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Interview zur Offshore-Windkraft: "Das ist eine gewaltige Herausforderung"

Kristina Beer

(Bild: heise online/Johannes Börnsen)

Die Offshore-Windkraft soll in den kommenden Jahren massiv ausgebaut werden. Wie das klappen kann, erklärt Staatssekretär Stefan Wenzel aus dem BMWK.

(This article is also available in english [1])

Dieses Interview ist Teil einer Artikelserie zum deutschen Ausbau der Offshore-Windkraft. Die Serie umfasst mehrere Teile, die wir von Dienstag bis Freitag dieser Woche veröffentlichen w. Hier geht es zum ersten Teil: Wege zur Energieunabhängigkeit – die Offshore-Windkraft [2]


Am 14. September konnte heise online mit Stefan Wenzel aus dem Bundeswirtschaftsministerium über die Lage der Offshore-Windkraft in Deutschand sprechen.

Herr Wenzel, Sie sind Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und für Energie- und Klimapolitik mit zuständig. Sie sind gerade in Dublin gewesen [3], um mit Anrainerstaaten darüber zu sprechen, wie die Offshore-Windkraft ausgebaut werden kann. Was wurde da genau diskutiert?

Ja, ich habe in Dublin Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vertreten. Dort haben sich die Nordsee-Anrainer getroffen, die "North Seas Energie Cooperation". In dieser sind neben den direkten Anrainern auch Irland, Frankreich und Schweden vertreten.

In Dublin ist intensiv darüber beraten worden, wie man gemeinsam die Offshore-Windkraft ausbauen kann und welche Schritte notwendig sind, um hier eine gute Vernetzung zu erreichen, also den Stromtransport auch zwischen den Anrainerstaaten zu verstärken und damit einen starken Beitrag zur Energieversorgung zu leisten.

Die Ampel-Regierung hat neue Offshore-Ausbauziele ausgegeben. Sie wurden gesteigert auf 30 Gigawatt bis 2030, 40 Gigawatt bis 2035 und mindestens 70 Gigawatt im Jahr 2045. Das soll dann alles über die Offshore-Windkraft in Deutschland erschlossen werden. Wir sind gerade bei 7,8 Gigawatt. Wie soll beispielsweise der erste Sprung zu 30 Gigawatt bis 2030 geschafft werden?

Offshore-Windkraft ist noch eine relativ neue Technologie. Deutschland ist beim Ausbau weit vorn, Großbritannien ist noch ein bisschen weiter, was die Menge angeht. In Deutschland ist es aber bedauerlicherweise in den letzten Jahren wieder zu einem Einbruch gekommen. Im letzten und in diesem Jahr wird fast kein Projekt realisiert. Das hängt damit zusammen, dass die Ausschreibungen sehr lückenhaft waren und es jetzt fast wieder einen Fadenriss gegeben hat.

Deswegen ist es das große Interesse aller Anrainerstaaten, hier eine kontinuierliche Entwicklung einzuleiten, die es ermöglicht, auch die ganzen Rahmenbedingungen, die notwendig sind, um so eine Technologie zu realisieren, voranzutreiben.

Wir haben in Dublin auch mit verschiedensten Branchenvertretern gesprochen – über Kapazitäten, Planungszeiten, über Vorlaufzeiten, über Lieferketten, über die Frage, wie man in Europa auch die Produktionskapazitäten stärkt. Es braucht oft lange Vorlaufzeiten und das ist eine gewaltige Herausforderung – gerade für kleinere Staaten.

Wichtig ist hier die Zusammenarbeit mit den Nachbarn zu suchen. Geplant ist deshalb eine hybride Anbindung. Jeder Windpark würde dann zwei Anbindungen haben. Das heißt beispielsweise, dass es von einem Park auf Bornholm eine Zuleitung nach Dänemark gibt und eine nach Deutschland. Dadurch entsteht ein Netz , was es erlaubt, Windstrom in unterschiedlichen Regionen Nordeuropas besser zu nutzen und die Versorgungssicherheit mit erneuerbaren Strom zu stärken.

