Fußball macht Robotik massentauglich

René van de Molengraft, organisatorischer Leiter der RoboCup Dutch Open spricht im Interview über die Zukunft der Middle Size League, die Herausforderung, ein RoboCup-Turnier zu organisieren, und die Aussichten seines Teams Tech United.

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Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

heise Online: Herr Molengraft, die Middle-Size-Roboter spielen bei diesen RoboCup Dutch Open schon zu Beginn des Turniers auf einem erstaunlich hohen Niveau. Wie kommt das?

Molengraft: Ja, es ist wirklich bemerkenswert, wie gut die Teams mit der neuen Regel zurechtkommen, die Pässe über die Mittellinie erzwingt. Diese Regel hat das Spiel völlig verändert und für die Zuschauer deutlich attraktiver gemacht. Natürlich hatten die schnellen Dribblings einiger Teams früher auch ihren Reiz. Aber der leichte Tempoverlust wird durch das intensivere Teamspiel mehr als kompensiert.

heise Online: Es ist aber ungewöhnlich, dass es schon am ersten Tag der Wettkämpfe zu attraktiven Begegnungen kommt.

Szene aus dem Spiel Tech United gegen MRL: Ein MRL-Roboter führt einen Eckball aus.

Molengraft: Das hat damit zu tun, dass wir hier fünf der besten Teams weltweit haben. Auch unser eigenes Team Tech United hatte bei früheren Turnieren immer wieder mit Problemen beim Setup zu kämpfen. Aber wir nutzen jetzt seit drei Jahren die gleiche Plattform, die mittlerweile sehr stabil ist, sodass es kaum noch Schwierigkeiten mit der Hardware gibt. Das gleiche gilt für die Software, bei der wir problemlos neue Module hinzufügen können. Da zahlt sich die über viele Jahre erworbene Erfahrung aus.

heise Online: Teams, die überwiegend aus Informatikern bestehen, erleben das häufig umgekehrt: Sie bekommen Probleme, wenn sie über drei Jahre dieselbe Hardware verwenden. Haben Sie als Maschinenbauer hier einen besonderen Zugang zum Thema?

Molengraft: Wir haben während der ersten vier Jahre sehr viel Energie in die Entwicklung des Hardwaredesigns investiert. Die Roboter sollten robust genug sein, um die vielen Kollisionen während der Spiele zu überstehen. Ein gutes Beispiel dafür sind die Räder, mit denen wir den Ball kontrollieren. Wir haben sie erstmals im Jahr 2007 verwendet, niemand sonst verwendete so einen Mechanismus. Allerdings hielten diese Räder nur ein oder zwei Spiele durch.

Aus diesem Grund haben wir auch das Finale 2010 in Singapur verloren: Wir konnten keine Tore mehr schießen, weil bei allen Robotern die Ballführung nicht mehr funktionierte. Jetzt haben wir die Mechanik gehärtet und getestet, indem wir die Roboter gegen eine Betonwand haben fahren lassen. Die Aufnahmen einer Hochgeschwindigkeitskamera zeigen, wie sich die Struktur dabei verformt, ohne zu brechen.

heise Online: Die Teilnahme an der Middle Size League hat sich für Sie offensichtlich gelohnt. Doch die Zukunft dieser Liga ist unklar. Es mehren sich Zweifel, ob sich der enorme Aufwand für die Teams noch lohnt.

Molengraft: Die hohen Kosten sind sicherlich ein wichtiger Grund, warum es kaum neue Teams gibt. Das hohe Niveau, auf dem die etablierten Teams spielen, macht es für Neueinsteiger zusätzlich schwierig. Vor allem aber fehlt es an einer Diskussion darüber, in welche Richtung sich diese Liga weiter entwickeln soll.

René van de Molengraft schaut sich ein Spiel seines Teams Tech United gegen das iranische Team MRL an.

Auf dem Weg zum Fernziel, mit Robotern gegen Menschen Fußball zu spielen, gibt es noch wichtige Hürden zu nehmen. Wir müssen zum Beispiel auf richtigem Rasen spielen können. Das erfordert ein völlig neues Design. Die heute von fast allen Teams verwendeten Mecanum-Räder, mit denen die Roboter in jede Richtung fahren können, sind für den Einsatz auf dem Rasen nicht geeignet. Wir arbeiten an einem sechsbeinigen Roboter für solche Outdoor-Spiele. Es ist aber auch klar, dass nur sehr wenige Teams einen solchen Schritt mitmachen könnten.

Aber auch für Informatiker bietet die Middle Size League nach wie vor interessante Fragestellungen, etwa die Koordination von Robotern. Die mechatronischen Basisfähigkeiten funktionieren ja nie perfekt. Mit diesen Unsicherheiten müssen Roboterteams bei der Koordinierung ihrer Aktionen umgehen können.

Irgendwann wird sich diese Liga sicherlich in der Humanoid League auflösen, aber das erwarte ich erst in 10 bis 15 Jahren. Um den Wettbewerb bis dahin am Leben zu erhalten, müssen wir uns darüber verständigen, in welche Richtung wir mit der Middle Size League gehen wollen.

heise Online: Sie glauben nicht, dass die von Ihnen genannten Forschungsfragen heute schon von der Humanoid League übernommen werden könnten?

Molengraft: Gegenwärtig hat die Humanoid League noch genug mit ihren eigenen spezifischen Problemen zu tun. Insbesondere bei den größeren Robotern der Teen Size und Adult Size steht das stabile Gehen im Mittelpunkt, vom Rennen ganz zu schweigen. Es wird sicherlich noch zehn Jahre dauern, bis sie wirklich rennen können und auch kleinere Rempeleien überstehen, ohne gleich umzufallen. In der Middle Size League können wir uns unterdessen mit anderen Fragenn wie etwa der Teamkoordination beschäftigen, mit denen die humanoiden Roboter auch konfrontiert sein werden, sobald sie sicher genug laufen können.

heise Online: In jedem Fall werden die Middle Size Teams mehr finanzielle Unterstützung brauchen. Allerdings findet das Fußballspiel in Wissenschaftlerkreisen gegenwärtig nicht viel Anerkennung. Wie wollen sie potenzielle Geldgeber überzeugen?

Molengraft: Fußball ist hervorragend geeignet, um ein großes Publikum für Robotik zu interessieren. Wir haben hier 200 Plätze, und sie waren schon am ersten Tag des Turniers fast vollständig gefüllt. Aber solche Veranstaltungen kosten viel Geld. Wir müssen daher alle Teams ermutigen, die Resultate ihrer Forschungen zu publizieren, um den wissenschaftlichen Wert ihrer Arbeiten zu unterstreichen.

heise Online: Können Sie ein Beispiel für grundlegende Forschungsfragen geben, die im Rahmen der Middle Size League untersucht werden?

Molengraft: Unsere Gruppe beschäftigt sich ursprünglich mit mechatronischen Kontrollverfahren. Es geht darum, Konzepte der Kontrolltheorie in funktionierende Systeme zu überführen. Fußball ist eins der wenigen erfolgreichen Anwendungsbeispiel. Wo sonst ist bislang die Koordination der Aktionen von fünf Robotern gelungen?