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Drohnen: Follow Me

Hans Dorsch

Was haben Hobbyfilme und Häuserkriege gemeinsam? Bei beiden könnten in Zukunft Roboter Regie führen. Unternehmen entwickeln Drohnen, die Menschen erkennen, ihnen folgen – und bald nicht nur Fotos schießen dürften.

Da! Sie blickten hoch: Dutzende surrender schwarzer Objekte strömten aus verschiedenen Richtungen über die Galerie. Sie sahen aus wie Spielzeug: halbmetergroße Quadrocopter mit einer Art Drahtrahmen und einem runden Körper in der Mitte – wie seltsame geflügelte Insekten. Sie schienen auf Rippers Bewegung oder Stimme zu reagieren, denn sie ergossen sich sofort in einer sich verdichtenden Wolke herab." (Daniel Suarez, "Kill Decision")

Daniel Suarez [1] beschreibt 2012 in seinem Technikthriller "Kill Decision", wie autonome Drohnen Jagd auf Menschen machen. Sie spüren ein Team aus Wissenschaftlern und Technikern auf, verfolgen sie und attackieren sie mit Waffen. Damals war es noch Science-Fiction. Aber im April 2017 zeigte Adam Bry auf der Emtech-Konferenz der MIT Technology Review Videoaufnahmen einer Drohne, die seine Firma Skydio noch dieses Jahr auf den Markt bringen will.

TR 7/2017

Dass sie selbstständig und scheinbar mühelos durch Bäume steuert und sogar einzelnen Blättern ausweicht, war spektakulär – aber nicht das eigentlich Besondere. Wirklich erstaunlich war, dass sie dabei einen Menschen verfolgte, von dem man ihr lediglich Bilder der eingebauten Videokamera vorgesetzt hatte. Die Person versuchte zu entkommen und sich zu verstecken. Aber die Drohne blieb ihr immer auf den Fersen.

"Vor drei Jahren hätte ich nicht gedacht, dass ein Algorithmus, dem man einfach ein Rohbild vorsetzt, eine Person so präzise herauspicken kann", sagt Adam Bry. Die Bilder aus der Drohnenkamera erinnern an Verfolgungsjagden, wie man sie aus Thrillern oder Actionfilmen kennt. Und das kommt nicht von ungefähr, denn die Drohne weiß, wie welche Situation am besten aufgenommen wird. "Die Drohne kombiniert die Dinge, die sie vorhat, mit dem, was sie sieht und was die Umgebung zulässt", sagt Bry. Sie ist für friedliche Anwendungen gedacht. Für Consumer. Für Freizeitsportler, die sich beim Actionsport oder beim Basketball filmen möchten. Oder Vlogger, die ihren Alltag bei YouTube online dokumentieren.

Aber auch militärische Einsätze sind denkbar. Laut einem Bericht des US-Magazins "Wired" will das US-Marinekommando noch in diesem Jahr Einheiten mit Mini-Drohnen für Aufklärungseinsätze ausstatten. Da die traditionellen Entwicklungsprozesse des Militärs für diese ehrgeizigen Zeitpläne zu langsam sind, prüfe man auch "unkonventionelle Ansätze", also zum Beispiel modifizierte Drohnen, die eigentlich für Konsumenten konzipiert sind.

Wann genau die erste Skydio-Drohne auf den Markt kommt, will Bry nicht sagen. Wenn es so weit ist, wäre der Unterschied zu heutigen Modellen jedoch deutlich. Bisherige Selfie-Drohnen müssen Nutzer noch selbst steuern, jedenfalls zu einem gewissen Grad. Seit Kurzem ist im deutschen Apple Store beispielsweise die Hover Camera Passport zu haben. Die Drohne, die eher aussieht wie ein schwebendes Taschenbuch, nutzt nach Angaben des Herstellers Gesichtserkennung, um sich an ihren Besitzer zu heften. Auch die Breeze von Yuneec, erhältlich für unter 500 Euro, folgt einem festgelegten Objekt, zum Beispiel einem Menschen.