Stefan Wenzel, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz

(Bild: Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Kaminski [4])

Viele Zulieferer der Windkraftbranche sind in den letzten Jahren pleite gegangen. Wollen sie auch mit Subventionen arbeiten, um diese Industrie wieder aufzubauen?

Erst mal soll es Orientierung geben, was in den nächsten zehn, zwanzig und dreißig Jahren geplant ist. Die Mitglieder der North Seas Energy Cooperation, wozu auch die Europäische Kommission als Co-Chair gehört, planen insgesamt 260 Gigawatt Offshore-Wind. Dazu gehört auch die westliche Küste von Frankreich. Und da ergibt sich ein Problem, das man als Henne-Ei-Problem benennen könnte.

Welche Firma baut Seekabel, wenn sie nicht weiß, ob sie in drei oder in vier Jahren auch einen Kunden hat, der das Kabel braucht. Insofern ist die erste Intention, hier mehr Verlässlichkeit und Transparenz herzustellen, den Akteuren am Markt zu verdeutlichen was die öffentliche Hand plant und in welchem Rhythmus es Ausschreibungen geben wird. Zu welchen Bedingungen diese Ausschreibungen erfolgen ist auch wichtig. Und es kann sicher auch Schritte geben, die direkt darauf abzielen, die Energie-Souveränität Europas insgesamt zu stärken und dafür zu sorgen, dass wichtige Zulieferer sich auch ansiedeln oder in Europa gehalten werden können.

Mehr zu den hybriden Anbindungen und geplanten Energie-Inseln in Nord- und Ostsee lesen Sie hier: Offshore-Windkraft: Inseln sollen als Energie-Verteilstationen dienen [5]

Sie wollen für mehr Planungssicherheit sorgen. In Sachen Genehmigungsverfahren setzt das Wirtschaftsministerium nun auf ein Verschlanken der Prozesse, unter anderem auch beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), das dafür zuständig ist, Flächen zu prüfen und zu schauen, ob diese überhaupt ausgewiesen werden können. Das BSH ist aber gar nicht direkt dem Bundeswirtschaftsministerium zugeordnet, sondern ist ein Geschäftsbereich des Ministeriums für Verkehr und Digitales. Wie wollen Sie diese Prozesse tatsächlich verschlanken, wenn das gar nicht in Ihrem Geschäftsbereich liegt?

Die Bundesregierung arbeitet bei solch zentralen Fragen in aller Regel sehr kooperativ. Auch die Häuser unterstützen sich da gegenseitig. Wir brauchen beispielsweise auch eine leistungsfähige Hafen-Infrastruktur. Wir brauchen Kaimauern, die enorme Gewichte aushalten können. Oder was sich zum Beispiel auch herausgestellt hat: Es ist es gar nicht so einfach, die Versorger-Schiffe und die Errichter-Schiffe zu bekommen. Es gibt nur ganz wenige Werften, die sich bislang auf diesen Bereich spezialisiert haben und auch die brauchen Vorlauf. Wenn heute dort eine Bestellung eingeht, dann dauert es drei, vier Jahre, bis am Ende das Schiff am Einsatzort ist und die Mannschaft ausgebildet ist. Deswegen gehören ganz viele unterschiedliche Akteure dazu und deshalb wollen wir auch mit dem Verkehrsministerium hier gut kooperieren.

Also meinen Sie, dass es gar nicht so schlimm ist, dass die Prozesse und Genehmigungsprozess bei uns so lange dauern, weil die Produzenten ohnehin Probleme haben?

Nein, das nicht. Wir wollen die ganzen Genehmigungsprozess soweit irgend möglich beschleunigen. Das ist ein wichtiger Punkt, sowohl an Land als auch auf See. Der Bundestag hat ja kurz vor den Sommerferien das "Wind an Land Gesetz“ und das "Wind auf See“ novelliert. Es wurde auch das Naturschutzgesetz angepackt, um verlässlicher die Anforderungen im Bereich des Naturschutzes beachten zu können.

