Drei-Zwei-Eins-Fusion!

Im kalifornischen Livermore haben US-Wissenschaftler den größten Laser der Welt gebaut. Schon bald wollen sie damit eine Fusionsreaktion zünden.

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Dieser Text ist der Print-Ausgabe 12/2009 von Technologie Review entnommen. Das Heft kann, genauso wie ältere Ausgaben, hier online portokostenfrei bestellt werden.

Im kalifornischen Livermore haben US-Wissenschaftler den größten Laser der Welt gebaut. Schon bald wollen sie damit eine Fusionsreaktion zünden. Im internationalen Rennen um die Nutzung der Fusionsenergie haben die Amerikaner damit die Nase vorn.

Es ist Ende April, als die Arbeiter die letzten Teile der "National Ignition Facility" (NIF) montieren. Unter den Bauhelmen tragen die Männer Haarnetze, über der Arbeitskleidung weiße Laborkittel, an den Händen Latex-Laborhandschuhe. Sie haben sich in der zentralen Zielkammer versammelt – einem kugelförmigen Raum mit zehn Meter Durchmesser, vollgestopft mit 48 polierten Aluminiumröhren. Konzentriert bereiten sie die Montage von einem der letzten entscheidenden Teile vor: ein Sensor zur Positionierung des sogenannten Targets. Nur wenn dieses Goldröhrchen, das eine Kugel aus gefrorenem Wasserstoff umhüllt, exakt in der Mitte der Kammer platziert wird, wird das Experiment gelingen.

Das Ziel der US-Forscher in Livermore ist ein alter Menschheitstraum: das Feuer der Sonne auf Erden zu entzünden. 192 hochenergetische Laserstrahlen sollen auf eine Wasserstoffkugel abgefeuert werden. Jeder einzelne dieser Strahlen transportiert mehr Energie als der bislang existierende stärkste Laser der Welt, erklärt Bruno Van Wonterghem, Betriebsleiter am NIF. Alle Laserstrahlen zusammen bringen 1,5 Megajoule ins Ziel – das ist so viel Energie, als würde man einen Zehn-Tonnen-Lkw aus 15 Meter Höhe fallen lassen. Der Laserbeschuss dauert nur 20 Nanosekunden. Das genügt, um die Wasserstoffkugel in eine Welle aus hochenergetischen Röntgenstrahlen einzuhüllen. Das zwei Millimeter kleine Wasserstoff-Pellet wird mit einer Geschwindigkeit von bis zu 1,5 Millionen Kilometer pro Stunden implodieren, "und all die kinetische Energie, die wir in das Kügelchen einbringen, wird in Hitze umgewandelt", sagt Van Wonterghem. Unvorstellbare 100 Millionen Grad Celsius heiß wird es dann im Inneren der Kugel, und der Wasserstoff wird so weit komprimiert, dass die Dichte hundertmal höher ist als die von Blei. In diesem Höllenfeuer existiert der Wasserstoff nur noch als diffuse Wolke aus durcheinander fliegenden Elektronen und Atomkernen, dem sogenannten Plasma. Wenn zwei Atomkerne sich in diesem Plasma so nahe kommen, dass sie die elektrische Abstoßung überwinden, verschmelzen sie, und es entsteht Helium.

Dabei wird in einem Ausmaß Energie frei, in dem sich alle anderen Energiequellen recht mickerig ausnehmen: Ein Kilo Wasserstoff verschmolzen zu Helium liefert so viel Energie, als würde man 11000 Tonnen Steinkohle verheizen. Schon lange träumen Wissenschaftler deshalb davon, diese Reaktion, die auch die Sonne befeuert, als quasi unerschöpfliche Energiequelle auf der Erde zu nutzen. Doch bislang ist es der Menschheit lediglich gelungen, das zerstörerische Potenzial dieser Technologie zu entfesseln – in Form der Wasserstoffbombe. Denn um die Fusionsreaktion wirklich zu zähmen, muss man Drücke und Temperaturen erzeugen, denen bislang kein Material der Welt standhält.

