Getrennte Wege
Ab sofort erhalten die meisten Telekom-Kunden auf Wunsch einen DSL-Anschluss, ohne zusätzlich mindestens 16,37 Euro für den Telefonanschluss bezahlen zu müssen, selbst wenn in ihrem Ortsnetz noch kein Telekom-Konkurrent eine eigene DSL-Vermittlung aufgebaut hat. Mit dem Wegfall des Zwangs-Bundles aus Telefon und DSL können dem Ex-Monopolisten nun weitere Millionen Telefonkunden den Rücken kehren.
Die Bundesnetzagentur hat der Telekom vor knapp einem halben Jahr aufgetragen, entbündelte Anschlüsse bereitzustellen, also DSL pur, ohne Telefonanschluss. Die Behörde spricht ein wenig kryptisch von „IP-Bitstrom-Anschlüssen“ (IP-BSA). Das erschließt den Telekom-Konkurrenten viele Millionen neue Kundenhaushalte: Alle großen Provider nutzen das Angebot bereits, um Vollanschlüsse bundesweit zu vermarkten, nicht nur in den eigenen Ausbaugebieten. Schon zwei Wochen nach dem Entscheid im Mai 2008 preschte Freenet vor – die Konkurrenten folgten erst in den vergangenen Wochen.
Der ohnehin schon unübersichtliche DSL-Markt ist damit um eine weitere Anschlussvariante reicher. Die Telekom-Konkurrenten haben nun die Möglichkeit, ihre Kunden entweder technisch über die Telekom oder über einen eigenen DSLAM (DSL Access Multiplexer) anzubinden – und zwar jeweils wahlweise mit oder ohne Telefonanschluss der Telekom (siehe Grafik S.104 in c't 22/08).
Für die Telekom-Mitbewerber macht es finanziell einen großen Unterschied, ob der Telekom-Telefonanschluss dabei ist oder nicht. So kostet die Miete der kompletten Teilnehmeranschlussleitung, die der Konkurrent an die Telekom abführen muss, monatlich 10,50 Euro. Ist ein Telekom-Telefonanschluss vorhanden und der Konkurrent mietet lediglich den DSL-Teil der Leitung (Line-Sharing), muss er nur 1,78 Euro monatlich berappen. Für den Kunden kehrt sich das Preisgefälle allerdings um, denn im letzteren Fall zahlt er ja 16,37 Euro monatlich an die Telekom. Selbst wenn der Provider den gesamten Preisvorteil weitergibt, muss der Kunde unterm Strich mehr berappen. Line-Sharing spielt deshalb im Markt kaum eine Rolle, denn aus Sicht der Konkurrenten verbleibt dabei zu viel Umsatz bei der Telekom. Viel lieber bietet man dem Kunden alles aus einer Hand an.
Ähnlich sieht es bei der Resale-Variante aus, bei der die Telekom den kompletten DSL-Anschluss stellt und weitervermietet: Hier gibt es keine Festpreise, sondern komplexe Staffeln, die einen Grundpreis und einen vom Datentransfer abhängigen variablen Anteil umfassen. Für die neue entbündelte Variante ohne Telekom-Telefonanschluss (Bitstrom) muss der Telekom-Konkurrent zwar auch mehr bezahlen, das aber macht der Wegfall des Telefonanschlusses für den Kunden mehr als wett. Telefonieren kann man auf solchen Anschlüssen aber ausschließlich per VoIP.
Durch die Preisdifferenz bleibt der Ausbau des Netzes für die Telekom-Konkurrenten also weiterhin lohnend. Fast alle Provider mit einem solchen Angebot verlangen wegen der höheren eigenen Kosten für Bitstrom-Anschlüsse einen monatlichen Aufschlag von 5 Euro gegenüber dem Vollanschluss, nur wenige bieten den Anschluss zum Einheitspreis an, egal auf welche Weise er geschaltet ist.
Die meisten Telekom-Konkurrenten sparen sich die teure und aufwendige dezentrale Telefonvermittlungstechnik und setzen stattdessen auf einen VoIP-Anschluss mit einer zentralen Vermittlung. Außer der Telekom setzen nur noch Versatel sowie einige Stadtnetzbetreiber wie etwa die hannoversche HTP auf echte und teure ISDN- oder Analoganschlüsse. Bei Hansenet gibt es für Neukunden nur optional echte ISDN-Anschlüsse – für rund 40 Euro monatlich.
Für Bestandskunden ändert sich aber vorerst nichts: Die Telefonanbieter versichern unisono, dass sie einmal installierte Telefonanschlüsse nicht auf VoIP umstellen wollen. Wer etwa bei Arcor oder Hansenet noch einen echten Telefonanschluss hat, erkennbar am dafür notwendigen Splitter, behält diesen bis auf Weiteres.
