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E-Paper zeigt jetzt auch Videos

Duncan Graham-Rowe, Dr. Wolfgang Stieler

Der Technologiekonzern Qualcomm hat ein neuartiges elektronisches Papier für Handys und kleine Multimedia-Player entwickelt.

Ein neuartiges E-Paper-Display, das vom vor allem im Mobilfunkbereich aktiven US-Technologiekonzern Qualcomm entwickelt wurde, kann endlich auch qualitativ hochwertige Videos darstellen. Der Bildschirm mit den bislang einmaligen Fähigkeiten verwendet dazu mikroskopisch kleine mechanische Schalter, die die Bildpunkte in einer Geschwindigkeit an und ausschalten, die schnell genug für Bewegtbilder ist.

Wie gewöhnliches Papier sind auch E-Paper-Displays reflektierend und damit auch in Extremsituationen wesentlich leichter abzulesen – etwa im hellen Sonnenlicht, bei dem traditionelle Bildschirme wie LCDs aufgeben müssen. Elektronisches Papier wird bereits von mehreren Firmen produziert – etwa vom MIT-Spinoff E Ink oder dem französische Anbieter Nemoptic. Nemoptic setzt auf drehbare nematische Flüssigkristalle. E Ink verwendet einen Prozess, bei dem Bilder mit Hilfe elektronisch kontrollierter schwarzer und weißer Partikel innerhalb kleiner Mikrokapseln aufgebaut werden. Mit Hilfe dieser Technologie lassen sich sogar faltbare Displays produzieren: Das Philips Spin Out Polymer Vision hat gerade erst das britische Unternehmen Innos gekauft [1] und will bereits ab 2008 bis zu 100.000 dieser Displays produzieren, die dann in den Librofonino-Smartphones [2] der Telecom Italia verbaut werden sollen.

Der zweite Hauptvorteil von E-Paper-Displays ist ihre so genannte Bistabilität: Einmal in einem gewünschten Zustand versetzt, behält ein Bildpunkt diesen auch ohne weitere Stromversorgung bei.Beide Merkmale machen die Technologie besonders spannend für Produkte wie elektronische Schilder oder elektronische Bücher wie den eBook-Reader von Sony. In den meisten bislang gezeigten Displays dieser Art werden die Bildpunkte (Pixel) allerdings zu langsam geschaltet, um Videos darstellen zu können, erläutert James Cathey, Vizepräsident für Geschäftsentwicklung bei der Qualcomm-Tochter MEMS Technologies [3], die im kalifornischen San Diego sitzt. Aktuell könne es pro Bild schon einmal eine halbe Sekunde dauern. Solche langsamen Schaltzeiten führen zum "Geistereffekt", in dem sich bewegende Objekte verschwimmen. Qualcomms neues Display ist da wesentlich flotter: Es kann im zweistelligen Mikrosekundenbereich schalten, schnell genug für scharfe Videos. Cathey hofft, dass diese Fähigkeit die E-Paper-Technologie aus der Nische holt und sie auch für Mainstream-Multimedia-Displays nutzbar macht, die etwa in tragbaren Videospielern oder Handys sitzen.

Die erste Version des neuen Displays wird schwarzweiß sein: So steckt eines davon etwa in einem neuen Bluetooth-Headset von Audiovox, das diese Woche vorgestellt wurde. Eine Zwei-Farb-Version soll im nächsten Jahr auf den Markt kommen – in einem Handy des chinesischen Herstellers Hisense. Vollfarb-Displays werden etwas später erwartet. Die Display-Technologie nutzt eine neuartige Methode zur Produktion von Farben. Dabei kommen Mechanismen ins Spiel, die mit dem bekannten physikalischen Effekt zu tun haben, dass ein Ölfilm auf dem Wasser aus einfallendem Licht einen bunten Regenbogen bildet, erläutert Andre Arsenault, Chemiker an der University of Toronto, sowie Co-Gründer und Technologie-Chef von Opalux, einem E-Paper-Start-up aus Kanada.

