Gekochter Reis für Lecks: Diese und andere Gründe stehen Atomschiffen im Weg

Eine chinesische Werft hat die Idee atomar angetriebener Containerriesen vorgestellt. Aber die Geschichte der Schiffe erklärt, woran sie scheitern.

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Nun ohne Atom: Die "Mirai", ehemals "Mutsu".

Nun ohne Atom: Die "Mirai", ehemals "Mutsu".

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Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

Die Sorge um den Klimawandel führt zu einer Renaissance der Kernenergie als Energiequelle. Auf dem Klimagipfel COP28 in Dubai kündigten 20 Staaten an, ihre Atomstromkapazitäten bis 2050 zu verdreifachen. Kurz darauf stellte ein chinesischer Schiffbauer, die Jiangnan-Werft, sogar ein neues Konzept für ein atomgetriebenes Containerschiff vor.

Mit einer Kapazität von 24.000 20-Fuß-Containern wäre es das größte zivile Atomschiff, das je gebaut wurde. Aus gutem Grund: Die Emissionsziele der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) haben die alte Idee von atomar angetriebene Schiffen wieder aufleben lassen. Denn bis 2050 sollen die Treibhausgasemissionen der Seeschifffahrt, die derzeit immerhin rund drei Prozent der globalen Emissionen ausmachen, auf null reduziert werden.

Nukleare Antriebe wären theoretisch eine Lösung, denn Nuklearschiffe können lange ohne Auftanken auskommen. Dennoch hat die Jiangnan-Werft gut daran getan, nur eine Studie und noch keinen konkreten Bauplan vorzulegen. Zwar sind rund 200 Schiffe und U-Boote mit kleinen Atomkraftwerken (AKW) an Bord auf den Weltmeeren unterwegs. Doch in der zivilen Seefahrt sind Atomschiffe bis auf einen Spezialzweig Einzelanfertigungen geblieben. Dabei hatte die Bewegung in den 1950er Jahren mit großem Optimismus begonnen.

Das erste zivile Atomschiff war der sowjetische Eisbrecher Lenin, der 1959 in Dienst gestellt wurde. Er hatte drei Kernreaktoren an Bord und gilt als der Vater der einzigen erfolgreichen Linie von nuklear angetriebenen Schiffen, die nicht primär militärisch genutzt werden: der zunächst sowjetischen und heute russischen Eisbrecherflotte.

Das Staatseigentum und der staatlich verordnete Glaube an die Atomtechnologie erklären vielleicht auch, dass selbst zwei Atomunfälle an Bord der Lenin diesen evolutionären Zweig der Seeschifffahrt nicht brechen konnten. Die vier Versuche, Atomschiffe für den Frachtverkehr zu entwickeln, fanden keine Nachahmer.

Den Anfang in der Frachtschifffahrt machten die USA mit dem Atomfrachter NS Savannah, der 1962 seine Jungfernfahrt absolvierte. Er war eine Mischung aus Demonstrationsobjekt und Nutzfrachter. Schon bei diesem Erstling zeigte sich ein Nachteil der Technologie, nämlich die hohen Baukosten: 46,9 Millionen Dollar verschlang der Bau, das entspricht heute etwa 500 Millionen Dollar.

Zum Vergleich: Ein viel größerer heutiger Ozeanriese kostet nur 150 Millionen Dollar. Und der hohe Preis rührte nicht etwa daher, dass das Schiff Luxuskabinen und einen Mikrowellenherd an Bord hatte. 60 Prozent der Baukosten entfielen auf den Atomreaktor mit seinen 74 MW. Mit einer Reaktorfüllung sollte das Schiff 300.000 Seemeilen fahren können.

Ein weiterer Punkt waren die hohen Betriebskosten. Denn die Besatzung musste speziell ausgebildet werden und war schon damals im Unterhalt teurer als ein normales Schiff, ganz zu schweigen von den speziellen Wartungsmannschaften. Nach nur zehn Jahren wurde das Demonstrationsschiff außer Dienst gestellt, ohne dass je ein Nachfolger gebaut wurde.

Auch Deutschland zeigte früh nukleare Ambitionen: 1960 begannen die Planungen für die „Otto Hahn“, eine Mischung aus Forschungsschiff und Frachter. Es sah demnach aus wie ein Schiff mit zwei Kommandobrücken, einer richtigen in der Mitte für den Kapitän, einem Aufbau im Heck mit den Kabinen für die Wissenschaftler, den Labors. Der Namensgeber selbst, der als "Vater der Kernspaltung" gilt, war bei der Taufe dabei.

1968 wurde die Otto Hahn in Dienst gestellt. Mit 170 Metern war sie ähnlich groß wie die NS Savannah. Der Reaktor war mit 38 Megawatt allerdings deutlich kleiner, das Schiff langsamer als die Savannah, dafür aber deutlich weiter um die Welt gefahren. In den elf Jahren ihres Einsatzes als Forschungsschiff besuchte die Otto Hahn 33 Häfen in 22 Ländern und legte mit einem Brennstoffwechsel 650.000 Seemeilen zurück.

Dabei offenbarte sie ein Problem, das dem dritten Atomschiff, der Mutsu aus Japan, zum Verhängnis werden sollte: die Akzeptanz. Die meisten Häfen besuchte sie nur einmal mit Sondergenehmigung. Viele Häfen wollten erst recht kein schwimmendes Atomkraftwerk an ihren Kais sehen.

Im Gegensatz zur NS Savannah, die zu einer Art Museumsschiff wurde, war dem deutschen Pendant nach einer Umrüstung auf klassischen Ölbetrieb noch ein langes aktives Leben beschieden. Nach acht Namensänderungen wurde die Otto Hahn 2009 als MS Madre außer Dienst gestellt.