Die Umstellung auf VoIP beim Anbieterwechsel ist eher Fluch als Segen, wenn man aufs Festnetz-Telefon angewiesen ist. Zwar spart man jährlich rund 200 Euro, dafür lässt die Zuverlässigkeit zu wünschen übrig. Auch die Qualität von VoIP-Verbindungen ist schlechter. Telefonkunden können damit noch leben, die Übertragung von Faxen misslingt jedoch mitunter. Zwar nutzt VoIP genau den gleichen Codec, wie er im ISDN-Netz üblich ist (G.711), Faxverbindungen reagieren aber sehr empfindlich auf Mängel im AD-Wandler, auf Rauschunterdrückung, Echokompensation sowie auf Paketverluste. Zwar gibt es mit dem Protokoll T.38 (Fax over IP) bereits eine betriebssichere Lösung. VoIP-Router, Faxgeräte und Provider nutzen diese bislang aber durchweg noch nicht.
Totaler Blackout
Fällt die Internetverbindung aus, ist bei VoIP-Anbietern zwangsläufig auch das Telefon tot. Zwar trennen einige Anbieter die DSL-Logins fürs normale Surfen und fürs Telefonieren – wenn die DSL-Leitung nicht funktioniert, hilft das aber nichts. Dann hilft nur der Griff zum Handy, um die Störungsannahme zu erreichen. Die bei den Providern beliebten 01805-Hotlines sind aus den Mobilfunknetzen aber nur mit einem kräftigen Aufschlag zu erreichen. Ein viertelstündiges Telefonat kann da bereits mit zehn Euro zu Buche schlagen.
Geradezu lebensgefährlich können VoIP-Anschlüsse für Menschen werden, die ständiger Betreuung bedürfen und daher an ein Hausnotrufsystem angeschlossen sind. Die Basisstationen für die sogenannten Funkfinger sind zwar akkugepuffert, nicht aber die beim Kunden aufgestellten VoIP-Router der DSL-Provider, die sogenannten IADs (Integrated Access Device). Ist der Strom weg, lässt sich per Funkfinger keine Hilfe mehr herbeirufen. Die Ursache für den Stromausfall kann dabei durchaus im Haushalt selbst liegen: Wenn beispielsweise ein Topf überkocht und ein Elektrogerät daneben deshalb nasse Füße bekommt, löst das gerne den Fehlerstrom-Schutzschalter (FI) für die gesamte Wohnung aus, was aber die Helfer nicht erfahren können.
Telekom-VoIP
Auch die Telekom plant derzeit einen Wechsel auf VoIP. Noch werkeln in den Vermittlungsstellen Geräte, die ATM nutzen, die Bündelleitungen werden also nicht wie bei IP dynamisch, sondern fest nach dem Zeitmultiplexverfahren zwischen den Anwendern aufgeteilt. Auf der Backbone-Seite beginnt aber bereits die Migration auf das flexiblere Internet-Protokoll IP, das eine bessere Integration aller Daten-Transportdienste ermöglicht und statt eines Zeitmultiplexing, das jedem Teilnehmer die Bandbreite garantiert, eine Priorisierung von Echtzeitdiensten verwendet.
Die Anschlüsse der Kunden werden vermutlich frühestens in einigen Jahren sukzessive auf die neue Technik umgestellt werden. Noch hat die Telekom aber offenbar noch nicht einmal entschieden, ob sie dem Beispiel ihrer Konkurrenten folgen will und dem Kunden ein IAD bereitstellt. Das wäre dann auch das Ende des bisherigen, einmalig zuverlässigen Telefonnetzes mit einer durchschnittlichen Verfügbarkeit weit jenseits der 99-Prozent-Marke. Hängt die Telefonie an einer wackligen DSL-Verbindung, leiden Verfügbarkeit und Stabilität der Verbindungen spürbar. Wer aufs Handy ausweichen kann, kann damit leben. Hilfsbedürftigen Menschen sollte man aber eher einen herkömmlichen Anschluss bereitstellen.
Natürlich könnte man das IAD auch in der Vermittlungsstelle unterbringen: Dort wird es bei Stromausfall mit einer USV versorgt [1] und kann für angeschlossene Analog- oder ISDN-Telefone die erforderliche Speisespannung bereitstellen. Der Anschluss von DSL-Modem und Telefon geschieht in dieser Variante wie gewohnt über einen Splitter, der die Frequenzbereiche trennt.
