Gegen Desinformation: Anzeigen sollen Ukraine-News nach Russland bringen​

Seite 2: Crowdfunding für Anzeigen

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Bisher hat Blackie per Crowdfunding nur 18.500 britische Pfund (22.330 Euro) gesammelt, aber die Kampagne hat bereits zwei Millionen Menschen erreicht. Davon haben 42.000 auf die beworbenen Websites geklickt. In den ersten neun Stunden des 4. März wurden mehr als 100.000 Anzeigen geschaltet, obwohl einige Schlüsselbegriffe verboten waren.

Blackie ist bei Weitem nicht der Einzige, der sich die Fähigkeit der Online-Werbung zunutze macht, bei Nutzerinnen und Nutzern in Russland das Bewusstsein für die Aggressionen des Landes zu schärfen. Auf Facebook und Instagram laufen derzeit mehr als 1300 Anzeigen, die "Ukraine" erwähnen, und auf Nutzerinnen und Nutzer in Russland abzielen. Weitere 1100 Anzeigen laufen unter Verwendung von "Украина", der kyrillischen Version von "Ukraine", wenngleich darunter auch viele harmlose Anzeigen mit Katzenbildern sind. Obwohl Facebook in Russland nicht so dominant wie die einheimische Alternative VK ist, nutzen es Berichten zufolge vier von zehn Russen, während sechs von zehn auf Instagram unterwegs sind.

Viele Anzeigen werden auch von der Nachrichten- und Medienwebseite "Ukraine War" geschaltet, während andere von der Social-Media-Agentur "Safe Ukraine" betrieben werden. Sie enthalten emotionale Videos von gefangenen russischen Soldaten, die unter Tränen ihre Eltern zu Hause anrufen, um ihnen die Realität des Krieges vor Augen zu führen, sowie Texte, die das russische Volk auffordern, sich gegen den Krieg auszusprechen. Das Projekt wird von der 33-jährigen Bohdana aus der nordwest-ukrainischen Stadt Lutsk geleitet, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte.

Eine weitere Basiskampagne wird vom ukrainischen Zweig des Internet Advertising Bureau (IAB) organisiert. "Wir versuchen, mehr Informationen über die tatsächliche Situation zu verbreiten, da die Informationen in Russland sehr streng kontrolliert werden und es keine unabhängigen Medien gibt", sagt Anastasiya Baydachenko, Geschäftsführerin von IAB Ukraine.

In der ersten Woche des Krieges lief die Kampagne der ukrainischen Werbeindustrie größtenteils über das Werbenetzwerk von Google. Dieses stieß vor Kurzem allerdings auf Widerstand, als es von der staatlichen russischen Medienaufsichtsbehörde Roskomnadzor aufgefordert wurde, die Verbreitung von Informationen einzustellen, weil Russland das als "Desinformation" über seine Aktivitäten in Russland ansieht.

Google kam dieser Aufforderung am 4. März nach und stoppte vorübergehend die Möglichkeit, Anzeigen in Russland zu buchen. "Die Situation entwickelt sich schnell", sagte das Unternehmen in einer vagen Erklärung. Die Maßnahme hat einige der Pläne der vom IAB unterstützten Gruppe zunichtegemacht. Baydachenko behauptet jedoch, dass die Entscheidung von Roskomnadzor, gegen Anzeigen vorzugehen, ein Zeichen für die Wirksamkeit der IAB-Kampagne sei.

Die Kampagne, bei der viele verschiedene Konten kleine Geldbeträge für das gezielte Ansprechen demografischer Zielgruppen wie die Mütter russischer Soldaten ausgegeben hatte, wird nun auf Yandex übertragen. "Uns ist klar, dass die Nutzung von Yandex wegen seiner Kontrolle ein hohes Risiko darstellt", sagt sie. "Aber wir werden es versuchen, um die Reichweite unserer Botschaften zu erhöhen."