Über die Ausschreibungskriterien wird noch diskutiert, um hier bestmögliche und schnellstmögliche Erfolge zu erzielen. Das ist aber noch im FlussUnd in Dublin gab es wirklich eine hohe Dynamik, einen großen Willen, auch hier grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten. Das hat mich sehr gefreut.

Mit der Novellierung wurde auch die Art der Flächenausschreibung bei der Bundesnetzagentur verändert. Es gibt jetzt ein Auktionssystem, wie man es von den Mobilfunklizenzen kennt. Es wird jetzt der höchste Preis für die Nutzungsrechte der Fläche entscheidend sein. Die "Stiftung Offshore Windenergie“ hat das hart kritisiert: So geht das nicht, das müssen Sie anpassen oder streichen, weil sonst werden alle vertrieben, die eigentlich was bauen wollen.

Neben der monetären Komponente soll es auch qualitative Kriterien geben, die über eine Vergabe entscheiden. Also zum Beispiel: Ist das in der Nähe hergestellt? Ist das recycelfähig? Auch Stahlqualitäten könnten mitberücksichtigt werden. In der Tat gibt es Vorbehalte gegen die finanzielle Komponente. Nach der ersten Ausschreibung wird man die Erfahrungen auswerten. Wir wollen natürlich sichergehen, dass dann auch investiert wird.

Wieso ist man überhaupt von der alten Regelung weggegangen?

Das müsste ich prüfen.

Aber wie sehr beschränkt man nun auch nach der Novellierung den Naturschutz? Momentan schaut man bei den Voruntersuchungen welche Flora und Fauna es gibt, wann Brutzeiten sind, wo Fressgründe liegen. Das wird normalerweise über längere Zeiträume geprüft, oft über zwei Jahre, um genau herauszufinden, wo sich Tiere aufhalten und was sie dort tun. Kann man bei diesen Untersuchungen also überhaupt Streichungen vornehmen? Lässt sich schnell sagen: "So wichtig ist dieser Teil der Nordsee nicht für die Ökologie des ganzen Meeres"?

Nein, das wird sehr ernst genommen werden. In der Nordsee sieht man sehr unterschiedliche Nutzungen. Wir haben Flächen, wo Rohstoffabbau ist, wir haben Flächen, die militärisch genutzt werden. Wir haben Flächen, die von der Schifffahrt genutzt werden. Und wir haben eben auch Flächen, die dem Naturschutz vorbehalten sind und die nicht für Windkraft genutzt werden. Und in dem Zusammenhang gab es im Bundestag eine Diskussion über den Flächenbedarf, weil die Umweltverbände gesagt haben: Wenn mehr als 58 Gigawatt errichtet werden , dann gäbe es einen ernsten Konflikt mit dem Naturschutz.

In der Nordsee gibt es allerdings auch sehr viele Verkehrsflächen, die man möglicherweise neu konzipieren kann. Wenn man sich die Landkarte anguckt, stellt man fest, dass da durchaus Optimierungen möglich wären. Auch beim Rohstoffabbau sollte man nach den vielen Jahren jetzt mal diskutieren: Was braucht man davon noch? Wer nutzt das? Diese Fragen müssen bei der Raumordnung also auf jeden Fall gestellt werden. Das steht auch im Interesse aller Nordsee-Anrainerstaaten an.

Blickt man zum Beispiel auch auf die Umwelteinflüsse während der Bauzeit von Parks, kann man auch Alternativen und neue technische Optionen prüfen. Beispielsweise zur Geräuschreduktion bei Rammarbeiten.

Aber es gibt natürlich auch wichtige Punkte, wo sich diese beiden Fragen – Ausbau und Umweltschutz – gegenseitig unterstützen. Wenn wir zum Beispiel sehen, wie sich die Versauerung der Meere in den letzten Jahren beschleunigt hat, dann stellen wir fest, dass diese Versauerung nur dadurch reduziert werden kann, dass wir auf Erneuerbare Energien umsteigen. Der Umstieg dient also auch unmittelbar dem Meeresschutz, denn die Versauerung beeinträchtigt alle Lebewesen, insbesondere auch die, die Schalen- bzw. Kalkskelette haben.

