EU-Wahl: Wie stark deutsche Unternehmen ihr Geschäft digitalisieren

Bis 2030 sollen Unternehmen digitaler arbeiten, so ein Ziel der EU. Wir zeigen, wie digital deutsche Unternehmen sind – und warum der Fortschritt nun stockt.

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Nach der Europawahl

(Bild: Mit Midjourney erstellt durch heise online.)

Lesezeit: 11 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die deutsche Wirtschaft stagniert. Gleichzeitig gibt es eine Fachkräftelücke in der IT-Branche. Unternehmen sind deswegen zu weniger Risiko bereit, andererseits mangelt es ihnen an Zeit, um Digitalprojekte umzusetzen. Somit stagnierte 2023 auch die Digitalisierung, laut dem Digitalisierungsindex des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).

Eigentlich schnitten deutsche Unternehmen im europäischen Vergleich des Digital Economy and Society Index (DESI) in den meisten Indikatoren durchschnittlich bis überdurchschnittlich ab. Die EU maß mit diesem Index von 2017 bis 2023 den Fortschritt ihrer Digitalstrategie, der "Weg in die Digitale Dekade". Mitgliedstaaten sollen sich weiterentwickeln in: Human Capital, Digital Infrastructures, Digital Public Services und Integration of Digital Technology.

Wir zeigen, wie deutsche Unternehmen im DESI abschnitten. Dafür sprachen wir mit Jan Büchel, Ökonom für Datenwirtschaft bei dem IW und Mitautor des Digitalisierungsindex. Er erklärt, was Unternehmen überhaupt digitalisieren. Außerdem sprachen wir über die Hürden für Unternehmen, mit Daniel Breitinger, ein Experte des Branchenverbandes Bitkom im Bereich Startup und Mittelstand.

Der DESI erfasst kleine bis mittelständische Unternehmen (KMUs) mit zehn bis 249 Mitarbeitern. Ein KMU hat eine grundlegende digitale Intensität, wenn es vier Schlüsseltechnologien integriert. Beispielsweise spielen die Pressesprecher Inhalte auf "Social Media" aus, die Entwickler benutzen "Künstliche Intelligenz" oder die Verkäufer machen mehr als ein Prozent der Umsätze durch "Online-Handel".

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Das Ziel der EU ist: Bis 2030 integrieren 90 Prozent aller ausländischen KMUs mindestens vier Schlüsseltechnologien. Davon war die EU im Jahr 2023 noch entfernt. Nur die finnischen KMU erreichten eine digitale Intensität von fast 90 Prozent. In Griechenland nutzen weniger als die Hälfte der Unternehmen mindestens vier Schlüsseltechnologien.

Deutsche KMU schneiden überdurchschnittlich ab. Fast alle folgen einer Digitalstrategie, laut Bitkom 91 Prozent. Die Strategien zielen meist darauf ab, interne Prozesse zu digitalisieren. Ein typisches Ziel laut dem KfW-Digitalisierungsbericht 2023 ist es, den Kontakt zu Kunden und Zulieferern zu digitalisieren. Das Unternehmen führt etwa ein Onlinebestellungssystem ein. Es kann aber auch sein, dass die Unternehmen digitale Produkte entwickeln oder bestehende Produkte mit neuen, digitalen Funktionen ausstatten. Dadurch versprechen sich die Unternehmen, dass sie mehr Produkte verkaufen.

KMU digitalisierten auch externe Prozesse – zumindest bis 2023. Laut dem Digitalisierungsindex teilen KMU vermehrt Informationen mit anderen Unternehmen entlang der Lieferkette. So sieht beispielsweise der Hersteller eines Tischs in einer Software, dass eine Holzart für den Tisch in zwei Monaten fehlen wird – und der Verkäufer, dass in seinem Sortiment ein Produkt fehlen wird. Beide passen sich schneller an. "Trotz der Krisensituation brach die Digitalisierung von Prozessen nicht oder nur geringfügig ein, das ist ein positives Zeichen", sagt Büchel. Denn Krisen bedingen eigentlich, dass Unternehmen einige Geschäftspartnerschaften und somit Prozesse auflösen.

Die Statistiker des DESI beobachteten auch den Online-Handel von KMU. Sie maßen: Den Anteil von KMU mit Online-Handel, Anteil des Umsatzes von KMU mit Online-Handel und den Anteil von KMUs mit grenzüberschreitendem Online-Handel. Deutschland schneidet bei den ersten zwei Indikatoren durchschnittlich ab.

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Beim grenzüberschreitendem Online-Handel schneidet Deutschland überdurchschnittlich ab. 10,2 Prozent der KMUs verkaufen mit ihrem Online-Handel ein Produkt an andere EU-Länder. Die Digitalisierung dieses Prozesses ist besonders bedeutsam für KMU, weil im Heimatland der Markt für ihr eventuell nischiges Produkt beschränkt ist. Eine SAP-Software lässt sich an fast alle Unternehmen verkaufen, eine Schmiedepresse nur bedingt.

