Fußball macht Robotik massentauglich

René van de Molengraft, organisatorischer Leiter der RoboCup Dutch Open spricht im Interview über die Zukunft der Middle Size League, die Herausforderung, ein RoboCup-Turnier zu organisieren, und die Aussichten seines Teams Tech United.

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Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

heise Online: Herr Molengraft, die Middle-Size-Roboter spielen bei diesen RoboCup Dutch Open schon zu Beginn des Turniers auf einem erstaunlich hohen Niveau. Wie kommt das?

Molengraft: Ja, es ist wirklich bemerkenswert, wie gut die Teams mit der neuen Regel zurechtkommen, die Pässe über die Mittellinie erzwingt. Diese Regel hat das Spiel völlig verändert und für die Zuschauer deutlich attraktiver gemacht. Natürlich hatten die schnellen Dribblings einiger Teams früher auch ihren Reiz. Aber der leichte Tempoverlust wird durch das intensivere Teamspiel mehr als kompensiert.

heise Online: Es ist aber ungewöhnlich, dass es schon am ersten Tag der Wettkämpfe zu attraktiven Begegnungen kommt.

Szene aus dem Spiel Tech United gegen MRL: Ein MRL-Roboter führt einen Eckball aus.

Molengraft: Das hat damit zu tun, dass wir hier fünf der besten Teams weltweit haben. Auch unser eigenes Team Tech United hatte bei früheren Turnieren immer wieder mit Problemen beim Setup zu kämpfen. Aber wir nutzen jetzt seit drei Jahren die gleiche Plattform, die mittlerweile sehr stabil ist, sodass es kaum noch Schwierigkeiten mit der Hardware gibt. Das gleiche gilt für die Software, bei der wir problemlos neue Module hinzufügen können. Da zahlt sich die über viele Jahre erworbene Erfahrung aus.

heise Online: Teams, die überwiegend aus Informatikern bestehen, erleben das häufig umgekehrt: Sie bekommen Probleme, wenn sie über drei Jahre dieselbe Hardware verwenden. Haben Sie als Maschinenbauer hier einen besonderen Zugang zum Thema?

Molengraft: Wir haben während der ersten vier Jahre sehr viel Energie in die Entwicklung des Hardwaredesigns investiert. Die Roboter sollten robust genug sein, um die vielen Kollisionen während der Spiele zu überstehen. Ein gutes Beispiel dafür sind die Räder, mit denen wir den Ball kontrollieren. Wir haben sie erstmals im Jahr 2007 verwendet, niemand sonst verwendete so einen Mechanismus. Allerdings hielten diese Räder nur ein oder zwei Spiele durch.

Aus diesem Grund haben wir auch das Finale 2010 in Singapur verloren: Wir konnten keine Tore mehr schießen, weil bei allen Robotern die Ballführung nicht mehr funktionierte. Jetzt haben wir die Mechanik gehärtet und getestet, indem wir die Roboter gegen eine Betonwand haben fahren lassen. Die Aufnahmen einer Hochgeschwindigkeitskamera zeigen, wie sich die Struktur dabei verformt, ohne zu brechen.

heise Online: Die Teilnahme an der Middle Size League hat sich für Sie offensichtlich gelohnt. Doch die Zukunft dieser Liga ist unklar. Es mehren sich Zweifel, ob sich der enorme Aufwand für die Teams noch lohnt.

Molengraft: Die hohen Kosten sind sicherlich ein wichtiger Grund, warum es kaum neue Teams gibt. Das hohe Niveau, auf dem die etablierten Teams spielen, macht es für Neueinsteiger zusätzlich schwierig. Vor allem aber fehlt es an einer Diskussion darüber, in welche Richtung sich diese Liga weiter entwickeln soll.

René van de Molengraft schaut sich ein Spiel seines Teams Tech United gegen das iranische Team MRL an.

Auf dem Weg zum Fernziel, mit Robotern gegen Menschen Fußball zu spielen, gibt es noch wichtige Hürden zu nehmen. Wir müssen zum Beispiel auf richtigem Rasen spielen können. Das erfordert ein völlig neues Design. Die heute von fast allen Teams verwendeten Mecanum-Räder, mit denen die Roboter in jede Richtung fahren können, sind für den Einsatz auf dem Rasen nicht geeignet. Wir arbeiten an einem sechsbeinigen Roboter für solche Outdoor-Spiele. Es ist aber auch klar, dass nur sehr wenige Teams einen solchen Schritt mitmachen könnten.

Aber auch für Informatiker bietet die Middle Size League nach wie vor interessante Fragestellungen, etwa die Koordination von Robotern. Die mechatronischen Basisfähigkeiten funktionieren ja nie perfekt. Mit diesen Unsicherheiten müssen Roboterteams bei der Koordinierung ihrer Aktionen umgehen können.