John Kerry, der Klimaschutz-Beauftragte der USA, hat kürzlich darauf hingewiesen, dass es schon Anzeichen gibt, dass die Menge der Sauerstoff produzierenden Organismen im Meer abnimmt. Und das kann zum Beispiel mit Veränderungen der Temperatur oder dem ph-Wert als Mass der Versauerung zusammenhängen. Wir müssen Klimaschutz unter Hochdruck weiter vorantreiben. Die Meere spielen dabei eine ganz zentrale Rolle.

Insofern stehen wir hier vor der Herausforderung Klimaschutz zu gewährleisten, da der Klimawandel massive Auswirkungen auf unsere Biosphäre und insbesondere unsere Meere hat. Wir müssen aber bei allen Baumaßnahmen immer wieder die Biodiversität vor Ort im Blick haben. Dazu gab es auch eine eigene Arbeitsgruppe in Dublin.

Was ist denn für die Deutsche Bucht vorgesehen? Wurde zum Beispiel auch über schwimmende Windparks gesprochen? Die würden die Arbeiten im Meer ja reduzieren. Norwegen will solche Parks nutzen.

Norwegen plant auf jeden Fall Pilotprojekte mit "Floating Offshore“ – also schwimmenden Windkraftanlagen. Auch Frankreich geht in diese Richtung. Alle Länder, die Küsten haben, wo die Wassertiefe sehr hoch ist, sehen das für sich als eine Option.

Siemens Gamesa hat ein Werk in Cuxhaven an der deutschen Nordseeküste, und das ist das Leitwerk auch für Floating Offshore. Das wird also weltweit zunehmend eine Rolle spielen. In diesem Bereich wird aber auch noch viel Forschung und Entwicklung von Bedeutung sein.Ich bin der Auffassung, dass Floating Offshore zukünftig eine ganz wichtige Rolle spielen kann.

Wie sieht es bezüglich der Ostsee aus? In der Ostsee wird Offshore gar nicht so stark ausgebaut, zumindest nicht im deutschen Teil. Sollte man da überhaupt noch weiter ausbauen, weil gerade die Ostsee große ökologische Probleme [6] hat?

In der Ostsee gibt es ein gemeinsames Projekt mit Dänemark. Und zwar ist geplant Bornholm als Energie-Insel zu nutzen und einen hybriden Anschluss zu schaffen, also eine Verbindungs-Leitung nach Deutschland, Mecklenburg-Vorpommern zu bauen und eine weitere nach Dänemark. Grundsätzlich bin ich der Auffassung, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien – auch der Offshore-Windkraft – am Ende auch dem Meeresschutz hilft.

Kennen Sie Forschungsergebnisse, die sagen: In einem Windpark ist auch Naturschutz möglich beziehungsweise dort entstehen auch neue Ökosysteme?

Ja, auch die Diskussion gibt es. Das muss man weiter beobachten, weil in so einem Windpark etwa die Fischerei eingeschränkt ist oder gar nicht mehr stattfindet. Die Fischerei kann ja durch Überfischung auch massive Auswirkungen auf die Flora und Fauna im Meer haben. In Windparks entstehen deshalb möglicherweise auch Ruhezonen.

Für die Schifffahrt gilt im Übrigen, dass hier Schäden begrenzt werden müssen. Auch hier sind die Klimaziele einzuhalten. Bislang wird auf den Meeren praktisch der gesamte Abfall aus den Raffinerien dieser Welt verbrannt. Da geht praktisch der ganze Abfall aus den Raffinerien in die schweren Schiffsmotoren. Die Grenzwerte sind dort ganz anders definiert als an Land. Jetzt gibt es einige Schiffe, die arbeiten mit sogenannten Scrubbern, also so Rauch-Wasch-Einrichtungen. Die Waschreste werden dann allerdings häufig ins Meer gespült.

Der Großteil dieser Schadstoffe landet also doch im Meer und auch das muss sich in Zukunft ändern. Deswegen diskutiert die Schifffahrt gerade auch, wie sie künftig sicherstellt, dass sie nachhaltige Antriebe hat, ob das Richtung Wasserstoff-Derivate geht oder Einsparungen durch Slow Steaming, Digitalisierung oder auch Windkraft-Unterstützung ist noch offen. Aber da wird vieles kommen, was heute schon technisch möglich ist.

Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass Sie auch über Repowering mehr Leistung auf See bringen und dadurch vielleicht die Flächennutzung begrenzen? Es gibt ja Parks, die ungefähr seit 2015 Strom liefern, ungefähr 2012 gebaut wurden. Es gibt mittlerweile viel leistungsfähigere Anlagen wie etwa von Siemens mit 14 Megawatt oder von Vestas mit 15 Megawatt. Würden Sie jetzt schon Genehmigungsverfahren anstreben, damit auf den bereits genutzten Flächen später auch repowert werden kann?

Die Anlagen sind ja in der Regel auf 20 bis 30 Jahre Lebensdauer ausgelegt. Repowering ist im Moment an Land ein ganz zentrales Thema, auf See momentan weniger. Langfristig wird man das sicher auch machen. Im Moment ist eher die Recycling-Fähigkeit ein Thema.

Wie kann bei der geplanten Leistungszunahme denn der Netzausbau mithalten? In Deutschland ist der Netzausbau ja ein zentrales Problem. Der Windstrom vom Norden kommt gar nicht im Süden an – siehe das Projekt "Südlink“.

Das war ein Hauptgrund, warum in Dublin der hybride Ausbau ein zentrales Thema war. Vernetzt man schon die Offshore-Parks im Meer, hat man sozusagen gleich auch einen "Inter-Connector“, der diese beiden Länder-Netze verbindet. So kann man dann unterschiedliche Angebot- und Nachfrage-Situationen nutzen, man kann die gewaltige Kapazität der Wasserkraftwerke in Norwegen nutzen und wird so das Netz insgesamt verstärken. Natürlich gehört dazu auch die Planung an Land. Und insofern sind die Netzbetreiber und die entsprechenden Regulierer hier auch wichtige Akteure, um den Strom an den richtigen Ort zu bringen.

Offshore-Wind hat ja die Eigenschaft, dass wir etwa 4000 Vollast Stunden im Jahr haben. Wir haben übers Jahr gesehen Offshore fast immer Strom-Produktion und das ist natürlich ein super Beitrag für die Versorgungssicherheit.

Also sind die Regionen an der Küste eigentlich gut versorgt. Aber trotzdem noch mal nachgefragt: Was passiert mit Süddeutschland und Südlink?

Wenn Südlink oberirdisch gebaut worden wäre, dann wäre er heute wahrscheinlich schon fertig. Dann hätten wir manche Diskussion, die wir im Moment führen, nicht. Bayern hat sich damals dagegen gestemmt. Das hat zu einer Verzögerung von gut fünf Jahren geführt. Alles wurde noch mal neu geplant und der Netzausbau bleibt auch in Zukunft ein zentrales Thema für die gesamte Versorgungssicherheit.

Wird mit einer geplanten Beschleunigung des Netzausbaus der Kompromiss "Erdkabel“ einkassiert?

Erdkabel kommen beim Südlink. Im Einzelfall können Sie eine gute Möglichkeit sein, um Konflikte zu beseitigen, die vor Ort herrschen. Wenn es Engpässe gibt, wenn es beim Wohnen oder beim Naturschutz Dinge gibt, die man anders nicht klären kann, dann werden es Erdkabel werden. Den Südlink hätte man allerdings besser oberidisch gebaut. Auch weil der Südlink nicht fertig ist, werden Windkraftanlagen im Norden oft abgeschaltet , und die Erzeuger müssen entschädigt werden. Der Strom kann einfach nicht abgeleitet werden.

Ein anderes Problem sind konventionelle Kraftwerk im Netz. Auch für die müssen Windkrafträder oft weichen. Das ist eine missliche Situation, die behoben werden muss. Das Problem ergab sich auch immer beim Betrieb von sehr unflexiblen Atomkraftwerken.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von WindMW frustriert genau diese Praxis sehr. Sie wollen sauberen Strom produzieren und dann werden die Windräder wegen Netzengpässen und dem Hochfahren anderer Kraftwerke abgeschaltet. Entschädigt wird der Betrieb trotzdem. Das Ergebnis davon sehen sie aber daheim auf ihrer Stromrechnung. Sie müssen den mangelnden Netzausbau mitbezahlen und sehen gleichzeitig, dass Kostensenker abgeschaltet werden müssen.

