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Für längeres Leben: Künstliche Embryonen aus Stammzellen als Ersatzteillager

Antonio Regalado

(Bild: Ms Tech)

Es klingt wie aus einem Science-Fiction-Film: Das Start-up Renewal Bio will neuartige Organspender heranzüchten.

Auf der Suche nach neuen Formen der sogenannten Longevity Medicine, die sich mit lebensverlängernden Maßnahmen beschäftigt, will ein Biotech-Unternehmen mit Sitz in Israel künftig Menschen im Embryonalstadium erzeugen, um Gewebe für Transplantationsbehandlungen zu gewinnen.

Das Unternehmen namens Renewal Bio nutzt aktuelle Fortschritte in der Stammzelltechnologie und sogenannten künstlichen Gebärmuttern. Die Verfahren wurden von Jacob Hanna, Biologe am Weizmann Institute of Science in Rehovot, vorgestellt. Anfang letzter Woche zeigte Hanna etwa, dass sein Labor ausgehend von Mäusestammzellen äußerst realistisch aussehende Mäuseembryonen schaffen und sie in einer nachgebauten Gebärmutter mehrere Tage lang wachsen lassen konnte, bis sie schlagende Herzen, Blutfluss und Schädelfalten entwickelten.

Es ist das erste Mal, dass ein derart fortgeschrittener Embryo ohne Verwendung von Spermien, Eizellen oder gar einer echten Gebärmutter geschaffen wurde, so Hanna in seiner Studie [1]. "Dieses Experiment hat enorme Auswirkungen", sagt Bernard Siegel, Gründer des World Stem Cell Summit. "Man fragt sich, welches Säugetier als Nächstes an der Reihe sein könnte."

Die Antwort lautet: der Mensch. Hanna sagte gegenüber MIT Technology Review, dass er bereits daran arbeitet, die Technik aus dem Tierversuch bei menschlichen Zellen zu replizieren und hofft, schließlich künstliche Varianten menschlicher Embryonen herzustellen, die einer 40 bis 50 Tage alten Schwangerschaft entsprechen. In diesem Stadium sind die grundlegenden Organe sowie winzige Gliedmaßen und sogar Finger ausgebildet. "Wir betrachten ein solches Embryo als den besten 3D-Biodrucker, den es gibt", sagt Hanna. Das sei die beste Möglichkeit, um echte Organe und echtes Gewebe herzustellen.

Forscher können bereits einfache Gewebearten wie Knorpel oder Knochen drucken oder züchten, aber die Herstellung von komplexeren Zelltypen und Organen hat sich bislang als schwierig erwiesen. Ein Embryo hingegen beginnt mit dem natürlichen Aufbau des Körpers. Die Vision von Renewal Bio [2] lautet: "Können wir diese organisierten Embryo-Entitäten mit frühen Organen nutzen, um Zellen zu erhalten, die für Transplantationen verwendet werden können? Wir sehen das als einen möglicherweise universellen Ausgangspunkt", sagt Hanna.

Embryonale Blutzellen könnten beispielsweise entnommen, vermehrt und einem älteren Menschen eingesetzt werden, um das Immunsystem wieder in Gang zu bringen. Ein anderes Konzept besteht darin, embryonale Kopien von Frauen mit altersbedingter Unfruchtbarkeit zu züchten. Die Forscher könnten dann die Keimdrüsen des Modell-Embryos entnehmen, die entweder im Labor oder durch Transplantation in den Körper der Frau weiter reifen, um wieder "junge" Eizellen zu erzeugen.

Das Start-up, das Risikokapital unter anderem von NFX erhalten hat, wirbt um weitere Investoren. In seinen Präsentationsunterlagen heißt es, die Mission sei es, "die Menschheit zu erneuern – uns alle jung und gesund zu machen". Die Firma nimmt also den Mund recht voll.