Die EU fördert KMUs mit dem Programm Digitales Europa. Es zahlt insgesamt 95,5 Milliarden Euro von 2021 bis 2027. Damit sollen Unternehmen und besonders KMU digitale Technologien integrieren. Das KMU beantragt die Förderung für ein Digitalprojekt. Stimmt es mit den Richtlinien überein, zahlt die EU bis zu 75 Prozent der Kosten.

Auch Deutschland fördert die Digitalisierung von KMU. In der Förderung Digital Jetzt zahlte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) 460 Millionen Euro. Der Andrang von KMUs war groß. So groß, dass das BMWK letztendlich die Anträge verloste. Anfang 2024 lief Förderprogramm ab und es gibt noch keine Weiterentwicklung des Programms. Zurzeit erstattet der Staat hauptsächlich Beratungskosten für Digitalprojekte, mit folgenden Förderungen:

  • go digital: Fördert die Beratung für ein Digitalprojekt. Das Fördervolumen beträgt 72 Millionen Euro bis Ende 2024.
  • Mittelstand 4.0 Kompetenzzentren: Die 26 Zentren sind spezialisiert auf einzelne Bereiche wie Cybersicherheit. Deren Fachkräfte beraten ein KMU kostenlos bei der Umsetzung eines Digitalprojekts. Außerdem bieten die Zentren Schulungen an, ein "KI-Trainer" unterrichtet etwa zu KI-Anwendungen.
  • IT-Sicherheit in der Wirtschaft: Fördert Schulungen zu Cybersicherheit bis zu 90 Prozent oder vollständig.

Daniel Breitinger sagt: "Wir haben in Deutschland eine sehr breite Förderlandschaft". Sucht man bei der Förderdatenbank des Bundes nach dem Stichwort Digitalisierung, gibt es 528 Treffer (Stand: Mai 2024). Dann gibt es noch EU-Förderungen, wie Digitales Europa. "Das ist insbesondere für KMUs unübersichtlich, eine Zentralisierung des Förderangebots wäre wichtig, gerade um Mittelständler besser einzubeziehen", sagt Breitinger.

Die Integration von Big Data, Cloud und KI sind weitere Indikatoren bei der Berechnung des DESI Index. Die Statistiker der EU messen nicht nur KMU, sondern auch Großunternehmen. Klar ist, dass bei der Entwicklung der drei Technologien die Großunternehmen die Schlüsselspieler sind. Laut Eurostat nutzen in 2021 ungefähr 29 Prozent der europäischen Großunternehmen KI-Anwendungen, von den KMU waren es nur sieben Prozent.

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Bis 2030 sollen 75 Prozent der Unternehmen Big Data, Cloud oder KI nutzen. So lautet das Ziel der europäischen digitalen Dekade. Deutschland schneidet bei Big Data und KI überdurchschnittlich ab – aber ist noch weit von dem Ziel entfernt. Bei der Integration von Cloud-Speicherung sind deutsche Unternehmen knapp unter dem Durchschnitt. Dagegen hat Schweden fast schon das Ziel der EU erreicht.

Der Blick des Digitalisierungsindex auf die Branchen zeigt, dass die IT-Branche der Schlüsselspieler ist. Unternehmen wie SAP, aber auch IT-Dienstleister mit weniger als 50 Mitarbeitern produzieren besonders viele digitale Produkte. Außerdem treiben sie die Digitalisierung voran, indem sie stark in die Weiterbildung ihres Personals investieren.

Der Elektrotechnik-, Maschinen- und Fahrzeugbau ist der zweitwichtigste Spieler. Gerade hier, sagt Büchel, ist der Anteil der Produkte, die zusätzlich mit digitalen Funktionen ausgestattet sind, sehr hoch. Den Patentanmeldungen zufolge belegt die Branche bei Weitem den ersten Platz in Forschung mit Bezug zur Digitalisierung.

Die drittwichtigste Branche für die Digitalisierung sind unternehmensnahe Dienstleister, wie Verkehr-, Logistik- oder Marketing-Firmen. Beispielsweise hilft ein Dienstleister einem Maschinenbauer bei der Wartung seiner Maschinen. Anhand der Sensorik sammelt der Dienstleister Daten über die Maschine, analysiert diese und wartet die Maschine, bevor ein Ausfall passiert.

Trotz der EU-Ziele sind Big Data, Cloud, KI und andere Digitalisierungen kein Allheilmittel. "Es ist nicht für jedes Unternehmen rational, alles zu digitalisieren", sagt Büchel. Damit meint er, dass Unternehmen den Einzelfall abwägen und fragen müssen, wo Digitalisierung sinnvoll ist. Für den Stahlhersteller ist es beispielsweise unmöglich, sein Geschäft vollständig zu digitalisieren, da es auf einem physischen Produkt basiert.