Irgendwann wird sich diese Liga sicherlich in der Humanoid League auflösen, aber das erwarte ich erst in 10 bis 15 Jahren. Um den Wettbewerb bis dahin am Leben zu erhalten, müssen wir uns darüber verständigen, in welche Richtung wir mit der Middle Size League gehen wollen.

heise Online: Sie glauben nicht, dass die von Ihnen genannten Forschungsfragen heute schon von der Humanoid League übernommen werden könnten?

Molengraft: Gegenwärtig hat die Humanoid League noch genug mit ihren eigenen spezifischen Problemen zu tun. Insbesondere bei den größeren Robotern der Teen Size und Adult Size steht das stabile Gehen im Mittelpunkt, vom Rennen ganz zu schweigen. Es wird sicherlich noch zehn Jahre dauern, bis sie wirklich rennen können und auch kleinere Rempeleien überstehen, ohne gleich umzufallen. In der Middle Size League können wir uns unterdessen mit anderen Fragenn wie etwa der Teamkoordination beschäftigen, mit denen die humanoiden Roboter auch konfrontiert sein werden, sobald sie sicher genug laufen können.

heise Online: In jedem Fall werden die Middle Size Teams mehr finanzielle Unterstützung brauchen. Allerdings findet das Fußballspiel in Wissenschaftlerkreisen gegenwärtig nicht viel Anerkennung. Wie wollen sie potenzielle Geldgeber überzeugen?

Molengraft: Fußball ist hervorragend geeignet, um ein großes Publikum für Robotik zu interessieren. Wir haben hier 200 Plätze, und sie waren schon am ersten Tag des Turniers fast vollständig gefüllt. Aber solche Veranstaltungen kosten viel Geld. Wir müssen daher alle Teams ermutigen, die Resultate ihrer Forschungen zu publizieren, um den wissenschaftlichen Wert ihrer Arbeiten zu unterstreichen.

heise Online: Können Sie ein Beispiel für grundlegende Forschungsfragen geben, die im Rahmen der Middle Size League untersucht werden?

Molengraft: Unsere Gruppe beschäftigt sich ursprünglich mit mechatronischen Kontrollverfahren. Es geht darum, Konzepte der Kontrolltheorie in funktionierende Systeme zu überführen. Fußball ist eins der wenigen erfolgreichen Anwendungsbeispiel. Wo sonst ist bislang die Koordination der Aktionen von fünf Robotern gelungen?

heise Online: Das Team Carpe Noctem von der Universität Kassel kooperiert mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), um Roboterteams zu entwickeln, die autonom auf dem Mond arbeiten sollen. Doch dieses Anwendungsszenario ist räumlich und zeitlich weit weg. Wie ist es mit näherliegenden Anwendungen im Haushalt, wie sie etwa bei RoboCup@home erprobt werden? Das Team von Tech United nutzt für diesen Wettbewerb die gleiche Plattform wie in der Middle Size League, oder?

Molengraft: Es handelt sich um eine etwas größere Version mit einem zusätzlichen Rad. Aber es ist viel Erfahrung aus der Middle Size in das Design eingeflossen. Ohne diese Erfahrung hätten wir den Roboter nicht innerhalb eines halben Jahres bauen können. Mein Ziel ist es, ihn in drei bis vier Jahren so weit entwickelt zu haben, dass wir ihn allen Forschern als Open Source zum Nachbau für etwa 10.000 Euro anbieten können. Roboter wie der PR2 oder der Care-O-bot, mit denen Forschungsteams heute arbeiten, kosten mehrere hunderttausend Euro.

Ein weiteres Ziel ist es, diesen Robotern die kognitiven Fähigkeiten zu geben, um die Welt um sie herum zu verstehen. Statt das Weiterreichen einer Tasse in jedem Detail zu programmieren, sollte der Roboter das Konzept „Tasse“ verstehen. Hiermit beschäftigen sich derzeit mehrere Forschungsprojekte in Europa. Ich selbst leite das Projekt RoboEarth, bei dem es um die Entwicklung eines World Wide Web für Roboter geht, über das sie Informationen austauschen und voneinander lernen können. Hierbei besteht eine große Herausforderung darin, geeignete Methoden zu finden, um Wissen zu repräsentieren. Es geht ja nicht nur darum, das Wissen zu speichern, sondern damit zu arbeiten und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.

Ein Tech-United-Spieler beim Einwurf. Insgesamt wirken die niederländischen Roboter beim Ausführen der Pässe sicherer, mehrmals gelang es den Kontrahenten aus dem Iran aber, Pässe abzufangen.

heise Online: Das klingt faszinierend. Aber wo bleibt die Verbindung zum Fußball?