Der genaue technische Plan von Renewal Bio bleibt allerdings unter Verschluss – und die Website des Unternehmens ist nur eine Visitenkarte. "Sie ist aus gutem Grund sehr detailarm. Wir wollen nicht zu viel versprechen, und wir wollen die Leute nicht verängstigen", sagt Omri Amirav-Drory, Partner bei NFX, der als CEO des neuen Unternehmens fungiert. Man sieht die Sensibilität des Themas.

Einige Wissenschaftler sagen, dass es schwierig sein wird, Modelle menschlicher Embryonen bis zu einem fortgeschrittenen Stadium zu züchten – und dass es besser wäre, die Kontroverse zu vermeiden, die durch eine zu enge Nachahmung echter Embryonen ausgelöst wird.

"Es ist absolut nicht notwendig, also warum sollte man es tun?", sagt Nicolas Rivron, ein Stammzellenforscher am Institut für Molekulare Biotechnologie in Wien. Er meint, dass Wissenschaftler nur "die minimale embryonale Struktur schaffen sollten, die notwendig ist", um Zellen von Interesse zu erhalten.

Amirav-Drory meint seinerseits, dass er seit dem Aufkommen der CRISPR-Geneditierungstechnologie [3] kein Verfahren mit so viel Potenzial gesehen hat. "Die Möglichkeit, einen synthetischen Embryo aus Zellen zu erzeugen – ohne Eizelle, ohne Sperma, ohne Gebärmutter – ist wirklich erstaunlich", sagt er. "Wir sind der Meinung, dass es sich um eine enorme transformative Plattformtechnologie handelt, die sowohl für die Fruchtbarkeit als auch für die Langlebigkeit des Menschen eingesetzt werden kann."

Vor einem Jahr stellte Stammzellenspezialist Hanna erstmals eine "mechanische Gebärmutter" vor, in der es ihm gelang, natürliche Mäuseembryonen mehrere Tage lang außerhalb einer weiblichen Maus zu züchten [4]. Das System besteht aus sich drehenden Gefäßen, in denen die Embryonen in Blutserum und Sauerstoff "gebadet" werden. In der neuen Forschungsarbeit verwendete Hanna dieselbe mechanische Gebärmutter – aber diesmal, um ähnliche Embryonen heranwachsen zu lassen, die aus Stammzellen entstanden sind.

Bemerkenswert ist, dass sich Stammzellen, wenn sie in speziell geformten Behältern gezüchtet werden, spontan zusammenschließen und versuchen, einen Embryo zu bilden, wodurch Strukturen entstehen, die als Embryoide, Blastoide oder synthetische Embryomodelle bezeichnet werden können. Viele Forscher betonen, dass diese Strukturen trotz ihres Aussehens nur eine begrenzte Beziehung zu echten Embryonen haben und sich nicht vollständig zu Lebewesen entwickeln können.

Indem er diese synthetischen Mäuseembryonen in seine mechanische Gebärmutter einsetzte, gelang es Hanna jedoch, sie weiter wachsen zu lassen als je zuvor – und zwar bis zu dem Punkt, an dem die Herzen zu schlagen begannen, Blut gepumpt wurde und sich ein Gehirn und ein Schwanz abzeichneten.

"Die Embryonen sehen wirklich großartig aus", so Hanna, dessen Studie bei anderen Wissenschaftlern durchaus Bewunderung auslöste. Man komme natürlichen Embryonen sehr, sehr nah. Erste Analysen zeigen, dass die synthetischen Varianten normalen Mausembryonen zu etwa 95 Prozent ähneln, wenn man vorhandene Zelltypen einzelnen betrachtet.

Dennoch sind die Verfahren zur Züchtung synthetischer Embryonen nach wie vor ineffizient. Weniger als einer von 100 Versuchen, ein Mäuseembryo zu schaffen, war erfolgreich – und selbst diejenigen, die sich am weitesten entwickelten, litten schließlich unter Anomalien, einschließlich Herzproblemen – vielleicht weil sie ohne eine angemessene Blutversorgung nicht weiter wachsen konnten.