Um den Windstrom vollständig nutzen zu können, wird auch über eine direkte Kombination von Offshore-Windkraft und der Produktion von grünem Wasserstoff [7] diskutiert. Wurde auch darüber in Dublin gesprochen?

Ja, das war natürlich ein Thema. Einige Akteure wollen direkt vor Ort Wasserstoff produzieren. Durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine haben sich die Energiepreise fundamental verändert. Nach einer Berechnung von Goldman Sachs, könnte man in Europa heute, je nach Lage, grünen Wasserstoff für 90 bis 150 Euro pro Megawattstunde herstellen. Im Moment wäre die Produktion von grünem Wasserstoff also deutlich kostengünstiger als der Kauf von Erdgas am Spotmarkt – der Preis von Erdgas lag Mitte September zwischen 200 und 300 Euro pro Megawattstunde.

Das hat natürlich die Phantasie aller Akteure, aller Investoren, aller Menschen, die darüber nachdenken, angeregt. Es kann sein, dass er Preis von grünem Wasserstoff in zehn Jahren die Obergrenze dessen sein wird, was irgendjemand auf der Welt für Erdgas bezahlen würde. Wenn das 90 Euro wären, wäre das deutlich weniger, als wir in diesen Tagen für fossiles Gas bezahlen. Zudem wird man noch erhebliche Skaleneffekte heben und die Kosten der Erneuerbaren sinken weiter. Wir haben eine starke Möglichkeit, uns von den fossilen Energien abzukoppeln. Vielleicht geht das jetzt viel schneller, als manche gedacht haben.

Ist denn schon eine spürbare Beschleunigung eingetreten? Eigentlich ist man ja davon ausgegangen, dass man über die sukzessiv steigende CO2-Besteuerung fossile Energieträger aus dem Energiemix drängt. Welche Dynamiken sehen Sie jetzt?

Circa zwei Wochen nach dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine haben sich die Staats- und Regierungschefs in Versailles bei Paris getroffen. Ein entscheidender Satz in dem dort verfassten Papier war: Wir wollen die Energiewende massiv beschleunigen, um uns von den fossilen Abhängigkeiten zu befreien. Ein anderes Ziel war die Energie-Souveränität, also die Fähigkeit, auch eine eigenständige Stromversorgung sicherzustellen. Man will sich stärken. Es geht nicht um eine Abkopplung, sondern um eine deutliche Stärkung und die Beseitigung der Erpressbarkeit, die wir hier leider in den letzten Jahren als Bundesrepublik Deutschland entwickelt haben. Deshalb glaube ich, dass die Energiewende am Ende deutlich schneller geht, als wir alle gedacht haben.

Wie lange werden wir denn noch ungefähr auf Gaskraftwerke angewiesen sein, um während der Transformation zu 100 Prozent Erneuerbaren Energien die Energieversorgung zu sichern? Insbesondere die SPD hat für Gaskraftwerke als Brückentechnologie immer geworben [8].

Viele Länder haben sich auf das Jahr 2050 kapriziert, einige Schwellenländer auf 2060. Deutschland will 2045 klimaneutral sein. Möglicherweise geht die technische Entwicklung noch schneller. So viele Jahre bis dahin sind das gar nicht mehr. Die sichtbaren Veränderungen beim Klima, gewaltige Dürren von China über Europa bis nach Kalifornien, gewaltige Fluten wie beispielsweise aktuell in Pakistan oder auch Starkregenereignisse wie im Ahrtal – die dort entstehenden volkswirtschaftliche Schäden sind immens. Und das sind alles auch Gründe, den Umbau der Energieversorgung und den Klimaschutz massiv zu beschleunigen.