Unbemerkter Wechsel
Charmant wäre diese Lösung auch deshalb, weil die Telekom einheitliche Hardware in allen Vermittlungsstellen einsetzen könnte, egal ob der jeweilige Kunde nun DSL nutzt oder nicht. Würde lediglich die Vermittlungsstelle umgerüstet, würden die Kunden den Umstieg von ATM auf IP überhaupt nicht bemerken, ähnlich wie das bei der Umrüstung von mechanischer zu elektronischer Vermittlungstechnik bis Ende 1997 geschah.
Falls auch die Telekom auf die Lösung einschwenkt, bei der das IAD im Kundenhaushalt steht, dürften sich aber vermutlich diejenigen freuen, die derzeit noch kein DSL bekommen können. Denn dann müsste die Telekom ja jedem Telefonkunden einen Breitbandanschluss bereitstellen, um daran wiederum das IAD betreiben zu können. Denn für einen geringen Prozentsatz Problemkunden wird der Konzern keine Sonderlösung unterhalten wollen.
Mit den neuen Angeboten können nun plötzlich viele DSL-Kunden rund 200 Euro im Jahr sparen. Und natürlich ist es im Interesse der Anbieter, einen vom Kunden gewünschten Wechsel sogleich zu vollziehen, auch während der Vertragslaufzeit – schließlich bleibt dann mehr von dem Geld, das der Kunde zahlt, in ihrer Kasse. Der zu erwartende Boom könnte allerdings für Probleme sorgen: Schon die derzeitigen Auftragszahlen für Neuanschlüsse und Anschlusswechsel kann die Telekom nur mit Mühe abarbeiten. Ein Ende des Höhenflugs bei den DSL-Neuanschlüssen ist noch nicht abzusehen. Zu Beginn des Jahres stiegen die Wartezeiten für Schaltaufträge rapide an [2], die Telekom musste gewaltige Anstrengungen unternehmen, um das Problem in den Griff zu bekommen.
Aufträge in der Warteschlange
Der Auftragsstau entsteht nun möglicherweise an anderer Stelle: Die Provider müssen der Telekom immer einige Monate im voraus mitteilen, wie viele Schaltvorgänge sie in Auftrag geben werden. Unterschätzen sie den Bedarf, müssen die Kunden eben auf einen Schalttermin warten. Dringende Fälle, beispielsweise ein Anschlusswechsel, werden dann natürlich vorgezogen, die Sparfüchse müssen hinten in der Schlange anstehen.
Von der Wechselmöglichkeit ausgenommen sind weiterhin knapp 10 Prozent der Telefonkunden: Die neuen, entbündelten Anschlüsse werden nur dann geschaltet, wenn die Telekom auf der jeweiligen Leitung mindestens 1,5 MBit/s im Downstream und 192 kBit/s im Upstream bereitstellen kann, anderenfalls ist der Telefonanschluss also weiterhin Pflicht. Das ist durchaus sinnvoll, benötigt doch ein VoIP-Telefonat ohne Datenkompression rund 80 kBit/s Bandbreite, 64 kBit/s davon sind Sprachdaten, der Rest Protokoll-Overhead. Mit 192 kBit/s lassen sich zwei VoIP-Gespräche gleichzeitig führen – und nebenher kann der Anwender noch surfen. Zwar reichen 64 kBit/s zur Not auch, allerdings nur für ein Gespräch und bei leichten Abstrichen an der Qualität, weil die Sprachdaten dann komprimiert werden müssen.
Auf die DSL-Anschlusspreise hat die neue DSL-Anschaltvariante allerdings keinen Einfluss. Die Telekom-Konkurrenten arbeiten bereits mit winzigen Margen und können ihre Preise kaum mehr weiter senken, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die entbündelten Bitstrom-Anschlüsse im Einkauf etwas teurer sind als die Variante, den kompletten Anschluss zu übernehmen.
Den Wettbewerb und damit den Ausbau der Konkurrenznetze heizt diese Entwicklung aber weiter an – die Zahl der Kunden, die bislang ausschließlich auf die Telekom als Telefonanschlusslieferant angewiesen waren, hat sich um nochmals rund zwei Drittel reduziert.
Literatur
[1] Urs Mansmann, Kommunizieren im Dunkeln, Telefon und Internet bei Stromausfall, c't 9/08, S. 88
[2] Urs Mansmann, DSL-HĂĽrdenlauf, Telekom-Wettbewerber klagen ĂĽber schleppende Auftragsabwicklung durch den Ex-Monopolisten, c't 1/08, S. 42
"DSL gĂĽnstig wie nie"
Artikel zum Thema "DSL gĂĽnstig wie nie" finden Sie in der c't 22/2008.
- Preisrutsch durch entbündelte Anschlüsse – S. 102
- Breitband-Tarife im Vergleich – S. 106
- Umziehen mit dem DSL-Anschluss – S. 114
(uma)