Die Forschung setzt daher auf zwei verschiedene Wege, um dieses Problem zu lösen: Die weltweit von den meisten Wissenschaftlern bevorzugte Methode besteht darin, das heiße Plasma in ein Magnetfeld einzuschließen: Das ist möglich, weil sich bewegende geladene Teilchen von Magnetfeldern abgelenkt werden. Bereits 1952 hatte der später als Bürgerrechtler bekannt gewordene russische Physiker Andrej Sacharow mit seinem Kollegen Igor Tamm Pläne für eine reifenförmige Reaktionskammer vorgelegt, in der extrem starke Magnetfelder ein Plasma-Gemisch aus den schweren Wasserstoff-Isotopen Deuterium und Tritium einschließen. Induzierte Ströme sollten das ionisierte Gas aufheizen. In den 1960er-Jahren griffen auch die Amerikaner und Europäer das Prinzip des von den Russen "Tokamak" getauften Reaktors auf. Das bislang ehrgeizigste Tokamak-Projekt ging 1983 im englischen Culham in Betrieb: "Jet", der "Joint European Torus", hat einen Durchmesser von sechs Metern und schaffte am 9. November 1991 erstmals die Kernfusion – damit war die Machbarkeit bewiesen. Sechs Jahre später gelang es den Wissenschaftlern am Jet, eine Fusionsleistung von 16 Megawatt zu erzeugen und so immerhin 65 Prozent der zuvor in das Plasma eingebrachten Heizleistung zurückzugewinnen.

Die nächste Tokamak-Generation, der europäische Fusionsreaktor Iter, der im südfranzösischen Cadarache gebaut wird, soll den magischen Effizienzsprung schaffen – also mindestens genauso viel Energie erzeugen, wie zur Plasma-Aufheizung verbraucht worden ist. "Ein Fusionsreaktor ist erst dann wirklich interessant, wenn er groß ist", sagt Norbert Holtkamp, technischer Direktor des Iter-Projektes, "denn Fusion wird einfacher, wenn der Reaktor größer wird. Aber um das zu zeigen, muss man eine Menge Geld investieren." Das heißt in diesem Fall etwa zehn Milliarden Euro, die sieben internationale Partner schultern: die EU, Japan, Russland, China, Südkorea, Indien und die USA. Die exakten Kosten sind nicht zu beziffern, weil der Reaktor zum größten Teil in Form von Sachleistungen gebaut wird. Bis 2018 soll die Maschine fertig sein. Das Herz des Reaktors – die Vakuumkammer – ist ein rund elf Meter hoher und rund 8000 Tonnen schwerer Riesen-Donut aus rostfreiem Stahl mit 19 Meter Durchmesser. Um diesen Reifen winden sich 18 supraleitende Magnete, die das 150 Millionen Grad heiße Plasma von den Wänden fernhalten sollen. Acht Jahre nach der Inbetriebnahme soll die erste Fusion gezündet werden – eine ziemlich lange Zeit. "Man muss mal schauen, ob man diesen Weg noch etwas verkürzen kann", sagt Holtkamp. "Aber man darf das Ganze auch nicht zu sehr pushen." Zunächst wollen die Wissenschaftler die Anlage mit Wasserstoff testen, ein Hochleistungsplasma erzeugen, das ganz ähnliche physikalische Eigenschaften hat wie das Fusionsplasma. Dann erst soll es richtig ernst werden. Der Grund: Bei der Fusion der schweren Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium werden Neutronen frei, die in der Wand der Vakuumkammer abgebremst werden. Diese Neutronen transportieren rund 80 Prozent der Fusionsenergie aus dem Plasma heraus, sind also wichtige Energie-Überträger. Gleichzeitig sorgt der permanente Teilchenbeschuss aber auch dafür, dass die Wände der Vakuumkammer radioaktiv werden. "Wenn dann etwas schiefgeht, können Sie nicht mehr rein in die Kammer", sagt Holtkamp. "Deswegen ist es so wichtig, die Maschine vorher so gut wie möglich zu verstehen."

Im Großen und Ganzen jedoch ist Holtkamp sehr optimistisch: "Das Gute ist ja, dass Iter kein vollkommen neues Konzept ist", sagt er. Riesensprünge seien da nicht zu erwarten, weder in der Technologie noch im Plasmaverhalten. Im Wesentlichen, erklärt der Physiker, der vor seinem Job bei Iter den Bau von riesigen Teilchenbeschleunigern organisiert hat, komme es nur darauf an, existierende Komponenten zehnmal größer als bisher zu bauen. "Wenn Sie sich Jet anschauen oder die anderen Maschinen, die in den 80er-Jahren gebaut wurden, die hatten Vakuumkammern mit etwa 100 Kubikmeter Volumen. Bei Iter werden es ungefähr 1000 sein." Die große Unbekannte jedoch, räumt Holtkamp ein, werde das Langzeitverhalten des Reaktors sein. Während die Fusion am Jet nur eine halbe Sekunde dauerte, soll die am Iter eine halbe Stunde anhalten. "Das ist etwa so, als ob Sie ein Auto immer nur kurz angelassen und wieder ausgestellt haben und dann erstmals eine halbe Stunde richtig fahren. Das ist der einzige wirklich große Sprung." Dass der Reaktor laufen werde, da ist sich Holtkamp ziemlich sicher. "Wie weit wir dann die Performance steigern können, müssen wir noch klären."

