Forscher fordern bessere Qualitätskontrolle bei Corona-Impfstoffen

Untersuchungen des AstraZeneca-Vakzins an der Uni Ulm zeigen erstaunlich große Verunreinigungen. Im TR-Interview erklärt Forscherin Lea Krutzke, was das heißt.

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Impfstoff von AstraZeneca.

(Bild: Mika Baumeister / Unsplash)

Lesezeit: 9 Min.

Wissenschaftler an der Universität Ulm haben den Inhalt des SARS-CoV-2-Impfstoffs von AstraZeneca, Vaxzevria, analysiert und dabei überraschend große Mengen an Produktionsrückständen festgestellt. Dr. Lea Krutzke, Postdoc am Institut für Gentherapie, war an der Studie maßgeblich beteiligt. Die Expertin für onkolytische Adenoviren – Vaxzevria nutzt selbst ein Adenovirus als Vektor – erläutert im Gespräch mit Technology Review, wie es zu der Entdeckung kam, was sie für Impflinge bedeuten könnte und wie sich solche Probleme künftig verhindern lassen.

Technology Review: Frau Dr. Krutzke, Sie und Ihr Team um Professor Stefan Kochanek von der Uni Ulm haben den COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca auf mögliche Produktionsrückstände überprüft. Wie kamen Sie auf die Idee, dies zu tun?

Lea Krutzke: Wir forschen schon seit vielen Jahren mit und an adenoviralen Vektoren und haben daher die notwendige Expertise. Aufgrund der Berichte bezüglicher der beobachteten Nebenwirkungen mit dem AstraZeneca-Impfstoff haben wir uns diesen ein wenig genauer angeschaut und sind dabei – tatsächlich eher zufällig – über diese Verunreinigungen gestolpert. Wir waren selbst überrascht, in welchem Ausmaß diese vorzuliegen scheinen.

Sie hatten drei Chargen untersucht und kamen auf das erstaunliche Ergebnis, dass bis zu 2/3 des Protein-Inhalts aus Produktionsrückständen bestanden. Um welche handelte es sich?

Dr. Lea Krutzke

(Bild: Uni Ulm)

Es handelt sich hierbei um eine Vielzahl an menschlichen Eiweiße. Diese entstammen den menschlichen Zellen, welche für die Produktion des Impfstoffes verwendet werden. Eigentlich sollten diese menschlichen Eiweiße im Anschluss an die Produktion wieder vom eigentlichen Impfstoff – also den adenoviralen Vektorpartikel – abgetrennt werden. Dies scheint im Falle von AstraZeneca allerdings nur sehr unzureichend geschehen zu sein. Des Weiteren haben wir auch adenovirale Eiweiße im Impfstoff nachgewiesen, welche zwar ebenfalls für die Produktion der Vektorpartikel benötigt werden, allerdings kein Bestandteil der reifen Partikel sind und ebenfalls während des Aufreinigungsprozesses hätten abgetrennt werden sollen.

Lässt sich aus Ihren Überprüfungen schließen, dass alle Chargen des Herstellers so aussehen?

Wir haben in unserer Studie die Ergebnisse drei von uns untersuchter Chargen gezeigt. Mittlerweile hatten wir die Möglichkeit, eine weitere Charge zu untersuchen und in einer weiteren Studie der Universität Greifswald, an der wir auch beteiligt sind, wurden noch zwei Chargen analysiert. Alle sechs Chargen weisen Prozess-bedingte Verunreinigungen auf. Überraschenderweise variiert der Grad der Verunreinigung zwischen den Chargen, was bei einem standardisierten Prozess eigentlich auch nicht der Fall sein sollte. Wir können natürlich keine abschließende Aussage bezüglich aller Chargen machen, jedoch ist unsere Beobachtung mit sehr großer Wahrscheinlichkeit repräsentativ.

