektoren von Christie. Dolby Vision ist dann praktisch ein Satz von Techniken, die laut Entwickler unter anderem für einen komplett freien Lichtweg sorgen. Es sollen also weder Filter zum Einsatz kommen, noch wird etwas vor die Linse montiert.

Im Ergebnis erhält man ein enorm helles Bild. Bei der 2D-Projektion spricht Dolby von einem Spitzenwert von rund 106 Candela pro Quadratmeter (cd/m2), umgerechnet 31 foot-lambert (fL). Laut Christie erreichen 2D-Projektoren üblicherweise eine Helligkeit von knapp 48 cd/m2 (14 fL) auf der Leinwand. Bei der 3D-Projektion sinkt dieser Wert bei dieser "6P-Projektion" (2 × 3 Farblasermodule alias "6-Primary") laut Christie auf einen immer noch sehr ordentlichen maximalen Wert von rund 48 cd/m2. Üblich waren bei 3D-Projektoren bislang 10 cd/m2 (3 fL); man soll also einen 3D-Film mit der Helligkeit schauen können, die man bislang nur von 2D-Projektionen gewohnt ist.

Ein zumindest ebenso wichtiger Faktor ist der Kontrast, der das Verhältnis vom dunkelsten bis zum hellsten Signalpegel definiert. Bei einer gewöhnlichen Kinoprojektion mit Xenon-Lampen liegt dieses laut Dolby bei circa 2000:1, bei Laserprojektionen würden üblicherweise Werte zwischen 4000:1 und 8000:1 erreicht. Mit Dolby Vision schaffen die Projektoren nach Angaben von Dolby hingegen den sagenhaften Kontrastwert von über 1 Million zu eins.

Beim Demo-Clip "Graffity", in dem nach und nach eben ein solches auf eine graue Betonwand gesprüht wird, strahlte vor allem die Farbe rot sichtbar.

(Bild: Nico Jurran / c't)

Und schließlich geht Dolby auch das Thema Farbe an: So nutzen die Projektoren den größeren Rec.2020-Farbraum für sattere Farben.

In wenigen Sätzen: Es ist die bislang beste digitale Filmprojektion. Das Bild ist enorm hell, die Farben knallen richtig -- und das Schwarz ist tatsächlich tiefschwarz, wie man es etwa von OLED kennt. (Man kann sich am Ende des Films kurz vor Erscheinen des Abspanns richtig erschrecken, weil man plötzlich in einem komplett dunklen Raum sitzt). In dieser Kombination erhält man ein enorm plastisches Bild.

Bei den in Hilversum gezeigten 3D-Trailern (eine 3D-Fassung von Inside Out für Dolby Cinema gibt es nicht) war kein Helligkeitsunterschied zu üblichen 2D-Projektionen auszumachen. Dies führt zu einem entspannteren 3D-Genuss, da man als Zuschauer in dunkleren Szenen seine Augen nicht so anstrengen muss. Längere 3D-Filme führen im Kino bei manchen Zuschauern aktuell zu gereizten Augen und Müdigkeit. Alles in allem war das 3D-Bild makellos – und erreichte eine bis dato unerreichte Tiefe.

Also alles perfekt? Ganz so einfach ist es dann doch wieder nicht. Denn Inside Out wurde mit den technischen Eckdaten der neuen Kinos im Hinterkopf geschaffen; Dolby selbst spricht von einer "Produktion in Dolby Vision". [Spoiler] Pixar spielt mit dem enormen Kontrast von Dolby Vision und "schaltet" in einem kleinen Intro den Hintergrund von grau- auf tiefschwarz – gefolgt von dem Hinweis, dass der Projektor immer noch an sei. [/Spoiler]

Laut Dolby ist zwar jede Filmkamera aus dem Kinobereich in der Lage, ein HDR-Bild (High Dynamic Range) mit dem nötigen genutzten Kontrast zu liefern; für die Dolby-Cinema-Auswertung muss aber eine spezielle Fassung angefertigt werden. Zuvor waren bereits "Tomorrowland" und "San Andreas" in diesem Format verfügbar, ließen sich Europa aber so nicht anschauen.

