Epigenetik und Kampf gegen den Jo-Jo-Effekt: "Abnehmen ist trotzdem sehr gut"

Wer viel abnimmt, nimmt bei Normalernährung oft wieder zu. Eine Frage der Disziplin? Nein, es hat wohl auch physiologische Gründe, zeigt eine neue Studie.

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Person, die sich auf eine Waage begibt.​

Person, die sich auf eine Waage begibt.

(Bild: Pixel-Shot / Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.

Ferdinand von Meyenn ist Assistenzprofessor für Ernährung und metabolische Epigenetik an der ETH Zürich. Zusammen mit Kollegen hat er in dieser Woche eine Studie im Journal Nature (DOI 10.1038/s41586-024-08165-7) publiziert, die sich um die Frage dreht, ob Übergewicht in unseren Zellen eine Art "Gedächtnis" hervorruft, das es schwer macht, längerfristig normalgewichtig zu bleiben. Im Interview mit heise online spricht er über die Ergebnisse – und die Frage, was man gegen den berüchtigten Jo-Jo-Effekt tun kann.

Prof. Dr. Ferdinand von Meyenn, ist Assistenzprofessor am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie an der ETH in ZĂĽrich.

(Bild: ETH)

Jeder Mensch, der mit Übergewicht zu kämpfen und schon einmal größere Mengen Körpergewicht durch Diäten verloren hat, kennt das Problem: Das Gewicht ist danach oft deutlich schneller wieder drauf, als es herunter ging. Wie kam es dazu, dass Sie diesen Bereich untersuchen wollten?

Genau aus dem Grund, den Sie genannt haben. Es ist natürlich ein sehr weit verbreitetes Phänomen. Bisher ist nicht wirklich klar verstanden, woran das liegt. Wo liegt der Grund dafür, dass man so schnell wieder Gewicht zunimmt? Welcher molekulare Mechanismus steckt dahinter? Und eine Option sind natürlich langfristige Veränderungen, die Zellen und Zellfunktionen betreffen. Diese sind oft epigenetischer Natur. Somit haben wir uns überlegt, in welchem Organ, in welchem Gewebe sollte man sich das anschauen. Wir kamen dann direkt zum Fettgewebe – und die Frage, wie verändert sich das während Gewichtszunahme und vor allen Dingen auch, wie sehr bleiben diese Veränderungen auch nach Gewichtsabnahme noch vorhanden. Was ist beteiligt an diesen Prozessen?

Wie lässt sich so etwas denn konkret untersuchen?

In unserem Fall haben wir initial mit humanen Studien begonnen. Das heißt, wir haben mit klinischen Kollaboratoren zusammengearbeitet, die häufig übergewichtige Leute in ihren Studien haben. Diese Personen haben dann meistens eine Magenschlauchoperation erhalten und darüber dann viel Gewicht innerhalb von kurzer Zeit verloren.

Bei diesen Operationen ist es auch möglich, einen kleinen Teil des Fettgewebes zu extrahieren, um ein "Vorher"-Bild zu erhalten. Nach dem Gewichtsverlust wurde dann erneut eine Fettprobe entnommen und diese beiden Proben haben wir dann verglichen. Dabei konnten wir feststellen, dass auf transkriptioneller Ebene, also auf der die Gene exprimiert sind, die dann später in Protein übersetzt werden, trotz des Gewichtsverlust gegenüber normalgewichtigen Personen weiterhin Unterschiede vorhanden waren.

Nachdem wir das in einem humanen System untersucht hatten, haben wir ein Tiermodell genommen und versucht, das Experiment und diesen Verlauf dort nachzubilden. Wir haben also übergewichtige Mäuse genommen und sie mit einer sehr kalorienreichen Nahrung gefüttert, die man auch "Western Diet" nennt, weil sie ungefähr dem entspricht, was wir wahrscheinlich als klassisch ungesundes Essen ansehen würden. Anschließend wurden sie wieder normal ernährt und haben Gewicht verloren. Auch hier konnte dann ein Vorher-Nachher-Vergleich vorgenommen werden. Es stellte sich heraus, dass wir ebenfalls Veränderungen epigenetischer Natur feststellen konnten. Viele von den Veränderungen, die während der Gewichtszunahme stattfinden, werden also beim Gewichtsverlust nicht wieder gelöscht. Sie werden nicht wieder zurückgedreht auf den Zustand bei normalgewichtigen Tieren.

Was bedeutet Epigenetik in diesem Zusammenhang?

Das sind phänotypische Veränderungen, die langfristig sind, aber nicht eine Veränderung der DNA-Sequenz betreffen. Wenn man sich also die Genetik als Bauplan des Körpers vorstellt, dann ist die Epigenetik eine Markierung, die auf den verschiedenen Seiten vorhanden ist. Der Bauplan, die DNA, stellt das Haus dar, die Epigenetik, dass man in Raum 1 eine Küche bauen soll und in Raum 2 ein Badezimmer.

Welche Marker haben Sie gefunden, die die Veränderung bei Übergewichtigen im Fettgewebe betreffen?

Das ist an sich ein relativ großes Set. Es ist nicht so, dass man sagen könnte, das ist ein Gen, das dereguliert ist, sondern wir sehen das in einem großen Rahmen. Viele der Gene, die wir dereguliert sehen, betreffen die Art, wie die Fettzellen das Fett speichern.

Zum einen sind mehr Gene exprimiert, die inflammatorisch wirken, also klassische immunbezogene Funktionen. Zum anderen sind viele von den Genen, die normalerweise für den Fettmetabolismus wichtig sind, herunterreguliert. Unsere Theorie ist also, dass das Fettgewebe die Signatur eines ungesünderen oder übergewichtigen Zustands annimmt und beibehält.

