Fokus Überwachung: Alles im Blick

Ein verhängnisvolles Wechselspiel aus wachsendem Unsicherheitsgefühl des Einzelnen, Bequemlichkeit, staatlichem Kontrollinteresse und dem Drang zu mehr Effizienz schafft neue Formen der Überwachung.

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(Bild: Foto: Shutterstock, Composing: Technology Review)

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Scott McNealy wusste es schon: "Sie haben null Privatsphäre", erklärte der damalige Chef von Sun Microsystems Journalisten auf einer Pressekonferenz im Januar 1999. "Gewöhnen Sie sich daran."

Trotzdem sind wir elf Jahre später immer noch überrascht, wenn mal wieder das Ausmaß der Überwachung publik wird. Jüngstes Beispiel: Die "New York Times" berichtete Mitte Dezember über die "getrackte Nation". Die Zeitung hatte zwei Datensätze zugespielt bekommen, die Ortsdaten von zwölf Millionen Smartphones enthielten. Aufgenommen über einen Zeitraum von mehreren Monaten in 2016 und 2017, enthielt die Datei mehrere Milliarden Positionsdaten – von Stränden in Kalifornien genauso wie Golfresorts in Florida, aber auch vom Pentagon oder vom Weißen Haus.

Die Positionsdaten stammen von Smartphone-Apps. Spezia­lisierte Dienstleister wie Radius Networks oder Skyhook sammeln sie ein, bereiten sie auf und leiten ihre Erkenntnisse – zum Beispiel über das Verhalten bestimmter Käufergruppen – an Kunden aus der Wirtschaft weiter.

Die Datensätze enthalten zwar weder Namen noch Telefonnummern, sondern nur eine ID. Als die Analysten der "New York Times" jedoch begannen, sich den zeitlichen Verlauf der Ortsdaten einzelner IDs genauer anzusehen, stießen sie auf eine Vielzahl vertraulicher Informationen, "als ob man in einem fremden Tagebuch lesen würde". So konnten sie die privaten Wege hochrangiger US-Sicherheitsbeamter nachvollziehen, ebenso die Wohn- und Arbeitsstätten von Demonstranten, die anlässlich der Vereidigung von Donald Trump als US-Präsident auf der Straße waren.

In einem Fall stolperten die Datenauswerter auch über ein vertrauliches Bewerbungsgespräch, schreiben sie: "Wir beobachteten eine Änderung der regelmäßigen Bewegungen eines Microsoft-Ingenieurs. Er besuchte an einem Dienstagnachmittag den Hauptcampus des Microsoft-Konkurrenten Amazon in Seattle. Im folgenden Monat begann er ­einen neuen Job bei Amazon. Es dauerte nur Minuten, um ihn als Ben Broili zu identifizieren, der jetzt Manager bei Amazon Prime Air, einem Drohnenlieferdienst, ist."

Ist das Kind also längst in den Brunnen gefallen? Gary T. Marx, Soziologe und mittlerweile emeritierter MIT-Professor, schreibt zwar in einem Überblicksartikel für die "International Encyclopedia of the Social & Behavioural Sciences": "Überwachung als solche ist weder gut noch schlecht. Erst Kontext und Verhalten machen sie dazu." Außerdem sei es falsch, Überwachung automatisch als "das Gegenteil von Privatsphäre" zu verstehen.

Doch auch der nüchterne Soziologe beobachtete eine neue Form der Überwachung, die "New Surveillance", die man von der traditionellen Überwachung einer Gruppe oder einzelner Individuen durch Behörden oder Institutionen abgrenzen ­müsse. Diese neue Form ziele darauf ab, "mithilfe technischer Mittel Informationen zu extrahieren und zu erzeugen".

(wst)