Gaming und Kognition: Spiele wie "Elden Ring" sind Booster fürs Ego

Seite 2: Welche Missionen? Muss man selbst herausfinden.

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Dabei können viele optische Hinweise helfen. "Wenn ich in Elex 2 direkt am Anfang des Spiels eine Wache provoziere, wird die mich aus den Latschen hauen", so Pankratz. Aber das Spiel habe vorher deutliche Hinweise gegeben, dass das passieren wird. Die Wache ist groß, hat eine imposante Rüstung und eine große Waffe. "Man muss einem Gegner ansehen können, wie herausfordernd er ist". Dann könne der Spieler oder die Spielerin entscheiden, ob sie sich der Herausforderung stellen.

Ob das wissenschaftliche Experiment wirklich funktioniert hat, testen gen Ende der Produktion verschiedene Fokusgruppen. "Wir Entwickler sind irgendwann betriebsblind. Es ist wichtig, dass Externe das Spiel spielen, um zum Beispiel den Schwierigkeitsgrad zu testen", sagt Pankratz. Da seien unterschiedliche Typen gefragt. Professionelle Spielerinnen wie auch Spieler, die wenig Erfahrung haben. Menschen, die sich jedem Kampf stellen. Oder Personen, die ihre Zeit am liebsten damit verbringen, die Spielwelt zu erkunden. In diesem Prozess entsteht dann die Sortierung des Schwierigkeitsgrads. Von "leicht" bis "ultra".

Doch sind es nicht nur besonders schwere Gegner, die den Schwierigkeitsgrad eines Spiels und damit auch seine Zugänglichkeit ausmachen. Vielmehr gibt es etliche Regeln, geschriebene wie ungeschriebene, die die Komplexität einer Spielwelt bedingen. Die Steuerung etwa oder wie klar das Spiel vermittelt, welche Aufgaben als Nächstes zu erledigen sind – und wie.

Die "Assassin’s-Creed"-Reihe ist seit einigen Jahren so was wie der Goldstandard der Open-World-Games. Nicht allen gefällt das, vieles davon fühlt sich einschränkend und repetitiv an. Dennoch gab es die längste Zeit diesen Vergleich: "Das ist wie in Assassin’s Creed". Zum Beispiel die Türme, die man zu erklimmen hat, um große Teile der Spielwelt aufzudecken. Wer das tut, findet daraufhin etliche Icons auf seiner Karte, die er alle abarbeiten sollte. Hier eine Nebenquest, dort ein vergrabener Schatz und da hinten ein feindliches Fort. Wer in die Weite der Open World blickt, sieht weniger endlose Möglichkeiten als viele kleine Aufgaben, die sich alle ähneln – aber bitte zu erledigen sind, wenn man das Spiel komplett durchspielen will.

Auch The Legend of Zelda: Breath of the Wild entlässt die Spielenden in eine Welt, ohne viel zu erklären. Der Titel gilt als Open-World-Meilenstein.

(Bild: Screenshots: Ubisoft)

Das sind nur einige der vielen Eigenschaften, die ein Assassin’s Creed auszeichnen. Und wie eigentlich immer in der Games-Branche gab es all das auch vorher schon. Aber dann kommt ein Spiel oder eine Reihe, die all diese Elemente vereint und auf den Punkt bringt und damit eine Formel schafft, die sich eingängig spielt und gut verkauft.

Elden Ring ist im gewissen Sinne eine Antithese zu Spielen wie Assassin’s Creed. Wer in diesem Spiel in die Weite blickt, sieht tatsächlich zunächst endlose Möglichkeiten. Überwältigend viele Möglichkeiten. Denn das Spiel spricht kaum mit den Spielern und Spielerinnen. Auch hier können sie zwar Teile der Weltkarte aufdecken. Aber danach gibt es keine klaren Ziele, keine brav geordneten Haupt- und Nebenquests, die das eigenständige Erkunden weitgehend unnötig machen. Elden Ring gibt den Spielenden eine Waffe in die Hand und sagt ihnen: "Geh! Und erwarte nicht, dass ich dir zur Seite stehe." In einem Assassin’s Creed hat die Spielerin stets das Gefühl, der Mittelpunkt dieser Welt zu sein. In Elden Ring lernt der Spieler, dass es das Spiel gar nicht kümmert, ob er Erfolg hat oder nicht.

Das zeigt sich schon in den ersten Momenten des Spiels. Da reitet ein Recke auf einem gigantischen Pferd durch die Steppe. An der Größe des Gegners ließe sich eigentlich schon ablesen, dass er noch viel zu schwierig für die gerade erst am Anfang ihrer Reise stehenden Spieler ist. Aus der Logik gewöhnlicher Blockbuster-Spiele aber leiten viele ab: Der Gegner steht am Anfang des Spiels, also kann ich ihn auch am Anfang des Spiels besiegen. Elden Ring aber wird dem allergrößten Teil der Spielerinnen lehren, dass dem nicht so ist. Mit wenigen Schlägen der gigantischen Waffe werden sie niedergestreckt. Wenn sie es 40 Spielstunden später erneut versuchen, haben sie vielleicht eine Chance. So sagt ihnen das Spiel: "Finde einen anderen Weg", ohne wirklich etwas zu sagen.

Während in Elden Ring (links) auf der Karte bis auf die Speicherpunkte gar nichts markiert wird, pflastert Assassin’s Creed Odyssey (rechts) alles voll.

(Bild: Screenshot: From Software)

Elden Ring kann als Antithese zu Titeln wie Assassin’s Creed nur so gut funktionieren, weil ein Assassin’s Creed so erfolgreich ist und seine Konventionen der Goldstandard der Videospiel-Branche wurden. So konnte From Software es schaffen, über viele Jahre eigene Konventionen zu etablieren, die ein ganz bestimmtes Publikum ansprechen. Denn dieser Goldstandard langweilt inzwischen viele Gamer. Das zeigt sich etwa schon daran, dass Ubisoft, das Studio hinter Assassin’s Creed, dazu übergegangen ist, neue Spiele dieser Reihe nicht mehr jährlich zu veröffentlichen. Lieber wartet man inzwischen mindestens zwei Jahre, um eine zu große Abnutzung dieser Formel zu vermeiden.

Elden Ring hingegen ist nicht nur das bestverkaufte Spiel im Februar in Europa, sondern gleichzeitig auch die erfolgreichste neue Gaming-Marke seit 2016 auf dem Kontinent. From Software hat eine Community geschaffen, die sich in Foren trifft und jeden kleinsten Aspekt der Spiele analysiert. Eine Community, die auf der Suche nach etwas ganz Speziellem ist: einer fairen, aber knallharten Herausforderung, die dann meistern, wenn sie die versteckten Signale des Spiels erkennen. Schon der indirekte Vorgänger von Elden Ring, Dark Souls 3, konnte sich mehr als zehn Millionen Mal verkaufen.