In einer nächsten Versuchsreihe will Hanna seine eigenen Blut- oder Hautzellen (und die einiger anderer Freiwilliger) als Ausgangspunkt für die Herstellung synthetischer menschlicher Embryonen verwenden. Das bedeutet, dass in seinem Labor bald Hunderte oder Tausende solcher Mini-Mes leben könnten – alles genetische Klone von ihm selbst.

Hanna stört sich nicht an der Idee. Trotz der verblüffenden Tatsache, dass er in der Lage ist, die Anfänge von Säugetieren im Reagenzglas nachzubilden, betrachtet er diese als "Wesen ohne Zukunft". Sie sind wahrscheinlich nicht lebensfähig, sagt er. Außerdem gibt es derzeit keine Möglichkeit, den Schritt aus dem Reagenzglas ins wirkliche Leben zu gehen. Ohne eine Plazenta und eine Nabelschnur, die mit der Mutter verbunden ist, könnte kein synthetischer Embryo überleben, wenn er in eine Gebärmutter verpflanzt wird. "Wir versuchen hier nicht, menschliche Wesen zu schaffen. Das ist nicht unser Ziel", sagt Hanna.

Dennoch könnte es im Zuge der Weiterentwicklung dieser Technologie zu einer Debatte darüber kommen, ob synthetische Embryonen irgendwelche Rechte haben – oder ob sie aus ethischer Sicht als Grundmaterial für Wissenschaft und Medizin verwendet werden können. In den USA haben sich die National Institutes of Health in einigen Fällen bereits geweigert, Studien im Bereich synthetischer Embryonen zu finanzieren, da sie der Meinung sind, dass sie den echten Embryonen zu ähnlich seien.

Obwohl Hanna nicht glaubt, dass künstliche, aus Stammzellen hergestellte und in einem Labor herangezogene Embryoen jemals als menschliches Wesen gelten wird, hat er einen Notfallplan, um sicherzustellen, dass es keine Verwechslungen gibt: Es ist beispielsweise möglich, die Ausgangszellen genetisch so zu verändern, dass das entstehende Modell nie einen Kopf entwickelt, so gruselig das klingt.

Die Einschränkung seines Potenzials könnte helfen, ein ethisches Dilemma zu vermeiden. "Wir halten das für wichtig und haben viel in dieses Thema investiert", sagt Hanna. Es können genetische Veränderungen vorgenommen werden, die dazu führen, dass "keine Lunge, kein Herz oder kein Gehirn" entstünden.

Renewal Bio hat bereits einige von Hannas Studenten eingestellt und seine Technologie vom Weizmann-Institut lizenziert. Es wird damit beginnen, erstes Geld für die Verbesserung der Inkubatortechnik ausgeben, Sensoren zu entwickeln, um die Embryonen während ihrer Entwicklung zu beobachten – und Wege finden, ihre Überlebenszeit im Labor zu verlängern.

Laut Amirav-Drory befindet sich das Unternehmen noch in einem so frühen Stadium, dass es noch lernen muss, wofür die Technologie überhaupt eingesetzt werden könnte – und welche Anwendungen am vielversprechendsten sind. Er und Hanna, der wissenschaftliche Gründer von Renewal Bio, haben sich an andere Wissenschaftler und Ärzte gewandt, um zu erfragen, was sie ihrer Meinung nach tun würden, wenn sie Zugang zu einer großen Anzahl synthetischer Embryonen hätten, die sich über Tage oder sogar Wochen entwickeln.

"Wir haben die Leute gefragt: Stellen Sie sich vor, wir könnten diesen oder jenen Meilenstein erreichen. Was würde das freisetzen?" Bei den meisten soll es leuchtende Augen gegeben haben.

[5]

(bsc [6])


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https://www.heise.de/-7203878

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.cell.com/cell/fulltext/S0092-8674(22)00981-3
[2] https://www.renewal.bio/
[3] https://www.heise.de/thema/Gentechnik
[4] https://www.heise.de/hintergrund/Mausembryos-in-kuenstlicher-Gebaermutter-gezuechtet-5993657.html
[5] https://www.instagram.com/technologyreview_de/
[6] mailto:bsc@heise.de