Auch den Stoff von Johnson & Johnson wollte Ihr Team untersuchen – dieser ist ebenfalls Vektorviren-basiert wie jener von AstraZeneca. Gibt es hierzu bereits Informationen? Was erwarten Sie?

Hierzu haben wir bisher nur vorläufige Ergebnisse, welche in weiteren Experimenten überprüft werden müssen. Wir bitten um Verständnis, dass wir uns zu den bisherigen Erkenntnissen an dieser Stelle noch nicht äußern können.

Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat sehr zurückhaltend auf Ihre Ergebnisse reagiert, es kam nicht zu Rückrufen oder ähnlichem, stattdessen wurde beschwichtigt. Halten Sie das für angemessen?

Wir sind uns im Klaren, dass es sich hierbei um eine schwierige Situation handelt und Risiken genau gegeneinander abgewogen werden müssen. Eine Erkrankung an COVID-19 stellt ein großes gesundheitliches Risiko dar und die Schutzwirkung der Impfung mit AstraZeneca ist eindeutig nachgewiesen. Ob und in welcher Form die Verunreinigungen für den Impfling ein Risiko darstellen, können wir zum jetzigen Stand noch nicht sagen. Momentan gehen wir davon aus, dass es eher als gering einzuschätzen ist. Jedoch bedarf es hier dringend weiterer Studien, vor allem beispielsweise im Zusammenhang mit Autoimmun-Vorerkrankungen – aber auch bezüglich der beobachteten starken Impfreaktionen kurze Zeit nach der Impfung. Weltweit herrscht Impfstoffmangel und die Herstellung eines bestehenden Impfstoffes zu verändern – sowie die damit einhergehenden Konsequenzen hinsichtlich der Zulassung – sind ein äußerst langwieriges Unterfangen. Dennoch sind wir der Auffassung, dass die Aufreinigungsverfahren und vor allem die Qualitätskontrollen für derlei Impfstoffe zukünftig verbessert werden müssen. Technisch ist es absolut möglich, adenovirale Vektoren zu sehr hohem Reinheitsgrad zu produzieren – auch im großen Maßstab. Es besteht also keinerlei Notwendigkeit, dieses – wenn auch vermutlich geringe – Risiko durch die Verunreinigungen hinzunehmen.

Die Mengen an Produktionsrückständen im AstraZeneca-Impfstoff sind, sollten die besagten 2/3 kein Zufallstreffer gewesen sein, groß. Wie kann so etwas durch die Qualitätskontrolle rutschen?

Eine relativ oberflächliche Antwort darauf wäre: Der momentane Qualitätsstandard ist ein festgelegter Grenzwert an akzeptiertem Fremd-Eiweiß je Impfdosis. Die Menge dieser Fremdproteine wird mit einer Methode namens ELISA gemessen. Jedoch können die im AstraZeneca-Impfstoff gefundenen Fremdproteine mit dieser Methode höchstwahrscheinlich gar nicht detektiert werden und somit "rutschen sie unbeobachtet durch". Daher sind wir der Auffassung, dass die Qualitätskontrolle mittels der ELISA-Methode bei der Herstellung adenoviraler Vektoren unzureichend ist und dringend durch weitere (bereits verfügbare) Methoden ergänzt werden muss.

Es heißt, um ausreichend das Spike-Protein generierende Viren zu erzeugen, seien solche Produktionsrückstände quasi unvermeidlich – im Sinne von: ohne Produktionsrückstände wäre es noch weniger wirksamer Impfstoff. Ist das eine nachvollziehbare Argumentation?