Im DESI liegt Deutschland bei der Integration der Digitaltechnik aber auf Platz 16 und somit unter dem Durchschnitt. Das ist dem Indikator "Integration von E-Rechnungen" geschuldet.

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In Italien versandten fast alle Firmen im Jahr 2022 E-Rechnungen. Dagegen arbeiteten in Deutschland nur um die zwei von zehn Unternehmen mit der E-Rechnung. Damit liegen sie deutlich unter dem EU-Durchschnitt. Daniel Breitinger sagt, dass fast alle Großunternehmen die E-Rechnung nutzen, sich Kleinunternehmen aber mit der Integration von E-Rechnungen schwertun würden-

Die EU-Rechnungspflicht ändert das. Ab 2025 müssen Unternehmen E-Rechnungen empfangen können. Das sind keine PDF-Dateien. Stattdessen fordert die EU von Unternehmen eine strukturierte und damit lesbare XML-Datei oder das Format Factur-X/ZUGFeRD. Danach wird der DESI-Indikator Deutschlands vermutlich in die Höhe springen. Denn ab 2027 müssen die Unternehmen die E-Rechnungen auch senden können.

Die meisten Kategorien im Digitalisierungsindex 2023 sind ähnlich bewertet wie im Vorjahr. Eine Ursache für die Stagnierung ist der Russisch-Ukrainische-Krieg. Schließlich ist Digitalisierung konjunkturbedingt: Eine Krise schafft Unsicherheit in Lieferketten, Kostenanalysen und Geschäftsbeziehungen.

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Die Art der Krise kann entscheidend sein. Büchel sagt: "In der Corona-Zeit war Digitalisierung teilweise ein direktes Mittel, um die Krise zu bewältigen". Lieferdienste mussten Onlinebestellung und Onlinebezahlfunktionen integrieren. "Jetzt ist Digitalisierung nicht immer ein direktes Mittel, um die negativen Folgen der Krise abzuwehren", sagt Büchel. Unter anderem sehen die Ökonomen des IW einen Rückgang im Umsatzanteil, den Unternehmen durch digitale Produkten erwirtschafteten.

Die zunehmende Fachkräftelücke ist eine weitere Ursache für die Stagnierung. Unternehmen finden kein passendes IT-Personal. Ein positives Zeichen ist aber, dass sie mehr Personal intern weiterbilden – was den Index wieder nach oben gewichtet. Die Ökonomen bemerken aber auch, dass Ende 2023 Unternehmen anfingen, weniger Stellen auszuschreiben. Unternehmen scheinen damit angefangen zu haben, Digitalprojekte zurückzufahren.

Unternehmen stehen aber auch vor strukturellen Hürden. Mittelständler berichten Daniel Breitinger interne Hindernisse: Wenig Zeit für Digitalprojekte und fehlende Entscheidungsprozesse. "Digitalprojekte werden oft von oben nach unten entschieden und wenn es nach der Entscheidung keine zuständigen Personen gibt, schreitet das Projekt nur begrenzt voran", sagt Breitinger. Eine externe Hürde, die Unternehmen nennen, ist der Datenschutz. Der Rechtsrahmen ist komplex und Landesdatenschutzbeauftragte interpretieren die DSGVO unterschiedlich. Das verunsichert Projektleiter und der Entwicklung bei der Umsetzung von Digitalprojekten und kostet Zeit.

Die überwiegende Mehrheit der KMU integrieren Technologien wie ERP oder E-Commerce. Deutschlands Großunternehmen treiben die Nutzung von Big Data und KI in der EU voran – wenn sie auch an der Integration von Cloud-Diensten schwächeln. Deutschland würde also in der Integration von Digitaltechnik leicht überdurchschnittlich abschneiden. Wäre da nicht die mangelnde Integration von E-Rechnungen.

Aber die Digitalisierung stagnierte in den Jahren 2022 und 2023. Das kann einerseits positiv interpretiert werden: Trotz des Krieges stellten Unternehmen die Digitalisierung ihrer Prozesse nicht ein. Andererseits scheinen Unternehmen nun anzufangen, an der Digitalisierung zu sparen: Der Umsatzanteil der digitalen Produkte ging zurück. Die Ökonomen des IW erwarten außerdem einen verzögerten Effekt des Krieges auf die Fachkräftelücke. Der Effekt setzte Ende 2023 ein: Unternehmen schrieben weniger Stellen mit IT-Bezug aus.

Letzteres sind schlechte Neuigkeiten für ITler. Umso wichtiger, sich mit der Digitalpolitik der EU auseinanderzusetzen. Um selbst abzuwägen, welche Fraktion den fragilen Fortschritt der Digitalisierung versteht, und dementsprechend sinnvolle Entscheidungen treffen kann.

(szo)