Wenn Licht auf einen Ölfilm trifft, wird es gebrochen – ein Teil wird direkt reflektiert, der andere geht durch das Öl hindurch und wird erst auf der Wasserfläche reflektiert. Das vom Öl reflektierte Licht hat eine Phasenverschiebung zu dem auf dem Wasser reflektierten. Im Endergebnis interagieren die Lichtwellen so miteinander – einige Wellenlängen werden verstärkt, andere unterdrückt. Der Abstand zwischen beiden Grenzflächen bestimmt, welche Farben verstärkt und welche ausgelöscht werden. Ölfilme bestimmter Dicke würden beispielsweise grünes Licht verstärken, blauen und rotes aber unterdrücken – das Licht sähe grün aus.

Im Display besteht jeder Pixel aus verschiedenen farbspezifischen Zellen, die das Prinzip vom Ölfilm auf Wasser nachbilden. Jede Zelle besteht aus zwei Reflektionsschichten, eine sitzt auf der anderen. Die Oberschicht ist nur teilweise reflektierend, so dass etwas Licht hindurch gelangt und dann von der zweiten Oberfläche "springt". In jeder Zelle ist der Abstand zwischen diesen Oberflächen so gewählt, dass sich eine konstruktive Mischung ergibt, die nur einen spezifischen Wellenbereich abdeckt. Eine einzelne Primärfarbe würde so verstärkt, während die anderen Farben gelöscht würden. Um ein Vollfarbdisplay zu schaffen, besteht jeder Pixel aus drei verschiedenen Zelltypen – jede besitzt eine andere Lücke zwischen den Schichten, die rot, grün oder blau reflektieren.

Jede Zelle kann angeschaltet werden, indem man die beiden Oberflächen zusammenbringt – mit Hilfe eines elektromechanischen Schalters. (Gibt es nur wenig Platz zwischen den Schichten, wird kein sichtbares Licht verstärkt, die Zellen sehen also schwarz aus.) Der Schalter bewegt sich nach Erhalt eines Spannungsimpulses und bleibt an seinem Platz, bis ein neuerlicher Puls ihn zurückversetzt. Im Endergebnis ist das Display also ebenfalls bistabil, nur bei Veränderungen wird Energie verbraucht.

Durch die Kombination verschiedene Sätze farbiger Zellen – so genannter Subpixel – lässt sich jede Farbe des Spektrums erzeugen, erklärt Cathey. Diese MEMS-Komponenten seien zudem sehr robust. Es habe Demonstrationen gegeben, bei denen sie mehr als zwölf Milliarden Zyklen aushalten konnten.

"Ich persönlich halte die Technologie für sehr cool", sagt Arsenault. Aufgrund der Fabrikationsprozesse bei MEMS gibt es allerdings ein Limit bei der Bildschirmgröße – genau deshalb will Qualcomm zunächst Handys und kleine Videospieler damit bedenken.

Zudem wird auch nur dann viel Energie gespart, wenn das Display auch für statische Inhalte verwendet wird. Videos halten es aber ständig in Bewegung, sagt Johann Feenstra, einer der Gründer von Liquavista, einem Spinout von Philips Research in Eindhoven in den Niederlanden. Dort beschäftigt man sich ebenfalls mit Video-fähigem E-Paper. "Bistabilität ist nur nützlich, wenn sich das Bild nicht oft verändert", meint der Experte.

Bei Video ist das nicht der Fall, weil hier Pixel ständig an und aus geschaltet werden müssen, sagt Guido Aelbers, Chef Operating Officer bei Polymer Vision, ebenfalls Eindhoven. "Sobald man in den High-Speed-Bereich kommt, verliert man den Energievorteil."

Doch sowohl Aelbers als auch Feenstra glauben, dass Videofähigkeiten genauso wie Farbe einen deutlich größeren Markt für E-Paper-Displays eröffnen werden. Doch die LCD-Technologie wird weiterhin ständig verbessert und immer billiger. Genau das könnte das neue Qualcomm-Display ausbremsen, meint Aelbers. (bsc [4])


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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.polymervision.com/News-Center/Press-Releases/PolymerVisionacquiresInnos.html
[2] https://www.heise.de/news/Handy-mit-Roll-Display-142843.html
[3] http://www.qualcomm.com/qmt/
[4] mailto:bsc@heise.de