Faktencheck: Telegram ist weniger privat als andere Messenger

Die Annahme, Telegram sei besonders sicher, scheint sich hartnäckig zu halten. Fakt ist: In puncto Verschlüsselung ist Telegram der Konkurrenz unterlegen.​

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Telegram-Logo auf Handy-Bildschirm

(Bild: Justlight/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Kathrin Stoll

Telegram-Mitgründer Pavel Durow wurde am 24. August in Paris inhaftiert. Die französische Justiz wirft ihm vor, zu wenig gegen die Nutzung des Messengerdienstes für kriminelle Aktivitäten vorzugehen und zu wenig mit den Behörden zu kooperieren. Mittlerweile ist er – gegen eine Kaution von fünf Millionen US-Dollar und der Auflage, sich regelmäßig bei der französischen Polizei zu melden – offenbar wieder auf freiem Fuß.

Die Inhaftierung Durows scheint zum einen das Anti-Establishment-Image des russischen Unternehmers, zum anderen die öffentliche Wahrnehmung, Telegram sei besonders sicher und die dortige Kommunikation besonders privat, zu untermauern. Das ist nicht zuletzt dem Marketing der Betreiber geschuldet. Der russische Messenger, der seit 2013 am Markt ist, wurde von Pavel und seinem Bruder Nikolai Durow entwickelt. Spätestens seit der Übernahme WhatsApps durch Facebook im Jahr 2014 erfreut er sich auch in Deutschland einer großen Nutzerschaft, nicht zuletzt, weil er sich seit seinem Bestehen als sichere Alternative zur Konkurrenz positioniert. Auf der Produkt-Webseite schreiben die Macher, Telegram sei sicher, die API offen und man verspreche – anders als die Gründer von WhatsApp – niemals an einen Konzern zu verkaufen.

Dass man den Messenger landläufig für besonders sicher und privat hält, mag außerdem daran liegen, dass Telegram als eine Art Darknet für die Hosentasche gilt. Genutzt wird die Software nicht nur wie ein klassischer Messenger, also für den Versand von Nachrichten, Videos und Audionachrichten. Sie bietet daneben auch Gruppen- und Channelfunktionen, die relativ offen zur Verbreitung extremistischer Botschaften, den Vertrieb illegaler Güter wie Drogen und sonstige kriminelle Aktivitäten genutzt werden. Dagegen möchte der Betreiber jüngsten Berichten nach jetzt immerhin verstärkt vorgehen.

Laut Spiegel Online war auf Telegrams Webseite in der Vergangenheit außerdem zu lesen, dass Telegram keine Nutzerdaten an Dritte weitergebe, "einschließlich aller Regierungen". Von diesem Kurs ist Telegram allerdings schon vor Jahren zumindest teilweise abgerückt: Nach Informationen, die Spiegel Online 2022 veröffentlichte, haben die Betreiber offenbar Chatinhalte an das BKA gegeben. Heute ist der Satz nicht mehr auf der Webseite aufzufinden. Der Punkt: Würde Telegram Chats standardmäßig Ende-zu-Ende-verschlüsseln, könnte der Betreiber gar nicht auf die Inhalte zugreifen oder diese mit irgendwem teilen.

Es stimmt zwar, dass man bei Telegram sogenannte geheime Chats zwischen zwei Personen optional Ende-zu-Ende-verschlüsseln kann, die E2E-Verschlüsselung jedoch – anders als etwa bei Matrix, WhatsApp oder Signal – nicht standardmäßig bei allen Chats aktiv ist. Alle Nachrichten, die in Channels, Gruppen und auch in regulären, nicht explizit "geheimen" Chats zwischen zwei Teilnehmern verschickt werden, landen auf Telegrams Servern. Sie werden also nicht direkt verschlüsselt zwischen den Geräten und Apps der Chatteilnehmer verschickt, sondern gehen den Umweg über die Server des Anbieters.

Anders gesagt: Sie sind nicht besser vor dem Zugriff Dritter geschützt als eine E-Mail. Wie der Versand einer E-Mail erfolgt auch der Telegram-Nachrichtenversand mit Transportverschlüsselung. Das heißt, Inhalte werden über einen verschlüsselten Kanal zwischen Messenger und Server verschickt, sodass Dritte diese während des Transports über das Netz nicht ohne Weiteres mitlesen können. Telegram kann die Nachrichten auf den Servern jedoch bei Bedarf entschlüsseln. Jeder, der an den Endpunkten sitzt – also an einem Chat beteiligte Nutzer und Nutzerinnen auf der einen Seite, die Serverbetreiber auf der anderen – kann diese mitlesen und bei Bedarf mit Dritten teilen. Bei öffentlichen Gruppen und Channels können sogar unbeteiligte Dritte die Chats einsehen, wenn sie den Gruppen- oder Channel-Link haben.

Hinzu kommt, dass die von Telegram eingesetzte, optional fĂĽr private Chats einstellbare Ende-zu-Ende-VerschlĂĽsselung jener der Konkurrenz offenbar technisch unterlegen ist. Signal und WhatsApp setzen auf etablierte Double-Ratchet-VerschlĂĽsselung. Telegram nutzt dagegen ein selbst entwickeltes Protokoll namens MTProto, das in der Vergangenheit bereits vielfach kritisiert wurde, nicht zuletzt wegen der alten Security-Weisheit "never roll your own crypto" .

Wer sicher sein möchte, dass niemand seine oder ihre digitale Kommunikation mitlesen kann, nutzt also besser einen Dienst mit per Default aktivierter Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, die auf einem erprobten Verschlüsselungsprotokoll basiert. Telegram, der durchaus mit Features wie liebevollen Stickern, dank der Cloudsicherung einer tollen Exportfunktion und praktischen Bots punktet, ist der Konkurrenz in puncto Sicherheit und Privatsphäre leider unterlegen.

(kst)