Die US-Wissenschaftler an der National Ignition Facility setzen einstweilen auf eine ganz andere Methode: die sogenannte Trägheitsfusion. Hochenergetische Laserstrahlen komprimieren den Wasserstoff, um die Temperaturen und den Druck zu erzeugen, der die Fusion erst ermöglicht. Die Fusion selbst wird dann nicht durch ein magnetisches Feld eingedämmt, sondern ist nur durch die zur Verfügung stehende Menge an Wasserstoff begrenzt. Mit anderen Worten: Die NIF erzeugt eine Art Mini-Wasserstoffbombe im Labor, ein winziger künstlicher Stern, der für den Bruchteil einer Sekunde leuchtet – klein genug, um ihn nach allen Regeln der Kunst wissenschaftlich zu untersuchen. Natürlich gibt es in der Forschergemeinde eine angeregte Diskussion über die Frage, welche der beiden Methoden eher zur Energie-Erzeugung geeignet ist. Doch zurzeit ist es bei Weitem zu früh, um diese Frage zu beantworten. Eines jedoch scheint bereits jetzt festzustehen. Die NIF wird zum ersten Mal einen wichtigen Meilenstein der Fusionsforschung erreichen: Die Erzeugung einer sich selbst erhaltenden Fusionsreaktion, die mehr Energie abgibt, als hineingesteckt worden ist. Die bisher durchgeführten Experimente und Simulationen lassen erwarten, dass die Leistung der 192 Laser ausreichen wird, um eine Kettenreaktion in Gang zu setzen, die erst erlischt, wenn der Wasserstoff verbraucht ist. Diese sich selbst erhaltende Fusion zu erzeugen, sei "ein unglaubliches Ereignis", schwärmt Edward Moses, Leiter der NIF. "Damit beginnt eine neue Ära." Natürlich gäbe es bis dahin noch diverse technische Hindernisse zu überwinden, räumt der E-Technik-Ingenieur ein. Allein die Fusion zu zünden sei eine einmalige Herausforderung. Die Anlage muss nicht nur eine enorme Leistung bereitstellen, die Laser müssen auch mikrometergenau auf das Ziel justiert werden. "Das", sagt Ian Hutchinson, Professor für Nuklearforschung und -technologie am MIT, "ist eine unglaublich beeindruckende technische Leistung."

Noch am selben Abend, nachdem die Techniker den Sensor in der Zielkammer installiert haben, versammelt sich ein Team von Wissenschaftlern im Kontrollraum, um einen ersten Lasertest zu starten. Zur Sicherheit wird der Test nachts durchgeführt, nachdem alle Montage-Arbeiter die Anlage verlassen haben. Um alle 192 Laser abzufeuern, muss man 60000 verschiedene Kontrollpunkte überwachen – eine Prozedur, die sich nicht von Hand bewältigen lässt: 1500 Computer übernehmen diese Aufgabe – den Forschern bleibt nach der Einstellung aller Parameter nur das atemlose Warten mit dem Finger über der Notabschaltung. Wenn alles funktioniert, wird der Laser einen Puls liefern, dessen Leistung 500-mal größer ist als die aller US-Kraftwerke zusammen. Damit die Laserfusion auch zur Energie-Erzeugung genutzt werden kann, müssen jedoch noch offene Fragen geklärt werden. Die Fusionsreaktion soll zwar nach den Plänen der NIF-Wissenschaftler zehn- bis zwanzigmal mehr Energie freisetzen, als durch die Laser in den Wasserstoff gepumpt wird.