Laut Baydachenko gibt es etwa vier oder fünf weitere ukrainische Initiativen, die von Gruppen betrieben werden, die sich in den ersten Tagen des Krieges unabhängig voneinander gebildet haben. "Wir versuchen alle, mit unterschiedlichen Botschaften das russische Publikum zu erreichen", sagt sie. Die IAB-Kampagne wird von privaten Unternehmen sowie durch Spenden und Sponsoren finanziert, die bereit sind, große Summen in den Versuch zu stecken, über die Schrecken der Taten von Wladimir Putins Armee in der Ukraine aufzuklären.

"Die Besitzer ukrainischer Unternehmen verstehen, dass wir hier eine Krise haben", sagt Baydachenko. "Sie sind bereit, 10.000, 20.000, 30.000 oder 50.000 Dollar auszugeben, um zu kommunizieren und Informationen nach Russland zu bringen." Insgesamt, so schätzt Baydachenko, wurden in der letzten Woche 10 Millionen Griwna (300.000 Euro) für ukrainische Werbekampagnen ausgegeben, die versuchen, mehr ehrliche Informationen nach Russland zu bringen.

Agnes Venema, eine Wissenschaftlerin für nationale Sicherheit und Nachrichtendienste an der Universität Malta, bezeichnet diese Kampagnen als "die 2022-Version der Untergrundzeitung". "Die Menschen haben herausgefunden, dass sie Putin mit seinen eigenen Waffen schlagen können, indem sie den Desinformationen so entgegentreten, dass jeder Russe mit einem Internetanschluss sie sehen kann", sagt sie.

Doch trotz der riesigen Kampagnensummen befürchten einige Experten, dass sie wirkungslos bleiben werden. "Ich halte die Werbung für eine Verschwendung", sagt Steven Buckley, der an der University of the West of England soziale Medien und Politik studiert. "Viele werden Werbeblocker haben, und die Klickrate auf solche Anzeigen ist sehr niedrig. Buckley ist der Meinung, dass Nicolaides' Skript, mit dem eine Benachrichtigung eingeblendet wird, am ehesten Erfolg haben könnte. Doch selbst da könnte die russische Regierung eingreifen und es blockieren.

Ein anderer Ansatz wären direkte E-Mails an russische Adressen, die etwa Links zu Webseiten wie der BBC enthalten, die seit 2019 verstärkt einen Dark Web Mirror betreibt. Das bedeutet, dass ihre Webseite auch im Dark Web zugänglich ist. Solche E-Mails könnten jedoch von Spam-Filtern blockiert werden. Auch Venema warnt vor der Annahme, dass jede digitale Kampagne eine Wunderwaffe ist.

"Die russische Desinformation ist so indoktrinierend, dass ich mir nicht sicher bin, wie viel ein paar Anzeigen bewirken werden", sagt sie. "In vielerlei Hinsicht leben die Russen in einer Verschwörungstheorie, und wir wissen, dass es sehr schwer ist, sich davon zu lösen."

Andere sind zuversichtlicher, dass jede noch so kleine Maßnahme etwas bewirken kann. "Diese Art von zwischenmenschlichen Kontakten könnte sich als unglaublich wirkungsvoll erweisen, wenn sie aufrechterhalten und ausgeweitet werden können", sagt Jack Pearson, der Spezialist für außenpolitische Kommunikation. "Die einfachen Russen zu erreichen, ist jedoch nur eine Herausforderung. Die Kosten für abweichende Meinungen sind in Russland extrem hoch und werden immer höher."

Allerdings kam für die Aktivisten die Alternative – nichts zu tun – nicht infrage. "Ich habe mir überlegt, welche anderen Möglichkeiten es gibt, digitalen Aktivismus zu betreiben", sagt Skript-Autor Nicolaides. "Was sind die Mittel, die ich derzeit habe? Wo kann ich auch nur den kleinsten Unterschied machen? Es könnte ein Tropfen in einem riesigen Wassereimer sein – aber jeder Tropfen zählt am Ende."

(vsz)