Natürlich können in einem Dolby Cinema auch gewöhnliche Filmfassungen laufen – und auch deren Wiedergabe profitiert von der High-Tech-Ausstattung des Kinos. Dennoch zeigte sich bei der Wiedergabe von nicht in Dolby Vision vorliegenden Werbeclips, dass der Unterschied signifikant ist. Insofern ist nicht unwichtig, dass bislang nach Inside Out lediglich "Das Dschungelbuch" in einer Dolby-Cinema-Fassung angekündigt ist.

Unser Versuch, mit einer Fotokamera den Unterschied beim Kontrast zwischen einer gewöhnlichen Laserprojektion...

...und der mit Dolby Vision einzufangen.

(Bild: Nico Jurran / c't)

Die Disney-Neuverfilmung des Animationsklassikers soll erst 2016 anlaufen, dennoch erklärte JT Biscopen als Betreiber der niederländischen Dolby-Cinema-Kinos, dass es für die nächste Zeit ausreichend passendes Material gäbe. Dolby teilte lediglich mit, dass bald weitere Ankündigungen folgen; neben Disney und Warner hätten bereits andere Studios ihr Interesse an Dolby Vision bekundet.

Ebenfalls wichtig: Der computeranimierte Streifen Inside Out ist nicht nur ein toller Film (mit aktuell 8,7 von 10 Punkten steht er unter den Top 50 der ewigen IMDb-Bestenliste), sondern durch seine Erzählstruktur ein Idealfall für Dolby Vision – ebenso wie Tomorrowland: Hier wie dort springt die Geschichte immer wieder und sehr abrupt zwischen einer eher tristen und grauen Realität und einer hellen und bunten Fantasiewelt hin und her.

In einem Ausschnitt aus dem Realfilm "San Andreas" in Dolby Vision konnte man zwar bewundern, wie viel realistischer die Flammen aussehen. Doch hier muss man sich die Frage stellen, ob gewöhnlichen Zuschauer die Unterschiede zur gewöhnlichen Fassung in dem Actionstreifen tatsächlich auffallen, wenn man sie nicht explizit darauf hinweist.

Beim Ton setzt Dolby erwartungsgemäß auf sein neuestes Surround-System "Dolby Atmos" mit bis zu 64 separat ansprechbaren Lautsprecherkanälen – unter anderem für unter der Decke montierte Höhenlautsprecher.

Bislang funktionierte Raumklang im Kino gewöhnlich so: Über drei Kanäle vorne wurden die zum Geschehen auf der Leinwand passenden Dialoge und Geräusche wiedergegeben. Gleichzeitig sorgten rückwärtige "Surround"-Kanäle – diffus abgestrahlt über eine Vielzahl von Lautsprechern – für den "Umhüllungssound". Dolby Digital EX und DTS-ES fügten dem bis dahin üblichen 5.1-kanaligen Setup zwar noch einen mittigen "Surround Back"-Kanal hinzu; der generelle Aufbau mit Lautsprecher-Arrays verhinderte aber weiterhin eine wirklich differenzierte Wiedergabe von Klangereignissen aus dem Rückraum.

Die Deckenlautsprecher des Atmos-Tonsystems sind in zwei Reihen installiert.

(Bild: Nico Jurran / c't)

Das menschliche Gehör arbeitet aber so präzise, dass es etwa auch von oben kommende Geräusche exakt ortet. Mit Atmos lassen sich die seitlichen und rückwärtigen Lautsprecher-Arrays auflösen und Surround-Lautsprecher einzeln oder in kleinen Gruppen ansteuern. Und auch bei der Generierung des Raumklangs geht das System neue Wege: Einzelne Audioobjekte werden ähnlich wie bei einem Computerspiel vor einem Hintergrund eingeblendet, ihre Positionierung übernimmt der Soundprozessor bei der Wiedergabe nach den Vorgaben des Toningenieurs. Der legt bei der Abmischung über Metadaten für verschiedene Lautsprecher-Layouts fest, welches Signal an welcher Stelle zu hören sein soll.