Bei Licht besehen ist diese Rechnung allerdings geschönt, denn die Erzeugung von Laserlicht ist ein sehr ineffizienter Prozess. Um mindestens genauso viel Energie zu erzeugen, wie in den Prozess hineingesteckt wird, müsste die Fusion das Hundertfache der Laserenergie produzieren. Prinzipiell, erklärt Moses in seinem mit Papieren und Büchern übersäten Büro, gäbe es zwei verschiedene Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen: Man könnte zwei sehr dicht aufeinander folgende Laserpulse abschießen – der Prozess wird "schnelle Zündung" genannt. Theoretisch sollte das die für eine Fusion notwendige Laserenergie verringern. Aber der Laser am NIF ist für eine solche Operationsweise nicht geeignet – das Verfahren kann daher erst in zukünftigen Experimenten getestet werden. Die zweite Möglichkeit bestünde darin, die Atomspaltung mit der Fusion zu kombinieren. Der Charme dieser Idee: In herkömmlichen Atomkraftwerken wird nur ein Teil des nuklearen Brennstoffs verbraucht, weil die Spaltprodukte, die sich im Laufe der Zeit ansammeln, den Spaltprozess behindern. Ein Fusionsreaktor könnte nun für permanenten Nachschub an Neutronen sorgen, um nahezu hundert Prozent des spaltbaren Materials auch wirklich zu nutzen. Diese Option hat zwar nicht das Potenzial der annähernd grenzenlosen Energieversorgung durch die reine Fusion. Aber es könnte die Energie-Ausbeute von Uran um mehrere Größenordnungen verbessern und gleichzeitig nahezu alle langlebigen, gefährlichen radioaktiven Elemente aus dem anfallenden Atommüll entfernen.

Nicht alle Wissenschaftler sind indes davon überzeugt, dass die Laserfusion wirklich zur Energiegewinnung taugt. Einige Skeptiker bezweifeln sogar, dass an der NIF eine sich selbst erhaltende Fusion erzeugt werden kann. Sie glauben nicht, dass die Anlage Laserpulse mit genügend hoher Energie liefert. Falls doch, sei es durchaus möglich, dass die Laser ihre eigene Optik zerstören oder so weit beeinflussen, dass sie nicht mehr auf denselben Punkt konzentriert sind. Außerdem müsste man für eine Energie-Erzeugung 10 bis 15 Fusionen pro Sekunde bewirken. Der Laser am NIF aber muss zwischen zwei Schüssen erst abkühlen. Das bedeutet, er kann höchstens alle zwei Stunden abgefeuert werden. Kritiker wie der Darmstädter Physiker Wolfgang Liebert werfen der NIF deshalb vor, die Energie-Erzeugung als Vorwand zu benutzen. In Wirklichkeit, so Liebert, sei die Laser- fusion ein militärisches Experiment, das dazu gedacht ist, die Physik von Wasserstoffbomben besser zu verstehen.

Holtkamp will von solchen Spekulationen allerdings nichts wissen. "Es geht einfach darum, ob bestimmte Randbedingungen erfüllt sind", sagt er. "Und davon ist man an der NIF noch eine ganze Ecke weit weg." Man müsse aber schlicht unterscheiden zwischen den Parametern, die für ein Laserfusions-kraftwerk erfüllt werden müssen, und den Möglichkeiten der konkreten Anlage, meint Holtkamp. Selbst wenn die NIF-Anlage sich nicht zu einem Kraftwerk ausbauen lasse, müsse das nicht bedeuten, dass die Laserfusion zur Energiegewinnung prinzipiell untauglich sei. "Ich persönlich würde zwar eher auf den Tokamak setzen", sagt Holtkamp, "aber die Kollegen haben durchaus eine Chance."

Tatsächlich gibt es erste vorsichtige Anzeichen, die auf einen Erfolg des Experiments hindeuten: Mittlerweile sind alle 192 Laser abgefeuert worden, und die dabei gemessene Energie sollte ausreichen, um die Fusion zu zünden. Allerdings hat es in Livermore bereits früher ähnliche Experimente gegeben, bei denen genau das leider nicht gelungen ist. Und obwohl die Wissenschaftler seitdem eine Menge gelernt haben, kann niemand garantieren, dass es diesmal wirklich klappt. Ob Erfolg oder Misserfolg – in spätestens zwei Jahren werden die Forscher am NIF Gewissheit haben. "Ich denke, wir haben eine bessere Chance, weil unsere Technologie besser erprobt ist", sagt Holtkamp. "Aber wir sind halt später dran. Wer am Ende wirklich die Nase vorn hat, muss man abwarten." (bsc)