Entwicklung des Web3 – eine Bestandsaufnahme

Seite 2: Eine neue Infrastrukturschicht

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Web3, das manchmal auch das "distributed Web" oder das "decentralized Web" genannt wird, ist eine vor allem Blockchain-basierte Backend- und Infrastrukturschicht, die auf bestehenden Netzwerktechnologien aufbaut und darauf abzielt, das Internet auf eine radikal dezentrale und besitzindividualistische Art umzustrukturieren. Die Prozesse und Strukturen, die erforderlich sind, damit Einzelne innerhalb dieser neuen Infrastruktur handeln können – etwa das Identitätsmanagement oder die Speicherung von Inhalten –, werden typischerweise durch dezentrale Smart Contracts beziehungsweise auf ihnen aufbauende Dienste und Token oder dezentrale Speichersysteme wie das Interplanetary File System (IPFS) bereitgestellt.

Inhalte in diesem Web3 werden an digitale Identitäten geknüpft, welche die Durchsetzung von Eigentumsrechten an Daten und Inhalten garantieren sollen. Die digitale Identität einer Person im Web3 ist dabei grundsätzlich als Sammlung diverser, potenziell unverbundener Identitäten konzipiert: Jeder Mensch soll beliebig viele Identitäten unabhängig voneinander pflegen und diese für sich autonom verwalten und nutzen. Die digitale Identität im Web3 wird nicht von einer staatlichen Institution verliehen oder drückt sich durch einen Account bei einem privaten Anbieter aus, sondern soll im Idealfall selbst erzeugt und ergänzt werden: Sie ist weniger der Besuch beim Bürgerbüro, als vielmehr die Erzeugung eines ersten und beliebig vieler zusätzlicher Schlüssel. Quasi ssh-keygen statt Nummer ziehen beim Amt.

Bei aller Komplexität, die moderne Webanwendungen heute haben, basieren viele immer noch grundlegend auf einer klassischen Drei-Schichtenarchitektur: Es gibt eine mithilfe einer Datenbank realisierten Datenhaltungsschicht, eine Backendschicht, die auf dem Webserver die Datenbankinhalte abfragt, weiterverarbeitet und die für die Anwendung nötigen Prozesse abbildet und die im Browser der Benutzer und Benutzerinnen laufende Frontendschicht, die vorverarbeitete Daten vom Backend empfängt, aufbereitet und als HTML-Dokument darstellt.

Für das Web3 ist die Architektur deutlich komplexer. Dabei ist es nicht immer ganz einfach, eine definitive Aussage darüber zu treffen, wie genau solche Anwendungen strukturell aussehen sollen, weil es noch kaum Best Practices oder gar Standards gibt. Der ganze Sektor ist noch in einer sehr frühen, experimentellen Phase, so dass es noch starke Änderungen an den Referenzarchitekturen gibt. Grundsätzlich kann man aber trotzdem gewisse Tendenzen umreißen.

So gibt es weiterhin ein Frontend, welches zum Beispiel im Browser als HTML-Dokument angezeigt wird. Die dafür nötigen statischen Assets kommen allerdings nicht mehr vollständig vom eigenen Webserver, sondern sollen so weit wie möglich auf eine dezentrale Speicherschicht wie das IPFS ausgelagert werden.

Das IPFS ist heute eine zentrale Infrastruktur für das Web3-Projekt. Es ist ein Peer-To-Peer-Netzwerk zur Speicherung statischer Inhalte. Beim Einstellen eines Dokuments ins IPFS, bekommt das Dokument einen Hash, der es identifiziert und über den es aus dem Netzwerk heruntergeladen werden kann. Fragen Sie nun einen IPFS-Knoten nach einer Datei, schaut er erst im eigenen Cache nach. Sollte die Datei dort nicht vorliegen, fragt er die anderen IPFS-Knoten, die wiederum weitere Knoten befragen, bis jemand die Datei bereitstellen kann. Der ursprünglich angefragte Knoten speichert die Datei und liefert sie aus. Jeder IPFS-Knoten entscheidet dabei selbst, welche Dateien er im eigenen Zwischenspeicher hält und entrümpelt periodisch seinen Cache. Solange ein Knoten eine Datei bereitstellen kann, ist sie im Netzwerk vorhanden. Um die Speicherung der eigenen Dateien im IPFS zu garantieren, muss man also einen eigenen Knoten betreiben oder einen der IPFS-Anbieter bezahlen, um diese Verfügbarkeit zu garantieren.

Anders als die meisten anderen Web3 Strukturen ist das IPFS nicht Blockchain-basiert. Es ist eher vergleichbar mit dem bekannten BitTorrent"Netzwerk", in dem Inhalte auch dezentral bereitgestellt werden, solange es mindestens einen "Seeder" gibt. Ein Seeder ist jemand, der einen Torrent "säht", als eine Datei hochlädt, anstatt sie nur herunterzuladen (sogenannte Leecher). IPFS versteht sich aber eindeutig als ein zusammenhängendes Netzwerk aus dezentralen Nodes.

IPFS ist kein echter Ersatz für das, was traditionelle Webserver leisten, aufgrund seiner Struktur erlaubt es zum Beispiel nicht das Hosting dynamischer Inhalte. Aus der aktuellen Websicht ist IPFS eher eine Art Content Delivery Network (CDN), welches weniger auf Geschwindigkeit und Skalierung optimiert, sondern auf Dezentralität.