Bequem sind beide. Sie lassen sich aus der Hand starten und können automatisch unterschiedliche Manöver fliegen. Weil Selfie-Drohnen auch in Innenräumen fliegen sollen, nutzen sie zusätzlich zu GPS Ultraschallsensoren und eine Technik namens Optical Flow zur Navigation. Sie nimmt die Umgebungsbilder der Kamera als Anhaltspunkt. Dazu merkt sich eine Software markante Punkte, zum Beispiel die Kanten einer Tür. Verändert sich deren Lage im Bild, kann das Programm daraus die relative Position errechnen.

Erste Tests zeigten aber, dass die Erkennung sehr stark von den Lichtverhältnissen abhängt und selbst unter guten Bedingungen nur unzuverlässig funktioniert. Nicht selten verlieren die Drohnen ihr Ziel und fliegen ziellos davon. Hindernisse erkennen die kleinen Drohnen auch nicht. Darauf muss der User selbst achten.

Für wenige Hundert Euro mehr bekommt man Multikopter, die vor Hindernissen bremsen und sie auch umfliegen. Das FlightAutonomy-System der DJI Mavic Pro etwa nutzt GPS zusammen mit fünf Kameras und zwei Ultraschall-Entfernungsmessern, um die eigene Lage im Raum zu erkennen und die von Objekten um sie herum bis zu einem Abstand von 15 Metern. Das schafft sie bis zu einer Geschwindigkeit von immerhin 36 Kilometern pro Stunde. Ausreichend Licht und gute Kontraste sind allerdings immer noch nötig. Helle Hindernisse vor hellem Hintergrund sind also tabu.

Trotzdem fallen mit den neuen Technologien die größten Schwierigkeiten beim Steuern weg. Das heißt aber auch: Das Fliegen dieser Geräte ist mittlerweile so einfach, dass ein Missbrauch immer attraktiver wird. Schon seit einiger Zeit arbeiten Kämpfer des IS immer wieder mit Multikoptern. Sie erkunden etwa mit Modellen des chinesischen Herstellers DJI das Gebiet, das sie überfallen möchten, und halten Ausschau nach Gefechtsständen. Oder sie beladen die Drohnen mit Sprengstoff und bombardieren damit ihre Gegner.

Am 2. Oktober 2016 töteten Sprengkörper, die von Drohnen abgeworfen wurden, erstmals zwei Kämpfer der kurdischen Peschmerga. Im Februar holte die irakische Bundespolizei südlich von Mossul eine der Bombendrohnen vom Himmel und staunte nicht schlecht: Damit die Granaten ruhig fliegen, waren an ihren Enden Körbe von Badminton-Federbällen befestigt. Der Erfindungsreichtum muss die irakische Bundespolizei so stark beeindruckt haben, dass sie die DIY-Bomber seitdem selbst einsetzen.

"Der Missbrauch für terroristische Aktivitäten ist sicher möglich", gibt Jörg Schamuhn zu, der Europachef von Yuneec. "Der Schaden wird nur begrenzt durch die Nutzlast der Drohne." Noch einmal gefährlicher dürfte es werden, wenn die Drohnen nicht mehr wie jetzt ferngesteuert werden müssen – sondern wirklich autonom fliegen wie das Modell von Skydio. Dann steigen die Einsatzmöglichkeiten – erst recht, wenn sie auf die Erkennung und Verfolgung einzelner Menschen programmiert sind.