Das klingt für Leute, die abnehmen wollen, nicht besonders gut. Wie können sie, nachdem das Wunschgewicht erreicht ist, gegen diesen Trend weiter normalgewichtig bleiben?

Als Erstes muss man natürlich sagen, dass das Abnehmen trotzdem sehr gut ist. Das haben wir auch beobachtet. Die Menschen und auch die Mäuse sind nach dem Gewichtsverlust physiologisch viel gesünder. Das gilt für die Blutwerte, das Fett, den Blutzucker, all das normalisiert sich, die "Overall Fitness" ist besser. Entsprechend sollte die allererste Message aus unserer Studie lauten: Abnehmen ist gut, ist gesund und kann jedem empfohlen werden, der übergewichtig ist.

Wir sehen jetzt aber, dass das Abnehmen an sich nicht ausreicht, sondern dass die Leute, die abgenommen haben, quasi eine Präferenz haben, wieder zuzunehmen. Das heißt, man muss dranbleiben. Man kann nicht nur abnehmen und sagen, so, jetzt habe ich es geschafft, jetzt ist es vorbei, sondern es ist ein langfristiger, aktiver Prozess, weil der Körper sich in gewisser Weise dagegen wehrt.

Betrifft das nur das Fettgewebe?

Diese Veränderungen, diese epigenetischen Erinnerungen an das Übergewicht, sind möglicherweise auch in anderen Gewebearten vorhanden, vielleicht auch im Gehirn, wo die Essenskontrolle erfolgt. Aber ich glaube, der entscheidende Punkt ist, wenn man einmal zu viel Gewicht hatte und das wieder verlieren möchte, ist es ein langfristiger Prozess. Die Leute müssen also aktiv dabei bleiben, die Ernährung umstellen und idealerweise mit Sport kombinieren.

Hohes Körpergewicht – oder die Tatsache, dass man schnell zunimmt – hat auch eine große erbliche Komponente. Man hat das Gefühl, manche müssen einen Teller mit Nahrung nur anschauen, um zuzunehmen. Würde der von Ihnen entdeckte Effekt auch bei Menschen auftreten, die eher zu Normal- oder gar Untergewicht neigen?

Wir haben in unserer Studie nicht spezifisch auf genetische Risikofaktoren hin untersucht. Natürlich sind bekannte erbliche Ursachen ein wichtiger Faktor. Es gibt also durchaus Leute, die eine genetische Präferenz haben, übergewichtig zu werden.

Aber zumindest unsere bisherigen Daten weisen darauf hin, dass der Effekt der epigenetischen Erinnerungen an das Ăśbergewicht auch bei Menschen ohne genetische Disposition dazu auftreten dĂĽrfte. Wobei die Gruppe der Menschen, die zu Ăśbergewicht neigen, wahrscheinlich noch viel leichter Gewicht zulegen, auch beim Jo-Jo-Effekt.

Das heißt, man sollte grundsätzlich vermeiden, überhaupt übergewichtig zu werden, wenn das irgendwie geht?

Ja. Jemand, der nie übergewichtig wurde, hat das Risiko offenbar weniger. Das hat aber natürlich viele Faktoren – Erziehung, Prävention, Stress, Sport und vieles mehr. Wir würden angesichts unserer Erkenntnisse aber dazu raten, dass man grundsätzlich vermeiden sollte, übergewichtig zu werden. Es sollte tendenziell gesündere Nahrung sein, die Portionen nicht zu groß und Sport gehört natürlich auch dazu.

Jemand, der nicht übergewichtig ist, wird auch später weniger dieses große Bedürfnis haben, viel zu essen – und entsprechend weniger das Risiko haben, übergewichtig zu werden.

Welche therapeutischen Ansatzpunkte könnte es angesichts der von Ihnen entdeckten Zusammenhänge geben?

Derzeit wissen wir noch nicht, wie lange der Effekt der epigenetischen Erinnerung an das Übergewicht anhält, wir haben uns bislang nur eine gewisse Zeitspanne angeschaut, in Menschen etwa 2 Jahre. Es könnte natürlich sein, dass jemand nach einer längerfristigen Umstellung auf eine gesunde Ernährung bei weiterhin Normalgewicht den Prozess umkehren kann. Das sind Themen, denen wir uns künftig widmen werden.

Die Hoffnung ist, auch wenn das noch wirklich Zukunftsmusik darstellt, den Effekt eines Tages gezielt umzudrehen. Die Epigenetik ist ein sehr dynamischer Teil unseres Körpers. Sie steht nicht dauerhaft fest. Therapeutika, die hier gezielt eingreifen, könnten in Zukunft entwickelt werden. Es gibt die ersten Ansätze, die zeigen, dass zum Teil Lipidparameter im Blut verändert werden könnten. Im Bereich der Onkologie werden bereits epigenetisch modulierende Medikamente eingesetzt.

Das sind aber alles noch Ansätze, die nicht gezielt wirken, sondern die in der Epigenetik bestimmte Veränderungen im großen Stil betreffen. Momentan fehlt uns also noch ein echtes Toolkit dafür. Doch zumindest gibt es nun Ansätze, wo wir suchen müssen.

Können Menschen mit Übergewicht auch gesund sein?

Möglich ist es. Wir wissen, dass manche Personen trotz Übergewicht metabolisch relativ gesund sind – das heißt, dass diese Person nicht am metabolischen Syndrom leidet (das unter anderem mit Bluthochdruck und Insulinresistenz einhergeht) und ihre metabolischen Organe noch voll ihre Funktion erfüllen können. Übergewicht hat aber auch dann noch negative Auswirkungen, etwa auf unser Muskel- und Skelettsystem, da es unnötig belastet wird.

(bsc)