Molengraft: Auf den ersten Blick mögen Fußballroboter und Roboter, die im Haushalt helfen sollen, nicht viel miteinander zu tun haben. Aber schauen Sie sich Roboter in der Fabrik an: Sie führen ständig die gleichen Bewegungen in einer vollständig kontrollierten Umgebung durch, komplett vorprogrammiert. Für einen privaten Haushalt, in dem sich ständig etwas verändert, funktioniert das nicht. Hierfür brauchen Roboter kognitive Fähigkeiten, müssen ihre Umgebung verstehen. Das ist das andere Extrem des Robotereinsatzes.

Das Fußballfeld liegt dazwischen: In mancher Hinsicht ist es weniger strukturiert als die Fabrik, hat aber immerhin noch das grüne Feld mit den weißen Linien, die die Orientierung erleichtern. Zugleich ändert sich die Situation auf diesem Spielfeld aber ständig. Was wir hier lernen hilft uns auf jeden Fall, Roboter für den Einsatz in vollständig unstrukturierten Umgebungen zu entwickeln.

heise Online: Eine andere Herausforderung ist es, eine Veranstaltung wie den RoboCup zu organisieren. Sie haben immerhin im Jahr 2006 schon einmal RoboCup Dutch Open organisiert, oder?

Molengraft: Daran war ich persönlich nicht beteiligt. Doch wir als Team Tech United denken schon seit einigen Jahren darüber nach, die RoboCup-Weltmeisterschaft in den Niederlanden zu veranstalten, haben es jetzt aber mit etwas mehr Nachdruck betrieben. Ursprünglich wollten wir einen Vorschlag für die RoboCup-WM 2014 einreichen, doch nachdem Osaka absagen musste, wurde daraus plötzlich 2013. Jetzt bin ich umso mehr froh, dass wir die Dutch Open durchführen. Wir lernen sehr viel, was uns bei der Organisation der WM helfen wird.

heise Online: Worin besteht für Sie die größte organisatorische Herausforderung?

Molengraft: Eine klare Botschaft an die Öffentlichkeit zu übermitteln. Die Zuschauer sollen einen Eindruck davon bekommen, worum es bei der Robotik geht, was wir heute schon können und was sie in Zukunft erwarten dürfen. Von Besuchern höre ich häufig Sätze wie: „Ich wusste gar nicht, dass es so etwas überhaupt gibt.“ Für uns ist das Alltag, aber viele Leute wissen nichts darüber.

Parallel zu den Turnierspielen der Erwachsenen hatten Kinder heute die Möglichkeit, sich in Workshops unter fachlicher Anleitung mit Robotern vertraut zu machen.

Es geht auch darum, junge Menschen für diese Technologie zu interessieren. Wenn ich zurückdenke, kann ich verschiedene Momente identifizieren, die in mir etwas ausgelöst und mich inspiriert haben. Ich bin sicher, dass Veranstaltungen wie diese junge Leute auf ähnliche Weise inspirieren werden.

heise Online: Mir gefällt der spielerische Zugang, den Sie hier eröffnen, mit Möglichkeiten, Roboter selbst auszuprobieren, aber auch Workshops, bei denen Kinder mehr darüber lernen können. Angesichts der geringen Zahl teilnehmender Teams scheinen mir aber fünf Tage etwas zu lang zu sein.

Molengraft: Das kann sein. Wir werden uns nach der Veranstaltung gründlich mit dieser und anderen Fragen beschäftigen. Im Voraus lässt sich vieles nicht einschätzen, etwa die Zahl der Zuschauer. Am ersten Tag waren es 500, gestern kamen 1.000. Wenn sich das so fortsetzt, könnten es am Wochenende noch viel mehr werden. Damit wäre ich sehr zufrieden. Der Zweck dieser Veranstaltung ist es, möglichst vielen Menschen die Idee der Robotik zu vermitteln. Für die Teilnehmer allein ließe sich der Aufwand nicht rechtfertigen.

heise Online: Wird es bei der RoboCup-WM 2013 einen Wettbewerb in der Middle Size League geben?

Molengraft: Wir werden hier einen sehr schönen Centercourt mit zwei Spielfeldern haben, das garantiere ich. Wir werden uns darum bemühen, so viele gute Teams wie möglich hierher zu bringen.

heise Online: Wird Tech United nach vier zweiten Plätzen endlich den Weltmeistertitel gewinnen?

Molengraft: Ich muss gestehen, dass ich mich nach dem Stress der letzten Turniere in Singapur und Istanbul entschlossen habe, nicht mehr so sehr auf den Turniererfolg zu schauen. Natürlich wollen wir weiterhin gewinnen. Aber unabhängig davon, ob wir Erster oder Zweiter geworden sind, haben wir gute Forschung betrieben und wunderbare Roboter entwickelt. Wir sollten auch nicht den Spaß an der Sache verlieren. Aber um die heise Online klar zu beantworten: Wenn wir nicht dieses Jahr in Mexiko gewinnen, dann auf jeden Fall nächstes Jahr in Eindhoven. (dab) (dab)