Event Horizon Telescope: Wie Radioteleskope Schwarze Löcher abbilden

Die Technik des Event Horizon Telescope gibt es schon länger, doch sie ist nun so leistungsfähig, dass die ersten Bilder Schwarzer Löcher nur der Anfang sind.

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Eines der Teleskope von Event Horizon

Das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile ist Teil des Teleskops Event Horizon.

(Bild: Pablo Carrillo/ALMA (ESO/NAOJ/NRAO))

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Christian Rauch
Inhaltsverzeichnis

Das Event Horizon Telescope (EHT) ist der leistungsfähigste Verbund von Teleskopen in der Geschichte der Radioastronomie. 2017 führte es die ersten Messungen Schwarzer Löcher durch. Nach Jahren komplizierter Bildverarbeitung veröffentlichte man am 10. April 2019 und jüngst am 12. Mai 2022 die ersten Bilder der Schwarzen Löcher in der Galaxie M87 und von Sagittarius A* im Zentrum unserer Milchstraße. Genaugenommen sieht man auf den Bildern Gase, die, deutlich außerhalb des Ereignishorizonts, um diesen rotieren und messbare Radiostrahlung emittieren. Der Ereignishorizont ist die Grenze um das punktförmige Schwarze Loch, innerhalb derer keine Strahlung mehr entkommt und innerhalb derer keine Messung möglich ist.

Das Event Horizon Telescope (EHT) nutzt die Technik der Interferometrie. Die basiert auf dem physikalischen Effekt der Interferenz. Überlagern sich zwei Licht- oder Radiowellen, können sie konstruktiv und destruktiv interferieren. Führt man also die Signale zweier Radioteleskope zusammen, kann man aus den Interferenzstreifen die Position des Ursprungs des Lichtes genauer erfassen. Annähernd so, als ob ein einzelnes Riesenteleskop die Beobachtung gemacht hätte. Dieses virtuelle Riesenteleskop ist so groß, wie die Distanz der beiden Antennen voneinander ist, die sogenannte Basislinie. Verwendet man mehr verteilte Teleskope, entspricht die längste Basislinie unter zwei Teleskopen dem virtuellen Gesamtdurchmesser. Man spricht dann von Very Long Baseline Interferometry (VLBI). Doch nicht nur die Länge der Basislinien ist wichtig. Beim EHT beobachteten im Frühjahr 2017 acht Teleskope weltweit jeweils an mehreren Tagen die beiden Schwarzen Löcher. "Während dieser Zeit drehte sich natürlich die Erde weiter", erklärt Anton Zensus, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn.

"Da die Antennen automatisch dem Beobachtungsobjekt nachgeführt wurden, veränderten sich die Basislinien in der Orientierung auf das Objekt." Und das können die Wissenschaftler ebenfalls nutzen. Denn das Beobachtungsobjekt, die messbare Region um den Ereignishorizont – bei Sagittarius A* ist das immerhin ein Durchmesser von 24 Millionen Kilometern – erscheint von der Erde aus, aus rund 27.000 Lichtjahren Entfernung, nur wie ein Punkt. "Wir wollen aber mehr sehen, in diesen Punkt hineinsehen", so Zensus. "Und dafür nutzen wir möglichst lange und möglichst viele Basislinien." Wenn also weltweit verteilte Antennen über längere Zeit die Strahlung eines Objekts einfangen, fließen Laufzeit- und Winkelunterschiede aus unzähligen Interferenzmustern in das Gesamtergebnis ein. Durch dieses Prinzip der VLBI konnte man für die Schwarzen Löcher ein Auflösungsvermögen erreichen, das in der Lage wäre, einen Donut auf dem Mond exakt abzulichten.

Die Abbildung der Schwarzen Löcher war Folge einer extrem aufwändigen Bildverarbeitung. Dauerte die Messung einige Tage, so vergingen Jahre, bis die Bilder, die die Weltöffentlichkeit begeisterten, die Wirklichkeit korrekt wiedergaben. Die Daten, die dabei verarbeitet wurden, füllten kistenweise Festplatten. "Pro Antenne nahmen wir 450 Terabyte Daten auf, zusammen 3,6 Petabyte", erinnert sich Anton Zensus. Mehrere Supercomputer mussten immer wieder lange rechnen, ehe die Wissenschaftler störende Effekte, von der Variabilität des Schwarzen Lochs über das interstellare Medium bis hin zu minimalsten zeitlichen Differenzen bei der Beobachtung und gar relativistischen Effekten ausgleichen konnten. Beteiligt war auch der Supercomputer des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie in Bonn, der eine Leistung von 1400 Desktop Computern aufweist.

Mittlerweile sind im EHT-Verbund 11 Teleskope weltweit beteiligt: "Und wenn wir Teleskope sagen, sind damit auch Arrays gemeint“, so Anton Zensus. Das heißt, ein Teleskop, das im EHT mitwirkt, kann selbst aus zusammengeschalteten Teleskopen bestehen. So war bereits 2017 das ALMA-System der Europäischen Südsternwarte ESO als "ein Teleskop" beim EHT beteiligt. ALMA besteht aus 66 einzelnen Schüsseln mit jeweils meist 12 Metern Durchmesser, die ihrerseits schon vor Ort, auf gut 5.000 Metern Höhe in den nordchilenischen Anden, zusammengeschaltet sind.

Teleskope des Event Horizon Telescopes (18 Bilder)

Das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) der Europäischen Südsternwarte in Chile
(Bild: ESO/C. Malin)

Anton Zensus war bei der Gründung des EHT beteiligt und kennt das Netzwerk seit der ersten Stunde. In die Radioastronomie und Interferometrie stieg er 1980 als Doktorand ein. "Damals nutzten wir noch Videokassetten als Speichermedium", erinnert er sich. In der Tat geht die Zusammenschaltung von Radarantennen und später Radioteleskopen noch bis in die Fünfzigerjahre zurück. Damals arbeitete man mit direkter analoger Verkopplung mittels Wellenleitern.

Heute ist die digitale Datenverarbeitung und Bildoptimierung der Schlüssel für immer mehr gesteigerte Präzision. So auch beim Global Millimeter VLBI Array (GMVA), das seit 2002 besteht und in dem auch das 100 Meter große Radioteleskop Effelsberg des Bonner Max-Planck-Instituts mitwirkt. GMVA operiert bei Wellenlängen von drei Millimetern, das entspricht einer Frequenz von 86 Gigahertz. Es beobachtete zum Beispiel weit entfernte Radioquellen wie Quasare, Blazare und galaktische Kerne, darunter auch das Zentrum der Milchstraße. Für das EHT konnte die Wellenlänge noch verringert werden, auf rund 1,3 Millimeter, was ebenfalls die Auflösung verbessert. Dazu war es notwendig, die teilnehmenden Teleskope noch empfindlicher zu machen und mit präzisen Atomuhren auszurüsten.

Die Bilder, die von den Schwarzen Löchern durch die Medien gingen, sind nur der Auftakt. "Wir machen seit 2017 weitere Messreihen", so Anton Zensus. "Und aufgrund unserer Erfahrungen können wir die Zeit für die Bildverarbeitung mittlerweile reduzieren." So kann man für die nächsten Jahre auf weitere noch schärfere Bilder und sogar Videosequenzen vom Schwarzen Loch im Herzen unserer Milchstraße gespannt sein. Langfristig könnten auch Weltraumteleskope zugeschaltet werden, was die effiziente Nutzung der Baselines und damit das Auflösungsvermögen noch einmal enorm steigen würde.

(jle)