Auch Japan hatte große Pläne, scheiterte aber am Widerstand der Bevölkerung. 1969 lief die Mutsu vom Stapel, die als Prototyp für Frachtschiffe konzipiert war und den Anfang einer richtigen Flotte bilden sollte. Bis 1972 wurde sie im gleichnamigen Ort mit einem Leichtwasserreaktor ausgerüstet. Doch Proteste von Fischern und Anwohnern erschwerten den Start.

In einer Nacht- und Nebelaktion schleppten die Betreiber das Schiff aufs offene Meer, wo das Unheil seinen Lauf nahm. Beim Hochfahren des Reaktors kam es zu einem Strahlungsaustritt. Die Fischer protestierten gegen das Einlaufen, die Hafenbehörde untersagte die Rückkehr. Wochenlang trieb das Schiff auf hoher See, während die Besatzung versuchte, die Reaktorhülle bis zur Reparatur mit einem Gemisch aus Boraten und gekochtem Reis abzudichten.

Erst nach 45 Tagen durfte die Mutsu wieder in den Hafen einlaufen, allerdings nur unter der Bedingung, dass der Reaktor abgeschaltet und das Schiff schnellstmöglich abtransportiert wird. Die Regierung finanzierte daraufhin teure Nachbesserungen am Reaktor und den Bau eines eigenen Hafens.

Doch auch das Wiederanfahren der Reaktoren im Jahr 1990 wurde von Protesten begleitet. Das Schiff wurde schließlich zu einem ozeanographischen Forschungsschiff umgebaut und ist bis heute als Mirai im Einsatz.

Die russische Sevmorput ist der letzte noch aktive Atomfrachter. Sie ist ein so genannter Lash-Carrier, ein Containerschiff, das die Kräne zum Be- und Entladen selbst an Bord hat. Sie ist auch als leichter Eisbrecher konzipiert und verkehrt zwischen russischen Häfen.

Das Schiff wurde 1988 in Dienst gestellt. In den 2000er Jahren gab es Überlegungen, die Sevmorput zu einem Ölbohrschiff umzubauen. Letztendlich entschieden sich die Betreiber jedoch, das Schiff in seiner ursprünglichen Funktion weiter zu nutzen. Im Oktober dieses Jahres geriet sie jedoch zusammen mit einem chinesischen Schiff in Verdacht, eine Gaspipeline zwischen Finnland und Estland beschädigt zu haben. Im Dezember berichtete dann das Nachrichtenportal Portnews unter Berufung auf den Eigner Atomflot, dass die Sevmorput 2024 durch ein Schiff mit konventionellem Antrieb ersetzt werden soll.

Mit den hohen Anfangskosten für Reaktoren und Treibstoff, den höheren Kosten für speziell ausgebildete Besatzungen sowie Akzeptanzproblemen in der Bevölkerung und in den Häfen sind bereits vier wesentliche Hürden für Atomschiffe genannt. Aber es gibt noch mehr, die auch die chinesische Werft überwinden müsste, wenn die Schiffe global eingesetzt werden sollen.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Ein weiterer Faktor ist die Sorge um die Weiterverbreitung von Atomwaffen und einen Anschlag auf eines dieser schwimmenden AKWs, um sie in eine schmutzige Atombombe zu verwandeln. Denn ursprünglich wurde in vielen Reaktoren angereichertes Uran verwendet. Auch die Betriebssicherheit muss gewährleistet sein.

Die Lösung der Chinesen sind Flüssigsalzreaktoren, die eine Kernschmelze nahezu ausschließen und zudem unter atmosphärischem Druck arbeiten. Damit sind Dampfexplosionen unwahrscheinlich. Außerdem wollen sie wohl statt Uran das Metall Thorium als Ausgangsstoff verwenden. Doch auch das löst nicht die Sorge vor einer Verwendung des Brennstoffs für Atombomben, denn Thorium wird bei dem Prozess durch Bestrahlung in Uran 233 umgewandelt, erklärt die Nuclear Threat Initiative. Wenn man es richtig anstellt, wird es sogar relativ rein.

Außerdem wäre eine weltweite Wartung erforderlich. Eine weitere Hürde ist die Frage, welcher private Versicherer solche Atomschiffe überhaupt versichern würde und wenn ja, zu welchem Preis. Und selbst wenn all diese Probleme gelöst wären, gibt es einen Aspekt, der jeder Wirtschaftlichkeitsberechnung zu zerstören droht: Die Endlagerung des Atommülls dürfte die Reeder extrem viel Geld kosten, wenn sie bis dahin überhaupt gelöst ist. Fossile Brennstoffe hatten bisher den Vorteil, dass die Abgase kostenlos in die Atmosphäre entlassen werden konnten.

Dieser Vorteil ließe sich vielleicht durch Kohlendioxidabgaben ausgleichen. Damit würden aber vor allem Kraftstoffe aus Biomasse und synthetisch hergestellte oder kohlendioxidfreie Kraftstoffe gefördert, die als klimaneutral gelten und nicht in nuklearen Endlagern entsorgt werden müssen. Eine Metastudie von Lloyd Register, einer Art Schiffs-TÜV, führte im September 2023 vor allem Biomethan, Methanol und den Wasserstoffträger Ammoniak als Alternativen zu Schweröl und Schiffsdiesel auf. Atomkraft spielt dagegen in den Zukunftsszenarien der zivilen Schifffahrt bisher keine Rolle.

(jle)