Embryonale Stammzellen: Wie ist der Stand nach 25 Jahren Hype?

Seite 3: Verspätete Verheißung

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Solche Betrügereien sind weit verbreitet. Eine ältere Frau gab 7000 Dollar in bar aus, um sich angebliche Stammzellen gegen schmerzende Knie injizieren zu lassen. Gebracht hat es selbstverständlich nichts. Die ISSCR selbst versucht, mit einer Warnbroschüre auf das Phänomen solcher Kliniken aufmerksam zu machen. Unter dem Titel "Guide to Stem Cell Treatments" wird ausführlich vor Nepp gewarnt. Kernaussage: Praktisch jede Stammzellenbehandlung, für die heute geworben wird, ist Fake.

Die Wissenschaft braucht eben noch. "Als das Versprechen der Stammzellen das öffentliche Bewusstsein erreichte, gab es die Idee, dass sie selbst ein magisches Heilmittel sind, obwohl das lächerlich war", sagt Arnold Kriegstein, Professor an der University of California, San Francisco. "In Wahrheit waren sie nur der Ausgangspunkt für die gewünschten Zellen. Und so etwas ist niemals einfach. Die Forschung ist mühsam und langsam. Das ist echte Wissenschaft – sie braucht Zeit."

Die Stammzellenforschung ist nicht mehr so politisch, wie sie es einmal war. Das liegt zum Teil daran, dass Wissenschaftler 2006 herausgefunden hatten, wie man jede beliebige Zelle, z. B. ein Stück Haut, in eine Art embryonale Stammzelle umwandeln kann. Solche "induzierten" Stammzellen sind weitgehend identisch mit denen von Embryonen – und zwar ohne die ethischen Probleme. Doch egal, für welche Art von Stammzellen sich die Forscher auch entscheiden, ihre Verwendung zur Herstellung reifer spezialisierter Zellen (also jene Art, die man für eine Transplantation benötigt) hat sich als schwieriger erwiesen als erwartet.

Die Strategie, die die Wissenschaftler anwenden, um die gewünschten Zelltypen zu erzeugen, nennt sich "gerichtete Differenzierung". Man kann sich das wie ein Kochbuch vorstellen, bei dem man jenen Wachstumsfaktor am zweiten Tag hinzufügt, einen anderen am zwölften Tag und so weiter. Eine Stammzelle wird dadurch denselben äußeren Reizen ausgesetzt, die sie als Teil eines sich entwickelnden Babys erhalten würden. Dieses "Kochbuch-Verfahren" kann zwar erfolgreich sein, aber es ist außerordentlich schwierig, das richtige Rezept zu finden. Der Wissenschaftler Douglas Melton zum Beispiel, der zwei Kinder mit Typ-1-Diabetes hat und der die sogenannte Vertex-Behandlung entwickelt hat, die jetzt getestet wird, brauchte fast 15 Jahre, bevor er in der Lage war, "funktionelle" Bauchspeicheldrüsenzellen herzustellen, die auf Glukose reagieren und Insulin produzieren, wenn sie in eine Maus transplantiert werden. "Die Bewältigung des Problems hat viel länger gedauert, als ich erwartet hatte – ich habe meiner Frau gesagt, dass es fünf Jahre dauern würde", erzählte Melton 2021 in einer Harvard-Publikation.

Hinzu kommt, dass die Reifung von Stammzellen zu einem gewünschten Zelltyp im Labor fast so lange dauern kann wie bei einer tatsächlichen Schwangerschaft – manchmal sechs oder sieben Monate. Das ist ein erhebliches Hindernis für das Ausprobieren neuer Ideen, denn jeder neue Test bedeutet eine weitere lange Verzögerung. "Ich war zunächst optimistisch, aber wenn man ein Experiment durchführt, kann es 200 Tage dauern", sagt Hanae Lahlou, leitende Wissenschaftlerin am Mass Eye and Ear, einem der Lehrkrankenhäuser der Harvard University. Die Forscherin war Teil eines Projekts, bei dem versucht wurde, das Gehör von Meerschweinchen durch Transplantationen zu reparieren. Die Gruppe hoffte, dass die transplantierten Zellen zu neuen Hörhärchen heranwachsen würden, aber das gelang nicht. Jetzt versucht Lahlou es mit schnelleren genetischen Techniken als mit Zelltransplantationen. "Irgendwann habe ich die Technik nicht mehr als therapeutisches Mittel gesehen", sagt sie. "Und wenn man die Patienten fragt, wollen die ein Medikament."