Wie stehen Sie denn in diesem Zusammenhang dann zu der diskutierten Abschöpfung von sogenannten Über- oder auch Zufallsgewinnen. Damit würden – bei bisheriger Planung – auch die Erzeuger von Erneuerbaren Energien getroffen? Die haben durch den hohen Gaspreis nun tatsächlich mehr eingenommen. Aber sollte man nicht gerade bei den Erneuerbaren Energien das Geld belassen, damit wieder neu in Erneuerbare Energie investiert wird?

Ich halte es für wichtiger, dass man verlässlich nachhaltige Entwicklungspfade schafft. Also man muss, wenn man jetzt diese Zufallsgewinne abschöpft, dafür sorgen, dass die Kosten und auch eine vernünftige, angemessene Marge als Gewinn bei denjenigen verbleibt, die hier investiert haben. Man darf keine Investoren oder Investitionen dadurch behindern, auch wenn vorübergehend der Betreiber eines Kohlekraftwerks profitiert, der wegen der Merit Order liefern muss.

Am Ende stehen wir vor der Herausforderung: Wir müssen den Zusammenhalt in Europa stärken. Wir müssen die Europäische Union insgesamt stärken, weil wir als einzelne Länder auf dem globalen Markt so unter Druck kommen, dass die jeweiligen Volkswirtschaften überfordert wären. Und deswegen ist es gut, wenn Europa gemeinsam handelt.

Da Sie Kohlekraftwerke angesprochen haben. Wie sehr tut es Ihnen als Grüner weh, dass jetzt Kohlekraftwerke wieder aus der Reserve geholt [9] wurden?

Der Krieg in der Ukraine hat uns sicher zu einigen Entscheidungen gezwungen, an die wir vor einem halben Jahr im Traum nicht gedacht hätten. Das betrifft zum Beispiel auch die gesteigerte Finanzierung im Bereich der Bundeswehr. Das sind aber Entscheidungen, die nach sorgfältiger Abwägung erfolgt sind. Auch die Ersatzkraftwerke, die ja in der Reserve waren – in der geplanten Reserve – werden nur temporär zurückgeholt.

Hier greift ohnehin auch das europäische Emissionshandelssystem. Das deckelt die Emissionen der Industrie und der Elektrizitätserzeugung. Das sind etwa 40 Prozent des gesamten Marktes. Und dieser Deckel des Emissionshandelssystems, der führt dazu, dass die Emissionen, die jetzt durch die Kohlekraftwerke zusätzlich erzeugt werden, am Ende wieder eingespart werden müssen. Das heißt: Am Ende werden diese Kraftwerke kürzer laufen, dafür im Moment etwas mehr.

Also ist damit auch der Kohleausstieg 2030 wahrscheinlicher geworden?

Ich hoffe das.


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(kbe [21])


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[9] https://www.heise.de/news/Kohle-soll-Gasverbrauch-reduzieren-So-reagiert-die-Industrie-auf-Habecks-Plan-7145283.html
[10] https://www.heise.de/hintergrund/Die-Offshore-Windkraft-ein-Baustein-zur-Energieunabhaengigkeit-7277924.html
[11] https://www.heise.de/hintergrund/Es-braucht-oft-lange-Vorlaufzeiten-und-das-ist-eine-gewaltige-Herausforderung-7279124.html
[12] https://www.heise.de/hintergrund/Windkraftjobs-Der-Offshore-Service-Techniker-der-Weg-ist-der-Umweg-7278143.html
[13] https://www.heise.de/hintergrund/Welchen-Einfluss-hat-die-Offshore-Windkraft-auf-Oekoysteme-und-das-Klima-7278169.html
[14] https://www.heise.de/hintergrund/Der-Klimawandel-in-der-Nordsee-Erwaermung-Versauerung-neue-Tierarten-7283088.html
[15] https://www.heise.de/hintergrund/Helgoland-die-Offshore-Industrie-und-der-gruene-Wasserstoff-7278232.html
[16] https://www.heise.de/hintergrund/Offshore-Windkraft-Inseln-sollen-als-Energie-Verteilstationen-dienen-7286075.html
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