Im Dolby-Cinema-Saal in Hilversum sind 53 Lautsprecher vom Typ Christe Vive Audio installiert, davon fünf hinter der Leinwand. Die Deckenlautsprecher sind in zwei Reihen über den Zuschauern angeordnet. Als Verstärker kommen Klasse-D-Modell zum Einsatz, die eine hohe Leistung bei hoher Energieeffizienz liefern. Zu den Dolby-Cinema-Vorgaben gehört auch, dass der Saal komplett akustisch isoliert sein muss. Dies bedeutet, dass weder Geräusche von dort nach außen, noch aus anderen Bereichen des Kinos in diesen gelangen sollen.

Dolby-Atmos-Installationen gibt es in Kinos auch unabhängig vom Dolby-Cinema-Gesamtpaket. Im JT Eindhoven sind einige Säle beispielsweise mit einer Dolby-Atmos-Tonanlage ausgestattet, bieten aber keine Dolby-Vision-Projektion.

Tatsächlich geht Dolby Cinema auch beim Ton in die Vollen: Die Anlage in Hilversum hat eine enorme Dynamik; der Tiefton-Effektkanal geht ordentlich zur Sache, ohne dass die Bässe schwammig werden. Vor allem aber hat Pixar bei Inside Out die Räumlichkeit gut im Griff: Als Zuschauer wird man nicht die ganze Zeit mit Effekten aus allen Richtungen zugedröhnt, sondern bekommt den "multidimensionalen Raumklang" in den passenden Szenen serviert.

Über den gesamten Film hinweg sorgt die Abmischung aber für eine schöne Räumlichkeit, die bei anderen Atmos-Filmen in der Vergangenheit etwas zu Wünschen übrig ließ.

Laut Dolby entstanden allen bisherigen Dolby Cinemas durch den Umbau eines bereits bestehenden Saals. Dennoch sind die Kosten für die Installation beträchtlich, wie der Chef der JT-Kinokette auf Nachfrage bestätigte. Zwar nannte er keine konkreten Zahlen, am Ende standen aber Kosten im Raum, die mit denen für den Sprung von der analogen zur digitalen Kinoprojektion vergleichbar sind.

JT will durch einen Aufschlag auf den Eintrittspreis in Höhe von 5 Euro dieses Geld wieder reinholen und auf Dauer Gewinne erwirtschaften: Kostet ein Ticket in Hilversum gewöhnlich 10 Euro, so muss man für das Premium-Erlebnis also 15 Euro auf den Tresen legen.

Fragestunde mit Vertretern von Dolby und JT nach dem Screening von "Inside Out"

(Bild: Nico Jurran / c't)

Der Kinobetreiber glaubt an den dauerhaften Erfolg: Zu den Dolby Cinemas in Eindhoven und Hilversum sollen künftig weitere hinzukommen, als Wunschvorstellung nannte JT eine Zahl, "die sich nicht mehr an einer Hand abzählen lässt". Insgesamt betreibt JT als zweitgrößte Kette in den Niederlanden 21 Kinos. Alle werden sich aber schon aus technischen Gründen wohl nicht zu Dolby Cinemas umbauen lassen. JT hat nach einen Angaben für die Niederlande einen Exklusiv-Vertrag mit Dolby. Mit Details rückten beide Partner aber nicht heraus.

Im Rest Europas ist bislang kein Dolby Cinema angekündigt; zu möglichen deutschen Standorten war auch bei hartnäckigem Nachfragen nichts zu erfahren. Dolby versicherte lediglich mehrfach, dass es ein weltweites Interesse seitens der Kinobetreiber gäbe.

Wichtig bleibt für alle Kinos mit dem Gütesiegel, dass auf Dauer passende Filme zur Verfügung stehen, die Dolby Vision und Atmos tatsächlich voll ausreizen. Ein Anreiz für die Filmstudios, bei der Produktion auf HDR, Rec.2020 und Atmos zu setzen, könnte dabei durchaus sein, dass diese Normen auch im Heimkinobereich künftig eine immer größere Rolle spielen sollen – sei es bei High-End-Fernsehern, VoD-Diensten oder kommenden Ultra-HD Blu-ray Disc. Mit Dolby Cinema hat das Kino jetzt aber auf jeden Fall erst einmal wieder vorgelegt.

Hinweis: Dolby hat für Nico Jurran die Reise nach Hilversum bezahlt. (nij)