Hier sprechen Sie zwei verschiedene Themen an. Zum einen: Diese Produktionsrückstände zu vermeiden ist absolut möglich – auch während einer industriellen Produktion im großen Maßstab. Zum anderen: man weiß, dass die Wirkung eines Impfstoffes durch Hilfsstoffe, sogenannten Adjuvantien, verbessert wird. Adjuvantien sind im Impfstoff enthaltene, dem Körper jedoch fremde Substanzen, die das Immunsystem aufwecken und anlocken, wodurch dann auch eine verbesserte Immunreaktion gegen den eigentlichen Impfstoff induziert wird. Jedoch wirken im Fall von AstraZeneca oder Johnson & Johnson die adenoviralen Vektoren, die als "Taxis" verwendet werden, um die Information des Spike-Proteins in den Körper einzuschleusen, schon selbst als Adjuvans, da sie für den Körper "von außen" wie Viren aussehen und daher automatisch das Immunsystem auf den Plan rufen. Die Argumentation, dass die Verunreinigungen also einen positiven Effekt auf die Wirksamkeit des Vakzins hätten, da sie ebenfalls Adjuvantien darstellen, greift hier also eher nicht.

Wie ist der Stand der Diskussionen mit AstraZeneca? Werden künftig bessere Filter verwendet?

Das Unternehmen ist kürzlich nochmal auf uns zugekommen. Sie untersuchen derzeit die von uns gemachten Beobachtungen, arbeiten an der Verbesserung der Methodik hinsichtlich der Qualitätssicherung und stehen im Austausch mit der europäischen Zulassungsbehörde EMA. Das Thema wird also ernst genommen und es scheint sich auch etwas zu tun.

Wie haben Sie die Reaktion auf Ihre Studie aufgenommen? Hatten Sie und das Team befürchtet, Impfskeptikern "Zucker" zu geben?

Selbstverständlich waren wir uns im Klaren, dass dies eine heikle Thematik ist. Auf keinen Fall wollten wir die Akzeptanz in der Bevölkerung hinsichtlich des Themas Impfungen ins Schwanken bringen oder für massive Verunsicherung sorgen. Sonst nicht und schon gar nicht zu Pandemie-Zeiten. Trotzdem waren und sind wir der Auffassung, dass zum einen die Menschen ein Anrecht auf diese Information haben und zum anderen dieser Zustand so nicht hingenommen werden kann, sondern sich etwas ändern muss. Deswegen sind wir auch schlussendlich damit an die Öffentlichkeit getreten, allerdings erst, nachdem wir mit verschiedenen öffentlichen Behörden Kontakt aufgenommen und die Datenlage diskutiert hatten. Die Rückmeldungen aus der Bevölkerung waren zwar verständlicherweise oft besorgt, aber allesamt freundlich. Vehement auftretende Impfskeptiker sind eigentlich keine an uns herangetreten.

Das Thema Corona-Impfstoff ist vermint. Haben Sie das Gefühl, dass man hier noch adäquat wissenschaftlich arbeiten kann, ohne dass es politisch wird?

Das kann ich ganz klar bejahen, adäquates wissenschaftliches Arbeiten ist auf jeden Fall möglich. Das ist ja das durchaus Positive hier: Man braucht vielleicht an der einen oder anderen Stelle mal ein wenig Durchhaltevermögen, Geduld und Rückgrat, aber am Ende werden eben auch die unbequemen Wahrheiten ausgesprochen.

Ist geplant, auch die mRNA-Impfstoffe, also Biontech/Pfizer und Moderna, auf ihren Inhalt zu untersuchen? Falls nicht, warum nicht?

Eine solche Untersuchung planen wir in unserer Arbeitsgruppe tatsächlich erst einmal nicht. mRNA-basierte Impfstoffe werden auf ganz andere Weise hergestellt. Die Expertise in diesem Bereich haben andere Forscher und ich kann mir gut vorstellen, dass hier jetzt der eine oder andere auch nochmal genauer hinschaut. Da für die Herstellung vom mRNA-Impfstoffen – anders als bei adenoviralen Vektoren – jedoch keine menschlichen Zellen verwendet werden, ist eine Verunreinigung wie wir sie beim AstraZeneca-Impfstoff gesehen haben, nahezu unmöglich. (bsc)