Hirnschnittstelle fĂĽr Vision Pro, iPad & Co.: Schneller in den Kopf
"Synchron" hat ein vergleichsweise einfach einzubringendes Brain Computer Interface entwickelt. Manager Kurt Haggstrom erläutert, wie es arbeitet.
Im Bereich der Hirnschnittstellen gibt es zahlreiche Versuche großer und kleiner Firmen, doch nur wenige können sie im Alltag nutzen. Das US-Unternehmen "Synchron" hat seinen eigenen Ansatz entwickelt und arbeitet mit speziellen Elektroden, die sich minimalinvasiv in den Körper einführen lassen. Kurt Haggstrom ist Chief Commercial Officer bei Synchron und kümmert sich um die Kommerzialisierung der Hirnschnittstelle. Er hofft, bald auch Versuche in Europa starten zu können.
heise online: Herr Haggstrom, im Bereich der Brain-Computer-Interface-Unternehmen gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Firmen – vom kleinen Start-up bis zum Elon-Musk-Unternehmen Neuralink. Wo platziert sich Synchron hier?
Haggstrom: Synchron gibt es schon seit ĂĽber zehn Jahren, wir sind also sicherlich nicht ganz neu in diesem Bereich. Der einzigartige Ansatz, den wir bei BCIs verfolgen, besteht darin, wie wir auf die Signale des Gehirns zugreifen. Wir tun das mit einem minimalinvasiven Ansatz.
Und wie sieht der aus?
Wir kommen über die Blutgefäße in das Gehirn, über die Jugularvene, um dann einen Ort namens Sinus sagittalis superior zu erreichen, der auf der Oberseite des Gehirns verläuft. Dort können wir mit einer ganz besonderen Elektrodenanordnung, der so genannten Stentrode, Signale abgreifen.
Die Stentrode sieht ähnlich aus wie ein normaler Stent, wie er zum Beispiel in der Kardiologie verwendet wird, aber sie verfügt über eingebaute Elektroden und eine daran befestigte Leitung. So können Signale in verschiedenen Bereichen des Gehirns sammeln, etwa im Motorcortex. Diese übersetzen wir in neuronale Gesten, die eine digitale Umgebung steuern können, beispielsweise eine Vision Pro von Apple.
Wie skalierbar ist das Verfahren?
Das Einsetzen der Stentrode kann fast überall vorgenommen werden. Wenn man also an all die Katheterlabore denkt, die weltweit Herzoperationen durchführen oder Schlaganfälle behandeln, haben wir beispielsweise in den Vereinigten Staaten über 1.700 davon in fast jeder Stadt, die dieses Verfahren durchführen könnten. Auch Ärzte sind solche Eingriffe gewohnt. Das Einsetzen unseres BCI skaliert also hervorragend, sobald wir in die kommerzielle Vermarktung gehen.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Die Erfinder des Verfahrens, Thomas Oxley und Nicholas Opie, die beide aus Australien kommen, hatten sich den Bereich der Kardiologie angeschaut und sich die Frage gestellt, ob die dortigen minimalinvasiven Verfahren nicht auch für das Gehirn passen könnten. Und Thomas Oxley, der auch heute noch unser CEO ist, war als Neurologe sehr vertraut mit der BCI-Welt. Es ging ihnen darum, Menschen, die ihre motorischen Fähigkeiten verlieren, schnell zu helfen. Und der Weg durch die Blutgefäße erschien ihnen als vergleichsweise einfache Möglichkeit, an die notwendigen Signale zu gelangen.
Wie stellen Sie sicher, dass die Stentrode an der richtigen Stelle sitzt?
Wir nutzten bildgebende Verfahren, um zu verstehen, wo sich der primäre Motorcortex von den Blutgefäßen aus befindet und welche Komponenten dieser hat. So kann man anhand der Struktur feststellen, wo man landen möchte, und das kann man dann auch live mit Hilfe von 3D-Bildgebungsverfahren tun. Bei der Fluoroskopie werden Röntgenstrahlen verwendet, um bekannte Marker zu erkennen, mit denen die Stentrode dann genau dort platziert wird, wo man sie haben möchte.
Das ist eigentlich ein ziemlich unkomplizierter Prozess. Heutzutage platzieren die Ärzte bei der Behandlung eines Schlaganfalls oder eines Aneurysmas stentähnliche Geräte millimetergenau.
Wie wird der Empfänger platziert, der die Verbindung nach draußen herstellt?
Der Transceiver liegt, genau wie ein Herzschrittmacher, direkt unter der Haut. Die Anbindung an andere Geräte erfolgt dann via Bluetooth. Das System ist also vollständig implantierbar, man muss nichts weiter tragen.
Elektroden anderer Firmen wie Neuralink sind deutlich größer. Kann Ihr Stent-artiges Instrument ausreichend Daten liefern?
Tatsächlich ist es so, dass wir auch nach zehn Jahren des Umgangs mit der Stentrode immer noch mehr Daten gewinnen und verstehen müssen, welche Informationen wir da erhalten. Die Kurve steigt exponentiell. Wir haben hier eine 360-Grad-Erfassung innerhalb des Blutgefäßes.
Der primäre motorische Cortex, der ergänzende motorische Cortex und der primäre sensorische Cortex sind alles Bereiche, in denen wir mit der Platzierung des Geräts mit der Erfassung von Signalen beginnen können. Und dann muss man das Ganze aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten – über Ebenen wie Zeit, Raum und Frequenz. Man hat also verschiedene Bereiche und verschiedene Ebenen, auf denen man Signale und Algorithmen aufbauen kann, um verschiedene Aktionen und Gesten zu verstehen, die der Benutzer ausführen möchte. Und das steuert dann eine digitale Umgebung.
Woran denken Sie genau?
Das kann die Steuerung eines Smartphones oder eines smarten Heims sein. Oder in Zukunft die Mobilität per Rollstuhl, ein Exoskelett oder ein Roboterarm für die Nahrungsaufnahme. Das sind alles Dinge, die aus digitaler Sicht mit ziemlich einfachen BCI-Befehlen gesteuert werden könnten. Und auch hier haben wir nicht einmal die Grenze dessen erreicht, was man mit den gewonnenen Signalen alles anfangen könnte. Da arbeiten unsere Datenwissenschaftler gerade daran.