Fahrräder: Tuning statt Doping

Auf der Tour de France geht das Gespenst des Elektro-Dopings um. Illegale Hilfsmotoren lassen sich mittlerweile so gut verstecken, dass sie mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind. Was ein Drama für den Sport ist, könnte dem Alltagsrad neue Impulse geben.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 6 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hans Dorsch

Lange Zeit gehörte Doping zur Tour de France wie das Baguette zu Frankreich. Nun macht eine neue Spielart von sich reden – Fahrrad-Doping mit versteckten Elektroantrieben. Einen Präzedenzfall gibt es schon: Am 30. Januar fanden Kontrolleure einen Motor in einem Rad der belgischen Querfeldein-Spezialistin Femke Van den Driessche. Eine Strafe von 18000 Euro und eine Sperre von sechs Jahren dürften das Karriereende für die 19-Jährige bedeuten. Eine drakonische Strafe – für klassisches Doping gibt es maximal vier Jahre.

Schon vor dem Fall Van den Driessche galt es in der Szene als offenes Geheimnis, dass allein auf der Tour de France rund ein Dutzend Fahrer mit illegaler Antriebshilfe unterwegs sein dürften. "Es herrschte totale Alarmstimmung vor dem Start. Viele Teammanager haben mit mir gesprochen, dass man endlich etwas tun muss", sagte Jean-Pierre Verdy, bis 2015 Direktor des Kontrollbereichs der französischen Anti-Doping-Agentur AFLD, in einem Interview mit dem Magazin "Tour". "Wir haben überlegt, ob wir den Zoll einschalten sollen, aber die Einfuhr der Motoren ist nicht verboten." Er habe auch den Radsport-Weltverband UCI informiert. "Aber der hat sich darauf konzentriert, die Räder zu wiegen. Wir standen da und konnten nichts tun."

Wer sich die pummeligen Pedelecs im Straßenbild anschaut, der kann kaum glauben, dass sich Elektroantriebe wirklich unsichtbar in ein Sportgerät integrieren lassen. Dabei ist der "Vivax Assist"-Motor, der im Rad der Belgierin gefunden wurde, bereits seit zehn Jahren frei verkäuflich. Er sitzt im Sattelrohr und treibt über ein Winkelgetriebe die Kurbelwelle an. Der Akku wird normalerweise in einer kleinen Satteltasche oder in einer Trinkflaschenhalterung untergebracht. Mit etwas technischem Geschick lassen sich die Zellen aber auch unsichtbar im Rahmen verstecken. Aktiviert wird er über Kabel oder – ebenfalls unsichtbar – über Funk.

Weil der Motor so klein ist, bringt er relativ wenig Drehmoment auf. Für Alltagsradler kommt er deshalb eher nicht infrage. Beliebt ist er hingegen bei Radsportlern, um beispielsweise die Leistungsunterschiede bei Sportlerpärchen für gemeinsame Ausfahrten auszugleichen. Fällt die Trittfrequenz unter einen voreingestellten Wert, unterstützt der Motor den Radler mit bis zu 200 Watt. Am besten funktioniert er bei sportlichen 75 bis 90 Kurbelumdrehungen pro Minute.

Um einen Motor dieser Bauart zu entdecken, würde eigentlich ein Blick ins Sattelrohr genügen. Doch der stand bisher nicht auf dem technischen Prüfplan. Zwar werden bei großen Radrennen Gewicht und Rahmengeometrie stichprobenartig überprüft, aber eine systematische Kontrolle aller Sportgeräte, wie etwa in der Formel 1, war bisher nicht vorgesehen. So können Fahrer beispielsweise unbehelligt während eines Rennens zu einem Ersatzrad greifen. Und Doping-Kontrolleure sind nur für die Körper der Athleten zuständig.

Am 6. Mai aber zeigte der Verband UCI erstmals, dass er das Thema ernst nimmt: Beim Prolog zum Giro d'Italia untersuchten Techniker die Fahrräder aller teilnehmenden Fahrer, auch die Ersatzräder. Sie nutzten den eingebauten Magnetfeldsensor des iPads, der sonst als elektronischer Kompass dient, um das Magnetfeld jedes Fahrrads abzuscannen. Störungen können auf einen Motor hinweisen. Ähnlich wie bei klassischen Dopingkontrollen werden die Rohdaten für spätere Nachprüfungen gespeichert.

