Gleicher Strom für alle

Aus den Steckdosen kommt Wechselstrom, doch immer mehr Geräte benötigen Gleichstrom – vom Computer bis zur LED-Lampe. Warum sie nicht direkt versorgen?

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Aus den Steckdosen kommt Wechselstrom, doch immer mehr Geräte benötigen Gleichstrom – vom Computer bis zur LED-Lampe. Warum sie nicht direkt versorgen?

Unter den Schreibtischen dürfte es überall auf der Welt ähnlich aussehen: Unzählige Netzteile balgen sich um den Platz an den Steckdosen. Dabei haben sie alle den gleichen Job: Wechselstrom in Gleichstrom zu verwandeln. Wäre es nicht praktischer, elektronische Geräte direkt mit Gleichstrom zu versorgen? In Rechenzentren ist so etwas schon üblich. Nun beginnen die ersten Forscher, mit Gleichstromnetzen für normale Bürogebäude zu experimentieren. An der bewährten Übertragung von Wechselstrom über große Strecken will dabei niemand rütteln.

Innerhalb eines Gebäudes könnten aber zentrale Gleichrichter die vielen kleinen Netzteile ersetzen. Am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) in Erlangen etwa entsteht ein Büro, in dem jeder Schreibtisch einen Gleichstromanschluss hat. Das Projekt "Smart Future Graz", will gleich eine ganze Büroetage mit Gleichstrom versorgen – zusätzlich zum herkömmlichen Wechselstromnetz.

Der Bedarf ist offensichtlich: Schon heute werden in gewerblichen Gebäuden nur noch 20 Prozent der elektrischen Energie in Form von Wechselstrom verbraucht, wie Forscher der TU Braunschweig berechnet haben. Der Anteil dürfte künftig noch sinken: LED-Lampen, Photovoltaik-Anlagen, Pufferbatterien, Elektroautos – sie alle arbeiten mit Gleichstrom. Die Umrichter verbrauchen viele Rohstoffe. Zudem kostet jede Umwandlung zwischen Wechsel- und Gleichstrom Energie. Die Braunschweiger Forscher haben das für ein typisches Bürogebäude durchgerechnet. Ihr Ergebnis: Vermiedene Umwandlungsverluste ließen den Stromverbrauch um 16 Prozent sinken.

Auf den ersten Blick lohnt sich die Umstellung also. Der Stromersparnis gegenüber stehen jedoch erhebliche Investitionen. Zwar könnten viele Netzteile und Umrichter wegfallen, doch die sind preiswerte Massenware. Gleichstromtechnik ist teurer. Denn sie muss ein zentrales Problem lösen: Werden zwei unter Strom stehende Kontakte getrennt, entsteht ein Lichtbogen. Bei Wechselstrom verschwindet er sofort wieder, weil der Strom 100-mal in der Sekunde auf null zurückgeht. "Bei 380 Volt Gleichstrom können Sie aber schon mal 10 bis 15 Zentimeter lange Lichtbögen haben", warnt Benjamin Munzel von der TU Braunschweig – mit entsprechend dramatischer Brandgefahr. Um das zu verhindern, müssen aufwendige Schutzgasschalter und Sicherungen her. Für beides gibt es noch keine serientaugliche Lösung.

Hohe Spannungen sind aber nötig, um leistungsstarke Photovoltaik-Anlagen oder Batteriespeicher ohne abnorm dicke Kabel anbinden zu können. Bei der Kommunikationselektronik ist die Lage entspannter: Monitore etwa benötigen meist 19 Volt, USB-Geräte 5 Volt. Also ist ein zweiter Gleichstromkreis mit niedrigerer Spannung sinnvoll. Im Erlanger Modellbüro entschieden sich die Forscher für 24 Volt, in Graz für 48 Volt. Ohne zusätzliche Netzgeräte kommen aber auch sie nicht aus: Ein weiterer Gleichspannungswandler muss die letzten Spannungsunterschiede überbrücken. Das IIS hat solche Wandler selbst entwickelt. Sie sind nicht größer als eine Briefmarke und erkennen selbstständig, welche Spannung das angeschlossene Gerät benötigt.

Angesichts dieses Aufwands sei es "nicht abschätzbar, ob die Mehrkosten durch die jährlichen Stromeinsparungen kompensiert würden", schreiben die Braunschweiger Forscher in einer Studie. Wie die Rechnung ausgeht, hängt auch von der Industrie ab. Sie müsste sich frühzeitig auf standardisierte Spannungen und Stecker einigen, damit die Komponenten durch hohe Stückzahlen günstiger werden. "Jetzt besteht noch die Chance, es einheitlich zu machen", sagt Munzel. Die Wechselstromwelt hat diese Chance vor mehr als hundert Jahren verpasst – noch immer gibt es weltweit verschiedene Stecker und Spannungen. (grh)