Auf der Projektionsfläche erschien jetzt in einer neuen Szene eine Frau in einer Burka (...) Kein Gesicht, Arme und Körper nicht klar erkennbar. Auf dem Bildschirm sah die Frau aus wie ein wandelnder Sack. Die Frau in der Burka ging eine schmale Dorfstraße entlang und trug auf dem Kopf etwas, das aussah wie ein Plastik-Wasserkrug. […] Die Frau betrat durch eine Tür zur Linken ein Haus, und das System beschrieb ihr Verschwinden korrekt. Dann war einen Moment alles ruhig, bis sie ohne den Krug auf dem Kopf wieder herauskam. Das war der eigentliche Test. Kognition." (Daniel Suarez, 2012)

Sieht man sich die aktuelle technische Entwicklung an, ist eine derart weitreichende Situationserkennung keine Science-Fiction mehr. Prozessoren und Grafikchips, die ursprünglich für Multimediafunktionen wie Videodarstellung oder Spiele entwickelt wurden, arbeiten jetzt für maschinelles Sehen und Bilderkennung per künstlicher Intelligenz. Smartphones für Googles Project Tango können selbstständig eine Karte der Umgebung erstellen, indem sie mit Kameras Bilder aufnehmen und diese ständig mit bereits gespeicherten abgleichen (Simultaneous localization and mapping, SLAM). Mit der Technologie kann man etwa die eigene Wohnung vermessen und mit virtuellen Möbeln ausstatten – oder sie eben als Grundlage für eine intelligente Drohne nutzen.

Nun fehlt noch der letzte Schritt: Die Objekte nicht nur zu erkennen, sondern sich auch zwischen ihnen zu bewegen. Dazu kombiniert man die Daten der Bilderkennung mit denen der Lagesensoren und führt die Daten zusammen. VIO (Visual Inertial Odometry) nennt sich das. Der Chiphersteller Qualcomm hat aus den Ingredienzen 2016 eine komplette Flugplattform namens Snapdragon Flight entwickelt. Zur Steuerung dient PX4, eine Open-Source-Software, die maßgeblich Lorenz Meier an der ETH Zürich entwickelt hat. Snapdragon Flight steckt übrigens in den Selfie-Drohnen Hover und Breeze.

Wie leistungsfähig dieses System ist, demonstriert die Robotics and Perception Group um Professor Davide Scaramuzza an der Universität Zürich. Sie hat Algorithmen entwickelt, die es Drohnen ermöglichen, autonom aggressive Manöver zu fliegen. Ihre Multikopter fliegen mit hoher Geschwindigkeit durch Lücken, die kaum größer sind als sie selbst. Sogar erfahrene Drohnen-Rennpiloten schaffen diese Aufgabe nicht auf Anhieb.

Kein Grund also, Adam Brys Aussage über Skydios Drohnen nicht zu glauben: "Das Ding fliegt voll selbstständig. Man muss nicht mehr darauf aufpassen. Es wird das Richtige tun." Ob dies aber auch moralisch immer das Richtige ist? Genauso wie die Drohne Freizeitsportlern folgen wird, könnte sie auch bei Anti-Terror-Einsätzen Verwendung finden. Es gäbe eine Menge Möglichkeiten für städtische Aufklärungseinsätze, wenn das US-Militär kommerzielle Drohnen kaufen und für ihre Zwecke modifizieren würde, zitiert "Wired" den US-Militärexperten Paul Scharre.

Er untersucht für den Think Tank "Center for a New American Security" die Chancen und Risiken einer Automatisierung des Schlachtfelds. Kleine Drohnen hätten den US-Streitkräften im Irak und in Afghanistan sicherlich geholfen, eine Menge Opfer zu vermeiden – wenn sie denn verfügbar gewesen wären, glaubt er. Zwar habe das US-Militär bereits einige Modelle getestet, aber noch sei die Technik nicht ausgereift, meint Scharre. Nötig seien vor allem eine robuste Hindernisvermeidung, ausreichende Sicherheit der Kommunikation gegen Hackerangriffe und eine robuste Indoor-Navigation. Diese Technologie sei jedoch "demnächst verfügbar", meint Scharre. Ob es Stunts mit dem Mountainbike sind oder Befreiungseinsätze im Straßenkrieg – für die Drohnen wäre das nur noch eine Frage des Trainings. (bsc [11])


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