Der Aufwand scheint berechtigt, denn über der Branche schwebt schon das Phantom eines neuen, noch effizienteren Antriebs, der sich mit bloßem Auge nicht mehr entdecken lässt. Die italienische Sportzeitung "Gazzetta dello Sport" berichtete über einen geheimnisvollen Industrie-Guru, der angeblich elektromagnetische Laufräder für bis zu 200000 Euro vertreiben soll. Weitere Nahrung bekam das Gerücht im April 2016 durch einen Beitrag des Senders France TV. Er machte bei mehreren Rennen Wärmebildaufnahmen. Bei einigen Rädern zeigten sich dabei erhöhte Temperaturen im Tretlagerbereich oder in der Hinterradnabe.

Technisch gesehen sind solche magnetischen Laufräder längst keine Spekulation mehr. Das Friedrichshafener Unternehmen CarboFibretec hat im letzten Jahr mit dem Velocité ein E-Bike vorgestellt, das genau nach diesem Prinzip funktioniert. "Wir haben den klassischen Elektromotor zerlegt", sagt Thomas Leschik, technischer Geschäftsführer von CarboFibretec. Üblicherweise sind die sich drehenden und feststehenden Spulen oder Magnete (Rotor und Stator) in einem Bauteil vereint. Die Ingenieure von CarboFibretec haben den Rotor hingegen in die Felge integriert und den Stator in den Rahmen. Dazu haben sie 128 Dauermagnete in den Felgenrand des Carbon-Hinterrads eingebettet. Der Carbonrahmen umschließt das Hinterrad über eine Länge von 30 Zentimetern wie ein Schutzblech. Dort verstecken sich Spulen, welche die Magnete antreiben. Der Akku sitzt im Unterrohr.

Das Carbonrad wiegt nur 14 Kilogramm, leistet aber 500 Watt. Der große Durchmesser des Rotors bringt ein enormes Drehmoment, das ohne Umweg über Getriebe oder Kette auf die Straße gelangt. Das Design ist allerdings extrem auffällig, für Elektro-Doping wäre es ungeeignet.

Wäre eine schlankere Version möglich? Herkömmliche Rahmen mit unauffälliger Geometrie bieten höchstens sechs Zentimeter Platz für die Spulen des Stators. Das würde zwar nur für höchstens 20 bis 60 Watt reichen – aber diese Werte werden im Zusammenhang mit den ominösen Laufrädern tatsächlich kolportiert. Das ist nicht viel Leistung fürs Geld, aber beim Sprint oder bei steilen Anstiegen könnten ein paar Watt mehr oder weniger über die Platzierung entscheiden. Leschik glaubt jedoch, dass dieser Vorteil den großen Entwicklungsaufwand nicht rechtfertigt.

Auch wenn über den illegalen Einsatz dieser Magneträder bei Rennen derzeit nur spekuliert werden kann – ein legaler Einsatz im Alltag ist durchaus absehbar. Das Bundesforschungsministerium hat die Entwicklung im Rahmen eines sechsjährigen Leichtbauprojekts gefördert. Dabei ging es vor allem um die automatisierte Herstellung von Carbonkomponenten. Noch befindet sich das Velocité im Forschungsstadium. CarboFibretec hat aber das Ziel, ein komplettes Rad mit integriertem Motor zu erschwinglichen Preisen in Deutschland herzustellen. Irgendwann könnten sich also auch Amateure den eleganten, unsichtbaren Zusatzantrieb leisten.

Eine konventionellere Variante des nahezu unsichtbaren Elektroantriebs gibt es sogar heute schon zu kaufen. Das Berliner Start-up Freygeist hat ein gleichnamiges Rad erschaffen, das mit zwölf Kilogramm leichter als die meisten Stadträder und erst bei sehr genauem Hinschauen als E-Bike zu erkennen ist. Der Radnabenmotor im Hinterrad ist so klein und unauffällig, dass er auch als Getriebenabe durchgeht. Und dem sportlichen Alurahmen sieht man nicht an, dass er Akkus für 60 Kilometer beherbergt. Nur ein kleiner Stecker mit Gummiabdeckung verrät, dass dieses Rad an der Steckdose aufgeladen werden kann. (bsc)